Tomislav Neralic

 

„Wer war doch noch …?“:   In unserer Serie über weitgehend vergessene Sänger erinnern wir an uns wichtige Personen, die oft nur wenige oder keine Spuren hinterlassen haben, die aber für ihre Zeit und für den Fortbestand von Oper und Konzert so immens wichtig gewesen sind. Es waren und sind ja nicht allein die Stars, die die Oper am Laufen halten, sondern die Sänger der Nebenrollen und Komparsen, auch die Provinzsänger, die Diven und Heroen aus den kleineren Orten, wo Musik eine ganz andere Rolle spielte als hochgehypt in den großen Städten. Vor allem vor dem Krieg, aber auch in den Fünfzigern und Sechzigern hatte allein in Deutschland jedes der 36 und mehr Theater seine eigene Primadonna, seinen Haustenor und  langlebigen Bariton, die von der Operette bis zu Mozart und Wagner alles sangen. Das macht Oper aus. Nicht (oder nicht nur) die Auftritte der umjubelten Stars.

 

Seit meinen ersten Gehversuchen in Sachen Oper habe ich Tomislav Neralic an der Deutschen Oper Berlin in Erinnerung – Holländer, Mönch im Don Carlo, Il Re, Großinquistor und viele, viele andere Partien füllte er mit seiner schwarzen, machtvollen Stimme aus. Er war eine Säule des Hauses und das über viele Jahre hindurch. Nun ist er hochbetagt im Alter von 98 in Zagreb gestorben. Ein Nachruf der Deutschen Oper vom Dramaturgen und Weggefährten Curt A. Rösler fasst seine Statiionen in Berlin zusammen. G. H.

 

Kammersänger Tomislav Neralic (* 9. Dezember 1917 in Karlovac, Königreich Jugoslawien; † 16. November 2016[1][2] in Zagreb, Kroatien) war ein jugoslawischer Opernsänger/Bassbariton): Sechzig Jahre dauerte die Karriere des kroatischen Bassbaritons Tomislav Neralic, vierzig Jahre davon war er Ensemblemitglied der Deutschen Oper Berlin. Geboren in Karlovac, trat er bereits mit 18 Jahren an der kroatischen Nationaloper in Zagreb als Mönch in Giuseppe Verdis DON CARLOS auf. Wien (1943–1947) war die nächste Station in seiner Laufbahn und nach einem zweiten Engagement an der kroatischen Nationaloper kam er 1955 an die Städtische Oper Berlin. Seine Glanzpartie, Wotan, sang er in mindestens drei Sprachen: kroatisch in Zagreb, italienisch in Mailand und deutsch in Berlin und an anderen internationalen Opernhäusern.

Er hatte ein phänomenales Gedächtnis, so fiel es ihm leicht immer, wieder neue Partien zu lernen, aber er konnte einen auch mit genauer Erinnerung an Fußballergebnisse vor zwanzig oder dreißig Jahren erstaunen. Es ist kaum möglich, alle Partien aufzuzählen, die er gesungen hat. Zu den großen wie Kurwenal, Holländer, Falstaff, Scarpia, Don Giovanni kamen immer wieder Rollen, die als mittlere oder kleinere eingeschätzt werden und doch einer Aufführung eine ganz eigene Prägung geben, wie der Minister in FIDELIO und der Komtur in DON GIOVANNI, der König in AIDA und der Großinquisitor in DON CARLOS, Orest in ELEKTRA und der Herr von Faninal im ROSENKAVALIER. Mit einer Selbstverständlichkeit und Hingabe sang er auch kleine Partien, immer sich als Teil eines großen Ensembles verstehend.

Nur einmal hatte er Grund, sich zu beklagen: Als er in der Premiere HOFFMANNS ERZÄHLUNGEN am 16. Dezember 1984 den Luther sang, war er auf dem Besetzungszettel vergessen worden. Der Fehler ist natürlich zur zweiten Aufführung behoben worden und im Jahrbuch ist die Besetzung vollständig.

In Erinnerung bleibt ein ungemein vielseitiger Sänger mit einer mächtigen und flexiblen Stimme, unverwechselbar und in jeder Rolle so authentisch wie ausdrucksstark. Am 16. November starb Tomislav Neralic in Zagreb in seinem 99. Lebensjahr. Wir werden ihm ein ehrendes Andenken bewahren. Curt A. Roesler/ Deutsche Oper Berlin

 

Dazu auch der Eintrag bei Wikipedia; Foto oben Wikipedia