Verdi, Puccini und die grossen Partien

Anna Pirozzi/Roberto Ricci

Anna Pirozzi/oben als Amelia im „Ballo in Parma/beide Roberto Ricci

Sie sind gleich mit dem großen Fach eines soprano lirico-spinto eingestiegen, ist das für eine so junge Stimme nicht gefährlich? Ganz sicher passt der renommierte Federico Longhi auf Sie auf. Gehen Sie zu ihm zurück, um sich vorzubereiten und zu perfektionieren? Eigentlich kann man nicht wirklich sagen, dass ich mit Lirico-Spinto Partien angefangen habe. Ich habe erst in verschiedenen Chören gesungen, auch im Opernchor, dann kleine Nebenrollen. Es stimmt, dass meine ersten Hauptrollen gleich dramatische Koloraturpartien waren, allerdings liegen mir diese von Natur aus und ich habe mich schon immer in diesem Repertoire wohl gefühlt. Wenn sich die seltene Gelegenheit ergibt, dass Federico Longhi und ich uns sehen (auch er ist ein vielbeschäftigter Sänger) arbeiten wir ausführlich an den Partien, die ich gerade zu singen habe. Er kennt meine Stimme sehr gut, da wir seit vielen Jahren zusammen arbeiten und er hat mich immer darin unterstützt, genau das Repertoire zu singen, in dem ich mittlerweile Karriere mache.

Ich sehe in ihrer Biographie eben das Nebeneinander von Mozart und Verdi, Puccini. Wie unterschiedlich singen sich diese Komponisten? Mozart ist sicher gut für die „Gurgel“ angesichts so grosser Partien wie Tosca oder Abigaille? Ja, ich habe am Anfang meiner Karriere die Gräfin in der Nozze di Figaro  gesungen, und das tat mir sehr gut. Auch heute tut es meiner Stimme gut, Mozart zu singen, denn Mozart gut singen zu können ist Voraussetzung für alles.

Sie haben mit der Abigaille einen Riesenerfolg gehabt und haben ihn noch – ich hörte sie am Radio und war sehr beeindruckt  – können sie mir ein bisschen mehr zu ihrer Erfolgspartie sagen? Wie gefährlich ist sie und wo kann man auch etwas sparen, immerhin steht sie fast immer auf der Bühne?  Die Abigaille habe ich mittlerweile wirklich sehr oft gesungen, und auch in Zukunft steht sie oft auf dem Programm, in zwei Jahren übrigens in Stuttgart. Als ich angefangen habe, an der Partie zu arbeiten war es schwierig, mittlerweile kann ich die Partie auch unter der Dusche durchsingen – nein, ganz so ist es nicht, aber ich fühle mich sehr sicher und wohl mit der Rolle und kann daher auch Dinge wie interpolierte Spitzentöne oder Variationen in der cabaletta wagen. Verglichen mit der Elvira in Ernani, die ich demnächst in Rom unter Riccardo Muti singen werde kommt mir die Abigaille gerade wie ein Spaziergang vor!

Als Lady mit Angelo Veccia/Macbeth in Bologna/Rocco Carlucci/Weiler

Als Lady mit Angelo Veccia/Macbeth in Bologna/Rocco Carlucci/


Sie singen/haben gesungen auch open-air (Caracalla etc), wo ist da der Unterschied zu einem Saal? Und überhaupt, wie wichtig ist die location für das singen? Hören sie das Orchester noch genug?  Die alten Säle wie in Neapel oder Parma singen sich sicher ganz anders als die modernen Betonbauten. Ich bin keine besonders große Freundin von Open-Air-Aufführungen. Auch wenn ich verhältnismäßig noch nicht wirklich oft unter freiem Himmel gesungen habe muss ich sagen, dass die Oper fürs Theater gemacht ist und auch dort aufgeführt werden sollte. Es gibt genug schöne Opernhäuser auf der Welt…

Verdi ist ja dieses Jahr das Thema – Lady Macbeth/Abigaille und Ballo/Trovatore sind sehr unterschiedliche Partien, vielleicht ein paar Worte zur Tessitura und zur Gestaltung der Rollen? Die Lady ist ja eine der interessantesten Partien im Verdi-Kanon… Es gibt in der Tat große Unterschiede und verschiedene Anforderungen bei Verdis Sopranpartien. Die Partien seiner frühen Schaffensphase sind meiner Ansicht nach technisch anspruchsvoller als die Partien seiner späteren Opern. Die Art und Weise, wie er dann später geschrieben hat, war natürlich reifer und irgendwie „poetischer“. Die Lady Macbeth liebe ich! Das ist eine Partie, die wirklich Spaß macht: es gibt drei Arien, tolle Duette und es ist vor allem auch eine faszinierende, tiefgründige Figur. Ich liebe aber auch beispielsweise die Amelia im Ballo, die ich bereits in mehreren Produktionen gesungen habe und bei der ich ganz meine romantische Seite zeigen kann. Insgesamt sind eigentlich alle Verdi-Rollen wirklich anspruchsvolle Partien!

Als Leonora/"Il Trovatore" in Bologna/Rocco Casalucci/Weiler

Als Leonora/“Il Trovatore“ in Bologna/Rocco Casalucci

Riccardo Muti spielt in ihrer Karriere eine Rolle – wie ist denn die Zusammenarbeit? Er ist ja noch einer der wenigen Dirigenten, der Dänger auch begleiten kann. Generell etwas zu Dirigenten? Und zur hohen modernen Stimmung? Und zu exponierten hohen Noten wie die Schlafwandlerszene?  Maestro Muti habe ich beim Salzburger Nabucco kennengelernt, konnte bei dieser Gelegenheit aber nur wenige Tage mit ihm arbeiten, da ich kurzfristig eingesprungen bin. Ich habe aber sofort gespürt, dass man sich als Sänger unter seiner Leitung einfach wohl fühlt, man arbeitet zusammen an musikalischen Lösungen, er atmet mit dem Sänger und er sucht zusammen nach dem passenden Ausdruck. Mit ihm zusammen bei den Salzburger Festspielen zu debütieren war einfach überwältigend. Momentan lerne ich ihn bei den Proben zu Ernani an der Oper von Rom noch besser kennen. Auch dies ist eine einzigartige Gelegenheit für mich und ich werde wie immer alles geben. Es ist sehr wichtig, im Einklang mit dem Dirigenten zu sein, und neben Muti habe ich mich bisher auch mit Renato Palumbo und Michele Mariotti sehr wohl gefühlt.

als Abigaille in Parma/Roberto Ricci/Weiler

als Abigaille in Parma/Roberto Ricci

Und zu den Spitzentönen: Bei Verdi gibt es die Spitzentöne, die von ihm geschrieben wurden und jene, die traditionell interpoliert werden, beispielsweise am Ende von concertati oder von Duetten. Ich habe glücklicherweise ein sicheres hohes Es und wenn der Dirigent es erlaubt singe ich (z.B. am Ende des Duetts mit Nabucco) auch gerne mal ein hohes Es, auch wenn das nicht von Verdi geschrieben wurde. Das gefällt einigen, anderen nicht – ich denke, man sollte es ausnutzen, wenn man diese Töne hat…

Ein paar Worte zu den Meisterkursen? Ich sehe sie waren auch bei meiner lieben Freundin Raina Kabaivanska, die ja eine legende in Italien ist und die ebenfalls diese expressiven Rollen wie Chénier oder Tosca gesungen hat – was vermitteln den Meisterkurse generell? Was lernt man in der kurzen Zeit eines Kursus´? Ich habe viele Meisterklassen gemacht und um ehrlich zu sein hat mir das immer wirklich gut gefallen. Man macht Meisterklassen natürlich erst wenn man eine gute technische Grundlage hat und eben um sich zu perfektionieren. Ich habe immer mindestens ein Geheimnis oder einen wirklich wertvollen Ratschlag aus allen Meisterklassen mitgenommen, die ich besucht habe und ich denke gerne an alle Meisterklassen zurück. Ich habe Meisterklassen von Sylvie Valayre, Rockwell Blake, Luciana D’Intino, Daniela Dessì, Mirella Freni, Katia Ricciarelli, Shermann Lowe, Francesca Patané und der großen Raina Kabaivanska besucht, die mir einen kleinen, aber sehr wertvollen technischen Ratschlag gegeben hat, der mir die Tonproduktion in einer bestimmten Lage der Stimme sehr vereinfacht hat. Ich bin ihr sehr für diesen Rat dankbar, wie ich allen anderen auch dankbar bin für viele gute Ratschläge. Es ist wichtig, einen Lehrer zu haben, der einen langfristig und regelmäßig betreut und der einen wirklich gut kennt, aber es tut meiner Meinung nach jedem Sänger auch gut, ab- und zu Künstler nach Rat zu fragen, die auf den großen Bühnen der Welt gesungen haben.

(Übersetzung Tim Weiler)

Anna Pirozzi vd operabase und punto opera srl (Irene Gall) und auf Youtube:

https://www.youtube.com/channel/UChbORfR0YKJoX7hTpGjKKaw?feature=watch

http://youtu.be/JV-zurV9giM

http://youtu.be/cy3oOCVsz2o