Strauss-Tage in Leipzig

Die Neuinszenierung der Salome markierte das Zentrum eines Strauss-Wochenendes an der Oper Leipzig, an dem noch Aufführungen von Arabella und Die Frau ohne Schatten zu sehen waren.

Oper Leipzig: „Salome“/ Szene/ Foto Kirsten Nijhof

Die umjubelte Salome-Premiere am 17. 6. 2017 widmete das Team der wenige Tage zuvor verstorbenen Künstlerin Rosalie, die mit der Ausstattung zu Strauss’ Musikdrama ihre letzte Arbeit geschaffen hatte. Ihr turmhoher Aufbau ist eine utopische Szenerie, ein faszinierender Kunstraum, inspiriert von der Welt der science fiction, mit milchigen Platten, die wie zu einem Eisgebirge gefügt und von farbigen, treppenförmig aufsteigenden Blitzen durchsetzt sind. An den Wänden kriecht von unten der Moder empor als Zeichen maroder Verkommenheit, auf dem schwarzen Boden sind sperrige Paletten verteilt, aus einem alten Autowrack entspringt eine kümmerliche Fontäne. In einer höheren Ebene befindet sich der Palast des Herodes, wo der Tetrarch mit der Festgesellschaft bei einem Gelage zu sehen ist. Hier spiegelt sich an mehreren Objekten  – einer rätselhaften schwarzen Tonfigur in Rückenansicht, einer Lampe als das Auge eines Chamäleons, einer erstarrten roten Fahne aus lackiertem Plastik – Rosalies bizarre Phantasie wider. Weniger spektakulär sind ihre heutigen Kostüme. Vor allem für die Titelheldin hatte sie keine zündende Idee. Elisabet Strid mit blonden Rasterlocken  – optisch zwischen Lolita-Girlie und Rockerbraut – trägt einen schwarz glänzenden Frack über einem langen weißen Hemd mit Federkrause. Aber die Schwedin macht ihr blasses Erscheinungsbild darstellerisch mehr als wett und lässt zudem einen potenten jugendlichen Sopran hören, welcher die strapaziöse Partie bis zum Schluss ohne Ermüdung durchsteht. In der Auseinandersetzung mit Jochanaan steigert sich die Sängerin zu expressiver Körperlichkeit und in einen vokalen Ausnahmezustand, ist dennoch im Schlussgesang, bei dem der Raum in goldenem Licht magisch aufstrahlt (Michael Röger), noch zu blühenden Bögen fähig und verliert auch nicht in einem Moment ihren jugendlichen Wohlklang. Regisseur Aron Stiehl führt sie – wie auch die anderen Darsteller – klug und schlüssig mit dem Ergebnis spannender Charakterporträts. Und gemeinsam mit dem Choreografen Ramses Sigl findet er für den heiklen „Tanz der sieben Schleier“ eine originelle Lösung. In einem Maskenspiel auf kleinem Podium, das anfangs von einem blutverschmierten Theatervorhang verdeckt ist, wird die Geschichte von Herodes’ Brudermord, seiner Heirat mit Salomes Mutter und die permanente Schändung ihrer Tochter dargestellt. Erst am Ende tanzt Salome selbst und mit Herodes, der sie danach zu oralem Sex zwingt. Der Schwede Michael Weinius in dieser Rolle ist gleichfalls ein Ereignis – fies und fett (was der rosa Seidenanzug noch betont), singt er mit wuchtigem Charaktertenor und schneidender Diktion, führt die lüsterne Gier, die perverse Geilheit des Herrschers mit beklemmender Deutlichkeit zu abstoßender Wirkung. Neben ihm ist Karin Lovelius als blonde Herodias im rosa Hosenanzug mit grün glitzerndem Top ähnlich verkommen, offenbart aber gesanglich eine deutliche Überforderung mit der Partie. Keifende Spitzentöne sollen hier Ausdrucksmittel sein, sind aber Zeichen stimmlicher Nöte.

Grandios der Jochanaan von Tuomas Pursio nach irritierendem Beginn in der Zisterne, aus der die Stimme (offenbar durch technisch mangelhafte Verstärkung) verquollen und tremolierend klang. Aber auf der Szene gewinnt der Finne sofort an Format mit markantem, durchschlagendem Bassbariton von nie versagender Kraft. Sein biederes Erscheinungsbild in Hemd und Weste passt allerdings kaum zu dem fanatischen Eiferer, den er abgibt. Salomes erotische Handgreiflichkeiten registriert er irritiert und verunsichert. Sergei Pisarev ist ein jugendlicher Narraboth mit schmeichelndem Tenor in schwarz/weißer Camouflage-Uniform, wie sie auch die Soldaten tragen, Sandra Maxheimer ein androgyner Page der Herodias was auch in dem charaktervoll-maskulinen Mezzo zum Ausdruck kommt. Sind all diese Figuren von Rosalie nicht sonderlich originell gewandet, kommt im extravaganten, schrillen Designer-Chic der Party-Gäste ihr extremer Gestaltungswille mit oft skurrilen Ergebnissen zu besonderer Wirkung.

Am Pult des Gewandhausorchesters Leipzig sorgt dessen Generalmusikdirektor Ulf Schirmer für eine vielschichtige Deutung der Komposition mit schillernden, flirrenden Passagen, schwelgerischem Rausch, aber auch aufgetürmten Klangblöcken, schneidendem Blech und exzessiv hoch gepeitschter Attacke. Faszinierend geformt ist die Schluss-Szene mit ihren ächzenden Floskeln zu Beginn, mit denen der Dirigent eine schier unerträgliche Spannung aufbaut, die sich dann im großen Ausbruch des gesamten Orchesters entlädt. Mit seinem geballten Klang fordert Schirmer seiner Solistin das Letzte ab – und sie hält diesem Anspruch stand bis zum tragischen Ende. Rot leuchtet der Raum auf bei ihrem Kuss und hinten reißt die Wand auseinander bei den tödlichen Schüssen auf Herodes’ Geheiß.

 

Oper Leipzig: „Arabella“/ Szene/ Foto Kirsten Nijhof

Ulf Schirmer dirigierte auch die beiden anderen Opern im Rahmen des Strauss-Wochenendes. Bei der Arabella am 16. 6. 2017 hielt er allerdings nicht immer die Balance zwischen Graben und Bühne mit dem Ergebnis strapazierter Stimmen. Vor allem die in Leipzig überaus beliebte ukrainische Sopranistin Olena Tokar ließ als Zdenka schmerzend grelle und steife Töne im oberen Bereich hören. Die Stimme der Titelheldin Betsy Horne gefiel in der Mittellage durch das angenehme, feminine Timbre, nur die exponierten Noten gerieten etwas eng. Unterbesetzt waren Graf Waldner (Jan-Hendrik Rootering mit schütterem Bass, der erst im letzten Akt an Präsenz gewann) und Adelaide (Renate Behle mit kurzatmiger, tremolierender Stimme). Ein sympathischer Matteo war Markus Francke mit tenoral-jugendlicher Emphase bei leichten Problemen in der hohen Lage. Die Besetzung dominierte Thomas J. Mayer als Mandryka mit imposanter Erscheinung und blendendem Bariton. Die markige Stimme strömte prachtvoll, erklomm die hohen Töne souverän und vermochte bei der ersten Begegnung mit Arabella auch ungemein zu berühren. Im Duett mit der Angebeteten geriet allerdings auch sie durch Schirmers aufgetürmte Klangfluten in Bedrängnis.

Jan Schmidt-Garre wartet in seiner Inszenierung mit einigen seltsamen Einfällen auf – so wenn Arabella bei ihrem ersten Auftritt im Bett liegt, statt vom Spaziergang heimzukehren, wenn sie auf dem Grafen Elemer reitet oder zu ihrem Monolog am Ende des 1. Aktes mit der Champagnerflasche erscheint. Gewöhnungsbedürftig ist auch die spartanische, stimmungsarme Bühne (Heike Scheele), die sich nach und nach aus einzelnen Art-déco-Segmenten zusammensetzt und erst ganz am Ende an Wirkung gewinnt. Beim Ball werden gar deren nüchterne Rückwände gezeigt, was der Szene jede Atmosphäre nimmt. Im Finale gibt der Regisseur noch ein Rätsel auf, wenn unerwartet die Kartenlegerin und Elemer auftreten und für Arabellas Glas Wasser zuständig sind.

 

Oper Leipzig: „Die Frau ohne Schatten“/ Szene/ Foto Kirsten Nijhof

Den Abschluss dieses Strauss-Festes bildete die 9. Vorstellung der Frau ohne Schatten. (Die Produktion von Balázs Kovalik/Regie, Heike Scheele/Bühne und Sebastian Ellrich/Kostüme wurde anlässlich ihrer Premiere auf diesen Seiten ausführlich besprochen.) Der Abend hatte im Vorfeld besonderes Interesse erweckt durch die Mitwirkung von Franz Grundheber in einer seiner Glanzrollen als Barak. Der Bariton, seit über fünfzig Jahren auf den größten internationalen Bühnen tätig, präsentierte eine völlig intakte, unverbrauchte  Stimme, die lange Bögen hören ließ, ein souveränes Fundament in der Tiefe, eine virile Höhe  und vor allem einen menschlichen Klang. Für Jennifer Wilson war überraschend und sehr kurzfristig als Baraks Frau Elena Pankratova eingesprungen, die die Partie aus den Noten an der Rampe sang. Der dunkel getönte, hochdramatische Sopran besitzt enorme Durchschlagskraft und Fülle, satte Tiefe und machtvollen Aplomb in der Höhe. Sie war Schirmers exzessiven Turbulenzen im Graben mühelos gewachsen – wie auch Simone Schneider als Kaiserin, die ihren glänzenden Eindruck von der Premiere bestätigte. In Volumen und Strahlkraft scheint der Sopran noch weiter gewachsen zu sein. Burkhard Fritz als Kaiser hatte nach solidem Beginn dagegen in seiner Falknerszene keine Chance gegen das hochgepeitschte Gewandhausorchester. Der verzerrte, klirrende Klang von Karin Lovelius’ Mezzo bei den exponierten Tönen der Amme störte einmal mehr empfindlich, zuverlässig dagegen der Geisterbote von Tuomas Pursio mit präsenter, energischer Stimme.

Drei große Werke von Strauss an drei Abenden mit großem Publikumszuspruch  – eine imponierende Serie als Zeugnis der beeindruckenden Leistungsfähigkeit des Hauses (Foto oben: Oper Leipzig: „Salome“/ Szene/ Foto Kirstren Nijhof). Bernd Hoppe