Tempi per sempre passati?

 

Seit Jahren stand er überlebensgroß in perfektem Ritter-Outfit jeden Sommer auf der Piazza Bra in Verona, das Schwert in die Brust des Gegners stoßend, wartete auf seine Auftritte in Franco Zeffirellis Trovatore-Inszenierung in der Arena, war ein beliebtes Fotomotiv für die Touristen so wie die Sphinx aus Aida oder der Engel aus Tosca. Wo mögen sie alle in diesem Jahr wohl sein, nachdem der verzweifelte Versuch vom direttore artistico Cecilia Gasdia, wenigstens für jeweils 3000 anstelle der 16 000 abendlichen Arenabesucher die Aufführungen der Saison 2020 zu retten, gescheitert ist, wo auf der Website der Fondazione bereits ausschließlich von der Saison 2021 die Rede ist, von einem Requiem, von Riccardo Muti als Aida-Dirigent, von Domingo- und Kaufmann-Galas. Und was tun die vielen Menschen, die drei Monate lang als Statisten, Platzanweiser, Getränkeverkäufer, Bühnenarbeiter, Kissenvermieter oder gar als Tänzer, Sänger, Orchestermitglieder gearbeitet haben? Womit verdient die Dame, die den Maestro in den Orchestergraben geleitet, ihr täglich pannino und was wird aus dem Chef der Claqueure, der mit einem Bravo Maestro den Abend stimmungsvoll beginnen ließ? Waren die Champagnergläser bereits mit Arena di Verona 2020 graviert und sind nun nicht mehr zu gebrauchen? Dieser Sommer wird für Verona ein verlustreicher und trauriger sein, und so kommt eine DVD aus dem vergangenen Jahr, als Anna Netrebko in der Arena als Trovatore-Leonora debütierte, gerade recht zur Auffrischung schöner Erinnerungen.

Die Arena wird noch eine Zeitlang von den Produktionen, die Franco Zeffirelli zu verdanken sind, zehren können, denn keiner wie er, vielleicht noch Hugo De Ana und Pier Luigi Pizzi, konnte mit dem Riesenrund umgehen, es mit Leben, manchmal sogar zu viel des Guten, füllen, dem Auge immer wieder Neues, Farbenprächtiges, Staunenswertes bieten. Auf der anderen Seite konnte er Monumentalopern wie Aida und I vespri siciliani auch auf kleinstem Raum wie dem Theater der Verdi-Stadt Busseto unterbringen. Da er nicht nur Regisseur, sondern auch Ausstatter war, stammt von ihm auch der mittlere der drei Wehrtürme des Trovatore, der sich, wenn Leonora der Welt abschwören will, zu einer prachtvollen gotischen Kathedrale öffnet. Und er konnte es sich, besonders zur Freude nicht opernerfahrener Arenabesucher, auch erlauben, zusätzliche Zigeunerballette einzufügen, um die für diese Minderheit viel zu prächtigen Kostüme (Raimonda Gaetani) so richtig zur Schau zu stellen, echte Tiere, für die Bühne immer ein unkalkulierbares Risiko, auftreten und Manrico und Leonora ihrem kurzen Glück entgegenreiten zu lassen. Staunen kann der Betrachter auch über das Geschick, mit welchem der Regisseur die Chöre, oft in der Arena eine unbeholfen bzw. gar nicht agierende  Masse, zu bewegen weiß.

Wer Anna Netrebko engagiert, muss auch Yusif Eyvazov nehmen, wenigstens meistens, und so war es auch bei dieser Aufführung , für die als Datum nur 2019 angegeben ist, was einen Zusammenschnitt mehrerer Aufführungen, durchaus legitim, vermuten lässt. Der Tenor kann auf eine angenehme Optik bauen, die durch die prachtvollen Kostüme noch unterstrichen wird, erweist sich als zuverlässig, kann mit seiner Stimme weit ausholen, hat die Acuti für die Stretta, was seinen Eindruck auf das Publikum nicht verfehlt, so dass ein doch recht gequetscht klingendes Timbre nicht weiter ins Gewicht fällt. Strahlend schön ist die Leonora von Anna Netrebko, dazu kommt eine tadellose, Begeisterung provozierende sängerische Leistung eines dunkel grundierten, leidenschaftlich lodernden Soprans mit feinem Spitzenton im Piano für die erste Arie, einem virtuosem Feuerwerk für die anschließende Cabaletta. Wunderbar ist das Zaubern mit agogikreichem chiaro scuro in der zweiten Arie, auch diese mit Cabaletta vorgetragen, und sogar zum Abschluss des allein schon durch die schweren Kostüme bei sommerlicher Hitze anstrengenden Abends findet sie noch zu engelsgleichen Tönen. Von allen guten Geistern verlassen scheint der Luna von Luca Salsi zu sein, der seinen granitgleichen Bariton allzu ungefüge kraftmeierisch einsetzt, der „Leonora è mia“  zum Brunftschrei werden lässt und der nach so viel überdimensionalem Einsatz nur mit Mühe wieder zu einem einigermaßen auf Linie gesungenem „Il Balen del suo sorriso“ zurückfinden kann. Beim Duett mit Leonora ist er dann, wen wundert‘s, schon heiser. Schwer an ihren Gewändern zu tragen hat die Azucena von Dolora Zajick, deren einst süffiger Mezzosopran bereits in mehrere Teile zerfallen ist, die Höhe wie entfärbt, die Tiefe überbrustig. „Mi vendica“ klingt wie aus einer anderen Welt kommend und angenehmes Erschauern provozierend, aber die unterschiedlichen Farben der Stimme sind doch sehr irritierend. Zum Schluss bleibt ihr immerhin il rogo erspart, sie erdolcht sich und statt ihrer steht die Burg in Flammen. Oft unterschätzt wird die Aufgabe des Basses, wenn behauptet wird, der Trovatore benötige die vier besten Sänger zum Gelingen. Einer, der unzählige Male  Zaccaria und Ramfis in der Arena gesungen hat, meinte einmal, am stolzesten mache ihn seine Leistung als Ferrando, der tatsächlich perfekten Verdi-Gesang vom Sänger fordert. Riccardo Fassi wird dieser Aufgabe durchaus gerecht. Pier Giorgio Morandi hält als erfahrener Kapellmeister alles perfekt zusammen, was in der Arena eine respektable Leistung ist.

Man kann nur hoffen und wünschen, dass 2021 bruchlos an 2019 anknüpfen, Cecilia Gasdia alle ihre Vorhaben verwirklichen kann und das Publikum den wackeren Ritter tagsüber  auf der Piazza Bra und abends in der Arena wieder bestaunen kann ( C-Major 754608). Ingrid Wanja

 

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