Schätze aus der Deutschen Oper Berlin

 

An die erste Fernsehausstrahlung dieses Fidelio von Ludwig van Beethoven erinnere ich mich noch ganz genau. Sie erfolgte am 17. Juni 1963, am zehnten Jahrestag des Arbeiteraufstandes in der DDR – ein Ereignis, dessen Erschütterungen auch im freien Teil Berlins spürbar waren. Der Neubau der Deutschen Oper an der Bismarckstraße war keine zwei Jahre alt. Alles was dort seither auf die Bühne kam, trug das Zeichen des Besonderen. Die neue Fidelio-Inszenierung von Gustav Rudolf

Der Fidelio mit Christa Ludwig

Der Fidelio mit Christa Ludwig

Sellner in ihrer schwarz-weißen Strenge und Klarheit ist gut über die Jahre gekommen. Mein Eindruck von damals wird nicht enttäuscht. Die Fernsehausstrahlung ist in der Erinnerung nicht über sich hinaus gewachsen, wie das oft ist. Sie hat den starken Bestand der ersten Stunde. In Sammlerkreisen kursierte die Aufnahme seit je. Doch die erste offizielle DVD-Ausgabe von Arthaus (101 597) stellt alle privaten Kopien in den Schatten. Das Bild ist deutlich, klar, in seinen vielen Grautönen nicht eigentlich grau, sondern fein gestochen wie ein guter amerikanischer Kinostreifen aus den Vierzigern.

Farbe braucht dieser Fidelio nicht, zumindest habe ich sie nicht vermisst.

Natürlich tragen die namhaften Solisten ganz entscheidend zu der Wirkung und Spannung teil. Christa Ludwig, damals auf dem Höhepunkt ihrer Kunst und mit dem Wechsel ins Hochdramatische liebäugelnd, kommt in Gesang und Spiel dem Ideal gleich. Die schwierige Partie mit ihren technischen Tücken geht ihr leicht von den Lippen, als sei sie für sie geschrieben. Sie wirft sich mit der denkbar größten Glaubwürdigkeit in die Aufgabe. Noch heute, nach fünfzig Jahren dürften die Zuschauer das Gefühl haben, vom Mantel der Operngeschichte gestreift zu werden. Bravo!

James King, der den Florestan gibt, galt damals noch als eine große Hoffnung, die er nicht enttäuschen sollte.

James King und Christa Ludwig im Berliner Fidelio.

James King und Christa Ludwig im Berliner Fidelio.

Er hatte erst 1961 seine Bühnenlaufbahn begonnen. Wie stark er beim Publikum eingeschlagen hat, das ist noch heute zu spüren. Sein Florestan, frei von allen Klischees, ist stimmlich wie darstellerisch überwältigend. Gemeinsam mit dem Regisseur ist ihm das Porträt des Gefangenen an sich gelungen. Ich selbst kann mich auch gar nicht satt sehen und -hören an Walter Berry, der den Pizarro als eiskalten, unberechenbaren intellektuellen Schreibtischtäter gibt. Er beweist mit messerscharfer Diktion, dass Gefährlichkeit und Unmenschlichkeit auch stimmlich darzustellen ist. Josef Greindl ist ein anrührender Rocco. Auch Lisa Otto als Marzelline und Martin Vantin als Jaquino sowie William Dooley als Minister sind bestens aufgelegt. Chor und Orchester der Deutschen Oper werden von Altmeister Artur Rother zur Höchstform angetrieben.

Eröffnet wurde die neue Deutsche Oper 1961, im Jahr des Mauerbaus, mit Wolfgang Amadeus Mozarts Don Giovanni in deutscher Sprache. Warum diese Oper?

Berlin verzichtete bewusst auf ein ausladendes großes, repräsentatives Werk wie die für derartige Ereignisse üblichen Meistersinger. Mozart sollte ein Symbol dafür sein, in diesem demokratischen Haus Oper für alle machen zu wollen. Der Mitschnitt ist ebenfalls bei Arthaus herausgekommen (101 574).

Stilistisch ist diese Inszenierung von Carl Ebert, damals ein Mitsiebziger, nicht so packend, klar und übersichtlich wie Sellners Fidelio.

Der Don Giovanni aus der Deutschen Oper Berlin.

Der Don Giovanni aus der Deutschen Oper Berlin.

Sie ist aus heutiger Sicht deutlich historischer, rückwärtsgewandter. In solchem Ambiente neigen auch die Solisten zum Klischee. Musikalisch ist dieses Dokument unter der musikalischen Leitung von Ferenc Fricsay vom Feinsten. Das Damentrio ist mit Elisabeth Grümmer (Donna Anna), Pilar Lorengar (Donna Elvira) und Erika Köth (Zerlina) besetzt. Die Titelrolle singt Dietrich Fischer-Dieskau, den Ottavio Donald Grobe, den Leporello Walter Berry, den Masetto Ivan Sardi und den Komtur Josef Greindl.

Sellner hat auch die noch immer bewegende Inszenierung von Giuseppe Verdis Don Carlos besorgt, die 1965 Premiere hatte und nun als dritte Produktion aus den Anfangsjahren des Neubaus der Deutschen Oper bei Arthaus erschienen ist (101 621). Die musikalische Leitung liegt in den Händen von Wolfgang Sawallisch. Wieder wird deutsch gesungen, wieder sind die Bilder in Schwarzweiß, was diesmal schon deshalb nicht ins Gewicht fällt, weil Schwarz ohnehin die dominierende Farbe ist. Die Fassung ist vieraktig und beginnt, wie damals üblich, im Kloster von San Juste, wo gleich zwei der prominenten Mitwirkenden ihren wirkungsvollen

Der Don Carlo mit Dietrich Fischer-Dieskau.

Der Don Carlo mit Dietrich Fischer-Dieskau.

Auftritt haben: James King als Carlos und Dietrich Fischer-Dieskau als Posa. Etwas näselnd, aber unverkennbar in Stimme und Gestik tritt der König in Gestalt von Josef Greindl auf, der seine großen Momente erst in der Begegnung mit dem eifernden Großinquisitor (Martti Talvela) hat. Eine gewisse

Anfälligkeit fürs Klischee aber bleibt.

Die Lorengar, über viele Jahre ein Liebling des Berliner Publikums, singt die die unglückliche Elisabeth, Patricia Johnson die Eboli. Für eine Legende, nämlich den einstigen Heldentenor Günther Treptow, bleibt am Ende seiner Karriere nur noch der Graf Lerma.
Sebastian Sternberg

 

Beethoven: Fidelio, Deutsche Oper Berlin, 1962/1963. Solisten: Walter Berry, James King, Christa Ludwig. Orchestra, Chorus: Chor und Orchester der Deutschen Oper Berlin, Dirigent Artur Rother, Regie Gustav Rudolf Sellner. DVD Arthaus
Mozart:Don Giovanni, Deutsche Oper Berlin, 1961. Solisten: Dietrich Fischer-Dieskau, Elisabeth Grümmer, Pilar Lorengar. Orchester, Chor: Chor und Orchester der Deutschen Oper Berlin, Dirigent: Ferenc Fricsay; Regie: Carl Ebert. DVD Arthaus
Verdi: Don Carlos, Deutsche Oper Berlin, 1965. Solisten: James King, Pilar Lorengar, Dietrich Fischer-Dieskau, Josef Greindl. Orchestra, Chorus: Chor und Orchester der Deutschen Oper Berlin, Dirigent Wolfgang Sawallisch, Regie Gustav Rudolf Sellner. DVD Arthaus