Rautendelein und der Glockengießer

 

Seit Schneider-Siemssens und Everdings Rusalka hat man solch einen naturalistisch gepinselten Wald mit Wasserfall und Erdhöhle nicht mehr auf dem Theater gesehen. Kein Wunder, das Wesen mit Blumenkrönlein, welches sich die langen Haare kämmt, dabei sehr langweilt, mit Bienlein und Sonnenvögeln spricht, vom Gänserich und der Großmutter, die Tannenzapfen sucht, erzählt, ist eine Verwandte der Wassernixe. Es ist das Rautendelein, das selbst nicht ahnt, ob es Zauberfee oder Nymphlein ist. Im Teatro Lirico di Cagliari, von wo in schöner Regelmäßigkeit irgendwelche Raritäten kommen, hat Pier Francesco Maestrini diese Vorgaben alle eins zu eins auf Bühne gebracht, den echsenhaften Wassermann, den Faun, halb Bock, halb Mensch, samt seinen Begleitern. Selten genug, erhält ein Regisseur die Möglichkeit, Ottorino Respighis La Campana sommersa und das Elfenreich des ersten Aktes auf die Bühne zu bringen. Maestrini hält sich genau an die Szenenvorgabe, wie man es schon vor 90 Jahren gemacht haben mag, taucht den Wald im grünes, sonniges Licht, trübt die Naturidylle beim Eindringen der Dörfler, des Schulmeisters und des Pfarrers, und vor allem des Glockengießers Enrico, bedrohlich fahl ein.

 

Keinem sagt der Titel heute noch etwas. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts war Gerhard Hauptmanns Versdrama Die versunkene Glocke von 1896 ein Hit. Als Respighis Oper 1927 in Hamburg immerhin mit Gunnar Graarud uraufgeführt wurde  – Berg hatte kurzeitig erwogen Und Pippa tanzt zu vertonen – war die Zeit über solche Märchenstoffe gegangen, wenngleich sie Tullio Serafin in der folgenden Saison mit einer Starbesetzung (Rethberg, Martinelli, Pinza und de Luca) an der Met dirigierte und sich auch noch mehrere italienische Bühnen, darunter die Scala mit Aureliano Pertile, daran erfreuten. Zemlinskys Traumgörge von 1906 erzählt von der Begegnung eines Müllerburschen mit seiner Traumprinzessin, mehrere Opern Franz Schrekers aus den 1920er Jahren spielen im Grenzbereich zwischen dumpfer Wirklichkeit und Traum, Künstlertum und Realität. Bei Respighi, wie bereits bei Hauptmann, wirkt das symbolistische Märchen von dem an sich zweifelnden Glockengießer Heinrich, Enrico, dessen Glocke in den See versunken ist, und der dem Rautendelein verfällt, der Widerstreit zwischen Natur und kreativer Schaffenskraft wie ein Maeterlinck aus zweiter Hand, wie Biedermeier dritte Zeit. Gerettet wird die vieraktige Oper durch Respighis Musik. Respighi ist ein großartiger Instrumentator, wie es die sinfonischen Dichtungen der trilogia romana beweisen, durch die man ihn zu Unrecht zum musikalischen Illustrator der faschistischen Wiederbelebung des antiken Roms, der romanità, abstempelte; man denkt bei seiner Versunkenen Glocke an Strauss, an Rimsky-Korsakow, auch an Franco Alfano und dessen Üppigkeit in der 2006 von Gelmetti in Rom geretteten Sakuntala, wenngleich Respighis Vokalstil weniger hymnisch, vielleicht auch nicht sonderlich individuell, dafür recht strapaziös ist. Wagners Rheintöchter sind in Gestalt von Rautendeleins Gespielinnen gegenwärtig. Ibsens Baumeister Solness wirkt im Heinrich nach. Das Rautendelein ist ein gläserner Koloratursopran, ihre Gegenspielerin Magda ein lyrischer Sopran, Enrico ein strammer Spintotenor, die Hexe eine böse Mezzosopranistin.

 

Die Aufführung aus Cagliari, die erste in Italien, nachdem Triest 1981 die Glocke mit Zambon und Casolla gehoben hatte, ist etwas zum Schauen (Naxos, BluRay NBD0072V. Mit sehr gutem Einführungstext, doch ohne Inhaltsangabe oder gar Libretto); Montpellier gab die Oper 2004 unter Friedemann Layer konzertant.

Ein Weihnachtsmärchen im Frühjahr (Cagliari März/ April 2016). Donato Renzetti fängt mit dem auffallend klangvoll spielenden Orchester des Opernhauses das Fluidum dieser nicht mehr impressionistischen, auch nicht neoklassizistischen Musik (wie sie Respighis Zeitgenossen Malipiero, Pizzetti oder Casella praktizierten), doch sehr eigenständigen Musik und ihr Ausdrucksspektrum gut ein. Die Rumänin Valentina Farcas hat für das Rautendelein einen runden Koloratursopran mit bedeutenden lyrischen Qualitäten, Maria Luigia Borsi ist als Gegenspielerin eine recht unattraktiv strengstimmige Magda, Angelo Villari stellt sich mit veristisch angepeiltem Tenor und nicht immer genauem Ton wacker seinen heldischen Aufgaben. Pralle Figuren stellen der vielseitige Thomas Gazheli als Wassermann und Filippo Adami als Faun auf die Bühne; wenig macht Agostina Smimmero aus der Hexe. Das ist alles hinreichend gut gesungen, so dass die von Juan Guillermo Nova in den bürgerlichen Binnenakten in eine biedermeierlich romantisch Dunkelromantik gefasste Aufführung weit mehr als nur Informationswert besitzt.   Rolf Fath