Geschenkt und schon verdorben

 

Alma nimmt Klavierunterricht. Im großbürgerlichen Salon mit Beethoven-Büste schmachtet sie, im üppig roten Kleid, den kleinen Klavierlehrer an. Ihm bricht der Angstschweiß aus, er muss zum Taschentuch greifen, sich seines Jacketts entledigen, gemeinsam mit der Schülerin steigert er sich in einen Klang- und Liebesrausch, den nur die Begleitmusik zu einer Lichtspielscene von Zemlinskys Schwager Arnold Schönberg in halbwegs züchtigen Grenzen hält. Alma stößt den jungen Mann von sich, macht sich ausgehfein und, Gipfel der Bosheit, verweist dem Lehrer auf sein Abbild im Spiegel. So könnte es im Jahr 1900 im Salon der Alam Schindler gewesen sein. Alexander von Zemlinsky hatte das Nachsehen. 1902 heiratete sie Gustav Mahler. In der 8 ½ minütigen Szene, die er seiner Inszenierung von Der Zwerg an der Deutschen Oper voranstellt, hat Tobias Kratzer das Thema angerissen, die Hässlichkeit des nicht einmal 1.60 Meter großen, von Selbstzweifeln geplagten Komponisten, der gegenüber Mahler zurückstehen muss. Die Gattin des GMD, Adelle Eslinger-Runnicles, verleiht der Klavierschülerin die Haltung der Granddame, und der Pianist Evengy Nikoforov gibt einen keinesfalls unansehnlichen Zemlinsky, weit entfernt von Almas Beschreibung des „Gnom“ als „kinnlos, klein, mit heraus quellenden Augen“.

Der Geburtstag der Infantin, so der Titel von Oscar Wildes Märchen, in dem Zemlinsky sein eigenes Drama, welches er in der Oper Der Zwerg aufgriff, vorgebildet fand, wird auf einer weißen, von einer Orgel dominierten und Komponisten-Büsten umrahmten Konzertbühne vorbereitet (Bühne: Rainer Sellmaier). Das wirkt auf der Bluray-DVD (Naxos 2.110657) als Spiel mit und über Musik sowohl kunstvoll und fast brillant sowie im Aufeinanderprall der Luftballons schwenkenden Hofgesellschaft mit dem Orchester auf dem Podium auch etwas bemüht. Apart anzusehen, auf jeden Fall. Raffiniert die Besetzung des Zwergs mit dem kleinwüchsigen Schauspieler Mick Morris Mehnert und dem Tenor David Butt Philip, beide für ihren Konzertauftritt im Frack, Butt Philip singend vor dem Notenpult, Mehnert zunächst als Dirigent des Orchesters. Anfangs leiht der Tenor dem anderen nur seine Stimme, zunehmend aber geraten die beiden Figuren in Konflikt. Kratzer versucht viel: Eine komplette Zemlinsky-Deutung aus ästhetischer Positionierung und künstlerisch-biografischer Selbstreflektion: „Für die Avantgarde ist er ab einem gewissen Punt zu konservativ, für einen aufrechten 19. Jahrhundert-Verfechter aber schon viel zu sehr einer, um es mit den Worten der Zeit zu sagen, „Dekadenzmusik“ angehörig. Und daraus resultiert eine Situation, die eine permanente Suche nach der eigenen Position, auch nach dem eigenen Status mit sich bring t… Der Zwerg ist zugleich eine ästhetische Zustandsbestimmung von Zemlinsky. Und Ich hatte mich schon sehr früh dagegen entschieden, die Partie mit einem besonders klein gewachsenen Tenor zu besetzen, den man gegebenenfalls noch als hässlich schminkt. Ich habe mich dann entschieden, diesen Konflikt zwischen dem Selbstbild und dem Fremdbild der Figur durch zwei Figuren auf die Bühne zu bringen. Zum einen wird die Titelrolle von einem Tenor verkörpert, bei dessen Besetzung einzig auf Präsenz und musikalische Qualität geschaut wurde. Und zum anderen auf einen kleinwüchsigen Schauspieler. Der Kunstgriff scheint vor allem im in der großen Szene der Infantin mit dem hier in zwei Personen aufgespaltenen Zwerg „Warum denn flieht mein Freund? zu funktionieren. In der von David Runnicles mehr kraftvoll hochroutiniert und spätromantisch satt dirigierten als in ihrer Zerbrechlichkeit erfassten Musik (27. und 30. März 2019) ist Elena Tsallagova mit ihrem pointiert geschärften sowohl koketten wie anmutigen Sopran eine herausragende Infantin, in deren Herzlosigkeit sich eine Ahnung von Liebe mischt. Butt Philip bleibt etwas eindimensional, etwa in dem eher gepresst als lyrisch angelegten Lied von der blutenden Orange und meist darauf beschränkt, die jugendlich heldischen Töne zu produzieren, die ihn für gewichtigere Partien rüsten. Philipp Jekals lyrischer Bariton erscheint mir noch etwas leicht für den Haushofmeister Don Estoban, Emily Magee ist eine souveräne Ghita. Am Ende werden die Büsten von ihren Konsolen gestürzt. Rolf Fath