Aus besseren Kölner Zeiten

Leider nicht Brian Large, sondern José Montes-Baquer ist die Aufzeichnung von Mozarts zum x-ten Male wiederaufgelegten Don Giovanni aus Köln zu verdanken, wo 1991 Michael Hampe inszenierte, nachdem er das Werk bereits  gemeinsam mit Herbert von Karajan 1987 bei den Salzburger Festspielen auf die Bühne gebracht hatte. Damals gab es eine Bombenbesetzung mit u.a.  Ramey und Varady, die Szene stammte von Mauro Pagano. Auch die Kölner Besetzung brauchte sich nicht zu verstecken, war doch die Zeit unter Michael Hampe und James Colon eine der besten des rheinländischen Hauses und konnte des öfteren mit Starbesetzungen prunken. Letzterer sorgte 1991 mit dem Gürzenich-Orchester für einen schlanken, durchsichtigen, dabei federnden Klang. Die Bühne und sogar die Kostüme sehen Don Giovanni als Nachtstück trotz des hellblauen Himmels, der im Kontrast steht zu den dunklen Gebäuden, selbst zu den raren, ebenfalls fast schwarzen Bäumen und den Kostümen (Carlo Diappi, Ulrike Zimmermann), allenfalls in Schwarz-Weiß für die bäuerliche Hochzeitsgesellschaft. Die Regie respektiert Libretto und Musik, glänzt  durch viele Feinheiten in der Personenregie, so wenn Don Giovanni Donna Elvira einen Brocken zuwirft wie einem Hund („mangi con me“) oder wenn Donna Anna dem fliehenden Don Giovanni den Umhang entreißt und ihn ihm zum Schluss des ersten Akts als Beweisstück vor die Füße wirft. Leider zeigt sich die Video-Regie weniger einfühlsam, ganz besonders schlimm macht sich das beim Schluss-Sextett bemerkbar, wenn die Darsteller mit abgeschnittenen Füßen und nur als kleine, graue Nebelgestalten auszumachen, an der Rampe stehen.

Mit Thomas Allen sieht die Produktion einen der besten Don Giovanni der Achtziger und Neunziger auf der Bühne. Mit fast durchgehend schwarzer Perücke und ebensolcher Kleidung wirkt er ausgesprochen satanisch, kann auch ein teuflisches Grinsen aufsetzen und seinen schwarzen Umhang dämonisch wie ein Todesengel wehen lassen. Dazu singt er mit weichem Tonansatz, sehr verführerisch im Piano oder der mezza voce in der Serenade oder dem „La ci darem la mano“ und mit rasanter Virtuosität in der sogenannten Champagnerarie. Nur in seiner Schlussszene scheint er nicht über die von ihm gewohnten Kräfte zu verfügen. Sein Leporello hat mit Ferruccio Furlanetto noch die Rossini-Gewandtheit der frühen Jahre in der Stimme, erfreut durch ein beredtes Mienenspiel, durch basslastige Vollmundigkeit („ma in Spagna“) und eine vorbildliche Diktion. Ein sehr ansehnlicher und gar nicht langweiliger Don Ottavio ist Kjell Magnus Sandve mit schönem lyrischem Tenor, der auch mit den Koloraturen der zweiten Arie keine Probleme hat und  in „Dalla sua pace“ überhaupt nicht anämisch klingt. Ein überstattlicher Masetto mit reicher Stimme ist Reinhard Dorn. Matthias Hölle singt einen überaus markanten Commendatore.

Die Donna Anna von Carolyn James kann leider nur vokal mit einer weichen, kristallinen Sopranstimme leicht hysterischen Anstrichs erfreuen. Schön ist der leichte Schimmer, der auf ihr zu liegen scheint, sind es auch die mühelosen Schwelltöne, doch optisch bleibt sie auch wohl wegen der Leibesfülle zu statuarisch, zu unbeweglich im nicht vorhandenen Mienenspiel. In zärtlichen Tönen kann die Donna Elvira von Carol Vaness in den Rezitativen schwelgen, in den Arien geraten die Höhen  oft recht steif, die Intervallsprünge zu gewaltsam der Stimme abgezwungen. Darstellerisch allerdings schlägt sie ihre Kollegin um Längen. Eine sehr gute Besetzung für die Zerlina ist Andrea Rost, die auch an der Scala sogar als Traviata Furore machte und hier eine lieblich-kesse Bäuerin ist, die mit schöner lyrischer, nicht soubrettiger Stimme singt und die Verführbarkeit der jungen Braut hinreißend spielt.

Nicht nur wer keinen drogensüchtigen Don Giovanni im Nadelwald mag ist mit dieser hoch besetzten Aufführung gut bedient (Arthaus 102 319).

Ingrid Wanja