Echo eines großen Abends

 

Italienisches Liederbuch von Hugo Wolf mit Diana Damrau und Jonas Kaufmann: Wer sich mit verhaltenem Interesse, gar Zweifeln auf den Weg in das Konzert gemacht hatte, sah sich auf der ganzen Linie widerlegt. Innerlich war ich auf einen Event zweiter Weltstars eingestellt und verließ der großen Saal der Berliner Philharmonie am 6. Februar 2018 mit der Gewissheit, einen großen Abend erlebt zu haben, bei dem die Kunst triumphierte und nicht allein der Ruhm der beteiligten Protagonisten, die von Helmut Deutsch, dem nicht weniger berühmten Mann am Flügel, begleitet wurden. Oft ist es umgekehrt. Beide Solisten waren perfekt studiert. Sie brachten kein Notenblatt in Reichweite, nicht einmal einen Spickzettel mit der Reihenfolge der sechsundvierzig Lieder. Mit stoischer Gelassenheit blätterte Deutsch selbst um. Wahrscheinlich hätte auch er gar keine Noten gebraucht. Diese enorme Sicherheit auf dem Podium des so gut wie ausverkauften Saals im Umgang mit einem nur vordergründig leicht wirkenden Werk eröffnete der Interpretation große Spielräume. Nun ist das Liederbuch, das die Künstler an mehreren Orten vorgetragen hatten, bei Erato auf CD erschienen (0190295658663). Dafür wurde ein Mitschnitt des Konzerts im Alfred Krupp Saal der Philharmonie Essen gewählt.

Auch für dieses Konzert war die Abfolge der Lieder umgestellt, drastisch umgestellt worden. Obwohl das Liederbuch mit fünf Jahren Unterbrechung zwischen beiden Teilen entstand, sind keine Brüche hörbar, die durch die veränderte Zusammenstellung hätten ausgeglichen werden müssen. Damrau und Kaufmann sind nicht die ersten Sänger, die die originale Reihung verlassen haben. Daran ist nichts auszusetzen, zumal ihr Konzept darauf abzielte, eine gewisse inhaltliche Perspektive zu eröffnen. Das Liederbuch als eine Art Singspiel. Nur das berühmte Eröffnungslied „Auch kleine Dinge können uns entzücken“ und das Finale mit „Ich hab‘ in Penna einen Liebsten wohnen“ blieben an ihren angestammten Plätzen. Alle anderen Nummern wurden kühn durcheinander gewürfelt. Hörer, die an eine bestimmte Ordnung gewöhnt sind, diverse Einspielungen kennen und das Werk in Gedanken mitsingen können, dürften sich gewundert haben. Im Booklet wird mit keinem Wort darauf eingegangen.

Ein Singspiel also. Beide Protagonisten unterlagen im Konzert aber nicht der Versuchung, mit Gesten und Mimik mehr als nötig draufzusatteln, was auf der CD ohnehin weggefallen wäre. Die Deutung ergibt sich allein aus den Liedern, die textlich weitgehend sehr gut zu verstehen sind. Weniger ist oft mehr. Das heißt aber nicht, dass auf dem Podium herumgestanden wurde. Leidenschaft, Liebeskummer, Streit, Angst, Melancholie, Prahlerei, religiöse Inbrunst – und was noch die menschliche Seele hervorzubringen vermag – gingen durch Andeutungen oder schüchterne Annäherungen in die Darstellung ein. Diskret und oft auch mit Witz. Im Fortschreiten des Werkes – auch das offenkundig gewollt – wurden die Aktionen etwas deutlicher und stärker. Das hört man jetzt auch. Diana Damrau und Jonas Kaufmann konnten das Spiel durch Erscheinung und schauspielerisches Talent glaubhaft machen. Man schaut diesen beiden gut aussehenden Menschen einfach gern zu. Die CD nimmt diese Aussicht weg. Es wäre viel besser gewesen, einen Mitschnitt auf DVD herauszugeben zu haben. Jetzt wirkt das Dokument wie die abgetrennte Tonspur eines Films. Die ursprüngliche Einzigartigkeit des ganzen Projekts ging verloren. Das ist sehr schade. Im Booklet gibt es schöne Fotos, die das Liederbuch zeitgemäß illustrierten sollen. Sie sind aber kein Ersatz für das, was sich im Konzert ereignete.

Damrau und Kaufmann passen im Timbre und Temperament sehr gut zusammen, was dem Werk entgegen kommt. Sie nehmen sich gegenseitig nichts weg und haben sichtbar großen Respekt voreinander. Jeder darf auch seine eigenen Höhepunkte haben. Der Sopran – um eines von vielen Beispielen zu nennen – „Wenn Du, mein Liebster, steigst zum Himmel auf“, der Tenor – auch dies nur eine von mehreren Angeboten – „Sterb‘ ich, so hüllt in Blumen meine Glieder“. Spürbar war und ist das starke Bemühen um Natürlichkeit und Schlichtheit. Vor allem Kaufmann wirkte und wirkt sehr ausgeruht und erholt. Mezza voce tut ihm gut nach all den kräftezehrenden Opernpartien. Er sollte viel mehr Lieder singen. Rüdiger Winter