Zurück zu den Anfängen

 

Bei der noch recht unbekannten CD-Firma Genuin Select ist eine Aufnahme mit der Mezzosopranistin Vesselina Kasarova erschienen, die alle Chancen hat, auf dem Vokalsektor zur CD des Jahres gekürt zu werden (GEN 15378). Die gebürtige Bulgarin und Schweizer Staatsbürgerin präsentiert sich nach ihren vielen Erfolgen im Barock-, Mozart- und Belcanto-Repertoire hier mit Russian Arias – und erinnert damit an ihre ersten Auftritte in Zürich und Wien. So sind die Arien der Olga und Polina aus den Tschaikowsky-Opern Eugen Onegin und Pique Dame natürlich auch in dieser Auswahl vertreten – erstere in einer Mischung aus jugendlichem Übermut und slawischer Sehnsucht, die zweite zunächst erfüllt von unendlicher Schwermut, wie sie so vielen russischen Kompositionen eigen ist, und erst am Schluss zu ausgelassenem Temperament wechselnd. Der weitere Beitrag aus der Pique Dame verweist dagegen auf zukünftige Möglichkeiten der Sängerin. Es ist die berühmte Arie der Gräfin nach der Heimkehr vom Ball – einer der Höhepunkte der CD durch den unglaublichen Reichtum an Farben und Stimmungen sowie die pointierte Wortbehandlung. Die Stimme der Kasarova beschwört hier mit dunkel glühenden, geheimnisvollen Tönen eine ferne Welt herauf, kommt dabei ganz ohne die orgelnden Fluten einer Obraszowa aus und vermittelt das Entschlummern der alten Gräfin akustisch sehr plastisch. Aus einer weiteren Tschaikowsky-Oper, der Jungfrau von Orleans, erklingt die große Arie der Titelheldin, im Melos Tatjanas Briefszene verwandt, doch sich am Ende zu dramatischem Ausbruch aufschwingend. Die Partie auch auf der Bühne zu gestalten, wäre eine Option für die Sängerin, denn schon auf der CD gelingt ihr ein eindrückliches Porträt dieser Frau in ihrem Zwiespalt zwischen Pflichtgebot und Liebe. Die Kasarova zeichnet sie weniger heroisch denn feminin und anrührend. Auch die Kontschakowna aus Borodins Fürst Igor könnte man sich von der Interpretin in einer szenischen Aufführung vorstellen, denn sie findet in der nächtlichen Kavatine der Tochter des Khans zu schillernd-verführerischen Nuancen und sinnlich-warmen Tönen.

Begonnen hatte das Programm mit der Prophezeiung der Marfa aus Mussorgskis Chowanschtschina – ein effektvoller Einstieg, der die Stimme in ihrem besonderen Reiz und ihrer Individualität von der besten Seite zeigt. Beschwörend formuliert die Sängerin die Zukunftsvisionen der Altgläubigen, malt diese mit einer reichen Farbpalette aus. Von diesem Komponisten folgt später noch die Arie der Marina aus Boris Godunow, in der die Sängerin  zu interessanten Details findet, die herrscherliche Allüre der ehrgeizigen Polin allenfalls am Schluss der Nummer zeigt und sie vorher eher zögernd und  zweifelnd hinterfragt.

Quasi ein heiteres Intermezzo in seinem rhythmischen Überschwang ist das kurze Lied der Laura aus Dargomyzhskys Der Steinerne Gast. Die Figur des Waisenknaben Vanja aus Glinkas Ivan Susanin ist eine der wenigen Hosenrollen des russischen Repertoires, seine Arie, in der er vom Kampf für sein Vaterland singt, verströmt sich in liedhafter Kantilene und lässt die Stimme sehr kultiviert ertönen.

Rimsky-Korsakov ist mit zwei Beispielen zu hören – dem Monolog der Ljubascha aus der Zarenbraut, der ganz entrückt und in unendlicher Traurigkeit erklingt, sowie als letzter der zwölf Titel der Tanz der Komödianten aus dem Schneeflöckchen, in welchem die Philharmonie Baden-Baden unter Pavel Baleff Gelegenheit hat, sich neben der versierten Begleitung der Solistin auch in einem rasant auftrumpfenden Instrumentalstück als kompetenter Klangkörper zu bewähren. Bernd Hoppe