Provokant subtil

 

Ich gebe zu – ich war misstrauisch, als ich die CD mit Mozart-Opern-Arien bei Sony in den Player legte. Große Lied- und Konzertsänger sind nicht immer gute Opernhelden. Viele neigen dazu, die Arientexte wie gute Lyrik zu interpretieren und dabei zu vergessen, dass es sich um handelnde Bühnenfiguren handelt.  Der Bariton Christian Gerhaher gehört zu den besten Lied- und Konzertsängern der Gegenwart, steht aber verhältnismäßig selten auf der Opernbühne. Nun bringt der Sänger endlich sein zweites Opernalbum heraus. Und das geizt nicht mit großen Hits: Gerhaher präsentiert nahezu alle großen Baritonarien Mozarts. Natürlich mit Vogelfängerlied. Und Champagner–Arie. Und das ist durchaus einen Schluck desselben wert! Christian Gerhaher singt für uns den Don Giovanni. Und den Leporello. Und den Figaro. Und überhaupt alles, was Mozart in seinen Reifejahren für Bariton geschrieben hat. Das haben sich bisher nur ganz Große wie Herman Prey getraut. Aber das passt schon – denn dies Album macht es wieder einmal unmissverständlich klar – dieser Sänger ist einer der ganz Großen. Der darf das.
Arientexte zu lyrisch, zu intellektuell, zu liedhaft? Davon kann bei Christian Gerhaher keine Rede sein. Schon deswegen nicht, weil er fast alle diese Rollen wirklich auf der Bühne gesungen hat. Und ihnen schon da einen unverwechselbaren Charakter verlieh. Gerhahers Mozart-Helden wirken erschreckend traurig, verblüffend nachdenklich und auffallend melancholisch. Gerhahers Interpretationen sind subtil, mitunter provokant subtil. Große Theatergesten fehlen fast ganz. Er besticht wie viele lyrische Sänger vor allem durch Nuancen. Aber was für Nuancen! Alle Nummern sind trotz Minimalismen durchweg überzeugend. Und, was bei solchen Super-Hits gar nicht mehr so einfach ist: Sie wirken allesamt frisch, spontan empfunden und kein bisschen abgenudelt.

Das ist sicher auch ein Verdienst des großartigen Freiburger Barockorchesters, einem der bedeutendsten und erfahrensten Mozart-Klangkörper überhaupt. Sie begleiten unter der Leitung von Gottfried von der Goltz nicht nur die Arien kongenial, sondern haben als Bonus noch die opernhafte Linzer Sinfonie dem Album hinzugefügt  – verstreut zwischen den Gesangsnummen. Das verleiht der CD eine freche und leicht chaotische Note, die dem Album gut bekommt (Christian Gerhaher, Mozart Arias, Bariton; Freiburger Barockorchester, Gottfried van der Goltz, Sony 88875087162). Matthias Käther