Nicht mehr im Schatten

 

Primadonnenwürdig sind die Arien von Händel und Vivaldi für die Seconda Donna, die Julia Böhme für ihre Accent-CD ausgesucht hat, verleihen sie doch aufwühlenden Gefühlen wie ungezügelter Rachsucht, bösem Triumph oder abgrundtiefer Verzweiflung angemessenen Ausdruck. In willkommenem Kontrast zu so machtvollen Gefühlsaufwallungen stehen die wohl von der Interpretin selbst verfassten angenehm burschikosen und unprätentiösen Texte, die in die jeweilige Arie einführen.  Kurz & knapp heißt es stets zu Beginn der Information, so über Händels Oper Lotario, in der die intrigante Matilde giftmischerisch tätig wird und in drei fulminanten Arien ihren durch und durch bösen Charakter offenbart. „Furie del crudo averno“ zeigt vom ersten Ton an eine substanzreiche, ehrliche, stets Sein, nie Schein offenbarende Stimme, die auch in den beiden folgenden Arien „Arma lo sguardo“ und „Quel superbo“  den Charakter der Figur erfasst, reichlich chiaro-scuro einsetzt und mit präzisen Koloraturen überzeugt.

Von der Täterin zum Opfer begibt sich die Sängerin mit der Tamiri aus Vivaldis Farnace, in deren Arie „Forse, o caro“ der sanfteren Dame ein feiner, runder Glockenton der Altstimme zuteil wird, wo ein schönes Ebenmaß der Stimmführung  das Ohr des Hörers erfreut.

Hin- und hergerissen zwischen demütig ertragenem Schmerz und zaghafter Freude, tra speme e timor,  ist Händels Selene aus seiner Oper Berenice. Das sehr gute La Folia Barockorchester unter Robin Peter Müller verdeutlicht zusätzlich zur Solistin das Schwanken der Nichtheldin, das sich auch in feinen Rubati kundtut. Es geht weiter mit Händels Il Floridante, wo die unschuldige Elmira zwischen Hoffen und Bangen in schöner Passivität ihres Freundes harrt, die Stimme in „Notte cara“ in wie dunkler Samt klingende Tiefen geführt wird.

Geschmeidige, stets geschmackvoll bleibende Verführung  bzw. erotischen Übermut atmen die beiden Arien der Alcina aus Vivaldis Orlando furioso, mit sicheren Intervallsprüngen beweist seine Selinda aus Farnace ihre Unbekümmertheit.

An ihre Grenzen in der tiefen Lage kommt Julia Böhme mit Händels Zenobia aus Radamisto. Für sie sprechen die eindrucksvolle Lautmalerei,  so das tiefdunkle O in la morte, oder die schöne Geläufigkeit des Singens, die allerdings bei Vivaldis Bradamante für  „Asconderò“ nicht so ausgeprägt ist, während in der zweiten Arie, „Se cresce un torrente“, hochvirtuos zur Sache gegangen wird.

Den Abschluss bildet die Arie der Zanaida aus Vivaldis Argippo, in der die Sängerin den Kontrast zwischen Wut und Willen zur Vergebung wirkungsvoll herausarbeitet, letztere noch einmal purer akustischer Balsam ist (ACC 24356). Ingrid Wanja