Im Gesangsolymp

 

Erscheint am 14. April: In einer konzertanten Aufführung von Porporas Germanico Re di Germania im Januar dieses Jahres in Krakau sorgte Julia Lezhneva mit ans Unwirkliche grenzender Virtuosität für einen sensationellen Auftritt. Nun legt die Sopranistin bei DECCA ihr drittes Soloalbum vor, welches die Eindrücke vom Konzert in Polen bestätigt (483 1518). Das Programm ist dem Werk Carl Heinrich Grauns gewidmet und bringt nicht weniger als 11 (!) Weltersteinspielungen von Opernarien, die alle in Berlin uraufgeführt wurden. Einzige bekannte Nummer ist der letzte (12.) Track mit der Arie der Agrippina („Mi paventi il figlio“) aus Britannico. Damit beendet die Sängerin diese neue CD, die alle Chancen auf einen Echo hat, mit furioser Attacke und fulminanten Koloraturgirlanden.

Begonnen hatte sie mit einer Arie der Aspasia aus L’Orfeo, „Sento una  pena“, in der die thrakische Königin und Rivalin Eurydices in aufgewühltem Zustand ihr Los beklagt. Es ist sogleich zu Beginn eine Gelegenheit für die Solistin, ihre Bravour mit spektakulären Koloraturrouladen zu demonstrieren.

Später widmet sich die Interpretin noch zwei weiteren Figuren dieser Oper – der  Euridice mit „Il mar s’inalza e freme“, in der sie mit jenem berühmten Sinnbild von tobenden Meer die drohenden Gefahren einer Flucht mit Orfeo beschreibt,  und dem Aristeo mit „D’ogni aura al mormorar“, in welcher Orfeos Bruder den Verlust Eurydices beweint. Drei Arien – drei Rollen – drei Seelenporträts – drei Zeugnisse höchster Gesangskunst.

Auch aus Armida gibt es zwei Arien – wieder unterschiedlichen Partien zugehörig: Ubaldos „La gloria t’invita“, in der er dem Ritter Rinaldo mit energischem Nachdruck den richtigen Weg weist, während die Arie der Titelheldin „A tanti pianti miei“ den Schmerz über den drohenden Verlust ihres Geliebten Rinaldo ausdrückt – ein Wechselbad von Trauer und Furor.

Gleiches betrifft die beiden Ausschnitte aus Silla – Ottavias „Parmi“ ist eine jener berühmten ombra-Szenen, in welcher sie eine Vision ihres verblutenden Geliebten Postumio vor Augen hat, während dessen „No, no di Libia“  ihn in Raserei zeigt angesichts des Gedankens, seine Geliebte an den Kaiser Lucio Silla zu verlieren. Vom Affekt-betonten Orchester getragen, steigert sich die Sängerin hier in einen Ausnahmezustand, in welchem die ekstatischen Koloraturen höchsten seelischen Aufruhr widerspiegeln.

Aus weiteren drei Opern stellt die Sopranistin jeweils eine Nummer vor. Aus Ifigenia in Aulide hört man die Arie des Agamemnone, „Sforzerò di te“, in der er in gleichfalls rasendem Tempo dem Orakel, dass seine Tochter geopfert werden müsse, trotzt, was der Interpretin wiederum akrobatische Gesangskunststücke abverlangt. Die Arie der Volunnia aus Coriolano, „Senza di te“, bringt einen kontrastierenden Ruhepunkt. Es ist die Klage einer Mutter über die schandbaren Taten ihres Sohnes, welche die Sopranistin mit reicher Empfindung vorträgt. Rosmiris „Piangete“ aus Il Mithridate ist wiederum ein Lamento, das in Lezhnevas eindringlicher Gestaltung zu den Höhepunkten der Platte zählt. Einziges Instrumentalstück der Platte ist die einsätzige Ouvertüre zu Rodelinda, ein beschwingtes, stürmisches Allegro, in welchem das Concerto Köln unter Mikhail Antonenko mit musikantischer Lust und reicher Agogik aufwartet. Der Dirigent und die Sängerin haben in der Berliner Staatsbibliothek die Arien für dieses Programm ausgewählt und dabei auf kontrastreiche Anordnung Wert gelegt. Das macht das Hören abwechslungsreich und spannend, vernimmt man doch historische und mythologische Episoden, wird man konfrontiert mit Emotionen aller Arten – heroischen, tragischen, freudigen, klagenden – und ist einem ständigen Wechselbad von Gefühl und Bravour ausgesetzt. Die intensive Vorbereitung auf diese Einspielung spürt man in jedem Moment – Lezhneva und Antonenko sind ein eingespieltes Paar und haben mit dieser CD im gewiss nicht schmalen Barockrepertoire für eine denkwürdige Veröffentlichung gesorgt.  Bernd Hoppe