Junges und Altes

 

„Spieglein, Spieglein an der Wand, wer ist die Schönste im ganzen Land?“ Das Spieglein, vor dem schon die kleine Elsa gestanden hatte, ging auch der erwachsenen Elsa Dreisig nicht aus dem Kopf. Mit 27 Jahren hat sie jetzt für ihr CD-Debüt „Miroir(s)“  abermals das Spieglein befragt (Erato 0190295634131). Die Antwort dürfte der französisch-dänischen Sopranistin Elsa Dreisig, die an der Berliner Staatsoper Gretel, Pamina, Violetta und Schumanns Gretchen gesungen hat, gefallen. Lassen wir außer Acht, was sie sich für das Beiheft zurechtgelegt hat („Warum also nannte ich mein Album „Miroirs“, Spiegel, Objekt des Scheins und nicht des Seins? Weil der Spiegel mir half, mir meiner Stimme bewusst zu werden. Diese Stimme, die sich nicht am Abbild reiben musste, um sich der Wirklichkeit offenbaren zu können: durch meine Stimme bin ich, und zwar ganz natürlich.“), kommen fast alle französischen und italienischen Arien, die sie ausgesucht hat, um dem etwas gequälten Konzept der CD zu entsprechen, ihrem lyrischen Koloratursopran entgegen. Vor allem handelt es sich dabei um Figuren, die uns in den Vertonungen zweier Komponisten gegenübergestellt werden, also Massenets und Puccinis Manon, Rossinis Rosina und Mozarts Gräfin, die Salomé von Massenet und Strauss, die Juliette von Daniel Steibelt und Gounod. Letztere sind beides Ersteinspielungen.

Der Berliner Beethoven-Zeitgenosse Daniel Steibelt (1765 Berlin – 1823 St. Petersburg) komponierte Roméo et Juliette (1793) während seiner Pariser Jahre unter dem Einfluss der Revolutionsopern von Cherubini. In dieser Auswahl sowie der kompletten Szene von Gounods Juliette „Dieu! Quel frissons court dans mes veines“ mit dem Andante-Teil „Viens! O liqueur mysterieuse“ zeigt sich die stützende Hand durch Palazzetto Bru Zane, dessen Mitarbeiter Alexandre Dratwicki einen schönen Text fürs Beiheft beisteuerte. Zu Beginn spiegeln sich Gounods Marguerite und Massenets Thais in ihren Juwelen bzw. Spiegel. Das ist nicht unoriginell. Ich brauchte jedoch eine ganze Weile, um mich einzuhören. Die Marguerite ist technisch gut gesungen, ohne brillant zu sein, die Thais ist – wie die eine oder andere Figur – noch eine Grenzpartie und bleibt trotz des schönen Timbres uninteressant. Doch Massenets Manon und Gounods Juliette zeigen die Qualitäten dieser hellen, intensiven, ausgeglichen, höhenstarken und gut sitzenden Stimme. Michael Schönwandt und das Orchestre National Montpellier Occitanie sind unauffällige Begleiter.

 

Großes hat sich auch die holländische Mezzosopranistin Ruth Willemse vorgenommen: Elgars Sea Pictures (1899), Mahlers Rückert-Lieder (1902) und Wagners Wesendonck-Lieder (1857/58). Die drei Zyklen stehen durch die wechselseitigen Einflüsse der Komponisten in enger Beziehung. Willemse hat sich selbstverständlich auch Gedanken dazu gemacht, bevor sie im Juli diesen Jahres mit dem weißrussischen Pianisten Vital Stahievitch für „Where the Corals lie“ (so der Titel des vierten Sea Picture) ins Studio ging: „Die Natur scheint manchmal ein Spiegel vom Inneren eines Menschen zu sein. Etwas Ähnliches geschieht in der Musik, bei der die Verbindung mit dem menschlichen Inneren sehr unmittelbar ist“ (Etcetera KTC 1639). Vor allem, „Vom Sea-Slumber“ bis zu „Träume“ erzählen die Lieder also eine ganze Nacht“. Willemse singt mit klarem, festem und gesammeltem Ton. Ihr schlank biegsamer Mezzosopran weist an dramatisch leuchtenden Stellen bereits ins Zwischenfach und ist bei Mahler und Wagner, wo sie sich einer übermächtigen Konkurrenz stellen muss, zu vibrierenden Facetten fähig. Es fehlt noch an individueller Farbe, der Zugriff der beiden Künstler erscheint zu zaghaft.
Mit Volume elf schließt Naxos seine verdienstvolle Gesamtausgabe von Rossinis Péchés de  vieillesse mit der vollständigen Klavier- und Kammermusik ab (Naxos 8.573964). Spiritus rector des Unterfangens ist der Pianist Alessandro Marangoni, dem hier für die nur vier Duette, die sich in den vierzehn Büchern von Rossinis Sünden des Alters finden, die Sopranistin Maria Candela Scalabrini, die Mezzosopranistin Giuseppina Bridelli, der Tenor Alessandro Luciano und der Bariton Vittorio Prato zur Verfügung stehen. Es handelt sich um den für die Schwestern Carlotta und Barbara Marchisio komponierten Bolero Le GitaneSoupirs de Souris für Tenor und Sopran, das buffoneske Duett Un Sou für Tenor und Bariton und schließlich um das andalusische Les Amants de Séville für Tenor und Mezzosopran. Die Sopranistin Laura Giordano, die Mezzosporanistin Cecilia Molinari und der Bariton Bruno Taddia nehmen sich der weiteren Solonummern an. Es sind nicht die strahlendsten Sterne am Rossini-Firmament, doch sie geben eine Ahnung von Rossinis geistvolle Salonunterhaltung, wozu auch die sechs hübschen Variationen für unterschiedliche Solostimmen auf Metastasios „Mi lagnerò tacendo“ gehören (wobei die hinreißende Sammlung der Péchés unter Edwin Loehrer mit interessanten Solisten wie Rodolfo Malacarne oder Basia Rechitzka vom Italienisch-schweizerischen Rundfunk bei Accord/ Cygnus nicht vergessen werden soll. G. H.).  Rolf Fath