Der Glanz schwerer Seide

 

Hingelagert wie eine Odaliske in eine farbprächtige Szenerie aus Pflanzen und Früchten, die Beine unter dem roten Kleid ausgebreitet, bietet Anita Rachvelishvili auf ihren neuen Sony Album Élégie (19439737022) das Bild einer eher erschreckten als klagenden Frau. Das Foto von Irma Sharikadze ist immerhin ein Eyecatcher. Mit bekannten Liedern und Romanzen von Tschaikowsky, Rachmaninoff, Tartakishvili, Tosti, Duparc und de Fall, gesungen auf Russisch, Georgisch, Italienisch, Französisch und Spanisch, will die 37jährige Georgierin neue Farben in ihrer Stimme, fernab der Opernbühne, finden. Das Opernhafte kann sie, die für das russische Repertoire Archipowa, Obrastzowa, Borodina und Hvorostovsky als Vorbilder nennt, freilich nicht abstreifen. Bei den drei Tschaikowsky-Liedern, wozu auch berühmte op. 6/6 nach Goethe „Nur wer die Sehnsucht kennt“ gehört, scheint mir das noch nicht vollkommen eingelöst. Aber in den fünf Rachmaninoff-Liedern gelingt es Rachvelishvili ihren üppig schweren und dunklen Mezzosopran auf den intimen Raum dieser Lieder herunterzudimmen und mit leisen, leuchtenden Farben und ruhigen Tönen zu überraschen, das gilt für „Du bist wie eine Blume“ nach Heine op. 8/2 oder „Sing mir nicht, meine Schöne“ nach Puschkin op. 4/4; „Ach, klagt nicht um mich“ gerät dann richtigerweise zu kleinen Opernszene, dramatisch, leidenschaftlich und tiefenschwer. Natürlich liegt ihr die aus einem fünfteiligen Zyklus stammende „Sonne des Heumonds“ ihres georgischen Landsmannes Otar Taktakishvili (1924-89) mit ihren Anklängen an die Volksmusik ihrer Heimat. Vincenzo Scalera, der Generationen von Diven, von Gencer, Caballé, Kabaivanska, Scotto bis Ricciarelli und Jo, sozusagen auf seinen Händen getragen hat, ist Rachvelishvili bei der im Januar 2020 in Tiflis entstandenen Aufnahmen ein selbstloser und gediegener Begleiter. Bei der Nr. 10 muss man nochmals nachschauen. Es handelt sich tatsächlich um Tostis „Non t’amo piu“, gesungen als schwermütige Klage eines verlassenen Landmädchens, in einem befremdlichen, vernebelten und eingedunkelten und gewöhnungsbedürftigen Ton. Rachvelishvili gelingen immer wieder betörende, zarte Linien, so auch in „Ideale“ und „Tristezza“ – erste Wahl sind die drei Tostis aber nicht. Je weiter Rachvelishvili in ihrem Programm fortschreitet, desto lässlicher erscheint es mir, wenngleich sie recht geschickt die drei Beispiele, die sie aus den 17 erhaltenen Liedern Henri Duparcs ausgewählt hat, in die Nähe der russischen Romanzen rückt und in „Élégie“ mit dem Glanz schwerer Seide aufwartet. Als Carmen kommt sie uns in den sieben kurzen Canciones populares españolas von Manuel de Falla, die sie raffiniert und stimmlich klug ausbalanciert und – und doch mit dröhnender Bruststimme –  mit einem bullerigen, „Polo“ krönt. Rolf Fath