Aus den Anfängen…

 

Kein Wunder, dass die amerikanische Altistin Irene Dalis den Opernfreunden zwar bekannt , aber trotz ihrer unzweifelhaften Qualitäten im Personenregister von Jürgen Kestings  „Die großen Sänger“ nicht zu finden ist. Es gibt nur eine einzige Studioaufnahme aus den Fünfzigern bei Telefunken von ihr, und die ist von Wert eher für die Sammler und fast durchweg in deutscher Sprache. Denn ihre Karriere begann sie in Oldenburg, wechselte bald an die damalige Städtische Oper Berlin (heute Deutsche Oper), sang dreimal hintereinander in Bayreuth (Kundry und Ortrud) und ab 1957 für neunzehn Spielzeiten an der Met.

Von der Städtischen Oper mit deren Orchester stammen die Ausschnitte auf der nun von Hännsler veröffentlichten CD (aus den Beständen der inzwischen verblichenen Teldec-LPs, die nicht als CDs in andere Firmen übernommen wurden – eine Wiederauflage also – sind die Rechte schon abgelaufen?), ein breites Spektrum von Händel über Gluck, Rossini, Verdi, Bizet, Saint-Saëns bis Wagner abdeckend und so die Vielseitigkeit der Sängerin dokumentierend. Der Chor ist für den ersten Teil unbekannt, der des zweiten Teils ist der Günther-Arndt-Chor. Als Bonus nämlich ist ein Querschnitt durch Carmen angehängt, ebenfalls in deutscher Sprache und mit bemerkenswerten Partnern wie Heiz Hoppe und Karl Schmitt-Walter. Der Dirigent des ersten Teils ist Artur Rother, von dem das Booklet zu berichten weiß, dass er die Nazizeit als „Mitläufer“ durchlebte. Der Carmen-Mitschnitt wurde von Wolfgang Martin dirigiert.

Es beginnt mit dem lange Zeit fälschlicherweise Händel zugeschriebenen  Dank sei dir, Herr, das wahrscheinlich von Siegfried Ochs stammt und in dem die Lehrerin Margarete Klose in der Stimme der Dalis ihre Spuren hinterlassen zu haben scheint. Sie klingt wie eine echte Altstimme, auch wenn sie häufig als Mezzosopran bezeichnet wurde. Würde Adele Sandrock gesungen haben, hätte ihr Organ so klingen können, keine alte Stimme, aber eine Stimme, die einen alten Menschen darstellen soll. Die Vokabeln pathetisch oder auch pastos fallen einem dazu ein. Zum Glück beschränkt sich dieser Eindruck auf den ersten Track. Bei den beiden populären Händelarien Ombra mai fu und V’adoro, pupille klingt die Dalis samtweich und profund zugleich, singt schöne Schwelltöne und ist in allen Registern von schöner Einheitlichkeit und das, obwohl die Arien eigentlich für die Sopranlage geschrieben wurden.  Hier wird die Stimme auch instrumentaler geführt, und wenn die Aufnahme heute nicht mehr so recht zufrieden stellen kann, das liegt es an dem sehr „romantisch“ spielenden Orchester, von historischer Aufführungspraxis keine Spur. Für Giordanis Caro mio ben  nimmt die Stimme wieder einen etwas matronenhaften Ton an, dominiert zudem allzu sehr gegenüber dem Orchester. Aus Glucks Alceste stammt Divinités du Styx, in deutscher Sprache zwar mit leichtem Akzent, aber sehr textverständlich gesungen, was besonders später bei Carmen nicht unbedingt ein Vorteil sein muss. Der Orkus wird ebenso bedrohlich ausgemalt wie der Tod mit endlos langem Vokal, die Extremhöhe ist sehr präsent, die Stimme hat nichts Gefälliges, aber sehr viel ehrliche Empfindung im Klang. Viel jünger klingt der Mezzo in der ihm gemäßen Lage in Bel raggio, jünger, metallischer, individuell und zu schöner Geläufigkeit befähigt. So richtig in ihrem Element ist die Dalis mit der Eboli und deren Don fatal. Man kann sich nicht vorstellen, dass diese Eboli ins Kloster geht, machtvoll, tief erotisch und hochpräsent zeigt sich die überaus farbige Stimme – ein Kontrast zu heutigen Ebolis, wie unlängst aus Paris zu vernehmen.

Ein eher unmodernes Carmenbild  – und das nicht nur wegen der deutschen Sprache – wird in der Seguidilla gezeichnet, allerdings stellt man auch mit Freude fest, dass die Mezzofarbe durchgehend gewahrt bleibt, und in der Habanera werden auch die kleinen Notenwerte beachtet. Der Chor schmettert marschmäßig, wie französische Musik kling das  nicht.

Das erotische Timbre der Dalis passt gut zur schwülen Atmosphäre der Dalila, deren Stimme hier klingt, wie Shalimar duftet. Man könnte sich diese Dalila gut in der Monumentalinszenierung der Oper mit Domingo vorstellen. „Ich liebe dich“ klingt wunderbar strahlend. Als Brangäne scheint die herrlich fließende Stimme das führende Instrument im Orchester zu sein. Man hört, warum Bayreuth sie wollte.

Im Carmen-Querschnitt gibt sich die Altstimme einen etwas leichteren Anstrich, kämpft tapfer den aussichtslosen Kampf  zwischen spritziger Musik und anders gearteter deutscher Sprache, und ihr Anteil am Kartenterzett geht durch Mark und Bein, könnte auch einer Ulrica zugeordnet werden. Heinz Hoppe ist ein wunderbarer deutscher Tenor mit strahlender Höhe, zwar kein José, aber ein Sänger, der Bizets Intentionen am Schluss der Blumenarie besser umsetzt als mancher Landsmann des Komponisten.  Die Micaëla von Cloë Owen klingt im Duett des ersten Akts mütterlich, in ihrer Arie hübsch mädchenhaft. Karl Schmitt-Walter  fühlt sich in der Höhe des „Auf in den Kampf“ wohler als in der Tiefe, das Schlussduett ist noch schlimmer verstümmelt als alle anderen Tracks. Rückseitig sieht man die originalen LP-Covers der Teldec (Hänssler Proifil PH17044). Ingrid Wanja