Vertraut anders

 

Zum Monteverdi-Jahr 2017 veröffentlichte Philippe Jaroussky das Album La Storia di Orfeo mit Musik von Monteverdi, Rossi und Sartorio, in diesem Jahr legt er nun Orfeo ed Euridice von Christoph Willibald Gluck vor. Eine Oper, die oft aufgenommen wurde, auch in historischer Spielweise. Die italienische Originalfassung aus Wien von 1762 bspw. zuletzt mit Franco Fagioli in der Titelrolle bei DG-Archiv (2015), bei der man zusätzlich mit Elementen der französischen Fassung ergänzte, oder René Jacobs‘ gelungene Einspielung von 2001 mit Bernada Fink als Orpheus (harmonia mundi), Orphée et Eurydice von 1774 liegt in der maßgeblichen Einspielung Marc Minkowskis (2002, DG-Archiv) vor. Für die Neueinspielung hat man für Jaroussky eine bisher nicht bekannte Variante gefunden, und zwar die 1774 im Königspalast Palazzo Reale von Neapel gespielte Version. Sie unterscheidet sich von der Wiener Erstaufführung und orientiert sich an einer Aufführung in Parma 1769, für die Gluck Änderungen vorgenommen hatte. Die ursprünglich für den Altkastraten Gaetano Guadagni geschriebene Rolle des Orfeo wurde damals von einem Soprankastraten gesungen. Gluck veränderte auch die Rezitative, vereinfachte die Orchestrierung (u.a. ohne Blechbläser, Flöten und Pauke) und strich instrumentale Stellen und Tänze, bspw. fehlt leider das festlich einleitende Maestoso die beiden Ballo der Schlussszene.

Das Resultat ist in der Gesamtstruktur leicht verändert, Tonhöhe, Tonart und Instrumentierung sind öfters unterschiedlich – ein vertrautes Werk, das etwas anders klingtZwei Nummern wurden für Neapel von einem (laut Beiheft) „adligen Dilettanten“ namens Diego Naselli neu komponiert – eine neue Fassung von „Vieni, appaga il tuo consorte“ sowie als Ersatzarie für „Che fiero momento“ nun „Tu sospiri … ti confondi„. Beide Veränderungen haben keinen positiven Effekt, „Vieni, appaga il tuo consorte“ klingt im Original spannender, „Tu sospiri … ti confondi“ ist kein überzeugender Ersatz für „Che fiero momento“. Es sind solche kleinen Änderungen, die die Version von 1774 gegenüber dem Original abfallen lassen. Orfeo ed Euridice als Ersteinspielung (World premiere recording steht auf der CD) – die Sinnhaftigkeit dieser Version liegt im Zugpferd und scheint eher eine Herzensangelegenheit für Philippe Jaroussky denn die Schließung einer Lücke. Wer als Vergleich die Aufnahme mit Franco Fagioli heranzieht und beide parallel hört, der steht vor der Qual der Wahl – beide Aufnahmen sind sehr gut musiziert und gesungen. Der Klang der Neuaufnahme wirkt frisch und direkt, I Barocchisti unter Diego Fasolis nehmen die Oper oft mit raschen Tempi und teilweise deutlich schneller als bei der französischen Dirigentin Laurence Equilbey und ihres reicher besetzten Insula Orchestra in der pathetischen DG-Archiv Aufnahme, auffällig z.B. bei Orfeos „Chiamo il mio ben cosi„.

Mit knapp 77 Minuten Spieldauer passt diese Neuaufnahme auch aufgrund der Kürzungen auf eine CD. Fasolis betont Kontraste, die Drastik der Unterwelt gelingt ihm eindringlich, Orfeos Reise hat keinen Marmor, instrumental ist die größer besetzte Wiener Version aber hier im Vorteil. Der überzeugend singende Coro della Radiotelevisione Svizzera ist prägnant zur Stelle und ergänzt bspw. Fasolis Unterwelt-Episode auch mit dramatisch herben Tönen. Jaroussky interpretiert den Orfeo mit hoher Stimmkultur und einer schlichten Ergriffenheit, Fagioli ist hingegen pathetischer erschüttert. Beide präsentieren auf ihre charakteristische Weise ein überzeugendes „Che faro senza Euridice“. „Che puro ciel“ gelingt Fagioli betörender, allerdings spielen Fasolis‘ I Barocchisti diese Arie verführerischer. Es scheint eine individuelle Vorliebe, ob man einem der beiden Sänger und einer der beiden Aufnahmen den Vorzug geben möchte. Das gilt auch für die Sängerinnen. Als Euridice hört man die amerikanische Sopranistin Amanda Forsythe, die Ungarin Emöke Baráth singt den Amor. Gegenüber Malin Hartelius und Emmanuelle de Negri (DG-Archiv) haben die beiden Sängerinnen der Neuaufnahme die Nase knapp vorn. Forsythe überzeugt durch Klarheit und Ausdruck, Baráth scheint eine Idealbesetzung zu sein, ihre Stimme hat Fundament und Leuchtkraft. Die „Trionfi amori“ erleichtern ebenfalls nicht die Wahl zwischen den beiden hochkarätigen und sich ergänzenden Einspielungen der aktuell maßgeblichen Countertenöre. (Erato 9029570794) . Marcus Budwitius