Backstage

 

 Welturaufführung der Rosa Dolorosa, figlia di Pompei von Vittorio Bazzetti! Wegen dieser Sensation wird die Musikwelt den Atem anhalten und einen Abend lang auf die amerikanische Stadt im Mittleren Westen blicken, in deren Opernhaus die verspätete Rettung des 1835 komponierten Werkes erfolgt. Um Rosa Dolorosa dreht sich alles in Jake Heggies neuester Oper. Great Scott ist ein Ausruf der Verwunderung, etwa „mein Gott“, meint aber ebenso die große Diva Arden Scott des Librettos, die von der noch größeren Joyce DiDonato kreiert wird.

Ob in Terrence McNallys Text alles so vieldeutig lustig wie der Titel ist, lässt sich schwer nachprüfen: der Mitschnitt dieser Uraufführung (Erato 2 CD 0190295940782) verweist im Beiheft mit der ausführlichen Inhaltsgabe zwar auf das Libretto unter www.erato.com, dort konnte ich es allerdings nicht aufspüren. Sicher mein Fehler. Was wird hier eigentlich uraufgeführt, Rosa oder Great Scott? Der Reihe nach. Great Scott erzählt die Heimkehr der Diva Arden Scott, die sich in ihrer Heimatstadt endlich mit einem  Star-Vehikel vorstellen will. Dafür ausgewählt wurde die besagte Rosa Dolorosa, die in den Mariinsky-Archiven aufgespürt wurde. Ein hübscher Seitenhieb auf die immer neue, unbekannte Werke zu Tage fördernde Belcanto-Manie sowie Bartoli und deren „St. Petersburg“-Ausgrabungen.

Vor allem ist Great Scott, „eine originale amerikanische Oper“, denn, so  McNally, „Sie geht auf nichts zurück“, meint, kein vorhandenes Libretto. Weg von den amerikanischen Themen, wie sie Heggie in Dead Man Walking (San Francisco 2000), wofür ihm McNally das Libretto geschrieben hatte, und Moby Dick (Dallas 2019) kultiviert hatte. Endlich konnte McNally  (u.a. Masterclass, The Lisbon Traviata) frei seiner Leidenschaft für die Oper frönen und eine typische Hinterbühnen-Konstellation erschaffen, wie man sie von Donizettis Le convenienze ed inconvenienze teatrali oder den Backstage-Musicals kennt. Wie dort spielt der  Großteil während der Proben zu Rosa Dolorosa, was zu so hübschen Szenen wie „Vesuvio, il mio unico amico“ und „La mia schiava prigioniera!“ führt, aber im Duell Super Bowl gegen Oper den Fokus auch auf die amerikanische Kultur im Allgemeinen  richtet. Winnie Flato, Leiterin des Unternehmens, kämpft ums Überleben ihrer Kompagnie, das wesentlich vom Erfolg der Premiere abhängt. Ebenso wie die Zukunft der Fußballmannschaft ihres Ehemanns vom Ausgang des Super Bowl am gleichen Abend. Die Nerven sind folglich angespannt. Arden befindet sich am Scheidepunkt ihrer Laufbahn, was ihr durch die Gegenwart Tatyana Baksts bewusst wird, der aufstrebenden Sopranistin aus Osteuropa. Alles und noch viel mehr gibt es In Great Scott. Bühnenunfall, Probleme mit dem „Brunnentanz“, Geplänkel zwischen dem Dirigenten und dem Bühnenmeister, den Barihunk, der gerne sein T-Shirt auszieht, im Personenverzeichnis beschrieben als „a handsome man who wears his matinee idol title proudly and earns his Don Joan reputation daily“ (Michael Mayes), Diskussionen über den Wert solcher Ausgrabungen und die Absurditäten des Genres an sich, die üblichen Bühnen-Witzeleien und Insider-Jokes, Erinnerungen von Arden und Winnie an zurückliegende Erfolge, Ardens Wiederbegegnung mit ihrem einstigen Freund Sid Taylor, dessen kleiner Sohn Tommy eine Sprechrolle in der Oper hat, bis hin zum Geist des Komponisten, also Bazzettis nicht Heggies, der Arden auffordert, sich auch für moderne Werke einzusetzen (“When did you start living in the past and stop living now?”). Arden triumphiert – „Si, son io“ ist eine großartige Persiflage und Anverwandlung der Belcanto-Floskeln – erfährt aber, dass Bakst in der neuen Rosa-Produktion in Venedig sowie in der modernen Oper singen werde. Großmütig gibt sie der jungen Rivalin ein paar Ratschläge mit auf den Weg. Das rosenkavaliert stark. Statt des Terzetts gibt es übrigens ein Quartett. Nun fehlt nur noch das auf der Bühne zurückgelassene Taschentuch. Aber, wie heißt es in der  Inhaltsangabe:  Arden bleibt allein auf der Bühne  zurück und, „Tommy eilt herbei. Er hatte sein Skateboard vergessen. Arden geht hinter ihm her“.

Jake Heggies Oper „Great Scott“ an der Dallas Opera 2015/ Szene mit Nathan Gunn, Joyce DiDonato und Frederica von Stade/ Foto Dallas Opera/ Karen Almond

Das ist mir alles etwas zu findig und gewollt, zu beziehungsreich kompiliert und wirkt als modernes Pasticcio und adrette Backstage-Opera auf der Bühne gewiss überzeugender als auf der CD, wobei auch hier in allen Szenen sofort die umwerfende Präsenz von Joyce Didonato zu spüren ist, die mit breitem und starkem Ton die an ihre eigene Biografie angelehnte Arden Scott singt. Um sie herum ein prominentes Ensemble mit der gepflegt und elegant singenden Frederica von Stade als Opernmanagerin Winnie, Ailyn Pérez als Ardens Konkurrentin Tatyana Bakst, welche die Fußballmannschaft mit ihrer reich verzierten Version von „The Star Spangled Banner“ beglückt, Nathan Gunn als solider Sid, der brillante Countertenor Anthony Roth Costanzo als intensiv-geschäftiger Bühnenmanager, Kevin Burdette als Dirigent Eric Gold. Heggies Oper über die Oper ist eine lustvolle Komödie. Wie  gute Musicals bietet Great Scott eine gekonnt berechnete Mischung aus Ernst und Komik und Melancholie. Eine Mischung aus rezitativlastigen Ensembleszenen, die Heggie mit dem viel überzeugender gelungenen Pathos der auf der Bühne geprobten Belcanto-Oper verblendet bzw. kontrastiert, und solistischen Bravournummern wie die finale Pseudo-Donizetti- Cabaletta „Io sola posso salvare Pompei“. Heggie, dem heute meist aufgeführten zeitgenössischen Opernkomponisten Amerikas, fließt das alles so zwanglos aus der Feder wie das zusammengeklaubte Sextett „I couldn’t possibly“, doch wirklich originell ist der Stilmischmasch nur gelegentlich. Patrick Summers, Orchestra and Chorus der Dallas Opera und das vorzügliche Ensemble kämpfen gegen die Längen der beiden Akte mit 78 bzw. 77 Minuten Spielzeit an. (Aber immerhin gibt es in den USA – anders als bei uns – diese vielen publikumsfreundlichen, „hörbaren“ zeitgenössischen Opern neukomponiert die, wie in Dallas, für ausverkaufte Häuser sorgen… G. H.)  Rolf Fath            

  1. Peter

    Es hat sich bei der Fotountertitelung ein kleiner Fehler eingeschlichen, der freilich den Wert des Artikels nicht schmälert…:
    Bei dem hübschen jungen Mann, der sich über die rechte Schulter von Joyce beugt, handelt es sich um den Countertenor Anthony Roth Costanzo und nicht um Nathan Gunn.
    Schön, wieder einmal etwas von Frederica von Stade zu lesen. Ich liebe ihre wenigen Belcanto-Arien-CDs ebenso heiss wie ihre rarissimen Belcanto-Opernaufnahmen.

    Antworten