Santuzzas Schwester

 

1975 vom Opernpapst Rodolfo Celletti gegründet, widmete sich das Festival della Valle d’Itria in Martina Franca vor allem den unbekannteren Barock- und Belcantoopern, die gerade zuvor durch Sänger wie Maria Callas oder Leyla Gencer neue Beachtung gefunden hatten. 2007 standen hingegen zwei Verismo-Werke auf dem Spielplan: Umberto Giordanos Marcella und Pietro Mascagnis Amica. Der Zweiakter des Komponisten aus Livorno erinnert im kompositorischen Aufbau stark an seine Cavalleria Rusticana mit der in die Sinfonia integrierten Gesangseinlage und dem atmosphärestiftenden Interludio.  Uraufgeführt wurde die französische Originalfassung mit Geraldine Farrar in der Titelpartie 1905 im Opernhaus von Monte-Carlo, in Italien setzte sich die italienische Fassung durch, nicht jedoch in Martina Franca, wo man immer Wert auf die Originalfassungen legt. Von der Aufführung gibt es nicht nur die hier besprochene CD von Dynamic, sondern auch eine DVD. Auf der kann man sehen, warum es insbesondere im zweiten Akt so viel Getrampel auf der Bühne gibt. (Und im Gesamteindruck nimmt sich dies nichts mit der anderen Live-Einspielung – eine ausgesungene Katia Ricciarelli – des Werkes bei Kicco. G. H.)

Das Werk spielt im verismotypischen Kreis kleiner Leute, eines Brüderpaars, das von einem Landbesitzer aufgenommen und zusammen mit dessen ebenfalls verwaister Nichte aufgezogen wurde. Der attraktivere der beiden Brüder, Rinaldo, wird vom Ziehvater verstoßen, den eher unscheinbaren, Giorgio, will dieser mit der Nichte Amica verheiraten, weil seine Geliebte, Magelone, in dem schönen Mädchen eine Rivalin um die Herrschaft über den Haushalt  sieht. Amica liebt jedoch heimlich Rinaldo, der pünktlich erscheint, um die Hochzeit zu verhindern und mit Amica in die piemontesischen Berge zu fliehen. Giorgio verfolgt rachsüchtig die beiden, und erst beim Aufeinandertreffen erkennen die beiden Brüder entsetzt, dass sie zu Rivalen geworden sind. Rinaldo will als der Stärkere auf Amica verzichten, weil er erkennt, dass der Bruder ohne sie nicht leben kann. Amica folgt verzweifelt dem Fliehenden und stürzt in einen Abgrund.

Inzwischen vergriffen: die „andere“ Einspielung der „Amica“ von Mascagni aus Budapest bei Kicco

Insbesondere das sinfonische Zwischenspiel mit seinem Vorausahnen der Tragödie zeigt in der Behandlung des Orchesters wagnerverwandte Züge. Die Gesangspartien sind anspruchsvoll, Amica könnte in dieser Hinsicht eine Schwester der Santuzza sein und wird hier von Anna Malavasi gesungen, die einen vollmundigen Mezzosopran mit allerdings recht spitzer Höhe für die Partie einsetzt und die sehr angenehm geschmeidig in den zärtlichen Momenten klingt. Ihre weitere Karriere führte kaum über Maddalenen und Suzukis hinaus, aber hier erscheint die Stimme als sehr vielversprechend. Ausnahmsweise ist einmal der Bariton der Sieger im Kampf um die Liebe der Heldin, und angesichts des virilen, dunkel getönten beinahe schon Bassbaritons von Pierluigi Dilengite kann man das nachvollziehen, umso mehr als der Tenor David Sotgiu nur über eine helle, in der Höhe enge Tenorstimme für den Giorgio verfügt, allerdings im Duett mit Amica eine ansprechende Mittellage vorweisen kann. Einen brüchigen, flachen Bariton setzt Marcello Rosiello für den Camoine ein, kaum auf sich aufmerksam machen kann Francesca De Giorgi mit der Magelone. Der eigentliche Star der Aufführung ist der Bratislava Chamber Choir, nicht immer im Einklang mit den Sängern befindet sich das Orchestra Internazionale d’Italia unter Manlio Benzi. Mit drei wirklich  hervorragenden Solisten könnte mit diesem Werk ein atemberaubender Opernabend gestaltet werden (Dynamic CD 574). Ingrid Wanja