Sanfte Triller

 

Metastasios Libretto Catone in Utica kennt der Opernfreund durch Vivaldis Vertonung, die in einer Einspielung mit Alan Curtis bei naïve vorliegt. Das Dramma per musica wurde 1737 am Teatro dell’Academica Filarmonica di Verona uraufgeführt. Neun Jahre früher erlebte die Version von Leonardo Vinci als Tragedia per musica in Rom ihre Premiere. Das Stück behandelt Ereignisse um Politik, Liebe und familiäre Verstrickungen zwischen Cäsar und Cato, einem ehemals republikanischen Senator, der nach Numidien, dem heutigen Tunesien, geflohen war. Die Hauptstadt Utica wird von Cäsar belagert; Cato will seine Tochter Marzia mit einem Freund, Prinz Arbace, vermählen. Sie jedoch liebt Cäsar, was zu ihrer Verbannung durch den Vater führt. Ein paralleler Handlungsstrang betrifft Emilia, Witwe des Pompeo, die Rache für ihren ermordeten Gatten fordert und sich dafür der Hilfe von Cäsars General Fulvio, der sie begehrt, bedient.

Decca bringt die Oper in Zusammenarbeit mit Parnassus Arts Productions als Weltersteinspielung auf drei CDs heraus (478 8194). Die Firma hofft, damit an den Sensationserfolg von Vincis Artaserse anknüpfen zu können, den Virgin 2012 als CD-Gesamtaufnahme und Erato als DVD-Mitschnitt einer Inszenierung in Nancy veröffentlicht haben. Eine Sensation war die Besetzung mit fünf Countertenören bzw. Sopranisten, womit an die Uraufführung erinnert wurde, in der Kastraten diese Rollen interpretierten, da Frauen von den Bühnen Roms verbannt waren. Fast identisch damit ist nun auch der Besetzungszettel von Vincis Catone mit diesmal vier Vertretern dieser Stimmgattung, ergänzt um zwei Tenöre. Einer davon ist der Spanier Juan Sancho in der Titelrolle, der bereits im Artaserse in Nancy mitgewirkt hatte, der andere der Österreicher Martin Mitterrutzner als römischer Gesandter Fulvio.

Beide Tenöre sind stilistisch exzellent und erfreuen mit  klangvollen Stimmen. Sancho verfügt für die Titelrolle über die nötige Attacke und Koloraturgeläufigkeit à la Idomeneo. Gleich die erste Arie verlangt ihm Töne in der Extremhöhe ab, die zweite in der Art einer aria di caccia lässt ihn viril auftrumpfen und mit virtuosen Koloraturgirlanden glänzen. Ein Glanzstück ist „Dovea  svenarti“ gegen Ende des 2. Aktes, wenn er den rasenden Zorn über seine ungehorsame Tochter mit geradezu explodierenden Affekten ausdrückt. Der junge Österreicher, bei den Salzburger Festspielen 2013 als Ferrando erfolgreich, überzeugt als Fulvio mit weichem, schmeichelndem Tenor in vorwiegend lyrischen Arien, kann aber zu Beginn des 3. Aktes bei „La fronda“ auch mit männlicher Energie auftrumpfen und mit mühelosen Koloraturläufen imponieren.

Die Idee zu diesem Projekt ist einmal mehr Max Emanuel Cencic mit seiner Agentur und CD-Firma Parnassus Arts Productions zu danken. Er selbst singt den Arbace, Catones Freund und Liebhaber von dessen Tochter Marzia. Die Stimme klingt ausgeglichen und gerundet, betört in den wiegenden, zärtlichen Nummern, hat aber im „Combattuta da tante vicende“ des 3. Aktes auch Gelegenheit, mit erregtem Duktus die seelische Verwirrung der Figur plastisch zu umreißen.

Valer Sabadus, der schon im Artaserse in einer weiblichen Rolle zu erleben war, gibt die Marzia und becirct erneut mit seinem kosenden Timbre, dem Liebreiz und kokett-verspielten Ausdruck, den virtuos getupften staccati, dem auch in der Extremlage mühelos jubilierenden Ton. Mit seiner weichen, zärtlichen Stimme hat er keinerlei Probleme, eine weibliche Rolle zu gestalten. Dennoch bekommt er im 3. Akt – bei „Confusa, smarrita“ – die Möglichkeit, einen Zustand höchster Erregung gesanglich impulsiv umzusetzen, was ihm bravourös gelingt. Neu in Cencic’Countergemeinde ist der Südkoreaner Vince Yi, der mit seiner Sopran-Tessitura und dem kindlichen Klang der Stimme die Emila glaubhaft darstellt. Aus den zärtlichen, sehnsuchtsvollen, lieblichen Arien sticht „O nel sen di qualche stella“ durch den beherzten vokalen Zugriff heraus. Und dann ist Franco Fagioli als Cesare, der schon in seiner ersten Arie, „Nell’ardire che il seno“, mit schmeichelndem Klang  und berückenden Trillern entzückt, in „Chi un dolce amor“ mit sanft wiegendem Ton  verzaubert. Bei „Soffre talor del vento“, einer im Barock typischen Arie mit den Sinnbildern von Meer und Sturm, kommt schließlich der Moment, wo Fagioli mit seiner unvergleichlichen Bravour und Emphase brillieren kann. Virtuose Koloraturläufe in halsbrecherischem Tempo, effektvoll eingesetzte Extremtöne in der Höhe wie Tiefe, zauberhaft getippt staccati und schier endlose legato-Bögen – der Sänger bestätigt erneut seinen Ausnahmerang unter den Vertretern seines Fachs. Im 2. Akt kann er das bei „Se in campo“, einer von Fanfarengeschmetter eingeleiteten aria di battaglia, nochmals unterstreichen durch den erregten Ausdruck, die flamboyanten Koloraturattacken – wahrhaft eine tour de force des barocken Ziergesangs.

Vincis Musik bietet vor allem im letzten Akt Arien von dramatischer Vehemenz, sorgt kurz vor Schluss mit dem Quartett der vier Hauptpersonen „Deh! in vita ti serba“ noch für eine ungewöhnliche Nummer, welche die gänzlich überraschende Scena ultima als Recitativo accompagnato noch toppt. Unspektakulärer verklingt wohl kein zweites Werk der Gattung. Riccardo Minasi lässt es mit dem Ensemble Il Pomo d’Oro dennoch in aller Pracht erklingen. Mit seinen rhythmisch markanten Einleitungen der Arien gibt er den Sängern eine inspirierende Vorgabe, sorgt aber auch in den wenigen instrumentalen Teilen – so der mit Donnerschlägen vehement einsetzenden dreiteiligen Sinfonia – für packende Wirkung. Bernd Hoppe

Leonardo Vinci: Catone in Utica (Sancho, Fagioli, Cencic, Sabadus, Yi, Mitterrutznerr; Il Pomo d’Oro, Riccardo Minasi)  3 CD Decca 478 8194