Dokument aus Göttingen

 

Händels Arminio aus dem Jahre 1737 stand auf dem Programm der letztjährigen Händelfestspiele Götttingen. Den Mitschnitt aus dem Deutschen Theater unter Leitung von Laurence Cummings am Pult des FestspielOrchester Göttingen hat ACCENT auf drei CDs herausgebracht (ACC 2609). Die Ausgabe folgt den Produktionen von Alan Curtis bei Virgin und George Petrou bei Decca.

Das Stück basiert auf historischen Tatsachen, nämlich der Niederlage von Varus gegen Hermann in der Schlacht im Teutoburger Wald im Jahre 9 n. Chr. Das Libretto nach  Antonio Salvi behandelt allerdings mehr die persönlichen Konflikte von Varo und seiner Liebe zu Tusnelda, die Inhaftierung Arminios durch Segeste und schließlich beider Versöhnung.

Für die Uraufführung am 12. Januar 1737 stand Händel eine attraktive Besetzung zur Verfügung mit den Kastraten Domenico Annibali als Titelheld und Gioacchino Conti als Sigismondo sowie der Sopranistin Anna Strada als Tusnelda. In Göttingen singt der amerikanische Countertenor Christopher Lowrey den Etruskerfürsten Arminio. Seine Gattin Tusnelda ist die Sopranistin Anna Devin. Beide eröffnen den 1. Akt mit einem Duett („Il fuggir“), in welchem sich die Stimmen gut verblenden. Und sie finden sich auch am Ende der Oper noch einmal im Duett zusammen („Ritorna nel core“), das den glücklichen Ausgang preist. Die Sopranistin lässt in ihrem ersten Solo („Scagliano amore“)  eine in der Höhe limitierte Stimme hören, der zudem ein starkes Vibrato eigen ist. Danach folgt der Counter mit seinem ersten solistischen Auftritt („Al par della mia sorte“), der einen gemischten Eindruck hinterlässt. Die Stimme klingt larmoyant und im unteren Register schwach, was auch seine zweite Arie („Duri lacci“) bestätigt. In der nachfolgenden („Sì, cadrò“) kann er mit bravourösen Koloraturläufen und vehementem Aplomb imponieren. Störend sind hier die lauten Bühnengeräusche. Berührend gestaltet er das Solo im 2. Akt („Vado a morir“) mit entrückten Tönen, die den Tod ahnen lassen.  Mit reicher Klangfülle und auch mehr Substanz in der Tiefe überrascht er in der Arie des 3. Aktes („Fatto scorta al sentier“).

In ihrer zweiten Arie („E’ vil segno“) überzeugt auch Devin mehr mit innigem, beseeltem Gesang. Mit leuchtenden, verinnerlichten Tönen nimmt sie bei „Rendimi il dolce sposo“ am  Ende des 2. Aktes für sich ein. Entschlossen geht sie „Va’, combatti“ im 3. Akt an, lässt aber grelle Spitzentöne hören. Die Altistin Helena Rasker singt Arminios Schwester Ramise, die von Sigismondo geliebt wird. Sophie Junker leiht ihm ihren Sopran, kann aber einen jungen Helden nicht imaginieren – zu leichtgewichtig klingt die Stimme. In ihrer Arie „Posso morir“, die den 1. Akt beendet und ein Wechselbad darstellt mit introvertiertem Gefühl und furiosem Ausbruch, versucht sie ein größeres Ausdrucksspektrum. Rasker mit ihrem energischen, dunklen Ton könnte man sich eher in einer Hosenrolle vorstellen. Ihr beherzter Vortrag und das interessante Timbre erfreuen sehr. Und sie füllt auch eine so liebliche Arie wie „Niente spero“ voll aus. Reizvoll ist ihr Duett mit Tusnelda in wiegendem Rhythmus („Quando più minaccia“) und es ist auch ein musikalisch besonders gelungener Moment. Dazu zählt auch die Arie im 3. Akt („Voglio seguir“) in ihrem kraftvoll-resoluten Duktus.

Die Besetzung ergänzen der römische General Varo (Paul Hopwood mit charaktervollem, in der exponierten Lage bemühtem Tenor), der römische Volkstribun Tullio (der Counter Owen Willetts mit zittrigem Vibrato) und der Verbündete Varos Segeste (Cody Quattlebaum mit verquollenem und in der Höhe gequältem Bassbariton als schwächstes Glied der Besetzung).

Solide ist die orchestrale Leistung, wenngleich man sich gelegentlich einen strafferen, energischeren Zugriff mit mehr Affekten wünschte. Das Klangbild ist gepflegt, entbehrt aber zuweilen der Spannung. Bernd Hoppe