Barocke Schätze aus Versailles

 

In der Serie Château de Versailles erschienen zwei Werke des französischen Barock – Lullys Tragédie en musique Cadmus et Hermione von 1673 (aufgenommen im November 2019) und Rameaus Opéra-ballet Les Indes Galantes von 1761 (aufgenommen im November 2019 und Juni 2020).

Erstere Einspielung (auf zwei CDs/CVS037) wird geleitet von Vincent Dumestre am Pult des Orchestre du Poème Harmonique, das er 1998 gegründet hatte. Lullys Musik vereint Chöre, Tänze, Symphonien, Märsche und Fanfaren in einem steten Wechsel von Galanterie und Wucht. Obwohl im Stil einer tragédie komponiert, verzichtete Lully nicht auf komische, aus der comédie-ballet übernommene Elemente. Diese sind den Nebenfiguren vorbehalten – Hermiones Vertrauten Charite und Aglante sowie Arbas, dem Diener des Cadmus. Dumestre vereint diese unterschiedlichen Aspekte zu einem effektvollen Klangkosmos.

Lully hatte das Libretto dem bekannten Tragödiendichter Philippe Quinault anvertraut, der der eigentlichen Handlung gemäß der Tradition einen dem König gewidmeten Prologue vorangestellt hatte. Hier treten Nymphen und Hirten auf, deren Spiele vom Neid gestört werden, der die gewaltige Schlange Python herbei ruft, die jedoch schnell vom Licht der Sonne niedergestreckt wird. Danach folgt die Liebesgeschichte zwischen dem Prinzen Cadmus, der die Stadt Theben gründete, und Hermione, Tochter von Mars und Venus, die nach vielen Heldentaten des Cadmus im 5. Akt mit beider prachtvoller Hochzeit endet.

Die männliche Titelrolle singt der Bariton Thomas Dolié mit warmer, resonanzreicher Stimme. Cadmus’ ergreifender Abschied im 2. Akt, „Je vais partir, belle Hermione“, stellt eines von Lullys schönsten Rezitativen dar und der Sänger gestaltet es so bewegend, dass es zu einem Höhepunkt des gesamten Werkes wird. Auch die vielen schmerzlichen Szenen angesichts des vermeintlichen Verlustes von Hermione formt der Sänger derart verinnerlicht, dass diese zutiefst bewegen. Seinen Diener Arbas singt Lisandro Abadie mit munterer Tongebung. Adéle Charvet ist die Hermione, deren lieblicher, von Flöten umspielter Auftritt („Cet aimable séjour“) von der Sopranistin mit leuchtender Stimme delikat ausgebreitet wird. Im Dialog mit Cadmus und ihrem nachfolgenden Solo „Amour“ im 2. Akt berührt sie mit verinnerlichtem Vortrag. Auch Marine Lafdal-Franc als Aglante und Eva Zaïcik als Charite verfügen über angenehme Sopranstimmen.

Im Prologue hat der Charaktertenor Benoit-Joseph Meier einen effektvollen, von Windmaschinen untermalten Auftritt als L’Envie. Der Counter Nicholas Scott ist als Dieu Châmpetre zu hören, später gibt er Hermiones Nourrice, die schon in der Premiere von einem Haute-Contre interpretiert wurde, mit charaktervoller Zeichnung. Der Bassist Guilhem Worms als Le Grand Sacrificateur hat einen spektakulären Auftritt im 3. Akt, begleitet von pompösem Marsch und machtvollem Chorgesang (Ensemble Aeses, einstudiert von Mathieu Romano). Zu nennen sind noch Brenda Poupard als energische Junon und anmutiger Amour sowie Virgile Ancely mit resolutem Bassbariton als Draco und Mars.  (Rez. 3. 8. 2021)

 

Mehr als 60 Jahre nach Lullys Werk,1735, kam das von Rameau zur Premiere – die vorliegende Einspielung unter dem jungen Dirigenten Valentin Tournet am Pult des Ensembles La Chapelle Harmonique auf zwei CDs (CVS031) nutzt jedoch die Fassung von 1761, die noch zu Lebzeiten des Komponisten entstand. Mit Les Indes Galantes erneuerte der Komponist das Genre Opéra-ballet, indem er exotische Völker und deren Liebeskonflikte auf die Bühne brachte. Gezeigt werden in drei Entrées ein großmütiger Türke, Inkas in Peru und tanzende Wilde in Louisiana. Wie üblich in diesem Genre gibt es einen Prologue, der junge Liebende aus vier Nationen Europas zeigt. Der Kontinent will auf den Frieden verzichten, um der Kriegsgöttin Bellone, Schwester des Gottes Mars, zu folgen. Mit einer pompösen Ouverture beginnt das Werk in feierlicher Manier. Auch die Tänze (Airs pour deux Polonais, Menuets pour la suite d’Hébé) sind von gewichtiger Substanz. Die tragenden Figuren sind die Göttin der Jugend Hébé (Ana Quintans mit leuchtendem Sopran von bohrender Intensität), die Kriegsgöttin Bellone (überraschend der Bassist Edwin Crossley-Mercer mit auftrumpfender stimmlicher Gebärde) und L’Amour (Julie Roset mit munterem Sopran).

Das Entrée I, „Les Incas du Pérou“, handelt von der peruanischen Prinzessin Phani und dem spanischen Offizier Don Carlos, die ineinander verliebt sind. Auch der Sonnenpriester Huascar liebt Phani und löst ein Erdbeben aus, weil die Prinzessin sich ihm verweigert, begeht schließlich Selbstmord ob seiner Chancenlosigkeit. Höhepunkt dieses Teiles ist die feierliche Adoration du Soleil (Sonnenanbetung), aber auch das entfesselte Tremblement de terre ist von starker Wirkung.

Das Entrée II, „Le Turc généreux“, macht mit Émilie, Sklavin des Großvisirs Osman, bekannt, die von ihm begehrt wird, ihrerseits aber ihrem Geliebten Valère treu bleibt. Als Osman die Liebenden überrascht, verzeiht er ihnen großmütig. In den lebhaften Tänzen für die amerikanischen Sklaven nutzte Rameau exotische Motive, Höhepunkt ist aber die Sturmszene.

Das Entrée III, „Les Sauvages“, eingeführt bei der ersten Wiederaufnahme des Werkes 1736, führt in die Wälder Amerikas, wo in einer Zeremonie der Bund der Indianerin Zima mit Adario. dem Truppenanführer der wilden Nation, gefeiert wird. Dieser hat zwei andere Bewerber besiegt – den Franzosen Damon und den Spanier Don Alvar. In diesem Teil ragen der rhythmisch reizvolle Tanz der Sauvages (Wilden) und die abschließende Chaconne als Höhepunkte heraus.

In der Besetzung finden sich mit Emmanuelle de Negri und Mathias Vidal zwei renommierte Interpreten des französischen Barockrepertoires. Die Sopranistin singt zuerst die Phani und bezaubert in deren Auftritts-Air „Viens Hymen“ mit lieblichen Tönen. Im Entrée II ist sie die Émilie und klingt hier zunächst verschattet und melancholisch. Dann aber fährt sie die Stimme in einer Sturmszene („Vaste emptrs de mers“), wo auch der Choeur einen großen Moment hat, mächtig auf. In der Ariette „Régnez, Amour“ besticht sie mit Jubeltönen.

Der Tenor ist mit klangvoller Stimme und fabelhafter Diktion als Valère, Don Carlos und Damon zu hören. In Valères Air „Hâtez-vous de vous embarquer“ beeindruckt er mit ungestümer Tongebung, in Damons „La terre, les cieux“ und „Les époux les plus soupçonneux“ mit  Verve und beherzten Spitzentönen. Mit dieser Partie singt er sich souverän an die Spitze der Besetzung.

Ana Quintans, die schon im Prologue als Hébé zu hören war, singt die Zima mit Kultur. Besonders in ihrer prunkvollen Ariette vor dem Finale, „Régnez, plaisirs et jeux“, entfaltet sie vokalen Zauber.

Alexandre Duhamel ist der Huascar mit profundem, zuweilen auch dröhnendem Bass, der in seinem Air „Obéissons sans balancer“ prahlerisch auftrumpft. In „Clair flambeau du monde“ ist er zurückhaltender und mehr um Linie bemüht.

Edwin Crossley-Mercer als Don Alvar und der lyrische Bariton Guillaume Andrieux als Osman sowie Adario komplettieren die Besetzung. Letzterer interpretiert Adarios Air „Rivaux de mes exploits“ mit nobler Linie. Valentin Tournet, der die Musik in ihrer erhabenen Größe grandios entfaltet hat, ist es vorbehalten, mit der pompösen Chaconne im Finale noch einen Höhepunkt zu setzen. Die beiden Aufnahmen bieten einen aufschlussreichen Vergleich über das Schaffen der beiden französischen Großmeister des Barock (Rez. 3. 8. 2021). Bernd Hoppe