Gut gemeint, aber…

 

Die schönsten, die berühmtesten, die beliebtesten, die bekanntesten, die größten… Seit es Schallplatten gibt, werden Opernchöre aufgenommen und unter immer wechselnden Markenzeichen auf den Markt gebracht. Mal kommt nur ein Chorensemble zum Einsatz, mal werden mehrere zusammengewürfelt. Chöre gehen immer. Mindestens einen kennt jeder – wenn nicht den so genannten Gefangenenchor aus Nabucco, dann den Jägerchor aus dem Freischütz. Profil Edition Günter Hänssler hat vorsorglich beide im Angebot einer Zusammenstellung in der Reihe aus der Semperoper Dresden. Die neue Edition ist dem Sächsischen Staatsopernchor gewidmet (4 CD PH17031). Und das hat seinen Grund. Der Chor beging am 8. Oktober 2017 seinen 200. Geburtstag. Er wurde von Carl Maria von Weber ins Leben gerufen, der 1817 zum Königlichen Kapellmeister und Direktor der deutschen Oper bestellt wurde. Den „Endzweck“ seines Lebens soll Weber darin gesehen haben, die deutsche der damals vorherrschenden italienischen Oper gleichzustellen.

Das größte Problem, mit dem er sich konfrontiert sah, war der grundsätzliche Mangel an deutschen Opern. Bis zum eigenen bahnbrechenden Freischütz und den Werken Wagners, in denen Chöre auch Handlungsträger waren, würde noch einige Zeit verstreichen. Für Weber sollten Choristen – wie es damals hieß – ebenso singend und darstellend agieren wie die Solisten. Nachwuchs wollte er beim Kreuzchor gewinnen, der sich diesem Ansinnen allerdings verschloss. Ob er geeignete Knaben selbst in Opernaufführungen einbeziehen wollte, ist nicht belegt. Im ausführlichen, reich bebilderten Booklet wird die Geschichte des Chores bis in die Gegenwart von Michael Ernst ausführlich und sehr lebendig dokumentiert. Als Motto wird Weber selbst zitiert: „Ein stehender Theaterchor wird insofern von großem Gewinne sein, dass ersten durch die gehörige Anleitung und stetes Üben ein Ensemble-Spiel hervorgebracht wird, das der größten Wirkung fähig ist und zweitens und hauptsächlich, dass auch hieraus eine förmliche Pflanzschule entspringt, deren hervorstechende Talente man weiter befördert und bildet.“

Insgesamt vier CDs umfasst die gut gemeinte Aufbereitung. Und die wollen auch bestückt sein. Natürlich waren ausschließlich Aufnahmen aus Dresden zu berücksichtigen. Die Archive sind gut gefüllt. Aber es sind auch sehr viele Titel seit Jahren in Umlauf. Insofern hat die Edition keine wirklichen Überraschungen zu bieten. Sie versucht sich in einer, dem Anlass würdigen Zusammenfassung, bei der auch auf Werke zurückgegriffen wird, die schon komplett bei Hänssler erschienen sind wie Wagners Liebesmahl der Apostel, Janáceks Katja Kabanowa, Dvoráks Rusalka, Weinbergers Schwanda, der Dudelsackpfeifer oder Beethovens Fidelio (mit „Erlfride Trotschel“ als Marzelline – die arme Trötschel, womit hat sie das verdient, wo sie doch sonst bei Hänssler in hohen Ehren steht?) Sammler haben natürlich auch die in Dresden entstandenen historischen Gesamtaufnahmen von Don Giovanni, Fra Diavolo, Corregidor, Freischütz und Luisa Miller – allesamt unter Karl Elmendorff – im Schrank, die über die Jahre bei wechselnden Labels auf den Markt gelangt sind. Das gilt auch für viele der einzelnen Nummern mit Chorbegleitung. Erfreuliche Ausnahmen sind beispielsweise die Ausschnitte aus der Zaubergeige von Egk in einer Produktion des DDR-Rundfunks unter Rudolf Neuhaus von 1965 und aus Webers Abu Hassan von 1971 unter Heinz Rögner mit Peter Schreier und Theo Adam, die in einer Edition aus Dresden nicht fehlen dürfen. Der Chor kann seine Qualitäten auch außerhalb der Oper in Auszügen aus der 9. Sinfonie von Beethoven (Karl Böhm), dem Te Deum von Neumann (Herbert Blomstedt), der 2. Sinfonie von Mahler (Bernard Haitink), der Dante-Sinfonie von Liszt (Giuseppe Sinopoli) oder aus dem Te Deum von Berlioz (Colin Davis) zur Geltung bringen. Dabei stört mehr noch als bei den Opern die Reduzierung auf mehr oder weniger kurze Momente, die den Gesamteindruck schuldig bleiben.

In der berühmten Finalszene des Färbers Barak (Josef Herrmann) des ersten Aufzugs der Frau ohne Schatten von Richard Strauss von 1942 unter Karl Böhm besteht der Chor aus den Wächtern, die hier offenbar solistisch verstärkt wurden. Auch diese Szene ist oft publiziert worden, diesmal aber haben sich die Tontechniker derart vertan, dass sie kaum anhörbar ist. Solche Bearbeitungen gehören nicht veröffentlicht! Neugierig auf mehr macht mit einer Minute und 34 Sekunden der Auftritt der Daphne (Gudrun Wüstemann) aus der gleichnamigen Oper von Strauss. Sie ist auch übersteuert, endet sehr abrupt, lässt aber einen interessanten Mitschnitt erahnen. Sammler wissen, dass er sich komplett erhalten hat. Für Hänssler wäre diese Ausgrabung komplett gewiss lohnend. Rüdiger Winter