Dorme la mia diletta

 

Seltenes von Boccherini bei Naxos: Eine 2014/15 aufgenommene CD von Naxos (8.573958) versammelt  Kompositionen von Luigi Boccherini, darunter die 1. Fassung seines 1781 entstandenen Stabat Mater, G. 532 in der ungewöhnlichen Besetzung für Sopran und Streichquintett. Viele Meister haben die Anfangsworte „Stabat mater dolorosa“ des mittelalterlichen Reimgebetes vertont. Zu den bekanntesten Schöpfungen zählen die Versionen von A. Scarlatti, Vivaldi, Pergolesi, Rossini und Dvorák. Weniger populär ist Boccherinis Werk, das aus unbekanntem Anlass entstand, möglicherweise aber die Gattin des Komponisten, die Sopranistin Clementina Pelicho, bei der Uraufführung als Solistin sah. Die kammermusikalische Besetzung verleiht dem Stück einen intimen Charakter, dennoch finden sich in den elf Sätzen auch Passagen von Leidenschaft und Pathos. Der Solostimme werden Geläufigkeit und die Fähigkeit zur Improvisation von virtuosen Kadenzen abverlangt. Dominique Labelle ist eine renommierte Interpretin im barocken Repertoire und meistert diese Anforderungen Respekt gebietend. Ihre Wiedergabe muss sich mit der von Núria Real bei Coviello CLASSICS messen, die 2018 aufgenommen wurde. Labelle mit ihrem klaren, leuchtenden Sopran hält dem Vergleich Respekt gebietend stand. Im Eingangssatz und in „Quis est homo“ findet sie zu innigen Tönen der Trauer, in „Quae moerebat“ schwingt sich die Stimme zu Hoffnung auf. „Pro peccatis“ wird von jubelnden Koloraturen bestimmt, während das nachfolgende „Eja, mater“ ganz beseelt und verinnerlicht ertönt. Mit inbrünstigem Willen wird dann in „Tui nati“ formuliert, die Leiden mit Christie teilen zu wollen. Mit den feinsinnigen und überaus schlichten Wiedergaben des wiegenden „Virgo virginum“ und des tröstlichen „Fac ut portem“ nimmt Dominique Labelle besonders für sich ein. Der letzte Satz, „Quando corpus“, wird von verhaltenen Akkorden der Streicher untermalt und ist ein nachdenklicher Ausklang. Das Sarasa Ensemble, welches die Geigerin Elizabeth Blumenstock anführt, begleitet die Solistin sehr empfindsam.

Das Gemälde von Luigi Boccherini entstand 1765 und befindet sich in der National Gallery Melbourne/ Arcana

In der Programmfolge wird das sakrale Werk eingerahmt von einem Streichquartett und einem Streichquintett. Boccherini, seit seiner frühesten Jugend ein virtuoser Cellist, leistete kompositorisch in diesem Genre Enormes, komponierte nicht weniger als 90 Streichquartette, über 120 Streichquintette und sechs Streichsextette. Auf der CD erklingt zuerst das Streichquartett in G-Dur op. 52, Nr.3 aus dem Jahre 1795. Es wurde für den preußischen König Friedrich Wilhelm II. geschrieben, der ein anerkannter Cellist war. Auch Haydn, Mozart und Beethoven komponierten Kammermusik für ihn, doch zog der König Boccherinis Werke allen anderen vor. Die vier Sätze von op. 52, Nr. 3 bieten vielfältige Kontraste und reiche motivische Ideen.

Im Streichquintett in f-Moll op. 42, Nr. 1 am Ende der CD findet man musikalisches Material aus dem Stabat Mater wieder. Der erste Satz, Allegro moderato assai, stammt aus dem „Pro peccatis“ des Oratoriums. Das Adagio cantabile enthält die „Lacrimosa“-Melodie aus dem ersten Satz. Das Solo-Cello in diesem Teil hat früher Boccherini selbst gespielt, hier nimmt es Timothy Merton in souveräner Manier wahr. Bernd Hoppe

 

 Alessandro Scarlattis L’Assunzione della Beata Vergine: „Solche Zuneigung empfinde ich zu Signor Arcangelo, dass ich in der Leidenschaft für meine eigenen und seine Ziele keinen Unterschied mache.“ Doch der Kardinal war nicht nur ein Bewunderer Corellis, den er zusammen mit dessen Lebenspartner in seinem Kreis und Palast aufnahm, sondern ein eifriger Mäzen und Kunstförderer. Kardinal Pietro Ottoboni, Großneffe von Papst Alexander VIII., hat sie alle unterstützt und bezahlt: Händel und Caldara, Pasquini und Corelli, und auch Alessandro Scarlatti, der hauptsächlich zwischen Rom und Neapel pendelte, mit Abstechern in Venedig und Florenz, und sich 1703 bis 1708 in Rom aufhielt, Kapellmeister an Santa Maria Maggiore wurde und sich nach dem von Innozenz XII. ausgehenden Verbot von Theater- und Opernaufführungen vor allem der geistlichen Musik widmete. Auf der Suche nach verlorenen Perlen jener Epoche stieß der Countertenor und Orchesterleiter Matthieu Peyrègne in der Diözesanbibliothek Münster auf Scarlattis am 1. April 1703 im Oratorio dei  Fillipini di Sancti Cantici – in unmittelbarer Nähe von Santa Maria di Vallicella, wo 1600 Emilio de Cavalieris Rappresentazione di Anima e di Corpo erstmals erklungen war – uraufgeführtes Oratorium L’Assunzione della Beata Vergine, das seither nicht mehr gespielt wurde. Peyrègnes Aufführung mit dem Ensemble Baroque de Monaco ist die erste komplette Aufführung seit Scarlattis Tagen (paraty 118176).

Ottoboni förderte nicht nur, sondern betätigte sich auch selbst literarisch und verfasste zahlreiche Libretti zu Oratorien und Kantaten, so auch den Text zu Scarlatti Oratorium, in dem die Himmelfahrt Mariens als Dialog zwischen Sposa und Sposo und Amore und Eternità in 32 kurzen Abschnitten auf theatralische Weise geschildert wird. Keine Chöre, kein Quartette, nur Soli und Duette, wozu das gesamte Kompendium an Rezitativen, begleiteten Szenen, Bravourarien und langsamen Arien gehört, begleitet von Streichern und basso continuo, den Peyrègne instrumental abwechslungsvoll auffüllte und mit dem Ensemble Baroque de Monaco ebenso abwechslungsreich schattiert. Die zarte Melodik, die sensible Poesie und die durchaus barocke Dramatik spielen Peyrègne und seine beiden Sopranistinnen Béatrice Gobin und Aurora Pena sowie Mélodie Ruvio und er selbst in den Altpartien auf sehr inspirierte Weise aus. Rolf Fath

 

Louis-Nicolas Clérambault (1676-1749) kam aus einer Pariser Musikerfamilie, sein Leben spielte sich am linken Seine-Ufer ab. Er war Organist in Saint-Sulpice und Saint-Cyr und zu Lebzeiten für seine Motetten bekannt. Zwischen 1710 und 1725 komponierte er 25 französische Kantaten, die ein- oder zweistimmig oft mythologische Themen aufgreifen. Für heutige Hörer klingen sie wie exemplarische Kurzopern und Freunde der französischen Barockoper werden hier viel schöne Musik entdecken können. Der belgische Tenor Reinoud van Mechelen hat für die CD „Cantates françaises“ vier Kantaten ausgesucht, die von Liebe, Macht und Eifersucht erzählen. Bei „Apollon“ (1716) handelt es sich eigentlich um einen Lobgesang für den König, der durch Apollo dargestellt wird und einem klagenden Hirten Frieden verspricht. Einer langsamen, zärtlichen Eingangsarie, folgen der majestätische Auftritt und dann ein zuversichtliches Ende. „Le Jaloux“ (1710) ist quasi handlungsloser Affekt, lebendig und schnell interpretiert. In „L’amour, guéri par l’amour“ (1720) wird unglückliche Liebe durch eine neue Verliebtheit überwunden, „Pyrame et Thisbé“ (1713) ist eine kurze Tragédie lyrique, eine Tragödie als Mini-Oper. Reinoud van Mechelen ist für diesen Gesang eine ideale Wahl, ein kultivierter Tenor, elegant geführt, ein weiches Timbre, hingebungsvoll deklamierend und singend. Die vier Musiker (Cembalo, Violine, Viola da gamba und Flöte) des Ensembles A Nocte Temporis musizieren mit Emphase und einigen bemerkenswert konzertanten Momenten. Eine rundum gelungene Aufnahme, bei dem das Engagement der Künstler hör- und spürbar ist. (Alpha 356)

 

Im Zentrum der CD Dolorosa Partenza steht das Claviorganum, eine Kombination von Cembalo und Orgel-Positiv, die Bart Naessens – ein Experte für dieses Instrument – spielt und dabei die Effekt- und klangliche Bandbreite des Instruments in einer interessanten Zusammenstellung zur Geltung bringt. Die Charakteristiken der Einzelinstrumente bleiben beim Claviorganum erhalten, die Artikulationsmöglichkeiten gewinnen dazu, nur der Anschlag beim Cembalo ist verändert, das leichte bzw. geringfügige Anschlagen der Seite mit dem Plektrum ist nicht möglich. Um dies dem Zuhörer vorzuführen, hat Naessens drei instrumentale Stücke ausgesucht, ein anonymes „Ricercar“ und die anonyme „Aria di Fiorenza“ – beide aus Handschriften des 17. Jahrhunderts, die im römischen Archiv Doria Pamphilj aufbewahrt werden – sowie die wirbelnde „Toccata per cembalo d’Ottava stesa“ von Alessandro Scarlatti. Ansonsten steht Vokalmusik für Singstimme und Basso Continuo im Mittelpunkt, und zwar Werke, die Theatralik aufweisen. Die Orgel sorgt in den weltlichen Kantaten für gelegentlich sakral anmutende Passagen, deren Kirchenduft kurzzeitig etwas befremdlich wirken kann. Von Johann David Heinichen ertönt die Kantate  über unglückliche Liebe „Là, dove in grembo al colle“ mit einem vokal und instrumental hochvirtuosen „Auguletti“. Von Giovanni Felice Sances hört man die ausdrucksstark interpretierte Ostinato-Komposition „Usurpator tiranno“ mit affektreicher Ornamentik der Gesangsstimme und das unprätentiöse „I miei desir“. „Partenza“ von Antonio Caldara beschreibt den verzweifelten Abschied zweier Liebende, die titelgebende „Dolorosa Partenza“ stammt von Francesco Antonio Mamiliano Pistocchi und ist eine Kantate, die mit einem kummervolles Lamento beginnt  und mit Tränen und Todesgedanken endet. Die belgische Sopranistin Amaryllis Dieltiens trumpft mit schlanker, flexibler Stimme auf, stets am Ausdruck orientiert, souverän in den Koloraturen, klar im Timbre. (AE 10103)

 

Der aus einer venezianischen Patrizierfamilie stammende Benedetto Marcello (1686-1739) war nicht nur Komponist, sondern auch Advokat und im Dienste Venedigs, als dessen Gesandter er in Brescia starb. Sein umfangreiches künstlerisches Werk besteht u.a. aus Oratorien, Messen, Kantaten, Madrigalen, Konzerten und Sonaten sowie wenigen Bühnenwerken. Sein Name verblasste erst, als der eines anderen Venezianers aufstieg – Antonio Vivaldi gilt heute als der wichtigere Vertreter seiner Zeit. Marcellos zwischen 1724 und 1726 erschienener Estro poetico-armonico besteht aus vertonten Paraphrasen zu fünfzig Psalmen in einer freien italienischen Versübertragung; das Werk war nicht liturgisch gedacht, sondern als spirituelle Musik für Musikakademien und gehobene Kreise. Bei 48 der 50 Psalmen ist nur der Basso Continuo ausgearbeitet, für die Psalme 21 und 50 (in der Nummerierung des Estro poetico-armonico) sind auch zwei  Streicher vorgesehen. In der vorliegenden Aufnahme spielt der renommierte Bratschist Guido Balestracci eine historische siebensaitige Viola da gamba und leitet das Ensemble L’Amoroso, das weiterhin mit einer zweiten historischen Viola, Violone, Cello, Theorbe, Laute, Cembalo und Positivorgel besetzt ist. Als Einleitung spielt man zur Einstimmung Marcellos noble „Sonata a tré“ (op.2, Nr.2), es folgen vier Psalmen Nr. 14 und 38 für Sopran, Nr. 21 für Alt und die zweistimmige Nr. 27. Musikalisch gelingt bei dieser Aufnahme ein intimes, klangschönes Zusammenspiel, das nicht auf Affekte, sondern auf Poesie setzt und dessen rhetorische Sinngebung dem erbaulichen Zweck ohne Operntheatralik folgt und von zwei sehr guten Sängerinnen stimmschön dargeboten wird. Die Sopranistin Caroline Pelon übernimmt den heiteren Psalm Nr. 14 über den Weg des Aufrichtigen zum Glück sowie Nr. 38 über die VergänglichkeitDer Kontra-Alt von Mélodie Ruvio übernimmt den umfangreichen, fast dreißigminütigen Psalm Nr. 21, der im Zentrum der CD steht und durch seine Kontraste auffällt, die sich zwischen Pathetik, Demut, Läuterung und Zuversicht bewegen. Der Psalm Nr. 27 ist ein Anfechtungs- und Klagepsalm mit schönen Duetten. (Arcana, A441) Marcus Budwitius