„Wozzeck“ bei Naxos

 

Die erste offizielle Einspielung von Alban Bergs Wozzeck entstand 1951 in New York (ehemals CBS und nun Sony Classical MH2K 62759), die jüngste in Houston. Sie ist soeben bei Naxos erschienen (8.660390-91). Mitgeschnitten wurde sie bereits im März 2013. Von Anfang an wurde das Werk in den USA hoch geschätzt. Sechs Jahre nach der Berliner Uraufführung gelangte es 1931 unter der Leitung von Leopold Stokowski in Philadelphia zur amerikanischen Premiere. Kurz darauf reiste der Dirigent mit dem gesamten Ensemble nach New York, um dort das Publikum mit dem Werk bekannt zu machen. Unterdessen ist die Diskographie mit Audio- und Video-Produktionen erfreulich angewachsen. Von Zeit zu Zeit ist ein neuer Wozzeck fällig.

Diesmal singt Roman Trekel die Rolle, stimmlich bestens aufgelegt. Er hat den Wozzeck gründlich studiert und an der Mailänder Scala und an der Berliner Staatsoper gesungen. Wer also eine Partie so gut drauf hat wie er, besitzt die nötigen Reserven für die Gestaltung. Trekel übertreibt nichts und fällt niemals durch Sprechgesang aus der Rolle heraus. Sein Wozzeck wirkt – wenn sich das überhaupt so sagen lässt – auf eine gewisse Weise vornehm und elegant. Durch und durch Musik. Das bedrückende Porträt einer gequälten Kreatur, die nicht ein noch aus weiß und an sich und Verhältnissen, in die sie hineingestellt ist wie in einen Käfig, zugrunde gehen muss. Es besteht nicht der geringste Zweifel daran, dass Trekel seine Erfahrungen als Liedsänger bei dieser Aufgabe zugute kommen. Auch wenn es nicht immer so ist und so sein muss, die Titelpartie rückt auch durch Leistung und Vermögen des Sängers in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit.

Anne Schwanewilms gibt eine ehr mütterliche Marie. Das muss kein dramaturgischer Nachteil sein in diesem Stück. Allerdings vermag sie das Unglück der Figur nicht durchgehend glaubhaft machen. In der so genannten Bibelszene im zweiten Akt wächst sie schließlich doch noch in erschütternder Eindringlichkeit über sich hinaus. Für Margret ist Katherine Ciesinski aufgeboten, deren Karriere vor mehr als vierzig Jahren begann, was zu hören ist. Ich bin eine honette Person“, behauptet sie in der Szene auf der Straße an Marie gerichtet, die nach dem Tambourmajor Ausschau hält. Das ist nicht ohne Humor, denn sofort wird die Erinnerung an Kennedys „Ich bin ein Berliner“ vom 26. Juni 1963 vor dem Rathaus Schöneberg in Berlin wach. Der sprach den berühmten Satz im gleichen Duktus aus. Bis auf solche Kleinigkeiten ist an der Produktion idiomatisch nichts zu beanstanden.

Der gebürtige Kanadier Gordon Gietz, ein renommierter Loge und vor allem in Frankreich sehr erfolgreich, singt den Tambourmajor, der Amerikaner Marc Molomot, der international Erfahrungen mit Mozart, Händel und Monteverdi gesammelt hat, den Hauptmann. Nathan Berg, ebenfalls aus Kanada, den das Dresdner Publikum im vergangenen Jahr als Zoroastro in Händels Orlando, erlebt hat, gibt den Doktor. Am Pult des Orchesters Houston Symphony steht Hans Graf, der Österreicher, der viele Jahre in den USA gearbeitet hat. Er vermag es, große Spannungen aufzubauen – und zu entladen. Immer wieder lassen Details aufhorchen. Der Schluss erschüttert, weil er so lapidar ist.

Naxos lässt Live-Produktion wie Studioproduktionen erscheinen. Das ist Programm, so auch hier. Für eine konzertante Aufführung wirkt die Aufnahme erstaunlich dicht und atmosphärisch. Sie könnte glatt als klassische Aufführung in Kulissen durchgehen. Wenn denn nicht alle Nebengeräusche, die einen prallen Opernabend erst die richtige Würze geben, entfernt worden wären. Rüdiger Winter