Andalusisches

 

1904 schrieb die Real Academia de Bellas Artes de San Fernando in Madrid einen Preis für den besten spanischen Operneinakter aus. Gewonnen hat ihn, ebenso wie den gleichzeitige Klavierwettbewerb, im folgenden Jahr der 29jährige Manuel de Falla mit La vida breve (Das kurze Leben). Man darf das als die Geburtsstunde der spanischen Oper ansehen, obwohl man in Spanien noch fast zehn Jahre warten mussten, bis das etwa einstündige Stück 1914 in Madrid aufgeführt wurde. 1907 ging de Falla nach Paris („Gäbe es Paris nicht, so wäre ich in Madrid begraben geblieben“), wo er in den kommenden sieben Jahren durch die Begegnungen mit Debussy und Ravel, Dukas und Strawinsky und seinen Landsleuten Albéniz und Turina seinen Stil erweiterte, verfeinerte und bereicherte. In Frankreich, in Nizza, wurde La vida breve 1913 auch erstmals – in französischer Sprache – aufgeführt. Den Weg des 1876 in Cádiz geborenen Manuel de Falla, der über Paris und nach Beginn des ersten Weltkrieges wieder zurück in seine Heimat und bei Ausbruch des Spanischen Bürgerkriegs 1939 schließlich in die Emigration nach Argentinien führte, lässt sich auf einer fünf CDs umfassenden Sammlung seiner Werke, der Manuel de Falla Collection (Brillant Classics 96353) nachvollziehen.

Neben La vida breve von 1905 finden sich in der Collection die 1912 in Paris entstandenen, fest im internationalen Lied-Repertoire verankerten Siete Canciones Populares Españolas sowie seine drei nach der Rückkehr nach Spanien vollendeten Hauptwerke – die Gitanería El amor brujo (Der Liebeszauber) von 1915, die er später zu einem Ballett mit Gesang umarbeitete, das bereits in Paris begonnene Klavierkonzert Noches En Los Jardines de Espana (Nächte in spanischen Gärten) von 1916 und schließlich das Ballett El sombrero de tres picos (Der Dreispitz). 1920 ließ sich de Falla mit seiner Schwester in Granada nieder, schloss enge Freundschaft mit dem Dichter Federico García Lorca und bemühte sich gemeinsam mit diesem aus der Rückbesinnung auf spanische Traditionen, etwa durch die Förderung des andalusischen Gesangs Cante jondo, etwas Neues zu schaffen. Manche der ab 1920 entstandenen Kompositionen wirken wie aus einer anderen Welt, etwa seine Puppenoper nach Cervantes von 1923 El retablo de maese Pedro (Meister Pedros Puppenspiel), in der er dem Cembalo große Bedeutung schenkte und in der Folge sein Cembalokonzert komponierte (CD 3). Seine bereits Ende der 1920er Jahre begonnene Oper Atlantida war bei seinem Tod 1946 nicht vollendet; sie wurde von seinem Schüler Ernesto Halffter fertiggestellt.

Uns interessieren vor allem La vida breve, El Amor brujo und das Puppenspiel, alle 1993/94 von Eduardo Mato dirigiert und in Caracas mit dem Simon Bolivar Symphony Orchestra of Venezuela bzw. in Mexico City mit den Solistas de Mexico entstanden. Die Aufnahme des Klavierkonzerts stammt aus Berlin (CD 4), wo Günther Herbig 1981 das Berliner Sinfonieorchester dirigierte und seine Frau Jutta Czaski den Klavierpart übernahm. Die Klavierfassung des Dreispitz (CD 4) sowie die weiteren Klavierwerke (CD 5) wurde Anfang der 2000-er Jahren in den Niederlanden aufgenommen, wo u.a. Benita Meshulan die Cuatro Piezas Españolas sowie Timora Rosler und Klára Würtz die Suite Populaire Espagñole für Cello und Klavier aufnahmen. Der 1942 geborene Mexikaner Eduardo Mata, der 1995 bei einem Flugzeugabsturz tödlich verunglückte, kam Anfang der 1970er Jahre nach Europa, arbeitete häufig mit dem London Symphony Orchestra, brachte 1977 bis 1993 als Chefdirigent das Dallas Symphony Orchestra groß heraus und machte sich einen Namen durch zahlreiche Aufnahmen von Werken brasilianischer, französischer, mexikanischer und spanischer Komponisten.

Hauptfigur in dem zu Beginn des 20. Jahrhunderts in Granada spielenden Das kurze Leben (CD 2) ist Salud, die in Paco verliebt ist. Doch Paco wird ein reiches Mädchen aus seiner Schicht heiraten, da die Gitana Salud als Braut nicht in Frage kommt. Bei Pacos Hochzeit mit Carmela klagt Salud ihn an, sie verführt zu haben. Und bricht tot zusammen. Das klingt nach Cavalleria rusticana, doch bei de Falla ist alles recht dezent und nobel aus der andalusischen Musik entwickelt, nicht veristisch derb, sondern quasi stilisiert. Mata fängt in seiner klangtechnisch ausgezeichneten Aufnahme das feine Fluidum der Musik und die subtile Ausdruckskraft der in Kunstmusik verwandelten spanischen Folklore gut ein. „Star“ der Aufnahme ist die Kolumbianerin Marta Senn, die in den 1980 und 90er Jahren eine kleine internationale Karriere hatte und u.a. die Lola auf Semyon Bychkovs Cavalleria Rusticana-Aufnahme mit Jesse Norman sang. Senns trockener Mezzosopran klingt recht reizlos, was in diesem aparten Klangbild mit den heißeren Gesängen des Flamenco-Solisten (als weitere Solsiten sind der Mexikaner Fernando de La Mora als Paco und die Peruanerin Cecilia Angell als Großmutter genannt) und den chorischen Vokalisen im sinfonischen Zwischenspiel überhaupt nicht stört.  Auch der auf ein Libretto von Gregorio Martinez Sierra geschriebene Tanz-Einakter El Amor Brujo spielt in Granada, in einem Zigeunerlager, wo der Geist des toten Liebhabers der schönen Candelas gebannt und seine Macht gebrochen muss. Die Konkurrenz bei diesem Werk ist nicht unerheblich. Mata kann diesmal, trotz schöner Momente im „Danza del Terror“, nicht überzeugen. Mit wüst aufgerautem Mezzosopran übernimmt Marta Senn den Gesangspart in El Amor Brujo (CD 1) und in den Siete Canciones Populares Españolas in der Bearbeitung von Berio, die sie oberflächlich und unsauber singt. Interessant auf der ersten CD sind die verschiedenen Zeitgenossen gewidmeten Homenajas, vor allem die Pedrelliana für Filip Pedrell, bei dem de Falla ab 1901 in Madrid studiert hatte.

Zu den Werken der neoklassizistischen Phase gehören neben dem exquisiten für Wanda Landowska geschriebenen Konzert für Cembalo und fünf Soloinstrumente – quasi ein Gegenstück zu Janáčeks Concertino für Klavier – de Fallas Huldigung an Granada, die Kantate Psyché für Sopran, Flöte, Harfe, Violine, Viola und Violoncello als Rokokotraum von Philipp V. und seiner Gattin Isabella Farnese im Palast der Alhambra; beide runden das Kammerstück Meister Pedros Puppenspiel (CD 3) programmatisch geschickt ab. Die Solistin, die von der schönen Psyche singt, war Julianne Baird, den Cembalopart im Puppenspiel und im Cembalokonzert übernahm der Landowska-Schüler Rafael Puyana. Das von der Mäzenin Princesse Edmond de Polignac, in deren Salon auch Milhauds Malheurs d’ Orphée und Strawinskys Renard uraufgeführt wurden, in Auftrag gegebene, aber erst in Granada fertiggestellte Kammertheater Meister Pedros Puppenspiel ist eine reizvolle Verbindung aus Oper und Puppenspiel. Das Libretto zu diesem knapp halbstündigen „Theater auf dem Theater“ verfasste de Falla nach zwei Kapiteln aus dem Don Quixote, die von dem Ritter Don Gayferos und seiner Geliebten Melisendra handeln. Die Geschichte wird im Rahmen eines Puppenspiels von Meister Pedro und seinem jungen Assistenten Trujamán aufgeführt, dem auch Don Quixote und Sancho Pansa beiwohnen. Das Stück wurde szenisch im Salon der Princesse uraufgeführt, die Landowska hatte den Cembalopart übernommen. In der lebendigen Widergabe durch Mata mit den nicht solistisch genannten Solistas de México – vor allem der Don Quixote-Bariton singt die Cervantes-Huldigung mit schöner Überzeugungskraft – bleibt der experimentelle Charakter des Stückes erhalten.  Rolf Fath

  1. Peter

    Keine spanische Oper vor 1905?
    Das erstaunt mich aber. Habe mich mit der spanischen Oper noch nie auseinandergesetzt, aber Arrieto war doch bspw. ein spanischer Opernkomponist im 19. Jh. Hat er nie etwas in spanischer Sprache komponiert?
    Und was war die Jahrhunderte davor?

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