Back in the Limelight

Was für ein pralles Program findet sich auf der website der Operetta Archives von Nan und Michael D. Miller in Culver City. Die Broadway-Hits der frühen Jahre des letzten Jahrhunderts erklingen neu, wiedererweckt in verschiedenen Dokumenten in moderner Interpretation und fabelhafter Dokumentation. Für den Sammler und Liebhaber der Broadway-Szene ein Fest.Und ein wichtiges Stück Sozialgeschichte ist dies auch.

musicals operetta archive 4Das beginnt mit Back in the Limelight mit Piano Selections (Adam Aceto und Patrick Johnson; DA 1018) mit so wunderbaren Stücken wie „A lonely Romeo“ von Franklin und Hood Bowers, Half a King von Englander, „Song of the Flame“ (irre!) von Gershwin und Stothart und viele mehr. Piano Reductions, also Klavier-Reduktionen, waren ungemein beliebt und wurden in den Kneipen, den Bars und zu Hause am Klavier gespielt. Klavier-Arrangements der Hits sollte man vielleicht besser sagen. Die Bearbeitungen trugen entscheidend auch zur Verbreitung und zum Erfolg der Bühnenshows bei. Interessant sind bei dieser und anderen CDs der Serie für mich die Übergangskomponisten wie Ludwig Englander, der wie Victor Herbert aus Europa kam und die gut gelernte Wiener und andere Operette mitbrachte und sie dann modifizierte und ins Amerikanische übersetzte. Englander, hier mit Half a King vertreten, kam um 1880 nach New York und premierte bereits 1886 seinen Half a King – eine komische Oper über einen Bandenchef, der eine adoptierte Tochter an den Sohn eines französischen Grafen verheiraten und viel Geld kassieren will, damals ein großer Hit. Balfes Bohemian Girl grüßt. Die beiden erwähnten Herren am Klavier schaffen Flottes und Atmosphäre.

musicals operetta archive 3Mehr oder weniger das Gleiche, zumindest ähnlich, bietet Broadway tuned up, Orchestral selections aus frühen Bühnenmusicals, zum Teil dieselben Titel wie „A lonely Romeo“, nun mit der Band. Und da finden sich ab 1910 die uns bekannteren Namen wie Jerome Kern mit seinem „Nobody Home“ von 1915 oder „Head over Heels“ von 1918 (dto.). Aber eben auch von Louis Hirsch das flotte „O ´Brian Girl“ von 1921, „Oh my dear“ 1918, Rudolf Friml mit „The Blue Kitten“ von 1913 oder Manuel Klein mit „The Auto Race 1907“ – auch diese Übergangskomponisten aus Europa, die eine mehr oder weniger bedeutende Karriere in Amerikas Musikwelt machten. Neben dem sehr erfolgreichen Kern war es auch der Tscheche Robert Friml, der mit Rose-Marie bis heute überlebt hat. Sein erster großer Erfolg gelang ihm mit The Firefly von 1912. The Blue Kitten ist die muskalische Version des Stückes Le Chasseur de Chez Maxim´s von Mirande und Quinson, dessen Verarbeitung zu einem Bühnenstück Anstoß erregte (man war noch sehr prüde zu der Zeit), aber als musikalische Komödie von Friml einen enormen Erfolg hatte (OA 1923).

musicals operetta archive 1Fascinating Night (OA 1012) ist das erste von zwei Volumes mit Stücken aus den frühen Tagen des Musikalischen Unterhaltungs-Theaters und vereint, wieder, vieles Unbekanntes von Bekannten oder weniger Bekannten. Überraschend ist der Song „Argentine“ aus Caroline 1912 von Künneke in der Bearbeitung von Alfred Goodman, ein flotter Feger! Oder es gibt das köstliche „My Pirate Lad“y von Sigmund Romberg.  Oder „I like the boys“ aus Sybil von Victor Jacobi, einem ungarischen Komponisten, der damit einen Riesenhit landete. Überhaupt findet sich wieder diese Übergangszeit der Operette vom Alten Kontinent auf dem Wege zum Musical in den USA, die mit den Namen wie Paul Rubens, Aladar Rényi, Romberg, Leo Fall (The Lady in red), Fritz Kreisler (Apple Blossom, bis heute zumindest bekannt), Herman Darewski, Armand Vecsey und vielen anderen verbunden ist. Hier wie auch auf der zweiten CD dazu, City of Dreams (OA 1013), finden sich die europäischen Urgroßväter der späteren Dauerbrenner am Broadway. Ihre Namen sind weitgehend verschollen – Anselm Goetz, Jean Briquet, Jean Schwartz, Henry Bérenyi, Milton Schwarzwald und viele andere bilden mit ihren Kompositionen für New Yorks Theater Strip das Fundament einer sich immer stärker entwickelnden Unterhaltungsindustrie. Der Stummfilm lernte gerade laufen, und das Musiktheater mit den vielen billigen Sitzen war das Zentrum der Unterhaltung, nicht nur der Up-Town-Bürger und -Oberschicht, sondern auch der vielen Neuankömmlinge, die der neuen Sprache nicht oder nur wenig mächtig waren. Die oft auch derben, meist handslungsmäßig simpel gestrickten Musikshows überbrückten diesen Graben der mangelnden Verständigung. Einwanderer lebten in ethnischen Gruppen und Stadtteilen zusammen und kannten heimische Operetten und musikalische Unterhaltung oder auch Vaudeville von zu Hause. Die Übergangskompositionen ins populäre Schmissig-Musicalhafte bahnten sich allmählich ihren Weg und ließen die eher sentimentalen, konventionellen Operettenlieder hinter sich, aber das kam erst in den Zwanzigern.

musicals operetta archive 2Faszinierend finde ich auch die vielen Bearbeitungen. So etwa „Clo-Clo“ ganz frech nach Léhars Lustiger Witwe von 1925 in einer Bearbeitung von Graham und Furber oder „The last Rose of Summer“ aus The Cabaret Girl von Jerome Kern 1922, wo Populäres zu einem Hit wieder verarbeitet wird. Spannend. Die Präsentation dieser beiden letzteren CDs wird von Sänger-Solisten getragen. Auf Fascinating Night hört man Robin De Leon und Julie Wright, Sopran, sowie Peter Halverson, Bariton. City of Dreams wird von Robin Farnsley und Julie Wright sowie erneut von Peter Halvarson bestritten. In beiden Fällen begleitet Victoria Kirsch schmissig am Klavier und unterstützt diese hochinteressanten Ausgaben – die ja auch einen Blick auf die Ursprungsländer der eingewanderten Komponisten zulassen. Was diese hier vorgestellten CDs besonders auszeichnet sind die Artikel zu den Werken/Stücken von Michael Miller (in Broadway tuned up auch ein Aufsatz des Pianisten Adam Aceto), angereichert mit Posters der Uraufführungen. Vitale Details wie Lebensdaten und vor allem zu den Aufführungen selbst (Casts etc.) finden sich hier zu einem Kompendium über das frühe amerikanische Musiktheater zusammen, das der Alten Welt soviel verdankt und sich in der Neuen auf faszinierende Weise selbstständig und unabhägig macht. Was für ein Spaß!

Geerd Heinsen

(www.OperettaFoundation.org)

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