UNTERSCHÄTZTE HANDLUNGSTRÄGER

 


Eine Opernaufführung verdankt ihren Erfolg nicht den Rezitativen, eine kommerzielle CD-Aufnahme der besten Sprechgesänge wird es nicht geben. Schon im 17. Jahrhundert galt das Rezitativ als potenziell langweilig, als Handlungsträger ist es allerdings unerlässlich und Triebfeder des musikalischen Dramas. Wer heutzutage mediale Aufregungen und Pseudoskandale verfolgt, der könnte den Eindruck erhalten, dass das Modell Rezitativ plus Arie eine passende Grundlage für eine zeitgenössische politische Oper sein könnte, bei der die ariose Selbstdarstellung des Egos im Affekt überdeckt, was sich tatsächlich an Wahrheitsgehalt nebensächlich für die Mehrheit im Rezitativ versteckt. Zeit für eine Ehrenrettung.  Daniel Rilling studierte Musikwissenschaft, Kunstgeschichte und italienische Literaturwissenschaft an der Universität Heidelberg. 2012 begann er seine Dissertation über Händels Opernrezitative, die nun 2018 im be.bra.Wissenschaftsverlag unter dem Titel Die Rezitative in Händels Oper vorliegt. Betreut wurde diese Arbeit von der renommierten Professorin Silke Leopold. Betrachtet werden die kompositorischen Mittel bei der Vertonung der Librettos im Kontrast als auch im Zusammenspiel mit bereits bestehenden sprachlichen Akzentuierungen des Opern Textes. Die Analyse der musikalischen Interpretation erfolgt überdies vor dem Zusammenhang der Verortung im dramatischen Geschehen anhand dreier Elemente: Vers, Rhythmus und melodische Gestaltung. Die Kapitel handeln u.a. von versgebundener Rezitation und die Vertonung der Vers-Anfänge und der Vers-Enden, die Ausdeutung der Verse durch Enjambements und Zäsuren bzw. durch Rhythmisierung, Melodik und Harmonik hinsichtlich Frage- und Schlusskadenzen, Akkordbrechung, Tonleiter und Intervalle und die Verwendung entfernter Tonarten in Grenzsituationen sowie eine Betrachtung von Rezitativ und Szene im Kontext, bspw. bei Monologen, Dialogen und Schlussszenen. Rillings umfangreiche Dissertation bietet  Informationen und Analysen für Experten und Praktiker, 337 Notenbeispiele bei 367 Seiten Umfang verleihen dem Text musikalische Prägnanz. (ISBN 978 3954 102211) Marcus Budwitius