Sicher geleitet

 

Ergänzt, erweitert, überarbeitet haben Petra Dießner und Anselm Hartinger ihr 2005 in erster und nun 2020 in vierter Auflage beim Henschelverlag erschienenes Buch Spaziergänge durch das musikalische  Leipzig- Bach, Mendelssohn und Schumann, das neben den drei ganz großen Namen auch viele weniger bekannte, aber durchaus wichtige ins rechte Licht rückt. Sechs Spaziergänge durch Leipzig und Umgebung führend zu den Stätten, an denen die Komponisten und andere der Musik verbundene Menschen wirkten, dazu gibt es ein Kapitel über die Baugeschichte bedeutender Gebäude, in denen musikalisches Wirken stattfand oder noch zu erleben ist. Wichtige Ratschläge und Hinweise finden sich schließlich als zusätzliche Informationen für das Erleben einer Stadt, die chronologisch in das barocke, das gründerzeitlich und das moderne Leipzig gegliedert ist. Kartenskizzen und Leitsysteme sowie ein umfangreiches Register vervollständigen den handlichen Band, „Vertiefungstexte“ runden das Ganze sinnvoll ab.

Das erste Kapitel ist Johann Sebastian Bach gewidmet und exemplarisch für die weiteren gegliedert. Auf der Karte sind auch nicht mehr vorhandene Gebäude, die bereits vor dem Krieg abgerissen, in diesem zerstört oder trotz geringer Zerstörung von der DDR abgerissen wurden, eingezeichnet. Bilder dieser Bauwerke regen die Phantasie an und lassen den Betrachter des heutigen Leipzig etwas von der verloren gegangenen Vergangenheit erahnen. Auch Grundrisse oder Schilderungen der Lebensweise von Musikern vergangener Zeiten, Zitate und vor allem die reiche Bebilderung machen es dem Reisenden leicht, seine Phantasie anzuregen. So wird Bachs Leipzig erlebbar, nicht zuletzt durch die Zitate von Zeitzeugen oder die Berichte über Kuriositäten wie die falschen Orgeldarstellungen oder Diskussionen um Porträts des großen Komponisten, die zumeist nicht nach dem Leben gemalt worden sind. Einblicke werden in die Zwänge des gesellschaftlichen Lebens zur Bachzeit gewährt, und in diejenigen, die zum unermüdlichen Komponieren nötigten wie der allsonntägliche Gottesdienst oder Beerdigungen.

Der vierte Spaziergang trägt den Titel „Kein Platz für neue Töne?“ und widmet sich u.a. Richard Wagner, der als Sohn der Stadt nicht besonders beliebt war in Leipzig- warum, verrät das Buch überzeugend. Es geht um die Debatte um die Wiedererrichtung der  Paulinerkirche, die Ulbricht abreißen ließ, um Häuser, in denen musiziert wurde wie das des Vaters von Clara Wieck, um das typisch bürgerliche Leipziger Publikum und für die Musik wichtige Einrichtungen wie das Verlagshaus Breitkopf & Härtel oder die Bedeutung der Freimaurer für das musikalische Leben in Leipzig.

Im 5. Kapitel wird unter vielem anderem zu der Stelle geführt, an dem sich einst der bedeutende Musikalienladen Alfred Dörffel befand, auch das Zweite Gewandhaus, ebenfalls trotz relativ geringer Zerstörung in der DDR bewusst nicht wieder aufgebaut, anders als das davor stehende Denkmal Mendelssohn-Bartholdys, das die Nazis 1936 während eines Urlaubs des Bürgermeisters Carl Friedrich Goerdeler  abreißen ließen, worauf dieser zurücktrat, sich später den Widerstandskämpfern des 20 Juli anschloss und hingerichtet wurde, nachdem ihn ein „Blitzmädel“ auf seiner Flucht erkannt hatte. Das sechste Kapitel schließlich führt auch ins Umland, so zu einem Gut, auf dem die Schumanns und Wagner erholsame Tage verbrachten.

Ein besonderes Kapitel ist besonderen Bauwerken wie dem Bosehaus mit Bachmuseum, dem Mendelssohnhaus und dem Schumannhaus gewidmet. Wer sich dem musikalischen Stadtführer anvertraut, kann gewiss sein, dass er einen umfassenden, detaillierten Blick auf die Musikstadt Leipzig geworfen hat und dass er bereichert wieder abreisen kann. Gibt es gar nichts zu beanstanden? Doch- das Buch ist schlecht gebunden und verliert, selbst wenn man es sehr pfleglich behandelt, einzelne Blätter (128 Seiten, Verlag Henschel 2020; ISBN: 9783361005976). Ingrid Wanja