Bedenkliches in grossen Buchstaben

Ohne weiteres nachvollziehbar ist es, wenn ein Sänger, dessen glanzvolle Karriere mit der Musik  eines Komponisten, hier Richard Wagner, besonders eng verbunden war, sich von ausgerechnet auch noch zu einem Jubiläumsjahr erschienen Büchern herausgefordert sieht, deren Verfasser sich Kapitel aus dem Leben seines Idols herausfischen, die den Verehrten in einem schlechten Licht erscheinen lassen, ihn sogar zu verunglimpfen versuchen. René Kollo hat sich offensichtlich diese Veröffentlichungen so zu Herzen genommen, dass er selbst zur Feder gegriffen hat und als später Gratulant nicht nur das Werk seines Idols, dessen Bild er jeden Abend vor dem Schlafengehen einen Handkuss zuwirft, sondern auch dessen Lebenswandel von den Flecken zu reinigen, die er ihm zu Unrecht zugeordnet sieht. Vor allem geht es dabei um den nach Kollo angeblichen Antisemitismus, luxuriösen Lebenswandel und das Verhältnis Wagners zu den Frauen.

Damit begnügt sich der Autor jedoch nicht, sondern spannt auf gut 200 Seiten mit angenehm großen Buchstaben einen weiten Bogen über die Religionen aller Zeiten und Völker, übt Zeit- und Kulturkritik, wobei er besonders die deutsche Sucht des „kritischen Hinterfragens“ geißelt, und schlägt einen weiten Bogen von Homer über Jesus zu den Nibelungen und damit Wagner, der bekanntlich diese „Stoffe“ für seine Opern zumindest in Erwägung gezogen hatte. Ob die zahlreichen „ja“, „wohl doch“, „eigentlich“ dabei Zeichen der Unsicherheit darüber, ob seine Argumente tatsächlich stichhaltig sind, sei dahin gestellt, besser fühlt sich der Leser, wenn es um Handgreiflicheres geht wie um die Diskussion darüber, ob die Ansprache des Hans Sachs nationalistisch und damit verwerflich ist oder nicht. Kollo wehrt sich dabei gegen eine unhistorische Betrachtungsweise nicht nur hier, sondern auch bei der Frage, ob Wagner mitschuldig am Aufstieg Hitlers sei. Was den Sachs betrifft, hat er natürlich Recht, wenn er meint, man müsse die Ansprache unter der Berücksichtigung  der historischen Situation sehen, in der tatsächlich Fürsten aus vieler Herren Länder nach der Kaiserkrone und damit der deutschen Königswürde strebten und damit nicht zuletzt die Integrität der deutschen Kunst in Frage gestellt wurde.  Überzeugender würden seine Ausführungen sein, wenn sie nicht Ungenauigkeiten aufwiesen. So gab es keinen Friedrich III. in Preußen, wurden die Kaiser in Rom nicht nur gesalbt, sondern vor allem auch gekrönt, wenn eine Reise möglich war, sollte der Begriff „Genius Loci“ richtig verwendet werden. Auch geht aus der Oper Die Meistersinger von Nürnberg nicht hervor, dass Evchen Sachs heiraten muss, wenn Stolzing den Wettstreit verliert. Allzu unbekümmert streift der Autor durch Philosophie, Religion und Geschichte und gibt damit seinen eventuellen Gegnern, und davon wird es einige geben, unnötig scharfe Waffen in die Hand. Zitate werden an unpassender Stelle eingesetzt, so „The show must go on“ für die Aufführung des Parsifal an der Met, obwohl das Werk nur für Bayreuth gedacht war. Der Vergleich der Totenwache haltenden Cosima mit Elektra erweist sich ebenfalls als anfechtbar. Allerdings hätte hier auch ein Lektor hilfreich sein können. Der hätte zudem einen Satz wie „Auf den Schultern, die doch letztendlich nichts Schlimmes, sondern nur Assimilierung wollten“, vermieden.  Auch stammt der Stabreim des Ring nicht aus dem Mittelhochdeutschen, das den Endreim verwendet, sondern dem Altgermanischen. Ohne diese vielen kleinen Unstimmigkeiten würde das Buch als Gesamtes überzeugender wirken.

Immer dann wird es interessant und nachvollziehbar, wenn sich Kollo nicht auf das immer wiederkehrende „Alle 5000 Jahre“ beruft, in denen ein Genie wie Wagner die Welt beglückt, sondern konkreter wird, so bei seinen Ausführungen über Wagner-Regie und Wagner-Bühnenbilder. Er hätte aus seinem großen Erfahrungsschatz als Wagnersänger berichten können, über die Auseinandersetzungen mit Regisseuren, sein eventuell im Verlauf der Jahrzehnte gewandeltes Verhältnis zu den einzelnen Figuren, die er verkörpert hat. Wer erinnert sich zum Beispiel nicht an seine Berliner Tannhäuser, Tristan, Siegfried unter Götz Friedrich und hätte gern mehr davon erfahren. Stattdessen stellt er immer erneut Beziehungen zwischen den Werken Wagners und der Bibel her.

Interessant ist allerdings der Widerspruch, den er zwischen den theoretischen Äußerungen über die Juden und der Tatsache sieht, dass zu Wagners engstem Freundes- und Mitarbeiterkreis immer Juden gehörten. Überzeugender wären Kollos Bekundungen, Wagner sei gar kein Antisemit gewesen, wenn er sich auf die unwiderlegbaren Zitate bezogen hätte, die immer wieder als Beweis für das Gegenteil herangezogen werden. Recht hat er, wenn er behauptet, Antisemitismus ohne praktische Folgen wäre damals allgemein und weit verbreitet gewesen, erst Cosima und Winifred hätten sich wirklich schuldig gemacht.

Besonders ausführlich befasst sich René Kollo mit Parsifal und der eventuellen Absicht Wagners, sich als Religionsstifter zu profilieren. Hier werden interessante Aspekte aufgezeigt wie auch im Kapitel über Nietzsche und Wagner und des Ersteren Wandel vom Wagnerverehrer zum Wagnerhasser. Bedenklich wird es, wenn Sätze fallen wie über Wilhelm II.: „ Deutschland wurde unter ihm die Nummer eins in Europa und ist es bis heute geblieben“. Dazwischen lagen nur leider zwei Weltkriege.  „Made in Germany“ aber wurde bereits Ende des 19. Jahrhunderts von den Engländern deutschen Waren aufgedrückt und nicht erst nach dem Ersten Weltkrieg. Bei der Verbindung einer doch extrem positiven Haltung gegenüber dem Menschen Richard Wagner mit so vielen angreifbaren Mängeln des Buches bekommt man es geradezu mit der Angst. Da möchte man den geschätzten Sänger vor dem Autor Kollo am liebsten warnen oder in Schutz nehmen. (210 Seiten lauverlagISBN 978 3 95768 139 3)

Ingrid Wanja

  1. Eikermann Müller Maria-Gabriele

    Wenn Frau Wanja dem Autor René Kollo Ungenauigkeiten zum Vorwurf macht, sollte sie selbst diese in ihrer Rezension vermeiden: Friedrich III. ist durchaus als preussischer König und deutscher Kaiser Teil unserer deutschen Geschichte. Wenn seine Regentschaft im sog. Drei-Kaiser-Jahr auch nicht lange gewährt hat und er von seiner Krebserkrankung schon sehr gezeichnet war, so täte man ihm doch Unrecht, seine 99 Tage Regentschaft als nicht gegeben zu erklären 🙂

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    1. Geerd Heinsen Beitragsautor

      wir danken sehr für die korrektur, und natürlich hat Eikermann Müller Maria-Gabriele recht, aber ein wenig liebenswürdiger hät´s ja auch sein können, nein? g.h./

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