Riccardo Muti zum 80.

 

Nun ist es endlich geschafft, der Geburtstag, am 28.7. 2021 gefeiert, ist vorbei, nachdem wochenlang zuvor vom letzten Regenbogenblättchen bis zum seriösen Corriere della Sera die italienische Presse und wohl nicht nur diese Riccardo Muti, der auf die 80 wie das Kaninchen auf die Schlange zu starren schien, immer wieder die magische Zahl und die mit ihr verbundenen, nicht immer positiven Gedanken hatte wiederholen lassen. Geblieben ist, ebenfalls vom Corriere zu verantworten, die Autobiographie des Dirigenten mit dem Titel Prima la musica, poi le parole poi le parole, die man zusammen mit der Zeitung kaufen konnte und, wenn man Glück hat, sogar noch jetzt versteckt unter Krimis und Liebesromanen, erwerben kann.  Wer wegen des bekannten Zitats eine kämpferische Auseinandersetzung mit moderner Regie erwartet, wird enttäuscht, es geht darum, dass der Maestro, nachdem er Jahrzehnte lang Musik zu Gehör brachte, nun das Wort ergreift, um seine Erinnerungen mitzuteilen, seine Ziele, die er sich durchaus noch gesteckt hat, und optimistisch stimmt auch, dass die Rückseite des Buches ein Foto ziert, auf dem der Maestro nicht das Dirigentenpult verlässt und seinem camerino und dem Rentnerdasein zustrebt, sondern den umgekehrten Weg und damit zu weiterem musikalischem Schaffen geht.

Das Buch wurde mit Hilfe von Marco Grondona geschrieben, die Einführung stammt von Luciano Fontana. Dieser schaut auf die jüngste Vergangenheit, die der dank Corona verpassten Gelegenheiten besonders in den USA, speziell Chicago, aber auch auf den Neubeginn, der für Riccardo Muti  in Wien mit dem Neujahrskonzert, im heimischen Ravenna mit seinem Orchestra Luigi Cherubini, dem Bellini-Festival auf Sizilien und, seit 1970 in Vorbereitung, mit der Missa solemnis in Salzburg besteht.

Wer den Maestro nur als strengen bis abweisenden Künstler kennt, als den er sich auch selbstkritisch und es mit Zurückhaltung erklärend sieht, der wird sich wundern, wie viel Humor in dem Buch verborgen ist, daneben aber auch die bewusste Zurschaustellung einer weitumfassenden humanistischen Bildung, die den deutschen Leser auf Nietzsche, Goethe, aber auch die Letzten Briefe aus Stalingrad stoßen lässt. Und nicht zuletzt die Verehrung für Friedrich II. von Hohenstaufen ließ ihn  ein Grundstück zu Füßen von Castel del Monte in Puglia, wo er aufwuchs, erwerben. Geboren allerdings wurde Muti in Neapel, wo seine Mutter jeweils zur Entbindung auch mitten im Krieg reiste, damit die Kinder einen prominenten Geburtsort vorweisen konnten.

Der Leser wird nicht nur durch die Bildungsstätten geführt, die der junge Muti durchlief, erfährt etwas über den Violinisten, Pianisten und schließlich natürlich Dirigenten, auch die Schlachtfelder des Dirigenten, auf denen er meistens als Sieger zurücklieb, werden besucht: der Kampf um die Entvulgarisierung der Veristen, die eitlen Wünsche von Tenören wie Tucker, der unbedingt La commedia è finita singen musste, die nicht komponierten, aber so gern zur Schau gestellten hohen Cs oder Do di petto. Aber auch mancher Bariton ist nicht frei von Eitelkeiten, ein Sopran wie Leila Gencer sehr kämpferisch, und den Bruch mit der Scala, wohl nie ganz verwunden, sieht Muti bereits mit der Traviata ohne Orchester, aber ihm am Klavier sich abzeichnen. Ansonsten bleibt das Buch bei diesem Thema recht wortkarg.

Wichtige Persönlichkeiten für das künstlerische Reifen des jungen Dirigenten werden portraitiert, so Nino Rota, Antonino Votto, Swjatoslav Richter, Vittorio Gui und viele andere, die in einem der letzten Kapitel noch außerhalb der Chronologie gewürdigt werden. Ab 1968 ist Muti direttore stabile in Florenz, setzt sich für Spontini ein, dessen Agnese di Hohenstaufen er gern einmal in deutscher Sprache aufführen würde!  Viele unvergessliche Produktionen entstehen mit ihm und Ronconi als Regisseur, Pizzi als Ausstatter. Ab 1971 (Don Paquale auf Vorschlag von Karajan) dirigiert er in Salzburg, seit 1972 in London, die ersten rapporti delicati mit der Regie gibt es in Paris mit einem französisch-italienischen Misch-Trovatore und in Salzburg mit einem Tito.

Das Buch beschränkt sich nicht auf eine Lebens- und Karrierebeschreibung, sondern schneidet viele wichtige Themen an wie den Vergleich des Orchesterklangs zwischen italienischen und deutschen Gruppen, die besonderen Klangvorstellungen, Rossini oder Verdi betreffend, in Philadelphia das ausschließlich weiße Publikum, die Absenkung des Diaposon für Otello, die Vorzüge des in der Scala ausgebuhten Don Carlo von Pavarotti mit der berüchtigten stecca, eine von Humor geprägte Begegnung mit Königin Elizabeth. Man kann einfach nicht aufhören zu lesen, weil immer wieder neue, interessante Fragen angeschnitten werden wie die Überführung von Richard Strauss durch einen neapolitanischen Musiker, der meinte, es gebe überhaupt keine spiaggia a Sorrento und damit sei dessen so genanntes Stück aus den italienischen Bildern einfach Quatsch.

Das neunte Kapitel schließlich widmet sich den Persönlichkeiten, die auf den jungen oder auch reifen Maestro besonderen Eindruck gemacht haben: Papst Benedikt, für dessen Laudate Dio con Arte er  das Vorwort schrieb, Callas, der er die Lady Macbeth anbot und die meinte È tardi, Cesare Siepi, Christa Ludwig, Di Stefano, der wenigstens La cena è pronta für ihn sang. Im umfangreichen Bildteil am Schluss ist auch eine Danksagung von Carl Orff für die Aufführung der Carmina in Berlin, die er eine zweite Uraufführung nennt, zu sehen.

Wichtig für Muti ist offensichtlich nicht  nur, was er aufführt, sondern wo er es  zu Gehör bringt. So sind die nach dem jedes Jahr nach dem Festival in Ravenna stattfindenden Viaggi dell’Amiciza, immer in eine città martiri führend, ein besonderes Anliegen so wie auch Aufführungen an besonderen Orten wie dem Mailänder Gefängnis. Nie die Kammermusik aus den Augen und Ohren verlieren und eine ethische Haltung zum Beruf des Musikers einnehmen, das soll die Botschaft neben vielen Konzerten und Aufführungen sein, die Riccardo Muti in den nächsten Jahren, und das Vorwort kokettierte mit 120 erreichbaren, verbreiten will (2020 Seiten plus umfangreicher Fototeil; Corriere della Sera Storie 2021; ISSN 2038 0844). Ingrid Wanja   

  1. Wolfgang Molkow

    Wenn ein kleiner neapolitanischer Musiker einem großen Komponisten wie Richard Strauss am Zeug flicken will, kann nur „Quatsch“ herauskommen, denn natürlich hat Sorrent einen Strand. er nennt sich „Meta di Sorrento“, und ein Napolitaner sollte den kennen. Da der Durchschnitts-italiener umgekehrt außer der „Foresta nera“ und dem „Mare del nord“ meistens nebulöse geographische Vorstellungen von Deutschland hat, ist diese Attacke auf den „Bildungsbürger“ Strauss vollends lächerlich und bliebe besser unerwähnt.

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