An- und Einsichten

 

Dass er ein vorzüglicher Sänger ist, wusste man seit langem, dass aber der polnische Tenor Piotr Beczała auch ein mutiger Mann ist, kann man feststellen, wenn man sich in sein Buch In die Welt hinaus, Untertitel Ein Opernleben in drei Akten vertieft. In diesem geht es nicht nur um das Entdecken der Stimme, um deren Ausbildung, um erste und weitere Erfolge, um die Höhepunkte einer Künstlerkarriere, obwohl die Gliederung sich streng an den Aufbau einer Oper mit Ouvertüre, erstem bis drittem Akt einschließlich eines Intermezzo hält, sondern auch um Politik, sei es die im kommunistischen, sei es die im heutigen Polen, um moderne und traditionelle Regie oder um Sprachregelungen, die es durchaus nicht nur in Diktaturen zu geben braucht. Allerdings ist der Untertitel insofern nicht glücklich gewählt, als er unterstellt, die sängerische Laufbahn sei inzwischen abgeschlossen, was nicht nur hoffentlich, sondern auch offensichtlich nicht den Tatsachen entspricht.

Es fängt eigentlich ganz konventionell an mit der Schilderung eines Tosca-Abends, an dem das Publikum ein doppeltes Da Capo nach „E lucevan le stelle“ erzwingen möchte, in der Journalistin und hier Interview-Partnerin Susanne Zobl in recht blumiger, nicht immer korrekter Sprache („Ein Rauschen wog mir entgegen.“) die Gefühle des Sängers zwischen Triumph und Verantwortungsbewusstsein beschreibt, ihn mitteilen lässt, er wolle mit dem Buch „etwas von seiner Energie vermitteln“.     

Es folgt eine Schilderung der Kindheit und Jugend im kommunistischen Polen, wobei nichts von Ostalgie anklingt, sondern schonungslos darüber berichtet wird, wie es kaum einmal genügend Fleisch und Butter, dafür aber willkürliche Verhaftungen, so auch den Vater betreffend, gab, Der deutsche Leser, und die Originalsprache des Buchs ist das Deutsche, erfährt etwas über die Lieblingslektüre Karl May, über das Singen bei den Pfadfindern, den Einblick ins Designer- und Schneiderwesen, der dazu führt, dass ihm „kein Kostümbildner etwas vormachen“ kann. Bereits hier wird deutlich, dass der Sänger ein kritischer Beobachter des Theaterwesens ist, wenn er beklagt, dass Bühne und Kostüme Unmengen kosten dürfen, aber „bei der Gage wird um hundert Euro gefeilscht.“

Nicht nur für die Theaterlandschaft hat sich der polnische Tenor seinen kritischen Blick bewahrt, sondern auch für die politischen Zustände in seinem Heimatland, dessen jüngste Entwicklung er zutiefst bedauert, sie in Richtung auf eine dem Kommunismus ähnliche Diktatur steuern sieht. In die chronologische Schilderung seiner beruflichen Entwicklung, mit dem Singen in einem Madrigalchor beginnend, und seiner Beziehung zu seiner späteren Ehefrau Kasia, die ihre eigene Karriere beendete, um der seinen dienlich zu sein,  fließen immer wieder Betrachtungen über interessante Themen ein. So äußert er sich über die Unvereinbarkeit von Solisten- und Chorgesang, die unterschiedliche Sängerausbildung in Polen und im „Westen“, das beste Verfahren beim Lernen einer Fremdsprache oder das Bild vom Opernsänger: „Der kommt nicht rein, der tritt auf“.

In den Anfangsjahren verfügt Beczała zwar über ein Tenortimbre, nicht aber alle hohen Noten. Inzwischen hat er die längst, aber leider verrät uns das Buch nicht, wie es dem Sänger gelang, dahin zu kommen.

Auch der Pole hatte Begegnungen mit arrivierten Künstlern, die ihm den richtigen Weg wiesen. In seinem Fall ist es Sena Jurinac, die ihn zu Mozart und weg von dem in Polen von ihm geforderten schwereren Fach führte.

Es geht chronologisch weiter mit dem ersten Festengagement in Linz, womit auch die ersten Regiezumutungen verbunden sind, die der Tenor mit Humor zu schildern weiß, so wie er voller Wärme über den Dritten im Ehebunde, den Hund, der ihnen zugelaufen ist,  schreibt. Diskussionswürdig ist sicherlich die Behauptung, ein Liebespaar im realen Leben sei auch das überzeugendere Liebespaar auf der Bühne, nachdenkenswert der Vergleich von in Linz unwillkommenen Polen mit heutigen Wirtschaftsflüchtlingen, auffällig die an mehreren Stellen des Buches wiederkehrende Bewunderung für die Inszenierungen von Otto Schenk, so als Einspringer für Gösta Winbergh in der Wiener Zauberflöte. Damit setzt auch die Kritik an „konstruierten Produktionen“ ein, die es dem Sänger unmöglich machen, das Beste aus sich herauszuholen und dem Publikum zu vermitteln. Das hat nichts damit zu tun, dass Beczala „süchtig nach Harmonien“ ist, das bezieht sich nur auf die Musik, sondern darauf, dass „Auswüchse“ von Regie dazu führen, dass man sich in konzertante Aufführungen flüchten muss.

In einem weicht Piotr Beczała von der Meinung vieler Kollegen ab, wenn er sich nicht den Grundsatz, es gebe keine kleinen, unwichtigen Rollen, zu eigen macht, sondern einen Cassio für sich rundweg ablehnt,  auch Zweifel an der Kompetenz der Besetzungsbüros laut werden lässt. Befremdlich mag es auf manchen Leser  wirken, dass er nicht nur den Müllerburschen im Schubert-Zyklus, sondern auch Idomeneo, Hoffmann, Don Carlo als „kranke Typen“ ablehnt und sie nicht singen mag. Hier und in einigem anderem wagt sich der Tenor weiter vor als die meisten seiner Kollegen, so auch im Urteil über den Betrieb an der Mailänder Scala, an der er als Alfredo sein erstes und einziges Buh erlebte.  Ein Paradies für Sänger scheint hingegen die MET zu sein. Zustimmen werden ihm nicht nur die Tenöre darin, dass er die meisten Proben für zu lang und oft nur den skurrilen Einfällen der Regisseure geschuldet hält.

Abenteuerlich war der Weg des Sängers zu Lohengrin, den er schließlich unter Thielemann sang, über diese Figur, die Sichtweise des Sängers auf sie, hätte man gern erfahren. Stattdessen gibt es einiges über Autos, über den Freund Sean Connery oder Halka in Wien zu lesen. Auch Piotr Beczała wurde nicht ganz von den so gefürchteten geplatzten Blutgefäßen im Stimmapparat verschont, und trotz des Rückzugs in das polnische Refugium ereilte ihn das Corona-Virus. Inzwischen ist er längst wieder gesund, konnte dieses Buch schreiben und studiert seine nächsten, hoffentlich bald in einer coronafreien Welt zur Aufführung gelangenden neuen Partien Radames, Manrico, Parsifal und Calaf.   Der Anhang besteht aus Rollenverzeichnis, Soloalben, Bildnachweis und Personenregister (250 Seiten, Amalthea Verlag 2020; ISBN 978-3990501856). Ingrid Wanja

  1. Ebba Anders

    Der Stil des Buches: unerträglich kitschig und pathetisch wie ein Courths-Mahler Roman. Die Haltung des Sängers häufig ziemlich unerträglich überheblich und oberlehrerhaft (wie man es ja in seinen Interviews auch immer wieder hören kann). Bei seinen Ansichten über manche Rollen fragt man sich, was er überhaupt auf einer Bühne macht; er sollte Rollen gestalten, nicht zwischen krank und normal unterscheiden (den Rigoletto-Herzog hat er übrigens einmal als charmanten, sympathischen Typen beschrieben, Gilda habe sich schließlich nicht beschwert …). Hier wird wirklich jedes Tenorklischee bedient, ohne dass sich der Sänger dessen bewusst zu sein scheint. Für einen Opernfreund oder Musikliebhaber nicht lesenswertes Buch.

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