Archiv für den Monat: Juni 2021

Materialschlacht

 

Im Zentrum Bolognas ist der Verlag bzw. die Musikfirma Bongiovanni nicht nur seit 116 Jahren und durch drei Generationen hindurch das Musikaliengeschäft in dem man alles, was man sucht, auch bekommt, sondern ein Musikverlag, der sich besonders unbekannteren Opern und emporstrebenden Künstlern widmet. Zu den jungen Talenten, die sich der Förderung durch das Haus erfreuen können, gehört nun auch der Chinese Chuanyue Wang, Sieger vieler Concorsi, geadelt durch die Teilnahme an einem Seminar Carlo Bergonzis und viel in den Vereinigten Staaten unterwegs. Immer lohnt es sich auch, nicht nur die CD anzuhören, sondern das Booklet zu lesen, in dem festgestellt wird, dass wegen einer bedauerlichen Teilnahmslosigkeit der jungen italienischen Generation gegenüber der klassischen Musik die Asiaten, zuerst die Japaner, danach die Koreaner und nun auch die Chinesen den Markt erobern, nicht zuletzt wegen ihres immensen Fleißes und ihrer Opferbereitschaft bei Studium und zu Karrierebeginn. Bis dahin kann man dem Verfasser zustimmen, erste Vorbehalte regen sich jedoch bei seiner Behauptung, mit dem jungen Chinesen habe man den Pavarotti asiatico entdeckt, der wegen seiner technischen Sicherheit, seiner leichten Emission und seiner stupenden Höhe sich diesen Titel bereits verdient habe.

Nach so viel Vorschusslorbeeren begibt sich der Rezensent natürlich mit hohen Erwartungen an das Hören der CD, und sein erster Eindruck ist, und dieser wird vielfach bestätigt, ein durchaus gemischter.

Die Trackliste lässt einen lyrischen Tenor erwarten, sei es von den Partien her, aus denen Arien gesungen werden, wie die des Alfredo, des Duca, des Rodolfo, sei es von den Arien her, die bei der Wahl dramatischerer Partien wie die des Des Grieux oder des Don José, gewählt wurden. Es beginnt mit der Arie des Oronte aus Verdis Lombardi, und der Hörer ist überrascht von dem dunklen, ausgesprochen virilen Timbre, erfreut über die perfekte Registerverblendung und die sichere Höhe. Die Stimme hat einen hohen Wiedererkennungswert, allerdings auch dadurch, dass sie leicht gaumig klingt. Dem Nemorino, dessen Furtiva lagrima, scheint der Tenor schon  entwachsen, er klingt, was anderen Partien gut tun würde, melancholisch verhangen, dabei ausgesprochen männlich und leider die Konsonanten am Ende eines Wortes vernachlässigend. Auch für den Alfredo ist der Tenor recht schwer, was eher seiner Farbe, als seinem Volumen geschuldet zu sein scheint. Wenig elegant oder brillant, zu knallig das allerdings bedeutende Material ausstellend, äußert sich der Duca zu la donna. Verdis Lacrymosa bestätigt den Eindruck, dass es dem Sänger eher auf eine Zurschaustellung des Materials als auf ein Bemühen um Charakterisierung von Person oder Situation ankommt. Je länger man ihm zuhört, desto stärker wird aus der Bewunderung für die Stimme die Verärgerung über die Verweigerung eines Eindringens in den jeweiligen Charakter. Das Booklet lobt das Deutsch des Sängers, ein Lob, das man ihm für die Bildnisarie des Tamino verweigern muss, das man ihm für die Arie aus Das Land des Lächelns als exotische Verfremdung zugestehen kann. Auch hat man nicht den Eindruck, dass sich der Tenor viele Gedanken um Ausdrucksmöglichkeiten gemacht hat. Bizets Blumenarie wird kraftvoll, aber frei von einem Eingehen auf die Intentionen des Komponisten gesungen, auch hier tritt ein, was der Hörer bei vielen Tracks feststellt: er ist zunächst beeindruckt durch die dunkle Gewalt der Stimme und beginnt sich sehr schnell zu langweilen, weil es keinerlei Agogik gibt. Rodolfos Gelida Manina entbehrt der Zärtlichkeit, die Höhe bewundert man, aber man wird nicht berührt. Recondita Armonia dürfte Sant’Andrea delle Valle zum Einsturz bringen, das Fiorito asil die Blüten verschrecken, hier und auch bei den beiden Arien aus Turandot wundert man sich zudem darüber, wie wenig das Orchestra Classica Italiana unter Gianluca Martinenghi, sonst mit Rossini oder Händel befasst, zu sagen hat, wie sehr die Stimme alles dominiert. Material und Technik des noch jungen Sängers sind bemerkenswert, Interpretation ist noch nicht seine Stärke, Ernesto, José, Tamino sind all eins (Bongiovanni GB 2586 2). Ingrid Wanja     

Oper für alle

 

Im April 2020, im Alter von 73 Jahren, erlag Peter Jonas seinem Leiden. In den zwei Jahren vor seinem Tod führte er zahlreiche Gespräche mit der Autorin Julia Glesner. Aus ihnen ging die Biographie von Peter Jonas hervor, die jetzt Im Insel Verlag erschienen ist, mit einem persönlichen Vorwort der musikalischen, insbesondere der Barockoper zugetanen Krimiautorin Donna Leon und einem ebenfalls freundschaftlichen Nachwort von Daniel Barenboim.

Peter Jonas, er ist 1999 von der Queen geadelt worden, war einer der führenden Theatermenschen seiner Zeit und eine der elegantesten, spleenig-stilvollen Persönlichkeiten des Opernlebens. 1946 wurde er in London geboren,  er wuchs in England auf, studierte in Sussex, Manchester und London. 1974 ging er zum Chicago Symphony Orchestra zu Sir Georg Solti, wo er zunächst sein Assistent, dann künstlerischer Betriebsdirektor wurde. 1984 wurde er General­direktor der English National Opera, 1993 Intendant der Bayerischen Staatsoper München, wo er mit seinem provokativen Musiktheaterkonzept Publikum und Presse polarisierte, aber für ein volles Haus sorgte.

Wie ein roter Faden durchzieht die Janusköpfigkeit der Persönlichkeit von Sir Peter diese Biographie. Er nannte sich selbst einen Traditionalisten und kämpfte doch gegen das Etablierte. „Er wollte Teil des Establishments sein, um zu bekämpfen, was ihm missfiel. Er schaffte den Spagat, zum Establishment zu gehören, ohne sich anzupassen. Dafür wurde er von vielen bewundert, damit provozierte er aber auch Feindschaft,“ so schreibt Daniel Barenboim zurecht.

Einerseits war Jonas ein intellektueller Opernfreak, anderseits liebte er Autos, Cricket und Fußball. Er war jüdisch-libanesischer Abstammung, war konservativer Brite und doch ein wagemutiger Kosmopolit, ein Theatermann, der Konventionen sprengte.

„Obwohl ich mich nach klassischer Schönheit auf der Bühne sehnte, bemerkte ich auch, dass ich mich doch mehr begeisterte, wenn etwas leicht verzerrt war, sich jenseits des Normalen bewegte. In den späten 1970er und frühen 1980er Jahren dominierte aber immer noch der Naturalismus auf der Bühne.“ Walter Felsenstein und Wieland Wagner waren für ihn die beiden Pole ästhetisch anderen, neuen Musiktheaters. Beide bewunderte er. Die durch Felsenstein begründete Operndramaturgie „Text, Musik, Szene und Darsteller einer Oper gleichberechtigt aufeinander zu beziehen und mit den Konventionen der Sängeroper zu brechen.“ Das habe es vielen überhaupt erst ermöglicht, die Oper als adäquate zeitgenössische Kunstform zu begreifen.Was Wieland Wagner angeht, gesteht Jonas: „Für uns Studenten aus dem Vereinigten Königreich, die wir Opern nur in Stoffbühnenbildern und dramaturgisch dürftigem Hyper-Realismus kannten, war die Idee einer derartigen Abstraktion eine Schocktherapie, die uns süchtig machte“ nach Richard Wagner .

Es war nicht zuletzt die Sängerin Lucia Popp (mit der er einige Jahre partnerschaftlich liiert war) durch die er diese Andersartigkeit des deutschen Musiktheaters kennenlernte, die „Idee, dass das Opernhaus ein Theater der Konfrontation, der Neuheit und der Herausforderung sein sollte“, wie er der Autorin sagte. Julia Glesner hat alles, was ihr Peter Jonas sagte, gewissenhaft wie Cosima Wagner aufgeschrieben, aber gelegentlich schweift sie doch gewaltig ab, beispielsweise wenn Sie den Inhalt des Buches Alice Millers „das Drama des begabten Kindes“ referiert, das die Sängerin Hildegard Behrens Sir Peter empfahl.  Auch über die psychoanalytischen Erfahrungen von Peter Jonas wird ausführlich berichtet. Ist das wichtige für die Beschreibung seiner Opernkarriere? Nun gut, das Buch wird dicker dadurch.

Vor allem aber blähen die vielen kleinen Biographien (erwähnter Künstler und Weggefährten) in der großen Biographie das Buch auf mehr als 600 Seiten auf. All diejenigen die die Karriere von Peter Jonas befeuerten und überhaupt erst ermöglichten, werden gewürdigt, Freunde wie Feinde.  Man könnte dieser Jonas-Biographie Namedropping vorwerfen, doch der Autorin geht es gewiss um bestmögliche Genauigkeit und Vollständigkeit der Darstellung einer künstlerischen Ausnahme-Vita, der Kindheit und Jugend in London, dem Studium in Sussex, Manchester und London sowie den beruflichen Stationen in Chicago, London und München. Krisen und Triumphe, Kulturpolitik und Geld sind Thema dieser Biographie, aber auch Sponsoring und Spielplanpolitik.

Mit großem Respekt und Betroffenheit berichtet Julia Glesner immer wieder und detaillierter als man es lesen möchte, von der Krebs-Erkrankung, die Peter Jonas als Schicksal annahm: „Die Krankheit selbst befreite mich, um mich zu entwickeln.“  Eine aus christlichem Denken hinlänglich bekannte, fragwürdige These.

Den Tod als steten Begleiter schien Jonas nie verdrängen zu können. Er wusste, wie „kurz unsere Pacht auf dieser Erde“ ist. Es war eine seiner typischen Formulierungen, einem Gedicht Shakespeares entsprungen.

Kranken- und Familiengeschichte, künstlerischer und persönliche Vita werden ineinander verwoben, auch Bekanntschaften und Zusammenkünfte mit den Großen der Musikwelt werden geschildert. Das individuelle Schicksal wird von Julia Glesner zum Panorama der Opernwelt seiner Zeit geweitet.

Sie beschreibt ein Leben, das von Wanderschaft geprägt ist. Das Theater wurde   Jonas zur Familie. An den drei großen Wirkungsstätten seines Berufslebens blieb er immer mindestens eine Dekade und versuchte, dort eine Atmosphäre des Vertrauens und der Offenheit zu schaffen. Die Bayerische Staatsoper war für ihn in besonderer Weise ein solches “Family House.“

Ausführlich beschreibt sie die Zusammenarbeit mit befreundeten Dirigenten und Regisseuren wie Claudio Abbado, Georg Solti, Marc Elder, Daniel Barenboim, Zubin Mehta, Carlos Kleiber, James Levine, David Alden, Jürgen Rose oder David Pountney.

„Meine Zeit an der English National Opera war wirklich eine bemerkenswerte Zeit“, zieht Jonas Bilanz. „Plötzlich kam so etwas wie die Hoffnung auf, dass die Oper in London intellektuell und künstlerisch“ zu neuen Ufern aufbrechen würde.  Das Münchner Nationaltheater war ohne Frage der Gipfel der Karriere von Peter Jonas, weil er dort seine Auffassung von heutigem Musiktheater konsequent umsetzen konnte.

Wohl keine andere der von ihm als Opern-Manager verantworteten Inszenierungen war die spektakuläre, weil slapstickhaft poppige Produktion „Giulio Cesare in Egitto“ von 1994, sie wurde stürmisch diskutiert, spaltete das Publikum, aber mit ihr schrieb Jonas Theatergeschichte. „Das Bild des Dinosauriers stand für den Beginn von etwas Neuem, Unerhörtem, für eine geradezu revolutionäre Ästhetik des Musiktheaters, die das München bisher nicht gekannt hatte und an der sich das Für und Wider der Kritik und der Geschmack des Kulturbürgertums gleichermaßen abarbeitete.“  Das provozierte erbitterten Widerspruch wie zustimmende Begeisterung.

Der Dinosaurier wurde quasi zum Symbol der Amtszeit von Peter Jonas und der starke Auftakt der Händel-Renaissance in München. „In der Produktion von Richard Jones und Ausstatter Nigel Lowery stand der stürzende Dinosaurier für den Fall des Römischen Reiches und seiner obsolet gewordenen Ordnung. Im übertragenen Sinn aber konnte die Metapher für den Sturz der alten Ordnung an der Bayerischen Staatsoper München (BSO) gelesen werden,“ liest man.

In seiner letzten Spielzeit hatte Peter Jonas im Münchner Nationaltheater eine traumhafte Auslastung von 98,4 Prozent erreicht. Er „wollte die existentielle Bedeutung, die das Haus für seine Gäste hatte, auf eine neue Grundlage stellen. Seine Arbeit hat das Publikum extrem verändert, hat es aufnahmefähig, neugierig werden lassen. Intellektuell und künstlerisch, aber auch hinsichtlich der Anforderungen des Managements hat Peter Jonas sein Haus auf die Anforderungen des 21. Jahrhunderts vorbereite“, so das Resümee von Julia Glesner. Oper für alle (das dem Buch seinen Titel gab) war die Maxime seines Handelns. In München wurde es zum Programm. Peter Jonas widmete sein gesamtes Leben der Aufgabe, die Oper für alle Menschen zugänglich zu machen. Längst ist das antielitäre Konzept „Oper für alle,“ als Oper in Freiluft-und Videoübertragung, international kopiert worden, unter anderem in Hannover, Düsseldorf, Dresden, Zürich, Bayreuth und Berlin.

Übrigens entlehnte er das programmatische Schlagwort „Oper für alle“ dem englischen Vorbild „Opera for all“. Es war der Name einer britischen Wandertruppe, die Opern in den schwer erreichbaren, ländlichen Gegenden Großbritanniens aufführte (Insel Verlag Insel Verlag 2021, ISBN 978-3-458-17905-4, 652 S.): Dieter David Scholz.

 

Entdeckung aus Holland

 

Ein Zeitgenosse Puccinis, aber ein in der Nachfolge von Wagner wie Debussy komponierender Holländer war Alphons Diepenbrock, Autodidakt an Klavier, Viola, Dirigentenstab und selbst Sänger, von dem in den Neunzigern 3 CDs mit Liedern bei Brilliant eingespielt wurden, die jetzt veröffentlicht worden sind. Die längste, eine Stunde beanspruchende, ist deutschen Texten gewidmet, die zweite französischen, so Verlaine und Baudelaire, die zu einem großen Teil bereits vor ihm von französischen Komponisten vertont worden waren, die dritte, gerade einmal vierzig Minuten umfassende, lateinischen, italienischen und holländischen.

Bei allen fällt auf, dass dem Klavier geradezu orchestrale Aufgaben auferlegt werden, dass es nicht eine reine Begleiterfunktion ausübt, sondern oft ein höchst interessantes Eigenleben führt.  Daniel Esser begleitet die fünf Sänger vorzüglich, weiß aber auch die besondere Bedeutung seines Parts hervorzuheben. Für einige der Lieder hat der Komponist später, wohl im Bewusstsein davon, noch eine orchestrale Fassung verfertigt.

Nicht erstaunlich ist, dass die Anklänge an Wagner, so der Tristanakkord für Mignon oder Ring-Anklänge für den König von Thule, besonders bei den deutschen Liedern wahrzunehmen sind, die Erinnerungen an Debussy auf der zweiten CD wach werden.

Roberta Alexandra ist auf allen drei CDs vertreten. Für Novalis‘ Texte hat sie die schöne Intimität, eine flirrende Mädchenstimme, für der Spinnerin Lied viel Frische, für Claire de lune ein schönes Flirren und jubelnden Übermut für die Mandoline. Tapfer behauptet die Sängerin in Come raggio di sol sich neben dem dominanten Klavier, einen feinen Jubelklang hat sie für Ik ben eenzaamheid.

Es gibt zwei Mezzosoprane, davon einen holländischen, Jard van Nes, die sich der Mignon und des Königs von Thule mit warmer, runder Stimme angenommen hat, die allerdings an Textverständlichkeit viel zu wünschen übrig lässt. Das ist besonders schade bei dem Lied nach einem Text von Karoline von Günderode, der deutschen Romantikerin, die mit 26 Jahren Selbstmord beging, nachdem ihr leidenschaftliches Aufbegehren gegen die Rolle, die Frauen zu ihrer Zeit zugewiesen wurde, auf wenig Resonanz gestoßen war. „Kann ich im Busen heiße Wünsche tragen?“ ist ein symptomatischer Titel. In Meinacht (holländisch!) kann die Stimme schön aufblühen, aber auch die Muttersprache klingt verwaschen.

Der zweite Mezzosopran stellt sich mit Christa Pfeiler vor, die mit deliziösem Timbre die Invitation au voyage singt, für Incantation auch dramatische Qualitäten hat, apart im Ave Maria klingt und in Bejaard noch einmal auf dramatische Qualitäten verweist.

Wo es Lieder gibt, da darf der Tenor Christoph Prégardien nicht fehlen, der gewohnt deutungsintensiv und einfühlsam zunächst drei Balladen interpretiert, dessen gute Diktion eine Labsal ist, selbst wenn sie zur Wortverliebtheit ausartet, und der nicht frei von Manierismen ist. Keine unangebrachten Gefühlsaufwallungen werden in Preghiera alla Madonna verschwendet, und ein Mondlicht kann bei dem Tenor auch auf Holländisch schimmern.

Eine ganz großartige Besetzung ist Robert Holl, dessen Bass so samtweich wie todtraurig, dazu mit exzellenter Diktion Der alte König singt, der das Humorvoll-Drastische der Goethischen Celebrität vollkommen darzustellen und der exakt die Stimmung des Recueillement zu treffen weiß. Französisch singt er mit gleich bewundernswerter Diktion wie Deutsch, und der große künstlerische Ernst des Interpreten zeigt sich auch hier einmal mehr.

Wer ist Alphons Diepenbrock, fragt sich, wer das Cover mit der nach einem „Signal“ ausschauenden jungen Frau sieht, und erhält beim Hören als Antwort: ein Komponist, dessen Liedvertonungen durchaus an der Seite von denen eines Richard Strauss oder Faure bestehen könnten- wenn man sie nur aufführte (Brilliant 3 CD 96103). Ingrid Wanja

Messagers „Passionement“

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Die Normandie während der Années folles. Romantische Begegnungen, Identitätswechsel und unerwartete komische Wendungen: André Messager verortet sich in Passionnément an der Schnittstelle von Café-Konzert, amerikanischer Popmusik und französischer Operette. Die Musik  wird von Véronique Gens, Étienne Dupuis, Nicole Car und weiteren enthusiastischen Solisten, begleitet vom Münchner Rundfunkorchesters unter Stefan Blunier, mit großem Esprit dargeboten. So witzig wie Messagers Musik, bietet das Libretto mit seinem Flair des Boulevardtheaters ein echtes Manifest des französischen Geistes in den 1920er Jahren. Dazu ein Artikel vom Operettenfachmann Kurt Gänzl mit Dank.

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1925 erklärte sich Messager bereit, Passionnément zu vertonen, ein dreiaktiges Libretto von Hervé Hennequin mit einem Text von Albert Willemetz, der das Projekt initiierte. Bei seiner Premiere am 15. Januar 1926 im Théâtre de la Michodière war das Werk ein triumphaler Erfolg, und das Walzerlied im zweiten Akt, das ihm seinen Titel verlieh, fand sofort Anklang. Hier wird Messagers unwiderstehlicher melodischer Charme in einer Moral- und Charakterstudie exerziert, in der Auftreten und Vorurteile entlarvt werden. Der amerikanische Millionär William Stevenson, ein Abstinenzler, erliegt schließlich den Freuden des Champagners und verwandelt sich von einem Schwindler in einen Mann der Freundlichkeit und Rücksichtnahme. Er gibt den Versuch auf, den jungen Franzosen Robert Perceval zu betrügen, und lässt sich scheiden, nachdem er herausgefunden hat, dass dieser und seine eigene Frau Ketty (ein ehemaliger Star des Varieté) verliebt sind, und lässt sich scheiden, damit sie heiraten können. Er selbst setzt seine Lebensreise mit Kettys jungem kanadischen Dienstmädchen Julia fort, die davon träumt, ein angenehmes bürgerliches Leben zu führen. Die Rolle von Hélène (Roberts eifersüchtige Geliebte) trägt zusätzlich zur starken weiblichen Präsenz in einer Handlung voller Vitalität bei, in der die Lieder vor allem introspektive Momente sind. Henry Malherbe behauptete in Le Temps, dass Messager „in einer verzauberten Welt zu leben scheint, aus der Traurigkeit und Müdigkeit verbannt werden“; aber in Kettys „Ah! pourquoi les bons Momente passent-ils si vite“ und dem Trio „Dès que l’âge“ drücke das Werk auch Nostalgie und Bedauern über den raschen Lauf der Zeit aus.

André Messager (1853-1929)/ Wiki

Eines der erfolgreichsten Werke von Messager aus seiner Spätzeit, die comédie musicale Passionnément, wurde zu einem zeitgenössischen Libretto komponiert, an dem der eigentliche Erfinder der Musical-Komödie des Jazz-Zeitalters, Albert Willemetz, zur Hälfte Anteil hatte. Es erzählt, wie der machiavellistische amerikanische Millionär William Stevenson (René Koval) seinen Weg über den Atlantik findet, um den entschlossenen jungen Spieler Robert Perceval (Géo Bury) zu finden, um ihn davon zu überzeugen, von einem Land zu profitieren, das er in Colorado geerbt hat. Stevenson weiß, dass das Land voller Öl ist. Er bringt seine hübsche junge Frau Ketty (Jeanne Saint-Bonnet), eine ehemalige Schauspielerin, mit, besteht aber, misstrauisch gegenüber dem Ruf französischer Männer, darauf, dass sie sich mit einer dunklen Brille und einer grauen Perücke verkleidet. Sein Misstrauen ist angebracht, denn als Perceval Ketty ohne ihre Verkleidung ausspioniert, verliebt er sich in sie. Sie behält die Doppelrolle der betagten Ehefrau und ihrer eigenen jungen Nichte bei, bis sie ihrerseits umschwenkt und den jungen Mann vor den Absichten ihres Mannes warnt. Auf diese Weise erhält Perceval in bester Tradition sowohl das Geld als auch das Mädchen. Renée Duler war Hélène Le Barrois, Percevals ausgemusterte (zwischen Akt I und II) Geliebte, während Denise Gray als Julia, Kettys sexbesessenes Dienstmädchen, den Abend mit dem Kapitän der Yacht (Lucien Baroux) verbrachte, bevor sie mit dem letztendlichen Ex ihrer Arbeitgeberin endgültig zufrieden ist. Hélènes Ehemann (der sie zurückbekommt, einen Verzicht und drei Soli später) und zwei Diener vervollständigen die Besetzung.

Messagers 21-teilige Partitur wurde gekrönt von Solo-Nummern für Perceval (der Titelwalzer „Passionnement“), Hélène (das Versöhnungsrondeau „N’imaginez pas“, mit dem sie zu etwas wie verheirateter Glückseligkeit zurückkehrt), Julia (drei, einschließlich des komischen Gebets für einen Mann „Vous avez comblé ma patronne“) und Ketty, die in „Ah! pourquoi les bons moments“ wissen will, warum der Gipfel des Genusses so kurz sein muss.

Stevenson hatte ein komisches Stück, das den Erfolg in Amerika „le régime sec“ (Abstinenz) zuschreibt, aber nachdem er „le bon vin français“ und eine neue Persönlichkeit zwischen dem zweiten und dritten Akt entdeckte, hatte er ein viel amouröseres Solo für den letzten Akt.

Duette, Trios und Ensembles spielten ihre Rolle in einer modernen Partitur, die dem 73-jährigen Komponisten hervorragende Kritiken und einen großen Erfolg einbrachte. Die Originalproduktion der Show, die von Quinson eingefädelt und von Edmond Roze inszeniert wurde – dem erfahrensten Regisseur, den die Stadt zu bieten hatte –, war ein großer Erfolg.

Nach seiner ersten Pariser Saison ging es auf Tour, wobei Bury seine ursprüngliche Rolle spielte, und 1932 konnte man es in Paris im Trianon-Lyrique wiedersehen. In der Zwischenzeit hatte es einen kleinen Ausflug ins Ausland gemacht. In Ungarn, das der französischen Musikkomödie der 1920er Jahre gegenüber den größten Enthusiasmus zeigte, war Jenö Molnárs Version von Nászéhszaka (Hochzeitsnacht) ein großer Erfolg im Belvárosi Színház mit mehr als 100 Aufführungen in der ersten Produktion.

Eine andere Version, A legszebb éjszaká (die schönste Nacht), die neue Musik von Béla Csanak und eine von Andor Pünkösti überarbeitete Textfassung besaß, wurde 1943 im Márkus Park Színház gespielt. Das Stück reiste sonst wenig, obwohl es kurz in New York gesehen wurde, als es von einer französischen Repertoirekompanie gespielt wurde, in der Sonia Alny und Georges Foix vertreten waren. Ein Film von René Guissart mit Fernand Graavey als Hauptdarsteller und Koval, der seine Bühnenrolle wiederholte, wurde 1932 produziert, und Passionnement hat bis heute regelmäßig regionale Aufführungen in Frankreich. Kurt Gänzl

Wie der Titel schon ahnen lässt, handelt Messagers Operette von einer leidenschaftlichen Liebesgeschichte, die nach einigen Irrungen und Wirrungen zu einem Happy End kommt: William Stevenson, ein skrupelloser Geschäftsmann und Abstinenzler, bessert sich schließlich – geläutert durch die Liebe – von einem Betrüger zu einem freundlichen Mann, entdeckt die Freuden des französischen Weins und der wahren Liebe. Die amüsante Handlung wird getragen von schwungvollen Melodien im Stil der Goldenen Zwanziger. Daneben finden sich aber auch anrührende nostalgische Momente, wenn Stevensons zukünftige Ex-Frau Ketty in „Ah! Pourquoi les bons moments passent-ils si vite den raschen Lauf der Zeit beklagt.

Es ist erfrischend, wieder die bewährten „Hauskräfte“ des Palazetto zu erleben, die den in dieser Serie Auftretenden Gesicht verleihen und die den nötigen SAtil des Vortrags garantieren. In der Rolle der Ketty ist die französische Sopranistin Véronique Gens zu erleben, die u.a. 2016 beim Münchner Rundfunkorchester zu Gast war und Saint-Saëns‘ Opernheldin Proserpine und die mancher anderer mit ihrer facettenreichen Stimme bei den Palazzetto-Einspielungen zum Leben erweckt hat. Ihr zur Seite steht der französische Bariton Etienne Dupuis als Robert Perceval. Für die Partie der kanadischen Magd Julia, Stevensons künftiger Frau, konnte die australische Sopranistin Nicole Car gewonnen werden. Kurt Gänzl

 

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.Passionnément – Musikalische Komödie in drei Akten (konzertant) von André Messager. Mitwirkende Véronique Gens, Nicole Car, Chantal Santon Jeffery, Etienne Dupuis, Éric Huchet, Armando Noguera, Katja Schild/ Münchner Rundfunkorchester, Stefan Blunier/1 CD mit englisch-französischen Artikeln u,nd Libretto in bewährter Buchform/ Palazetto Bru Zane/ Note 1.

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Dank an Kurt Gänzl, dem bedeutenden Fachmann für Operette und historische Sänger, aus dessen Artikel wir Teile zitierten (https://kurtofgerolstein.blogspot.com/), ebenso an den Palazzetto Bru Zane, bei dem der Mitschnitt des Konzertes Dezember in München 2020 erschien. Übersetzung der englischen Originaltexte war wieder Daniel Hauser, Redaktion G. H

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Die Liste der Beiträge in dieser Serie finden sie hier.

Fragwürdiger Anspruch

 

„Bescheidenheit ist eine Zier“, doch singt man besser ohne ihr? Mit einigem Anspruch an die Sängerin scheint ein Recitaltitel wie „Assoluta“ verbunden zu sein, den man vielleicht einer Callas, einer Sutherland oder Caballé zubilligen wird, weniger einer Mezzosopranistin, nämlich Béatrice Uria-Monzon,  die als Carmen & Co. einen guten Ruf, aber nur wenige Jahre Sopranerfahrung hat und nun an Ohrwürmern von der „Umile ancella“ über „Vissi d’arte“ bis zum „Suicidio“, ja zur „Casta Diva“ alles, was den Assolute zusteht, aufgenommen hat, nur „Un bel di“ und die Wahnsinnsszene der Lucia fehlen noch. Zwar teilt uns das Booklet mit, dass den Titel Primadonna assoluta in der Geschichte der Oper die Sängerin der wichtigsten Partie tragen durfte, heute aber verbindet man damit einen weit höheren Anspruch, dem die vorliegende CD nicht gerecht werden kann.

Es beginnt mit der Adriana, deren erste Töne, dunkel und recht verrucht klingend, an die unselige Fürstin von Bouillon aus der Cilea-Oper denken lassen, die sich pathetisch wie jene vokal aufführt, die zwar die Attitüde einer Assoluta, aber keine Sopranstimme hat, denn in der Höhe verliert die in der Mittellage reiche Stimme an Qualität. Auch Tosca profitiert zwar in der Mittellage von der Mezzovergangenheit der Sängerin, die Stimme nimmt allerdings streckenweise einen weinerlichen Klang an und leidet im Acuto an Qualitätsverlust, kann nicht aufblühen, wie es sich für einen Sopran gehört. Santuzza schlägt sich da wesentlich besser, wenn auch mit mauscheliger Diktion, die Tessitura der Partie passt, der düstere Charakter wird hörbar, erst am Schluss mit einem schwachen „io piango“ lässt die Spannung nach. Auch für die Maddalena aus Andrea Chénier lässt sich feststellen, dass die Uria-Monzon punkten kann, wo Soprane oft Schwächen zeigen, die mezza voce ist farbig, wenn die Mittellage nicht verlassen wird, ansonsten klingt die Stimm zu flach. Die Schlussszene von Manon Lescaut ist eines der schwächsten Stücke auf der CD, die Stimme scheint einfach nicht jung genug zu sein, klingt wie unter einem Tuch hervor, gedämpft, dumpf und „Non voglio morir“ einfach zu dünn. Letzteres trifft auch für die Gioconda zu, die Interallsprünge nach oben wirken gefährdet, einen Lichtblick stell das schöne Piano in der Höhe der Suor-Angelica-Arie dar, einen Tiefpunkt die „Casta Diva“ mit schriller Höhe und insgesamt trübe klingend. Im abschließenden „Pace, pace“ stört einmal mehr, dass die Sängerin mit zwei Stimmen zu singen scheint, deren oberer Teil ältlich klingt und die mit Maledizione kaum jemanden beeindrucken kann.

Einen Sonderfall stellt die Lady Macbeth dar, über deren Stimmqualitäten nach Verdi sich nicht noch einmal geäußert werden soll.  Mit übertrieben hexenhafter  Stimme verliest diese Lady den Brief des Gatten, in der folgenden Arie wie der Wahnsinnsszene drängt sich wieder der Eindruck auf, dass hier eine Mezzostimme, die ihre spezifischen Farben nicht bis in die Höhe tragen kann, am Werk ist.

Das in diesem Repertoire erfahrene Orchestra della Fondazione Teatro Lirico Giuseppe Verdi di Trieste unter Fabrizio Maria Carminati begleitet zuverlässig (Aparté music 221). Ingrid Wanja    

Tosti ohne Ende

 

Wer kennt nicht Ideale, Marechiare, A Vucchella oder Malia und kann sich, gesungen von Giuseppe Di Stefano oder José Carreras oder einer anderen schönen Tenorstimme, ihrem Zauber entziehen?! Aber wer weiß schon, dass es daneben noch weitere 350 Canzonen von eben diesem Francesco Paolo Tosti gibt, nicht weniger den Ohren schmeichelnd, wenn nur von der richtigen Stimme dargeboten? Sie alle sind auf 18 (achtzehn!) CDs veröffentlicht, jetzt allesamt in einer Kassette zugänglich und zu einem großen Teil nicht in italienischer, sondern in englischer und französischer Sprache.Song of a Life nennt sich das Unternehmen, das alle Romanzen des Komponisten für Gesang und Pianoforte in chronologischer Reihenfolge und mit unterschiedlichen Interpreten vereint und sich davon verspricht,  Tosti zum ihm gebührenden Ansehen zu verhelfen, frei von einem gönnerhaften, es handle sich bei ihm zwar um angenehme, aber zu angenehme, zu „leichte“, allzu gefällige zwar Salonmusik, aber durchaus nicht ernst zu nehmende Kunst. Salonneapolitaner in Anlehnung an den Salontiroler nannte man ihn oft abwertend, als wenn das Gefallenkönnen eins sei mit dem zu gefällig sein. Das Istituto Nazionale Tostiano di Ottona  ist verantwortlich für die Wieder- und Neuentdeckung des Komponisten, der zu Lebzeiten eine bedeutende Rolle auf europäischer Ebene spielte, denn er war nicht nur in Italien hoch angesehen undFreund aller bedeutender Komponisten seiner Zeit, sondern auch in England, wo er Musikerzieher im Königshaus war, so wie er in Rom die Prinzessin Margherita di Savoia unterrichtet hatte.

Die Lieder wurden im Rahmen einer Konzertreihe von zwanzig Sitzungen in Foligno und Ortona in den Jahren 2014 bis 2018 aufgeführt,  die Interpreten sind Teilnehmer  eines internationalen Concorso  della Romanza da Salotto, einige von ihnen haben eine bedeutende Karriere als Opernsänger gemacht. Die Aufnahmen zu den CDs fanden im Teatro Clitunno in Trevi statt.

Die beiden ersten CDs zeigen wie in er Folge auch fast alle anderen junge, frische Stimmen, einmal die des Tenors Nunzio Frazzini, in der Höhe begrenzt, aber mit schöner Mittellage, und den Sopran Romina Casucci , zart und melancholieumflort und damit sehr passen für das Repertoire. Auf CD 3 erfreut Maura Menghini mit einer dunkel getönten, geschmeidigen Stimme, während der Tenor David Sorgiu weich bis verhuscht klingt. Auf CD 4 kann Valentina Mastrangelo spröde bis frisch neue Akzente setzen, Bariton Denver Martin-Smith ist empfindsam in „Non t’amo più“, kann aber auch dröge und dumpf in den französischen Liedern sein. Prominent wird es auf CD 5 mit Monica Bacelli und Mark Milhofer, deren Stimmen sich auch im Duett vereinen, sie süß flötend und er charmant, nicht umsonst mit einer bedeutenden Karriere als Rossinisänger alle spalle. Obwohl englischer Herkunft, klingt MIlhofer wie ein italienischer Tenor, sie verkörpert mädchenhafte Anmut aufs schönste. Dies alles gilt auch für CD 6, die beide gestalten. Auf dieser CD befindet sich auch Marechiare, gesungen mit extremer Leichtigkeit, wie dahingetupft.

Der Sopran Benedetta Torre und der Bariton Eugene Villanueva gestalten CD 7, sie dunkel getönt bis weinerlich, er  leider auch bei Malia dumpf und mit verwaschener Diktion. Dieses ist eine der schwächeren CDs der Reihe. Wie eine Opernarie singt der Sopran Ridonami la calma. Ein Star ist inzwischen Desirée Rancatore, die fast ausschließlich die CD 8 gestaltet, mit schöner Melancholie in der Stimme leichter Emission, manchmal nur angenehm dahinplätschernd, aber in Dimmi fanciulla sich an Empfindsamkeit mit dem Tenor David Sotgui überbietend. Weiter geht es mit CD 9 und damit zum ersten Mal mit einer Bassstimme, der von Piotr Lempa, ungewohnt, aber von schöner Farbe und angemessen schlank geführt. Gut ergänzt er sich mit dem sanften Mezzosopran von Jurgita Adamonyté. CD 10 vereint den Sopran von Valentina Coladonato mit dem Tenor von Aldo Di Toro, er mit feinem Falsettone, ihre Stimme leicht  und biegsam. An Farbigkeit der Stimme ist der Sopran überlegen, während der Tenor in seinen Ausdrucksmöglichkeiten doch recht beschränkt bleibt.  Delphine Da Pontello ist der Sopran auf CS 11, schmal und spitz in der Höhe, aus Strana ein einfühlsames Drama machend, während Bariton Marco Severin sich zu sanfter Klage fähig zeigt. Wer in Italien Operette besuchte, kam kaum an dem Triester Dauer-.Buffopaar Daniela Mazzucato und dem Tenor Max René Cossotto vorbei. Seine Stimme klingt grell und durchdringend, in der Höhe offen und sehr hell, sie hat ein feines Soubrettenstimmchen, das Munterkeit und Eleganz verkörpert. CD 13 schließlich vereint den Sopran Marika Spadafino mit dem Tenor Alessandro Luciano, sie besticht surch delikate Geschmeidigkeit, er durch hörbare Schulung an Belcantopartien.  Es wechselnde, aber stets hilfreiche Partner am Pianoforte. Die restlichen fünf CDs wurden bereits besprochen, was unter dem Stichwort Tosti zu finden ist (Brilliant CDs 95530). Ingrid Wanja

 

Und damit nicht genug! Dem strengen Opernfreund gilt er als zu verachtender Salon-Neapolitaner, und doch kann man sich dem Zauber einer seiner Romanzen oder Canzonen, sei es „‘A Vucchella“ oder „Ideale“,  gar gesungen von einem Giuseppe Di Stefano oder José Carreras, kaum entziehen. Die Rede ist von Francesco Paolo Tosti, zu dessen hundertstem Todestag ein riesiges Projekt, nämlich die Aufzeichnung seiner sämtlichen rund 4000 Werke für Stimme und Klavier gestartet wurde. Inzwischen liegt die vierte der jeweils fünf CDs umfassenden Ausgabe vor, jede von renommierten italienischen Sängern interpretiert, wie die früheren drei meistens chronologisch geordnet und  vor allem die Jahre 1903 bis 1917 umfassend. Dabei handelt es sich nicht nur um italienische, wenn Bearbeitung von Volksliedern neben neapolitanischen solche aus den Abruzzen betreffend, sondern auch um englische und französische Texte, denn Tosti war nicht nur Musiklehrer der italienischen Königin Margherita, sondern lebte auch lange Zeit in London und erfreute sich der Gunst des dortigen Königshofes unter Königin Victoria.

Seine hier bei Brilliant versammelten italienischen Lieder dieser Epoche fußen zu einem großen Teil auf Gedichten von Gabriele d’Annunzio, ganz gewiss politisch eine fragwürdige Figur der italienischen Geschichte mit seinem Flug über Wien, dem Abenteuer von Fiume, heute Rijeka, und der Hass-Liebe gegenüber Mussolini. Dass er in Italien heute als Dichter weitgehend unumstritten ist, hat er wohl auch seinem frühen Todesdatum, 1938, zu verdanken. Jedenfalls ist sein Anwesen Vittoriale mit riesigem Grabmal am westlichen Gardasee-Ufer in Gardone ein beliebtes Ausflugsziel.

Der Zusammenklang von hocherotischen bis schwülstigen, aber oft auch erstaunlich sensiblen Texten mit der gefälligen, eingängigen Musik passt besonders gut zur Stimme des Mezzosoprans Monica Bacelli, die die letzte der fünf CDs besungen hat. Zwischen zärtlicher Mütterlichkeit und vokaler Raffinesse schwankt ihr „Ninna nanna“, ein raffinierstes Farbenspiel wird für „A Tale oft he Twilight“ eingesetzt, durch Interpretationen wie die ihren werden die Stärken der Kompositionen betont, eventuelle Schwächen eliminiert. Raffinierte Rubati kennzeichnen die Interpretation von „Tormento“, viele einander widersprechende Gefühle werden in „Non basta più“ ausgedrückt. Zarte Melancholie ist die Stärke von „Parole del ricordo mio“, deliziös verhauchend. Jedem Titel wird seine ganz eigene Farbe verliehen, dabei bleibt die Stimme jedoch immer schön gerundet. Mit dem Poemetto „La Sera“, sehr männlich, da ebenfalls von d’Annunzio stammend, macht sie die Tragödie eines durch und durch weiblichen Wesens hörbar, als wolle sie der zeitweiligen Geliebten des Dichters, der Schauspielerin Eleonora Duse, eine Stimme verleihen. Die Begleitung durch Isabella Crisante ist der Kunst der Sängerin ebenbürtig.

Die erste CD lässt uns die frische, mädchenhafte Sopranstimme von Maria Bagalà hören, die durch ihre Leichtigkeit und die, wenn angemessen, elegische Zartheit erfreut. Die Sängerin kann aber auch dramatisch ausholen, wie ihr Einsatz in „Amate!“ beweist.

Der Bariton John Viscardi erfreut den Hörer durch eine perfekte Diktion, durch eine kernig-markante Stimme, die nicht zuletzt durch ihre Unmittelbarkeit, die Fähigkeit zur Kommunikation überzeugt. Dass sie auch geschmeidig und schmeichelnd wirken kann, beweist sie mit  „Si je ne t’aimais pas“, die populäre  „Ultima Canzone“ lässt mit einem beschwörenden „Nina, rammenta“ aufhorchen. Eine raffinierte Crescendo-Fermate ist bemerkenswert im „Voi dormite Signora“. Glenn Morton ist der Pianist dieser CD.

Donata D’Annunzio Lombardi bestreitet gemeinsam mit der Pianistin Isabella Crisante die zweite CD. Sie hat eine ausgesprochene Puccini-Stimme, singt die weitgehend auf Texte von Riccardo Mazzola komponierten Canzonen agogikreich, mit raffinierten Pianissimi, aber auch altmodischen Portamenti werkgerecht, würde nicht das Verschlucken der Konsonanten den Gesamteindruck stören. Das Prätenziöse des Vortrags passt zu vielem auf der CD, weniger zum populären „A Vucchella“. „Canta la serenata“ erfreut sich eines frischeren Klangs, einiges andere leidet unter der verhuschten Tongebung.

Fast ausschließlich aus dem Jahr 1911 stammen die Stücke, die vom Mezzosopran Giuseppina Piunti und dem Tenor Riccardo Della Sciucca vorgetragen werden. Eine reife, füllige, substanzreiche Stimme wie die ihre passt sehr gut zur Musik, auch das geschmeidige, raffinierte Spiel mit den Tönen, der tragische Unterton für „Non mentire“ oder „Se tu canti“. Eine sehr empfindsame Seite zeigt die Sängerin in den „Due piccoli notturni“, am Schluss der CD hört man ein zauberhaftes Duett mit „Passing Shadow“.

Eigentlich wie ein Bariton mit guter Höhe hört sich Riccardo Della Sciucca an, der eine gut tragende, mit einem warmen Timbre ausgestattete Stimme besitzt. Er singt auch in Französisch und Englisch perfekt idiomatisch, vermag in „Luna d’Estate“ Beschwingtheit und Lebensfreude zu vermitteln und zeigt in „Baciami“ auch tenorales Strahlen, ohne dass die Dunkelheit des Timbres verloren geht.  Hier nimmt die Stimme im letzten „Baciami“ auch mal opernhafte Ausmaße an.

Fest etabliert im Operngeschäft wie Monica Bacellii st auch Cinzia Forte. Sie teilt sich mit dem Bariton  Giovanni Meoni die vierte CD, begleitet von Marco Scolastra. Die Stücke wurden zwischen  1890 und 1916 komponiert, die chronologische Anordnung also durchbrochen. Der Sopran scheint in den letzten Jahren an Fülle und Süße gewonnen zu haben, hat einen schönen Glockenton und wird manchmal, so in „More and more“, recht vibratoreich eingesetzt. Anmutig leicht klingt hingegen  „Maggio è ritornato“, eine schöne Klage  ist „Charitas!“. Deliziös schließlich wird  „While we are young“ gesungen. Im Duett  „Napoli“ überbieten die beiden Sänger einander an der Verbreitung guter Laune.

Einen urgesunden Bariton setzt Giovanni Meoni für  „O dolce meraviglia!“ ein, klingt volkstümlich, entschlossen und temperamentvoll. Die sehr gute Diktion kommt beiden Sprachen zugute, echte Empfindung lässt sich im „piangi“ von  „Perdutamente!“ vernehmen.

Wer diese CDs hört, wird sich schnell von dem Vorurteil verabschieden, dass leicht gleich leichtgewichtig, einfach schön zwangsläufig kitschig sein muss. Eine Fortsetzung des Unternehmens „The Song of a Life“ kann man sich nur wünschen (Brilliant Classics 95499). Ingrid Wanja

Berühmt ja, aber legendär?

 

Legendary Conductors nennt sich die DVD-Reihe, mit der Arthaus berühmte Dirigenten vorstellt, jeweils mit einer Darstellung ihres Werdegangs und in einem zweiten Teil mit zumindest einem Teil eines Konzerts. Im Fall von Zubin Mehta (Good thoughts, good words, good deeds)sind das die Kindertotenlieder von Gustav Mahler mit der Sächsischen Staatskapelle Dresden und mit Thomas Quasthoff, dessen letztes Konzert mit klassischer Musik vor der Hinwendung zum Jazz dies war.

Die gesamten 120 Minuten lang ist man als Zuschauer berührt von der großen Menschlichkeit, die der indische Dirigent ausstrahlt und die neben seinem großen Können den Untertitel der DVD, Good Thoughts, good Words, good Deeds, glaubhaft werden lässt. Schauplätze sind natürlich das Heimatland Indien, sein Wirken in Israel, aber auch Wien oder die Berliner Philharmonie gehören zu den bevorzugten Schauplätzen. Unzählig viele Fotos und Filmausschnitte machen den Reichtum des Films aus, und auch der Humor kommt nicht zu kurz, wenn der Maestro im Frack inmitten einer großen Schar von Pinguinen posiert. Mehrfach sind Proben zum und die Aufführung vom berühmten Konzert der drei Tenöre in den Thermen des Caracalla in Rom während der Fußballweltmeisterschaft 1990 zu sehen, Filmausschnitte von einer einer Saalschlacht gleichkommenden Auseinandersetzung des israelischen Publikums über Für und Wider einer Aufführung des Vorspiels zu Tristan und Isolde. Auch ganz frühe Auftritte wie die in Gemeinschaft mit Daniel Barenboim und anderen jüdischen Musikern, eine Oberon-Ouvertüre oder das Mozartkonzert für Flöte und Harfe gewähren interessante Einblicke in das Wirken Mehtas. Fast immer wünscht man sich, die musikalischen Teile würden nicht so schnell wieder aufhören, aber das Erfüllen dieses Wunsches würde nicht der Zielsetzung des Films gerecht werden, mit dem vielseitigen Schaffen des Maestro bekannt zu machen. So gibt es schnelle Orts- und Themenwechsel, von der Bekümmernis über den israelisch-palästinensischen Konflikt und ein Konzert mit Gasmasken für das Publikum über den vergeblichen Versuch, als Friedensbote mit dem Orchester in Ägypten zu musizieren und das erste Gastspiel des Israelischen Nationalorchesters in Deutschland, dem sich nur zwei Musiker verweigerten. Eine Würdigung Wagners als Baum, dem die Früchte Mahler,Grieg, Schostakowitsch usw. zu verdanken sind, fehlt eben so wenig wie Berichte vom Rigoletto beim Maggio Fiorentino oder der ersten Aufführung von Turandot in Peking, wo ein Wettlauf mit dem Regen stattfand. Anteilnahme erweckend sind auch die Ausschnitte von einem Konzert in Sarajewo während des Jugoslawienkonflikts. Und immer wieder berührt es den Betrachter der DVD sympathisch, wie bescheiden, freundlich und ausgeglichen sich Zubin Mehta nicht nur gibt, sondern wie er zu sein scheint.

Sollten in Zukunft nicht nur viele Japaner in europäischen Konzertsälen zu finden sein, sondern auch zunehmend junge Inder, dann wird das ein Verdienst Mehtas sein, der sich um die musikalische Erziehung der Jugend seines Heimatlandes kümmert. Die Gefährten seiner Kindheit und Jugend kommen ausführlich zu Wort und vervollständigen das Bild eines nicht zuletzt wegen seiner Liebe zum Kricketspiel heimattreuen wie weltoffenen Dirigenten. Dank seiner Freundschaft mit Daniel Barenboim hat man in Berlin oft das Vergnügen, ihn zu erleben. Aus München ist ein Ausschnitt aus den Gurreliedern mit Klaus Maria Brandauer zu sehen und zu hören, bei der Wiedergabe der Kindertotenlieder aus Dresden interessierte die Kamera natürlich besonders der Sänger.

Thomas Quasthoff fasst sie als einen Klagegesang ohne Anspruch auf Schöngesang auf, lässt seinen Bariton mal hohl, mal grell erklingen, einzelne Worte treten als Bedeutungsträger hervor, aber die Stimme kann auch strahlen wie auf „Sterne“. Ohnmacht und Zynismus werden ebenso zu Gehör gebracht wie das Tröstende des Schlusses, das nicht nur lange nachhallt, sondern sich auch im Gesicht des Sängers widerspiegelt. Kongenial zeigen sich die dunkel leuchtenden Farben des Orchesters. Die Aufnahme entstand 2010. Die nächste Folge der Reihe Legendary Conductors ist Daniel Barenboim gewidmet (Arthaus 109439). Ingrid Wanja

Singen wie vor 200 Jahren

 

Das Cover dieser CD macht neugierig. Nicht wegen des als Illustration gewählten Bildes. Caspar David Friedrichs Mondaufgang am Meer, das im Original in der Alten Nationalgalerie in Berlin besichtigt werden kann, steht ehr für hinlänglich Bekanntes, nicht aber für Neuland. Der Titel ist es, der aufhorchen lässt: Schubert. The small song cycles, erschienen bei passacaille (1084). Es singt der Tenor Markus Schäfer. Begleitet wird er von Zvi Meniker. Was es mit den kleinen Zyklen auf sich hat, erklären der im Liedgesang bewanderte Schäfer und sein Pianist im Booklet selbst: „Es handelt sich nicht um geplante Zyklen wie Die schöne Müllerin oder die Winterreise, sondern meistens um Lieder, die er zu verschiedenen Zeiten geschrieben und dann in Zusammenhang gebracht hat. Er hat ja immer nach Lust und Laune komponiert, ohne vorher zu planen, denn anders als bei Mozart kam ihm die Inspiration nicht auf Bestellung oder mit Aussicht auf eine Aufführung, oder wie bei Beethoven mit einem Auge auf den Verleger. Sobald der Funke übersprang, begann er zu komponieren. So ist jedes Lied, egal wie kurz, ein Kleinod. Deshalb gibt es so viele unveröffentlichte Lieder, und oft hat er seine Lieder erst eine Weile nach der Komposition nur für eine Veröffentlichung zusammengestellt. Jeder Zyklus weist eine eindeutige Entwicklung, eine Richtung, einen Anfang und ein Ende auf. Und auch wenn es manchmal etwas versteckt ist, hat jeder Zyklus ein Thema.“

Selbst sehr populäre Titel wie „Du bist die Ruh“ oder „Nähe des Geliebten“, wirken in zyklischer Zuordnung plötzlich anders. Diese Erfahrung fällt den Hörern aber nicht in den Schoß. Sie müssen sich darauf einlassen. Es kann auch nicht verkehrt sein, die Texte, die sich im Booklet finden, neu zu lesen, sie nachträglich auf sich wirken zu lassen. Das Publikum ist zu einer Entdeckungsreise eingeladen. Schäfer macht es ihm leicht, weil er so gut zu verstehen ist. Ausdruck und inhaltliche Vermittlung scheinen ihm wichtiger als Schöngesang. Nicht selten geraten Töne etwas herb. Doch wenn es darauf ankommt, holt er die große Farbpalette hervor und schöpft er aus einem großen Vorrat an lyrischem Schmelz. Naxos und Hyperion waren in ihren großen Gesamteinspielungen andere Wege gegangen. Während sich Naxos bei der Zusammenstellung nach den literarischen Vorlagen richtete, folgte Hyperion der Entstehungszeit auf Grundlage des Werkverzeichnisses von Ernst Deutsch. Markus Schäfer und sein Pianist gehen nun bei ihrer Auswahl einen dritten Weg und geben damit auch neue Anstöße für die Aufführungspraxis, die Nachahmung verdienen. In diesem Zusammenhang ist auch der Hinweis wichtig, dass in der vom Musikwissenschaftler Walther Dürr (1932-2018) herausgegebenen Neuen Schubert-Ausgabe die Lieder nach ihren Opuszahlen geordnet seien.

Der Wiener Hofopernsänger Johann Michael Vogl und Franz Schubert in einer Karikatur von Franz von Schober, der beide miteinander bekannt gemacht hat/ Wikipedia

Nicht genug damit. Beide Interpreten haben sich an Johann Michael Vogl erinnert und seinen individuellen Vortragsstil nachgespürt. Er gilt als erster Schubert-Sänger der Musikgeschichte. Wie hat er gesungen? Wie hat es geklungen? Vogl wurde 1768 bei Steyr geboren und stieg zu einem Hofopernsänger in Wien auf, wo er vor allem in Werken von Mozart und Gluck gefeiert wurde. Nebenher war er auch als Regisseur tätig. 1817 lernte er Schubert kennen und erkannte die Bedeutung von dessen Liedern. Trotz des Altersunterschieds von knapp dreißig Jahren wurden sie Freunde und traten gemeinsam auf. Vogl organisierte auch Konzertreisen und trug damit wesentlich dazu bei, dass Schubert bekannt wurde. Diese Fürsorge dauerte auch nach Schuberts frühem Tod im Jahr 1828 an. Vogl betreute den Nachlass und sorgte dafür, dass die Schöne Müllerin herausgeben wurde. „Wie seine eigenen handschriftlichen Abschriften der Lieder zeigen, hatte der Sänger die Angewohnheit, seine Gesangslinien zu verzieren“, schreibt der belgische Flötist, Kunst- und Musikwissenschaftler Jan De Winne im Booklet und schickt ein Zitat aus einem 1823 geschriebenen Brief Schuberts hinterher. Daraus geht hervor, dass der Komponist kein Problem damit hatte. Vogl, so Schubert, beschäftige sich fast ausschließlich „mit meinen Liedern“ und schreibe selbst die Singstimme heraus. Vogl habe also nicht nur die Vokallinie variiert, sondern auch seine „Sprechstimme und manchmal sogar das Falsett“ eingesetzt, um die Expressivität zu steigern, ist weiter zu erfahren. De Winne ist sich darüber im Klaren, dass solche Freiheiten „den Unmut der Puristen der aktuellen Interpretationspraxis“ erregen. Es könnte aber auch „neues Interesse an der Aufführungspraxis des 19. Jahrhunderts“ gefördert werden. Aus Zeugnissen von Schuberts Zeitgenossen gehe hervor, „dass diese Debatte schon damals geführt wurde“. Für diese CD ist das Booklet Pflichtlektüre. Das hätte gleich auf dem Cover vermerkt werden müssen. Auch wer sich mit Schubert gut auszukennen glaubt, bleibt ohne genauen Blick in den schriftlichen Teil der Neuerscheinung ratlos zurück. Was es zu hören gibt, erklärt sich nicht von selbst.

 

Deshalb ist es eine gute Idee gewesen, ein Werkstattgespräch zwischen Sänger und Pianist als vielsagendes Protokoll abzudrucken: Zvi Meniker: Ich denke, wir sollten uns von Schuberts Sänger Johann Michael Vogl inspirieren lassen und einige Verzierungen und Veränderungen einfügen. Besonders seine Veränderungen zu den Harfner-Gesängen sind wunderbar, nicht nur als Auszierungen, sondern auch als äußerst ausdrucksvolle Erweiterungen, ja fast Verbesserungen.

Markus Schäfer: Ja, ich würde Vogls Veränderungen zu den Harfner-Gesängen einfach übernehmen, die sind unübertrefflich. Und ich würde die zum Fischer auch nehmen; da macht Vogl in jeder Strophe etwas anderes, aus dem Strophenlied macht er fast ein durchkomponiertes Werk.

Z.M.: Ja, tatsächlich! Weißt Du, ich denke, wir sollten auch mit den anderen Strophenliedern etwas Ähnliches machen…

M.S.: Zum Beispiel bei den anderen aus Opus 5, Nähe des Geliebten und Der König in Thule?

Z.M.: Und sicher auch bei den Refrain-Liedern. Bei den beiden lustigen würde ich sogar in meinem Part etwas verändern, vielleicht auch beim König in Thule, da es so ein „einfaches“ Lied ist.

M.S.: Meinst Du nicht, dass das zu viel wird?

Z.M.: Naja, wenn Du siehst, was Vogl aus dem Fischer gemacht hat… Ich würde sowieso nicht alle Strophen genau gleich singen und spielen, etwas verändern müssen wir; und von wem könnten wir besser lernen als von Vogl? Nicht umsonst hat Schubert aus Salzburg an seine Familie geschrieben: „Die Art und Weise, wie Vogl singt und ich accompagnire, wie wir in einem solchen Augenblicke Eins zu sein scheinen, ist diesen Leuten was ganz Neues, Unerhörtes.” Schubert hat den Hofopernsänger Vogl also wirklich hochgeschätzt…“

M.S.: Dann lass uns diese Sachen ausprobieren, und schauen wir, wie es im Konzert wirkt. Ob wir das Publikum zum Heulen bringen, wie Schubert und Vogl es getan haben!

Der Tenor Markus Schäfer und seine Begleiter Zvi Meniker (links) gehen ungewöhnliche Wege bei der Interpretation von Schuberts Liedern. Ausschnitt dem Booklet. Foto: Assen Boyadjiev

M.S. & Z.M.: Etwa so, liebe Zuhörer, ist diese Aufnahme entstanden. Obwohl Schuberts Lieder uns schon länger bekannt sind, waren wir erstaunt, wie die bloße Anordnung nach den Zyklen, die er selber zusammengestellt und herausgegeben hat, die Lieder für uns in ganz neuer Sichtweise erscheinen lässt. Jedes Lied ist ein Kleinod an sich, aber jeder Zyklus bringt die Lieder zusammen und lässt sie aufeinander wirken, ohne dass ein Lied seine Stimmung und seinen Zauber verliert. Erstaunlich ist die Mannigfaltigkeit in diesen sechs Sammlungen mit 22 Liedern – ein winziger Teil von den etwa 600, die Schubert in nur 14 Jahren geschrieben hat. Wir waren entzückt, wie der Erzähler im Lied Heliopolis I – hoffentlich sind Sie es auch. Ende des Gesprächs Und was hat der Erzähler zu verkünden? „Wende, so wie ich, zur Sonne Deine Augen! Dort ist Wonne, dort ist Lebe…“

Schäfer legt die Strophe mehr als Staunen denn als Entzücken an und erzielt gerade dadurch die vielleicht noch viel größere Wirkung. Gemeinsam mit dem Lied eines Schiffers an die Dioskuren und mit Der Wanderer bildet es das als Drei Lieder bezeichnete Opus 65. Mit der Zusammenstellung in dieser Gruppe wird der zyklische Gedanken mit am deutlichsten.

Als sehr passend erweist sich die Begleitung mit dem Fortepiano, einem Hammerflügel. Der härtere Klang schafft eine gewisse entrückte Distanz zu den Darbietungen, signalisiert, dass Ungewohntes versucht wird. Zivi Meniker spielt ein Instrument, das 2012 in der Werkstatt des US-amerikanischen Klavierbauers Paul McNulty nach einem historischen Flügel des Wieners Conrad Graf aus Schuberts Zeit hergestellt wurde. McNulty arbeitet heute in Tschechien und zwar in Divisov in der Mittelböhmischen Regien. Nach historisch verbürgten Überlieferungen soll Graf das Holz für die Resonanzböden seiner Instrumente in Böhmen gefunden haben. Rüdiger Winter