Archiv für den Monat: Juni 2019

Nicola Vaccaj: „Giulietta e Romeo”

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Ob Norma, Liebestrank oder Lucia di Lammermoor: Belcanto-Opern sind beliebt und gehören inzwischen weltweit zum Opernrepertoire, besonders bei Festivals. Aber welches war eigentlich das Urmodell, die erste erfolgreiche romantische Belcanto-Oper?

Sie stammt nicht von Bellini oder Donizetti, sondern von Nicola Vaccaj – es war der Publikumserfolg Giulietta e Romeo, uraufgeführt 1825. Die Oper ließ sich selbst von Bellinis Neuvertonung von 1830 nicht verdrängen, oft spielte man perfiderweise sogar eine Mischung aus beiden Werken. An diese erstaunliche Oper hat das berühmte Opernfestival in Martina Franca 2018 erinnert (s. unten), und die Aufführung ist nun bei Dynamic auf CD zu haben (und als Bluray-DVD). Eine wirklich beeindruckende Vollblut-Belcanto-Oper mit einem Mezzosopran als Romeo.

Wuchtige Chöre: Dass erst 1825 wieder neue Töne jenseits der Formel aus Italien zu hören waren, liegt daran, dass die italienischen Komponisten sich alle in Schockstarre befanden, weil Rossini sie im Würgegriff hielt. Und dann ging Rossini 1824 nach Paris, und als dann allmählich klar wurde: der kommt so schnell auch nicht wieder, kamen die Mäuse aus ihren Löchern und trauten sich wieder, zu pfeifen. Und eine der ersten Opern, diesich moderat vom Rossini-Ton befreiten, das war diese Romeo- und Julia-Vertonung, übrigens nur Wochen vor einer zweiten erstaunlichen Reformoper, Pacinis Ultimo Giorno di Pompej.

Vaccaj nimmt sehr viel von dem vorweg, womit Bellini und Donizetti später ihre Hörer paralysieren große elegische Melodien, Einsatz von Harfe und anderen romantisch anmutenden Instrumenten, wuchtige Chöre, all das findet sich hier schon.

Vaccaj kreiert hier eine eigene Sprache, die genau zwischen Rossinis und Bellinis Meisterwerken auf die Welt kommt, er schreibt eine elegante und doch leidenschaftliche Musik, und für jeden, der den Belcanto liebt, dürfte das eine echte und erfrischende Abwechslung sein.

Viel Leidenschaft und Hingabe: Obwohl die Neuaufnahme in einigen Foren als Weltersteinspielung angekündigt wurde, hat es schon einen CD-Mitschnitt aus Jesi von 1996 gegeben. Da erschien mir das Werk unendlich langweilig, obwohl die Sängerriege gar nicht so schlecht war. Aber die Reprisen waren gekürzt und das Orchester zu tumultös. Und jetzt – das ist wirklich ein kleines Wunder – kann man in diesem Mitschnitt erleben, wie eine gut gemischte Sängergarde aus angehenden Stars und Kräften kleinerer Häuser mit viel Leidenschaft und Hingabe an ihre Grenzen geht und dem Werk echtes Leben einhaucht.

Gerade Leonor Bonilla als Julia gibt alles; Sie ist sicher keine primadonna assoluta, aber eine Sängerin, die mit ihrer Rolle verschmilzt und die Partie glaubwürdig gestaltet. Sehr hörenswert auch der Starauftritt des chilenischen Baritons Christian Senn als Pater Lorenzo. Rafaella Lupinacci als Romea fällt dagegen etwas ab, aber das kann auch subjektiver Eindruck sein; ihre Romeo-Hits haben schon große Diven auf der Platte gesungen, etwa Marilyn Horne. Insgesamt aber spürt man: wenn man es so zelebriert, macht auch eine Oper zweiten Ranges Vergnügen.

Sesto Quatrinis Stabführung hat mich nicht restlos überzeugt. Zwar kann er die großen bellinischen Bögen mit seinem Orchestra Accademia Teatro alla Scala überzeugend zelebrieren, oft bremst er aber die Schlussakte der Nummern aus, die dann unspektakulär in Zeitlupe vergurgeln (Nicola Vaccaj: Giulietta e Romeo; mit Leonor Bonilla, Raffaella Lupinacci, Paoletta Marrocu | Coro del Teatro Municipale di Piacenza | Orchestra Accademia Teatro della Scala | Sesto Quatrini; Dynamic 2 CDS 7832.02 und als DVD Bluray 57832). Matthias Käther

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Der Komponist Nicola Vaccaj/ Wikipedia

Und als Ergänzung zum Artikel meines jungen Kollegen – ein kurzer Blick auf Vaccajs nicht so bekannte Oper, wie er meint (wobei man die ungemein erfolgreiche Medea in Corinto Simone Mayrs nicht unerwähnt lassen sollte, ob nun wirklich eine Belcanto-Oper oder nicht…). Ich erinnere mich an die sehr temperamentvollen und gtar nicht langweiligen Aufführungen 1996 im bezaubernden Barock-Theaterchen von Jesi, ein reizendes Städtchen oberhalb von Martina Franca an der Adria-Küste. Davon gibt es auch den Mitschnitt (klanglich nicht aufregend) bei Bongiovanni (GB2195/96) Paula Almararez und Maria José Trullu in den Hauptrollen unter dem Pionier Tiziano Severini.  Vorher hatten sich Nicola Rescigno und Marilyn Horne der Oper angenommen und konzertant den fulminanten Schluss mit der langen Todeszene erst 1977 in Dallas und davor in New York (mit dem damaligen Ehemann Henry Lewis) nach alter Malibran-Manier statt des originalen Schlusses in die Capuleti e i Montecchi  eingebaut, unterstützt von Linda Zogby (who?) als bezaubernde  Giulietta. Die Horne braust durch diese wunderbare Musik wie ein slalomgeübter Treckerfahrer, absolut beeindruckend, ebenso in  den Capuleti e i Montecchi überwältigend, wenngleich wie meist ein wenig zu robust. Sammler habe diese Aufnahmen natürlich (bei ehemals Ponto, bei youtube et. al.).

Rossini in Wilbad nahm sich ebenfalls Vaccajs an: seine Sposa di Messina gab es dort 2009, und die tüchtige Firma Naxos hat diese im Rahmen ihres Wildbad-Kanons mitgeschnitten (8660295-96, erschienen erst 2012; SWR).

„Gulietta e Romèo“: Marilyn Horne und Lindaa Zogby singen bei youtube das Finale aus Dallas 1977/ youtube

Zudem gibt es doch verschiedene Einspielungen mit Vaccajs Musik, wie ein Blick zu Google oder Amazon zeigt: Kammerarien mit Monica Carlett bei Concerto (naja), die Sammlung Grande Accademia vocale e strumentale bei Bongiovanni, Orgelmusik bei Elegia, Flötenquartette bei Tactus, die „Praktische Schule des italienischen Gesangs für mittlere Stimme – Lehrbuch von Nicola Vaccai mit CD“ von Ricordi. Denn Vaccaj war auch als Musikpädagoge renommiert. Aber sein Verona-Drama ist mit Abstand die schmissigste Musik von ihm, die wir bislang kennen. Und das Finale mit der Horne eine absolute Ober-Wucht… G. H.

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Eine vollständige Auflistung der bisherigen Beiträge findet sich auf dieser Serie hier.

Eva Kleinitz

 

Die Staßburger Oper schreibt: In  tiefer Trauer müssen wir mitteilen, dass Eva Kleinitz,  bisherige Intendantin der Opera national du Rhin, am Donnerstag den 30. Mai 2019 nach langer Krankheit verstorben ist. Eva Kleinitz´ kühne und weltoffene Spielplangestaltung, ihre strahlende und großzügige  Menschlichkeit und ihr für alle Mitarbeiter unseres Hauses sehr inspirierender Ehrgeiz haben tiefe Spuren bei allen hinterlassen, die das Glück hatten mit ihr seit ihrer Ernennung im Frühjahr 1916 unter ihrer Leitung zu arbeiten. Auch in ihren früheren Funktionen an der Oper Stuttgart,  am Brüsseler Opernhaus La Monnaie /De Munt und bei den  Bregenzer Festspielen bestach sie durch ihre Herzlichkeit und ihre berufliche Kompetenz. Das aufrichtige Beileid der gesamten Opera national du Rhin  und unser tiefes Mitgefiühl gelten Eva Kleinitz‘  Angehörigen und ihren Freunden.

 

Biographie Eva Kleinitz wurde in Langenhagen geboren. Sie studierte Musikwissenschaft, Psychologie und italienische Literaturwissenschaft an der Universität des Saarlandes. Mit einer Magisterarbeit über die Oper Francesca da Rimini von Riccardo Zandonai schloss sie ihr Studium 1998 erfolgreich ab.

Ab 1991 war sie Regieassistentin und Spielleiterin, unter anderem bei den Bregenzer Festspielen sowie in Theatern und Opernhäusern in Klagenfurt, Avignon, Nîmes, Paris, Straßburg, Spoleto, Köln und Schwetzingen und hatte dort die Gelegenheit mit verschiedenen Regisseur·innen zusammenzuarbeiten, darunter Daniele Abbado, Philippe Arlaud, Götz Friedrich, David Pountney und Jérôme Savary.

Im Rahmen ihres Engagements im künstlerischen Betriebsbüro der Bregenzer Festspiele ab 1998 leitete Eva Kleinitz die Projekte Oper am See und Oper im Festspielhaus. Sie war verantwortlich für Casting, Dramaturgie, Verträge, Werkstätten und die Redaktion des Programms. 2000 übernahm sie die Leitung des künstlerischen Betriebsbüros und war bis 2003 persönliche Referentin des Intendanten Alfred Wopmann. 2003 bis 2006 arbeitete sie als Operndirektorin und stellvertretende Intendantin der Bregenzer Festspiele sowie als Prokuristin unter dem neuen künstlerischen Leiter David Pountney.

In dieser Zeit arbeitete sie mit renommierten Regisseur·innen wie Robert Carsen, Francesca Zambello und Phyllida Lloyd sowie mit namhaften Dirigent·innen, darunter Sylvain Cambreling, Fabio Luisi, Yakov Kreizberg, Vladimir Fedoseyev, Ulf Schirmer und Marcello Viotti.

2006 bis 2010 übernahm sie die Direktion für künstlerische Planung und Produktion an der Brüsseler Oper La Monnaie / De Munt. Ab der Spielzeit 2007/2008 war sie dort ebenfalls künstlerische Referentin des neuen Intendanten Peter de Caluwe. In dieser Eigenschaft arbeitete Eva Kleinitz mit den Regisseur·innen Pierre Audi, Robert Carsen, Deborah Warner und Krzysztof Warlikowski, den Dirigenten René Jacobs, Hartmut Haenchen, Marc Minkowski, Kazushi Ono, Marc Soustrot, Carlo Rizzi, Christophe Rousset und Jérémie Rhorer sowie den Choreograf·innen Sidi Larbi Cherkaoui, Akram Khan, Ann-Teresa de Keersmaeker und Sasha Waltz.

Ab 2011/2012 war Eva Kleinitz Operndirektorin und stellvertretende Intendantin im Leitungsteam der Oper Stuttgart, zusammen mit Jossi Wieler (Generalintendant), Sylvain Cambreling (Generalmusikdirektor) und Sergio Morabito (Chefdramaturg). In der Spielzeit 2015/2016 erhielt die Oper Stuttgart unter anderen Auszeichnungen den Titel Opernhaus des Jahres von der Zeitschrift Opernwelt.

In Stuttgart arbeitete Eva Kleinitz mit Dirigenten wie Giuliano Carella, Teodor Currentzis, Gabriele Ferro, Hartmut Haenchen, Marko Letonja, Daniele Rustioni, Michael Schønwandt, Marc Soustrot und dem damaligen Generalmusikdirektor Sylvain Cambreling sowie mit den Regisseur·innen Andrea Breth, Calixto Bieito, Andrea Moses, Peter Konwitschny und Kirill Serebrennikov, aber auch mit Jossi Wieler und Sergio Morabito aus dem eigenen Haus.

Im Oktober 2013 wurde Eva Kleinitz beim Herbstkongress in Wexford, Irland als erste Frau und erste Deutsche zur Präsidentin von Opera Europa gewählt; das Amt bekleidete sie bis Mai 2017. Seit 2005 hält sie regelmäßige Gastvorlesungen und Workshops an der Showa University of Music in Shinyurigaoka / Präfektur Kanagawa, Japan. Sie gibt ebenfalls regelmäßig Kurse an der Accademia della Scala di Milano.

Von Januar 2015 bis Mai 2017 war sie Mitglied der Editorial Group der Opernwebsite The Opera Platform, einem gemeinsamen Projekt von Opera Europa und dem Fernsehsender ARTE mit Unterstützung der Europäischen Union.

Darüber hinaus ist sie regelmäßig Jurorin bei internationalen Gesangswettbewerben, unter anderem bei der Francisco Viñas Competition, dem Concorso Lirico Internationale di Portofino, dem AsLiCo Como, der Paris Opera Competition etc.

Am 31. März 2016 wurde Eva Kleinitz einstimmig zur Generalintendantin der Opéra national du Rhin ab der Spielzeit 2017/2018 berufen. Es handelte sich um eine gemeinsame Entscheidung des französischen Kulturministeriums, der Städte Straßburg, Mulhouse und Colmar und der Region Grand Est. Am 1. September 2017 trat sie die Nachfolge von Marc Clémeur an, der seit 2009 als Intendant der Opéra national du Rhin tätig war.

Mit großer Kühnheit würdigte Eva Kleinitz in ihrer Zeit als Intendantin der Opéra national du Rhin immer wieder Werke, die in den Repertoires kaum Beachtung fanden, wie Francesca da Rimini von Zandonai, Der Tembelbrand von Mayuzumi, Barkouf! von Offenbach, La divisione del mondo von Legrenzi und jüngst Beatrix Cenci von Ginastera. Ihr Bestreben, die Opéra national du Rhin für neue Wege zu öffnen, verwirklichte sie unter anderem mit dem interdisziplinären Festival ARSMONDO, das sie in Zusammenarbeit mit ihrem künstlerischen Berater und Dramaturgen Christian Longchamp gestaltete. Nachdem die ersten Ausgaben des Festivals 2018 Japan und 2019 Argentinien gewidmet waren, wird 2020 Indien das Gastland sein.

Eva Kleinitz’ Begeisterung für große Künstler⋅innen kannte keine Grenzen und unter ihrer Leitung seit September 2017 wurde die Opéra national du Rhin zu einer bedeutenden Stätte des künstlerischen Schaffens, was unter anderen die Regisseur⋅innen Mariame Clément, Tatjana Gürbaca, Barrie Kosky, Ludovic Lagarde, Jetske Mijnssen, Amon Miyamoto, Mariano Pensotti, David Pountney, Nicola Raab, Pierre-Emmanuel Rousseau, Nicolas Stemann, Marie-Eve Signeyrole, Frederic Wake-Walker, Jossi

Wieler & Sergio Morabito bezeugen können. Durch die fruchtbare Zusammenarbeit mit Marko Letonja, dem musikalischen Leiter des Orchestre philharmonique de Strasbourg, sowie mit Patrick Davin und dann Jacques Lacombe, den Leitern des Orchestre symphonique de Mulhouse, entsprachen die von ihr programmierten Opernproduktionen stets einem anspruchsvollen musikalischen Niveau. Eva Kleinitz ermöglichte zahlreichen Sänger⋅innen in neuen Rollen zu debütieren und sie unterstützte und betreute die jüngsten unter ihnen, vor allem die Jahrgänge des Opernstudios, mit der allergrößten Herzlichkeit. Ihre Begeisterung und Unterstützung galt ebenfalls der Arbeit von Bruno Bouché an der Leitung des Balletts der Opéra national du Rhin. (Quelle Opéra national du Rhin/ Foto Klara Beck/ ONR)

Das Lächeln fehlt

 

Sol y vida nennt sich Elīna Garančas Ausflug ins Cross-Over-Geschäft bei DG und lässt Spanisches vermuten, was nur zum Teil zutreffend ist. Den umfangreichen Mittelteil bilden Canzoni von Tosti, de Curtis und Co, die gern für neapolitanisches Liedgut gehalten werden, eigentlich Salonmusik sind und vorzugsweise von Tenören, unlängst erst von Jonas Kaufmann, gesungen werden. Nun singen Soprane und Mezzosoprane seit einiger Zeit auch Die Winterreise, warum dann nicht italienische Canzonen. Der lettische Mezzosopran interpretiert sie nicht als naives Sichverschwenden kostbaren Materials wie einst beispielhaft Giuseppe Di Stefano, auch nicht als elegante Salonstücke, sondern wie Opernarien. Bei Cardillos Core ngrato trumpft auch das Orchester mächtig auf`, offenbart sich das Timbre als sehr preziös, wird sehr getragen gesungen, und auch bei de Curtis‘  Torna a Surriento erfreut natürlich die Stimmpracht, die Raffiniertheit des Singens, doch fehlt das Herz, das andere Interpreten in ihren Vortrag legten, erschlägt die allzu große vokale Geste fast das Stück. Non di scordar di me des selben Komponisten wird von einem unangenehm schmalzigen, überproportionierten Orchester begleitet, während die Sängerin der Canzone allzu viel Verinnerlichung angedeihen lässt, aber das Lächeln fehlt, das eigentlich diesen Stücken bei aller Traurigkeit innewohnen sollte. „Zu viel“ möchte man mit Tannhäuser ausrufen, wenn die zugegeben wundervolle Stimme viel Kunstvolles produziert, während doch der Charme von Musica proibita woanders liegt. Weniger dick wird Non t’amo più vom Orchester begleitet, doch der Mezzo bleibt tränenschwer, mit Überschwermut wird das Stück belastet. Auch Marechiare holt aus zu Operneffekten, alles klingt wunderschön, ist aber seines Charakters beraubt.

Die Stücke in spanischer Sprache, sei es aus Europa, sei es aus Südamerika, klingen schon einmal durch das härtere Idiom authentischer. Granada beginnt verinnerlicht, wo andere Sänger bereits aufdrehen, hier gibt es, und das ist gut, kein generelles Sichaufplustern der Stimme, sondern eine differenzierende Interpretation. Das Orquesta Filarmónica  de Gran Canaria unter Karel Mark Chichon ist hier hörbar in seinem Element. Eine schöne Verhaltenheit zeichnet La Llorona aus, viel Flexibilität und Leichtigkeit Vai lavar a cara. Besonders schön wird es, wenn sich die Begleitung fast nur auf die Gitarre beschränkt, so im Gracias a la vida von feiner Melancholie. Insgesamt wird sehr viel mehr vom Charakter der Musik erfasst als bei den italienischen Stücken. Zu Piazzollas Maria passt der kleine Schuss Ordinäres, den die Stimme der Garanċa hier annehmen kann, sehr schön geradlinig, sehr erfüllt hört sich Hermidas Lela an, und den angemessenen Zarzuela-Stil hält die Sängerin für No puede ser bereit. Recht weichgespült klingt Gardels El dia, und Barrosos Brazil beschließt die CD mit so unterschiedlichen Eindrücken auf den Hörer, dass er sie weder in ihrer Gesamtheit bejubeln noch verdammen mag (Deutsche Grammophon 483 6217). Ingrid Wanja  

Aufgewärmt

 

Der Liedersänger Dietrich Fischer-Dieskau hat sich bis zum Ende seiner Karriere im Jahre 1992 die Neugierde bewahrt. Obwohl Franz Schubert wie ein Fels im Zentrum seines Wirkens stand, stellte er sich immer wieder neuen Herausforderungen. Ein Album, das jetzt bei Orfeo herausgekommen ist, legt Zeugnis davon ab: Orchesterlieder von Hugo Wolf und Max Reger (MP1902), jeweils eine CD pro Komponist. Bei Wolf wird er vom Münchner Rundfunkorchester unter Stefan Soltész begleitet, bei Reger (1989) vom Philharmonischen Staatsorchester Hamburg unter Gerd Albrecht. Es handelt sich um Produktionen des Bayerischen und des Norddeutschen Rundfunks, die 1990 (Wolf) und 1989 (Reger) entstanden – für Fischer-Dieskau eine Art Abgesang. Zunächst waren die Lieder von Orfeo einzeln veröffentlicht worden. In der Kombination können Vergleiche angestellt und Gemeinsamkeiten aufgespürt werden. Der 1860 geborene Hugo Wolf und sein dreizehn Jahre jüngerer Kollege waren schließlich Zeitgenossen. Reger hat sich intensiv mit Wolf beschäftigt und sich selbst mit dem „verkannten Genie“ identifiziert, wie Susanne Popp in ihrer Reger-Biographie „Werk statt Leben“ feststellt. Einen Berührungspunkt zwischen beiden Komponisten gibt das Album bei „Sterb‘ ich, so hüllt in Blumen meine Glieder“ aus dem Italienischen Liederbuch her, das von Reger instrumentiert wurde.

Während dieser die Orchesterfassungen seiner Stücke selbst schuf, liegen bei Wolf die Dinge oft anders. Eines seiner bekanntesten Lieder, „Fußreise“ nach Mörike, bearbeitete Günter Raphael (1903-1960), der im Musikbetrieb noch immer nicht die Wertschätzung erfährt, die ihm zusteht. Er hinterließ ein umfängliches Werk aus Sinfonien, Konzerten, Kammermusiken, Kantaten, Liedern und Orgelstücken. Als so genannter Halbjude von den Nationalsozialisten verfolgt und seiner Ämter enthoben, durfte Raphael – inzwischen schwer krank – erst nach 1945 wieder unterrichten. Thomaskantor Karl Straube hatte ihn einst als seinen Nachfolger auserkoren. Seine Instrumentierung betont den ausgesprochen lyrischen Charakter des Liedes noch zusätzlich, und dem fünfundsechzigjährigen Interpreten scheint es ein Leichtes, diesen Ton fast schwelgerisch aufzunehmen. Dabei ist er noch immer in seinem Element. Hochdramatische Ausbrüche in „Prometheus“ oder in „Der Freund“ gelingen nicht ganz mehr so gut wie in jüngeren Jahren. Der finnische Bassist Kim Borg, der sich auch komponierend betätigte, versah die „Drei Michelangelo-Lieder“ mit Orchester. Dadurch wird deren Strenge und Modernität allerdings etwas gemildert.

Orchestral Songs also! Auf die Reger-Auswahl trifft der Titel des Albums eigentlich nicht zu. Bei „Der Einsiedler“, „Hymnus der Liebe“, „An die Hoffnung“ – alle um die 13 Minuten lang – und dem „Requiem“ (16 Minuten) handelt es sich denn doch mehr um kantatenähnliche Gesänge, zumal im ersten und im letzten Stück noch ein Chor (St. Michaelis-Chor und Monteverdi-Chor Hamburg) hinzutritt. Rainer Aschemeier, der Autor des Booklet-Textes, findet – und das zu recht – nicht nur für den Säger, sondern auch für den Dirigenten Albrecht eine durchweg positives Urteil: „Das Ergebnis ist eine künstlerische Symbiose höchsten Ranges, die von einer Leidenschaft und Innigkeit zeugt, wie man sie nicht mehr häufig findet: Ein wahres Tondokument!“ Das Album erinnert Sammler und Verehrer von Dietrich Fischer-Dieskau daran, dass er auch Orchesterlieder von Hans Pfitzner für EMI/Electrola eingespielt hat. Erstmals veröffentlicht wurde die Platte 1979. Darauf finden sich so seltene Titel wie die Ballade „Herr Oluf“, die auch Carl Loewe meisterhaft in Töne setzte. Aus der Oper Der arme Heinrich singt Fischer-Dieskau die Erzählung des Dietrich. Begleitet wird er vom Sinfonie-Orchester des Bayerischen Rundfunks unter der Leitung von Wolfgang Sawallisch. Eine CD-Übernahme habe ich nicht gefunden, nur eine Download-Version von Warner. Rüdiger Winter

Sehnsucht nach dem goldenen Zeitalter

 

 „Berlioz pour toujors“! möchte man ausrufen angesichts der Fülle an Aufnahmen, die es inzwischen von dem großen Komponisten unseres Nachbarlandes jenseits des Rheins gibt (wo er nachweislich am wenigsten geschätzt wird, wie man der jüngsten Aufführung seines opus summum an der Pariser Oper bei Arte TV entnehmen konnte). Das Berlioz-Jahr 2019 (Berlioz: * 11. Dezember 1803 in La Côte-Saint-André, Département Isère; † 8. März 1869 in Paris)  animiert die CD-Firmen, ihre Schatztruhen zu öffnen und uns mit ihren mehr oder weniger habenswerten  Dokumenten zu überschütten. Wobei Warner als EMI-Nachfolgerin die Nase vorn hat, geht sie doch besonders sorgfältig mit ihren Erbstücken um und steuert für die im wahrsten Sinne Gesamten Einspielungen auch noch neue bei, die als Erstaufnahmen wie in der Debussy-Box vor kurzem auch den Berlioz-Katalog vervollständigen. Im Ganzen ist die Warner-Box ein Meilenstein, ein unverzichtbarer.

Colin Davis hat seine Berlioz-Leidenschaft noch einmal und spät mit dem London Symphony Orchestra live ausgetobt und auf CD beim hauseigenen Label LSO festgehalten, mehr als diskutabel auch die Oper Les Troyens – da mag man wahrlich kritisch sein, denn seine immer noch unübertroffenen Philips-Großtaten mit Vickers und Veasey in den Troyens sind immer noch Maßstab setzend und von den neuen Live-Mitschnitten und anderen Aufnahmen durchaus nicht übertroffen. Dennoch: Auch er ist einer der ganz großen Berlioz-Kämpfer unserer Tage gewesen.

Natürlich fehlt viel, was man im Berlioz-Jahr wieder sehen möchte und vergriffen scheint (Amazon/ jpc), aber Decca (!)-Aufnahmen hat ihre antiken Aufbnahmen von Davis (ebenfalls Veasey und dann Watts unübertroffen in Béatrice et Benedict) neu herausgegeben, zusammen m9it weiteren Berlioz-Einspielungen des Dirigenten. Fehlen tun die Decca-Boxen von prèsque tout Berlioz unter  Dutoit.  Sony/RCA hatte ihre Schränke geöffnet und die Berlioz-Schätze unter Munch, Bernstein  und Co. wiederaufgelegt (alles in operalounge.de noch mal nachzulesen). Sony selbst hat als CBS-Columbia-Erbin Eleanor Stebers schöne Berlioz-LP im Schrank (und die aufregende Bidu-Sayao-LP/ CD mit mélodies francais ist m. W. auch nicht mehr greifbar) …

 

„Les Troyens“: die Beecham-Aufnahme der BBC bei Somm, hervorragend restauriert unter den Augen von Lady Beecham beim Beecham-Trust/ Somm-Beecham 26–8, 3 CDs

Glücklicherweise sind Les Troyens unter Beecham mit der hinreißenden Marisa Ferrer bei Somm in sensationeller Qualität neu erschienen, auch diese ein Meilenstein. Auf die DG-Köstlichkeiten mit Barenboim (Teile eines abgebrochenen Berlioz-Zyklus) kann man  getrost verzichten, hingegen ist die alte Damnation unter Markhevitch ein Muss. Ebenso die Westminster-Monteux-Aufnahme von Roméo et Juliette mit der wunderbaren Resnick im Alt-Solo. Die Decca hat unter ihren Juwelen Maazels Roméo et Juliette oder natürlich die bis auf den Tenor wirklich superben Troyens unter Dutoit mit der himmlischen Pollet als Didon und anderem, noch ein Doppel-Bloc unter eben Dutoit (die schöne Lieder-Zusammenstellung mit der Pollet und anderen bei DG nicht zu vergessen, die ist aber in Teilen nun bei Warner gelandet).

Und jemand sollte die amerikanischen Troyens mit Steber und Resnik offiziell herausgeben (eigentlich unter Beecham, aber er wurde just am Tage der Radioübertragung krank und sein Assistent Robert Lawrence dirigierte).  Natürlich gehören auch die Troyens Teil 2 unter Scherchen mit der hinreißenden Arda Mandikian auf den Markt, die japanische Scherchen-Tochter hatte die alten Ducretet-Thompson/ Westminster-LPs gut aufgearbeitet für Tahra ausgegraben (die bei einer ungenannten Billigfirma sind nicht zu empfehlen, da herrscht Dumpfes). Und natürlich gibt’s jede Menge Historisches von Coppola bis Dorati oder Gielen (naja) Luisi oder oder oder, was als Addenda vielleicht lohnend wäre.

„Les Troyens à Carthage“ unter Hermann Scherchen bei Ducretet/London – eine legendäre LP-Ausgabe, aber zwischen als CDs erhältlich

In jeden Fall stehen wir heute unendlich viel reicher an Berlioz-Dokumenten da als noch vor einigen Jahren. Auch an DVD-Live-Mitschnitten kürzlicher Aufführungen in London und andernorts. Und a propos Live-Mitschnitte: Davon gibt es wirklich inzwischen massenhafte, namentlich aus London unter Kubelik und Davis, aber auch in Englisch mit Janet Baker aus Edinburgh und London. Und auch die alte Scala-Aufnahme (Walhall) soll ebenso wenig vergessen werden wie die beglückende von der RAI mit einem unübertroffenen Trio Gedda, Horne und Verrett unter Prêtre (Arkadia u. a.). Sowie die Torsi mit der Crespin aus Boston (Sammlerglück).

 

Marie Delna war die Didon in der ersten (!!!) vollständigen Aufführung der „Troyens“ in Paris 1890 (!!!)/ Wiki

Daniel Hauser hat noch einmal auf die Berlioz-Gesamtausgabe bei Warner hingewiesen, die auch die Neuaufnahme der Troyens aus Strasbourg beinhaltet – diese wurde auch andernorts in operalounge.de von mir besprochen, mit unterschiedlicher Begeisterung, trotz der Hochachtung vor Dirigent John Nelson.  

Aber noch ein paar Worte zum opus summum von Berlioz, auf anderen Dokumenten, denn erstaunlicher Weise ist dieses Werk, das so aufwendig zu besetzen und erst in unserer Zeit fast Repertoire-mäßig zu hören ist, gut dokumentiert. In der Vergangenheit wurde es ja eher selten gespielt, in Frankreich fast gar nicht, in Paris erst 1890 erstmals vollständig, seitdem bruchstückhaft und barbarisch gekürzt – einzig Marseille und das Berlioz-Festival kurzjährig in Lyon -wetzen die Scharte aus. Paris eröffnete zumindest die Bastille 1990 mit den „Troyens“ (die Damen Bumbry und Verrett sowie Goerge Gray standen wieder mal für die absurden Besetzungspläne der Pariser Oper, die nun 2019 erneut „Les Troyens“ mit Russen und Amerikanern gibt. Was wieder für die Nichtachtung der Franzosen gegenüber ihren großen Komponisten spricht und mit dem Aussterben der Kenntnisse vom eigenen Repertoire und dem Verschwinden der großen Stimmen/Tenöre im eigenen Land zu tun hat. Aber wenn man eine Mezzosopranistin wie die fulminante Sylvie Brunet im Land besitzt und eine Russin (als Ersatz für die Garanca) für deren Partien verpflichtet, dann macht das doch nachdenklich.

Berlioz´Oper „Les Troyens“  Erato (0190295762209) auf 3 CDs mit einem DVD-Bonus-Hightlights-Mitschnitt; Nelson verwendet leider mal wieder das spätere Finale und lässt die Sinon-Szene im ersten Akt aus….

International hingegen sind die Troyens außerordentlich oft auf CD und Sammler-live festgehalten worden. Sogar in einer barbarisch gekürzten deutschen Version von 1961 mit Josef Traxel unter Hans Müller-Kray (Walhall) vom SWR. Und apropos deutsch:  Sogar Frida Leider sang die Dido vor dem Krieg neben Helge Rosvaenge 1930 an der Staatsoper in Berlin unter Leo Blech. Aber davon gibt es kein Dokument, nur ein Foto.

Die eigentliche und immer noch unangefochtene Studio-Einspielung ist die der Philips von 1969 unter Colin Daviserstmalig (fast) komplett und ein Meilenstein in der Werkgeschichte. Covent Garden hat in der Vergangenheit unendlich viel für Berlioz getan – zu Beginn Rafael Kubelik und dann Colin Davis sorgten unermüdlich für Aufführungen erst in Englisch und dann im Original, mit illustren Besetzungen von Veasey bis Baker, Silja, Meyer, Baltsa, Lear, Shuard und vielen, vielen mehr (um nur von den beiden weiblichen Hauptpartien zu sprechen; Dank auch an Freund Sandro für die Erinnerung an Rozhdestvensky mit Felicity Palmer als Cassandra konzertant in Lodon). Ronald Dowd, Gregory Dempsey und Jon Vickers wechselten sich als Enée ab. Die Philips-Aufnahme ist für mich klanglich immer noch beste Ware, hervorragend besetzt (einzig über Vickers mag man sich streiten).

Wichtig ist vorher noch die Rundfunkaufnahme im Original unter Thomas Beecham von 1947 (hervorragend neu restauriert unter Aufsicht von Lady Beecham beim Beecham-Trust/ Somm) – immer noch eine packende und überzeugende Aufnahme) mit der beeindruckenden Marisa Ferrer in beiden Partien (Cassandre und Didon) neben einem eher schüchternen  Jean Giraudeau, Enée vom Dienst auch auf der Ducretet-Aufnahme von Carthage unter Hermann Scherchen 1952 neben einer sensationellen Arda Mandikian, auch sie prachtvoll und so unendlich idiomatisch. Den EMI-Torso der gemeinen Kürzungen ziert nur Régine Crespin als bewegende Didon unter Georges Prêtre (die erstaunlicher Weise nicht in der Warner-Box vertreten scheint), Guy Chauvet bölkt  wie sein Landsmann Gilbert Py auf weiteren Dokumenten. Bemerkenswert und für mich neben Davis und Dutoit (Decca) auf dem Siegerpodium ist der leicht gekürzte RAI-Mitschnitt von 1969 mit einer mehr als befriedigenden All-round-Besetzung (Marilyn Horne, Nicolai Gedda, Shirley Verrett), wobei ich die Horne und Gedda als schlicht genial und unendlich beglückend empfinde. Gedda ist der gebrochene Held par excellence, hier in seiner Bestform, und das an einem Abend im Konzert (Arkadia ist da die beste Aufnahme).

Charles Dutoit machte bei Decca seine vor allem auch klanglich hervorragenden und hochidiomatischen Berlioz-Aufnahmen, Francoise Pollet als Didon nicht zu vergessen.

Der große Sprung führt dann zur Decca-Aufnahme unter einem, breite Tempi favorisierenden Charles Dutoit am Pult kanadischer Kräfte, aus denen ebenfalls unique Francoise Pollet als textwissende, cremige und erzfranzösische Didon herausragt – eine große Sängerin in einer kongenialen Partie. Kaum zu überbieten. Deborah Voigt und Gary Lakes sind nicht unrecht,die franco-kanadischen Kräfte eine Wucht. Sehr habenswert und ungekürzt (sogar den fiesen Boten im ersten Akt hat Dutoit eingebaut). Zudem klanglich absolut erste Decca-Ware. Was für ein Rausch! Und dies auch nach Hören der Nelson-Aufnahme…

Als Videos gibt es Eliot Gardiners Pariser Aufführung im TCE (mit dem auf einen Torso reduzierten 1. originalen Finale der Oper, wie es Hugh McDonald in einem weiteren Berlioz-Artikel später im Jubiläums-Jahr in operalounge.de ausführlich beschreibt und)  mit einer eher schlichten Susan Graham (mit dem Charme einer Arzthelferin) neben einer leidenschaftlichen, wenngleich verwaschen prononcierenden Antonacci und einem zu amerikanischen Kunde (opus arte 2010) sowie eine Aufführung aus Covent Garden mit erneut Antonacci und Eva-Maria Westbroek blusig-allgemein als Didon neben einem stentoralen Brian Hymel als Enée, der virile Kraft und kaum Zerrissenheit einbringt (opus arte). Vergessen will ich die Gergiev-DVD aus dem Mariinski von 2011: Lancy Ryan brüllt unerträglich, und die Damen sind doch recht …. robust (C-Major 2011). Und fast vergessen: Deborah Polaski ist die sicher auf der Bühne erfolgreichere Heldin auf dem Salzburger Mitschnitt bei Arthaus von 2002 in der vielgelobten, wenngleich gekürzten Wernicke-Produktion, die danach durch die Theater zog. Hingegen soll Plácido Domingo nicht unterschlagen werden, der bei der DG mit Jessye Norman und Tatjana Troyanos  den Enée stemmt (2002, aber die Produktion ist älter), die Kolleginnen achtungsgebietend (wenngleich auch nur im allgemeinen Opernpathos verharrend), er nicht so sehr und wie oft nur professionell im Instant-Modus. James Levine auch. Die Produktion schaut abgewetzt aus (ich erinnere mich auch an Abende an der Met mit der Pollet in der falschen Partie als Cassandre neben der bizarren Maria Ewing, die aus der Didon eine Cabaret-Nummer machte).

Live tummeln sich weiterhin fast unendlich viele Aufnahmen bei Sammlern und auf grauen CDs/LPs/MCs/Minidiscs und Open-reels. Und auch da macht unser Nachbarland keine gute Figur, denn die Troyens wurden nach dem Krieg kaum in Frankreich gegeben. Mal in Marseille, dann beim verstorbenen Berlioz-Festival in Lyon (riskante Besetzungen) und als fast rein-amerikanische Initiative am TCM in Paris. Seit dem Krieg fallen mir nicht mal eine Handvoll Produktionen in Frankreich  ein – im Gegensatz zu Deutschland.

Immer noch eine der aufregendsten Aufnahmen, die beste Ausgabe von „Les troyens“ mit Nicolai Gedda auf Arkadia, gekoppelt mit seiner „Damnation de Faust“/ inzw. vergriffen, aber doch noch auftreibbar.

Eleanor Steber und Regina Resnik sorgten für die amerikanische Erstaufführung in moderner Zeit (1960) und halten die nationale Glorie aufrecht (VA;, nach einem run in Washington unter Thomas Beecham sprang für New York sein Aisstent ein). Rafael Kubelik, der mit vielen Abenden in London dokumentiert ist, leitete auch die italienisch-sprachige Version an der Scala, wo sich Mario del Monaco, Giulietta Simionato und Nell Rankin an Berlioz abarbeiten. Aber die Übertragung ins Italienische macht daraus etwas ganz anderes, dichter an Mascagni vielleicht, zumal die Sänger mit voller Lunge eben diesen singen (Melodram u. a.).  Natürlich gibt es noch viele andere Dokumente: Christa Ludwig (Gala), die Silja, die Baltsa, Meyer (Caprice), Crespin, vor allem die ganz wunderbare und empfindsame Lorraine Hunt als Didon an der Met (wo ähnlich wie früher in London die Troyens ein festes Zuhause haben), die pastose Troyanos, Ewing, Elkins, Baker (Gala), Palmer, Thebohm, Shuard, Goerke, Elms, ganz sicher Nadine Denize mit ihrem schönen und melancholischen Ton, und viele, viele mehr neben einer knapp gehaltenen Riege an empfehlenswerteren Tenören (so Roberto Alagana in Berlin, aber nicht Heppner, Lakes, Grey und verschiedene Osteuropäer) finden sich in den Sammlungen, die ich hier nicht alle aufzählen kann. In Erinnerung bleibt für mich vor allem – weil live erlebt – die Aufführung an der Scottish Opera in Edinburg 1969, wo die Damen mit Helga Dernesch und Janet Baker besetzt waren, was für ein Rausch! Sicher habe ich bei der Aufzählung  einige vergessen. Mea culpa.

Nur die Gardiner-DVD-Aufnahme der „Troyens“ aus Paruis 2003 hat zumindest in Teilen das originale Finale der Oper von 1858.

Was also bleibt? Haben muss man die ältere Philips-Aufnahme wegen Davis, der Veasey und Vickers (egal wie man zu ihm steht) nebst Massard und vielen anderen der älteren Schule. Ganz sicher auch die Decca-Einspielung wegen des Klanges und der unglaublichen Pollet neben vielen Franco-Kanadiern. Und nun die neue von Erato? Wegen Michael Spyres als dem fast idealen Helden und wegen Nelsons erfahrener Leitung am Pult dieser bemerkenswerten Kräfte in einer wirklichen Original-Fassung. Aber ganz sicher auch die alte RAI-Aufnahme (Arkadia) wegen Gedda unvergleichlich in seiner Poesie und seinem Schmerz und wegen der Ideal-Besetzung der Cassandre mit Marilyn Horne. Das Werk ist so gewaltig und überragend, dass man nicht genug Aufnahmen haben kann. Finde ich (Foto oben: Roberto Alagna und Béatrice Uriah-Monzon sangen in den „Troyens“ 2010 an der Deutschen Oper Berlin, daraus oben ein optischer Ausschnitt/ Foto Bettina Stoeß mit freundlicher Genehmigung der DOB; dazu auch unsere Rezension in operalounge.de; Alagna ist zudem mit weiteren Berlioz-Stücken in der Warner-Berlioz-Box vertreten. Eben!)Geerd Heinsen.