Archiv für den Monat: März 2019

Sonnenaufgang über Livorno

 

Zumindest die von den Faschisten misbrauchte Chornummer „ L‘Inno al Sole“ und die Tenorarie „April la tua finestra“ haben, wenn auch weniger in deutschen Landen, aus Mascagnis Oper Iris in Wunschkonzerten überlebt, während andere Opern des Livornesen gänzlich dem Vergessen anheimgefallen sind. Aus seiner Geburtsstadt Livorno stammt die Aufnahme aus dem Jahr 2017, deren optische Realisierung ganz in japanische Hände gelegt worden war, wie bei Madama Butterfly  ein zweischneidiges Unterfangen, denn trotz des Studiums der japanischen Musik und der Verwendung gewisser ihrer Elemente durch die beiden Komponisten bleiben ihre Werke wegen der Musik ganz und gar italienische. Ungewöhnlich an Iris ist, dass sie nicht auf ein literarisches Werk zurückgeht, sondern eine Eigendichtung des vielschreibenden Luigi Illica war. Bei der Uraufführung 1898 in Rom war der Erfolg ein immenser, und das nicht zuletzt wegen der gerade modernen Leidenschaft für exotische Stoffe. In den letzten Jahren gab es besonders in Italien wieder Aufführungen, so unter Gianandrea Gavazzeni. Die Neuköllner Oper Berlin führte vor einigen Jahren eine auf ihre Möglichkeiten zugeschnittene Fassung auf.

Iris ist die Geschichte einer unschuldigen jungen Japanerin, einer Mousmé, der ihre Schönheit zum Verhängnis wird. Ein reicher Lebemann lässt sie während einer Aufführung durch Komödianten  in ein Freudenhaus entführen. Als sie seine Liebe zurückweist, verliert er das Interesse an ihr, der Bordellbesitzer benutzt sie als eine Art Aushängeschild für sein Etablissement. Der blinde Vater von Iris glaubt,  sie habe ihn freiwillig verlassen , bewirft sie mit Schmutz und beschimpft sie. Iris wirft sich verzweifelt in einen Abgrund, wird von Lumpensammlern beraubt, hört noch einmal die Stimmen ihrer drei Peiniger  und stirbt, nicht ohne im Todeskampf durch die aufgehende Sonne und die angebeteten Blumen ihres Gartens getröstet zu werden. Sogar die geliebte Puppe, die sich im ersten Akt in einem schlechten Zustand befand, ist intakt wieder mit ihr vereint.

Die Bühne von Sumiko Masuda ist zuerst einmal sehr bunt, verwendet die Blume Iris als wiederkehrende Dekoration, taucht sogar auf einem der schönen Kimonos, die Iris trägt, auf (Kostüme Tamao Asuka) und nimmt symbolistische Züge an, so wenn sich im ersten Akt Schlangen um das bescheidene Häuschen von Iris und ihrem blinden Vater winden. Phantastisch gelernt, sich wie eine japanische Frau vergangener Zeiten zu bewegen hat die Sängerin der Iris, aber auch die Geishas im zweiten Akt stehen ihr darin nicht nach. Regisseur Hiroki Ihara lässt so den Eindruck der Authentizität perfekt werden. Optisch ist das eine Arbeit wie aus einem Guss.

Leider sind die Sänger nicht so gut, dass ihnen eine Ehrenrettung des Werks gelingen könnte. Paola Marrocu hat an ersten Häusern gesungen. Zum Zeitpunkt der Aufnahme  hatte die Stimme wenig Farbe und Rundung, klang die Höhe schrill und ist es um das Vibrato nicht gut bestellt. Trotzdem kann ihre Klage im dritten At den Hörer bewegen. Der Tenor Paolo Antognetti hat ein angenehmes Timbre für den Möchtegernverführer Osaka, singt munter drauf los, aber leider ohne jede Schattierung und nicht immer sicher in der Intonation. Hohl und substanzlos ist die Stimme von Manrico Signorini für den blinden Vater. Solides Material kann Carmine Monaco d’Ambrosia für den Kyoto einsetzen. Eine auffallend schöne Stimme hat der Lumpensammler, den Didier Pieri singt. Seine Arie „Ad ora bruna e tarda“ ist von schöner Melancholie.

L’Inno al Sole und auch der Schlusschor werden nicht nur vom Bühnenpersonal, sondern auch von einem Zusatzchor (Coro Ars Lyrica unter Marco Bargagna) sehr eindrucksvoll und mit Hingabe gesungen. Das Orchestra Filarmonica Pucciniana unter Daniele Agiman vermag Mascagni-Üppigkeit zu vermitteln.

Wie immer hat Bongiovanni aus Bologna ein informationsreiches Booklet geliefert. Es gibt Untertitel in Italienisch und Englisch (AB 20039). Ingrid Wanja

Aus der Oper Frankfurt

 

Marie Stejskalová las die Lidové noviny und musste herzlich über die Bilderfolge von von Stanislav Lolek und die Texte von Rudolf Tésnohlidek lachen. Durch das Lachen der Hauswirtin wurde Leos Janáček auf die Abenteuer des Füchsleins in den Lidovky aufmerksam, für die er selbst regelmäßig Feuilletons schrieb. Die Idee zur siebten seiner zehn Opern, die am Tag seines 70. Geburtstags 1924 in Brünn uraufgeführt wurde, war entstanden. Bald war klar, dass die Vorlage geändert werden musste, um dramatische Konturen zu gewinnen, die Geschichte lustig beginnen, sich ernsthaft entwickeln und schließlich wieder heiter enden solle. Weniger als die Hälfte der 23 Kapitel Tésnohlideks wählte Janáček dazu aus, wobei er endlich auf seine Notizen über das Gezwitscher der Vögel seines Gartens zurückgreifen: ein Kreislauf des Lebens, in dem Janáček die menschlichen und tierischen Figuren in Analogie setzte und den Förster am Beispiel des jungen Füchsleins, welches am Ende Mutter einer großen Fuchsfamilie ist und von einem Wilddieb erschossen wird, mit dem Leben versöhnen.

An der Oper Frankfurt, wo 2016 eine Neuinszenierung der Oper herauskam (Inszenierung: Ute M. Engelhardt), braucht Johannes Debus 90 Minuten, um diese Bilder zu umreißen, um zwischen Wald und Försterhaus, Fuchsbau und Schenke, Garten und Lichtung die mährische Landschaft zu erkunden. Den ständigen Wechsel der Perspektiven fängt Debus, wie jetzt auf der CD nachzuerleben (Oehms Classics 2 CD 982), mit der Akribie eines Sachwalters um, der sich Janáčeks musikalische Forschung und minutiöse Klangrede zu eigen gemacht hat. Im klaren und direkten Klagbild erhalten die Tiere des Waldes, die Grille, Heuschrecke, Mücke und der quakende Frosch, eine Stimme, sind sie mit ihren kurzen Kommentaren und Geräuschen nicht nur trefflich charakterisiert, sondern fast greifbar wie im Streichelzoo. Dennoch herrschen ein wuselndes Eilen und Rennen, Flirren und Gewebe und eine quecksilbrige Ruhelosigkeit, wo man sich manchmal einen Augenblick des Verweilens wünscht. Die Wiedergabe wird bestimmt vom reaktionsschnellen Wechsel, dem szenischen Drive, der durch die Bühnengeräusche verstärkt wird, aber auch die gute Arbeit mit dem Ensemble und der lebhaften Klangrede, seien es die Kinder Frantik und Pepik (Ioannis Germanidis und Jascha Mössle) und der weise Dackel (Nina Tarandek), sie alle blitzen als lebhafte Episoden auf. Louise Alder ist ein körperhaft sinnliches Füchslein Schaukopf, farblich gut abgesetzt die Mezzosopranistin Jenny Carlstaedt als verführerischer Fuchs – beider Begegnung gerät um reizvollen Verführungsakt. Als trinkfreudiger Schulmeister klingt Beau Gibson etwas verdruckst, als Pfarrer Magnús Baldvinsson angemessen altväterlich. Simon Neal als Förster und Sebastian Geyer als Haraschta wirken etwas strapaziert, was ihren Rollenbildern kaum Abbruch tut. An Aufnahmen des Schlauen Füchsleins bestand eigentlich kein dringender Bedarf – wenngleich die großen Aufnahmen von Bohumil Gregor 1970 bzw. von Charles Mackerras und Václáv Neumann auch schon Anfang der 80er Jahre entstanden –  doch diese präsente, plastisch klare, gut durchhörbare und durch gestische Beredsamkeit und dramatische Intensität bezwingende Aufnahme ist ein Gewinn. Rolf Fath

Faszinierend homogen

 

Zielstrebig werden bei Bel Air Media (mit Produzent François Duplat an der Spitze) Opernaufführungen für Fernsehübertragungen und Veröffentlichung auf DVD/Blu-ray ausgewählt, die nicht nur von Stars, sondern von einer starken Gesamtkonzeption leben – zuletzt wieder öfters (aber nicht nur) an der Bayerischen Staatsoper. Dort waren die Münchner Opernfestspiele 2016 dramaturgisch vielleicht insofern die geschlossensten der letzten Jahre, als die Begegnung mit Fremdem und Exotischem als Motto über das traditionelle Opernrepertoire hinaus (auch in den kleineren Produktionen der Festspiel-Werkstatt) eingehalten wurde. Am deutlichsten jedoch in der zweiten großen Neuinszenierung, die im Münchner Prinzregententheater herauskam: Les Indes Galantes von Jean-Philippe Rameau. Der Choreograph Sidi Larbi Cherkaoui hat dabei mit seiner Compagnie Eastman Antwerpen (wo Cherkaoui auch geboren ist) und dem hervorragenden Sängerensemble eine Inszenierung geschaffen, die paradoxerweise alles andere als traditionalistisch oder historisierend dem Genre der opéra-ballet gerecht wird. Sängerische und tänzerische Teile der Produktion gehen faszinierend homogen ineinander über.

Die Episodenstruktur des Librettos hat Cherkaoui aufgegeben und stattdessen quasi einen Bogen leichter (aber nicht vollkommen assoziativer) Handlungselemente geschaffen. Sie bilden eine Bestandsaufnahme zu europäischen Entwicklungen heutiger Tage; das Konzept zum „anachronistischen Raum“ von Anna Viebrock erläutert Cherkaoui selbst auch im Beiheft zur DVD/Blu-ray. Ein wenig der Regie-Holzhammer kommt dabei zum Vorschein, wenn aus dem die Himmelszeichen zu seinen Gunsten auslegenden und manipulierenden Inka Huascar ein katholischer Priester wird, dem, anstelle der Lavabrocken eines selbst provozierten Vulkanausbruchs, die Hostie der Eucharistiefeier zum Verhängnis wird.

Wenn Cherkaouis Inszenierung aber an den Grenzzäunen Europas endet und die im Libretto vorgesehene Vereinigung der Indianer untereinander in eine Übereinkunft Europas mit den Vereinigten Staaten umfunktioniert wird, schließt sich der Kreis – auch weil Lisette Oropesa als Hébé des Prologs und Zima des Finales sich neben ihrer vokalen Brillanz eindrucksvoll unter die Tänzer der Compagnie Eastman mischt. Dass Oropesa gesanglich dabei dem Gesang nach eher im späten 18. und 19. Jahrhundert beheimatet scheint, fällt auf, aber nicht aus dem Rahmen. Statt puristisch ist das Ensemble mit Elsa Benoit (Emilie), Anna Prohaska (Phani/Fatime), Ana Quintans (L’Amour/Zaïre), Cyril Auvity (Valère/Tacmas), Mathias Vidal (Carlos/Damon), Tareq Nazmi (Osman/Ali) und François Lis (Huascar/Alvaro) in den wichtigsten Rollen auch sonst eher bunt besetzt, was Stimmmaterial und -schulung betrifft. Prohaska interpretiert die Phani beispielsweise mit der von ihr gewohnten liedhaften Wortbehandlung, aber auch etwas manieriert. Auvity und Lis sind wiederum um idiomatischen Tenor- (bzw. haute-contre-) und Bass-Gesang bemüht, kämpfen jedoch leicht mit dem Stimmsitz. Und Vidal wurde von der Kritik schon im romantischen Fach (mit Gounods Cinq-Mars) als zu „barock“ und umgekehrt just für Rameau als zu modern gescholten. Ich persönlich halte ihn schlicht für einen der heute besten Allrounder seiner Zunft.

All diese möglichen Einwände fallen letztlich unter Ivor Bolton geschickt dosierender musikalischer Leitung des Münchner Festspielorchesters und des hervorragenden Balthasar-Neumann-Chores kaum ins Gewicht. Hinzu kommt, dass durchgehend hervorragende schauspielerische Leistungen zu verzeichnen sind. Schade allenfalls, dass die Kameraführung gelegentlich unter den besonderen Voraussetzungen im Münchner Prinzregentheater (der Schräge des Zuschauerraums) zu leiden scheint: mal durch die Distanz, mal durch die Tendenz zur Froschperspektive bei Nahaufnahmen. Dennoch waren diese Indes Galantes als lebendiges und durchaus diskussionswürdiges Musiktheater festspielwürdig – und bleiben es auch in der audiovisuellen Aufzeichnung. Sebastian Stauss

Othmar Schoeck: „Das Schloss Dürande“

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In seiner Novelle Das Schloss Dürande erzählt Joseph von Eichendorff eine schöne Geschichte aus uralten Zeiten. Die Oper will man unbedingt bis zum Schluss erleben. Armand, der junge Graf von Dürande, und Gabriele, die Schwester des gräflichen Jägers Renald Dubois, verlieben sich. Sie ahnt nicht, wer der Unbekannte ist, mit dem sie ihr Bruder des Nachts überrascht. Renald schießt auf den Unbekannten, Gabriele wirft sich schützend vor Armand und wird leicht verwundet. An einer zurückgelassenen Pistole erkennt Renald, dass es sich bei dem Unbekannten um den jungen Grafen handelt. Aus Furcht, Armand mache seine Schwester zur Hure, schickt er Gabriele zu ihrer Tante, der Priorin, ins Kloster. Armand taucht dort ebenso auf wie Renald, und als Gabriele erfährt, das Armand den Winter in Paris verbringen wird, reist sie ihm in Männerkleidern nach. In den Wirren des Jahres 1789 lässt sich Renald von den Revolutionären anwerben, um in seinen privaten Rachefeldzug zu ziehen. Während draußen die Revolution das Land verändert, hat sich der alte Graf auf dem Schoß von der Welt zurückgezogen, wo er nach einiger Aufregung erschöpft stirbt. Die Nonnen und die Revolutionäre nähern sich dem Schloss, auch Gabriele, die neuerlich den Geliebten rettet, indem sie in Armands Kleidern die Feinde auf eine falsche Fährte lockte. Sie wird angeschossen und stirbt in Armands Armen. Renald schießt auch auf Armand. Zu spät erfährt er vom alten Diener Nicolas, dass beider Liebe rein und aufrichtig war. Renald eilt zum Pulverturm, um das Schloss zu sprengen. Mit einer gewaltigen Explosion, die das erschrockene Publikum der Uraufführung an einen Bombenangriff der Alliierten glauben ließ, endet die Oper.

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Kann man eine Oper reinwaschen? Übermalen wie ein altes Bild? An der Berner Kunsthochschule hatte sich ein Team aus Musikern und Textlieferanten daran gemacht, Othmar Schoecks 1943 an der Berliner Staatsoper uraufgeführte Oper Das Schloss Dürande durch eine „interpretierende Restaurierung“ spielbar zu machen. Mit einer gewissen Naivität hatte sich Schoeck, der sich das Sujet für seine neue Oper, die gleichnamige Novelle Eichendorffs (1837) selbst ausgesucht hatte, auf einen Textdichter eingelassen, dem ihm ein Mäzen ans Herz gelegt hatte. Der süddeutsche Dichter Hermann Burte war seit 1936 Nazi-Mitglied, verfasste Hitler-Gedichte und Spitzelberichte, schaffte es auf die „Gottbegnadeten-Liste“ und durchtränkte seinen Operntext mit völkischer Blut-und-Boden-Reimerei. Dessen ungeachtet, sind Burtes Knittelverse ohnehin schwer erträglich, faselte doch der Jagdhüter, der versehentlich seine Schwester anschießt, „Du hast ihn gedeckt, und hast mich erschreckt! Beim Himmel, ich will nicht hoffen – Du blutest! – Bis du getroffen?“ Göring telegrafierte prompt an den Generalintendanten Tietjen, „Habe soeben das Textbuch der zur Zeit aufgeführten Oper Schloss Dürande gelesen. Es mir unfassbar, wie die Staatsoper diesen aufgelegten Bockmist aufführen konnte. Der Textdichter muss ein absolut Wahnsinniger sein“. +

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Nach dem Ende des „Dritten Reichs“ wollte niemand etwas von dieser vom Nationalsozialismus infiltrierten und zwei Monate nach der Verkündigung des „Totalen Kriegs“ uraufgeführten Oper wissen. In Deutschland war sie unmöglich geworden, in der Schweiz nahm man Schoeck übel, mit dem Feind kokettiert zu haben und nach Berlin gereist zu sein, wo es ihm schmeicheln musste, dass sich allererste Kräfte wie Peters Anders, Maria Cebotari, Marta Fuchs, Willy Domgraf-Fassbaender und Josef Greindl unter der Leitung von Robert Heger für sein Schloss Dürande einsetzten.

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Nun also die Restaurierung, wozu der Schriftsteller Francesco Micieli das Libretto verfasste „unter freier Verwendung von Texten von Joseph von Eichendorff, auf der Basis des originalen Opernlibrettos von Hermann Burte“. Mario Venzago dirigierte im Vorjahr eine konzertante Aufführung. Das Meiniger Staatstheater machte sich nun unter Leitung seines Schweizer GMD daran, das Werk zu retten, genießt doch Schoeck seit der Wiederentdeckung seiner Opern, darunter Venus (1921), die Balzac-Oper Massimilla Doni (1937) und vor allem seine Penthesilea nach Kleist (1927) – die beiden letzten wurden an der Semperoper uraufgeführt – einen ausgezeichneten Ruf. Die Übermalung hat nicht viel gerettet. Noch immer ist das Libretto einigermaßen gestelzt, wenngleich die Eichendorff-Texte – sowohl aus der Novelle wie einige seiner Gedichte – der Oper mit ihren Bildern vom Spielmann, den Traum- und Alte-Zeit-Motiven eine Duftigkeit zu geben bemüht sind, wie man sie mit den Schumannschen Lied-Zyklen verbindet; daneben treten die Figuren auch aus ihren Rollen und sprechen an der Rampe in der dritten Person von den Begebenheiten. Die Text-Collage hat vermutlich nur das Gröbste abgemildert. Doch noch nie hat ein schlechter Text eine Oper zunichte gemacht.

Schoecks Oper „Das Schloss Dürande“ in einer Neufassung am Staatstheater Meiningen/ Szene/ Foto wie auch oben Sebastian Scholz

Die Oper, deren historischen Hintergrund Giordano in Andrea Chénier schlagkräftig auf die Opernbühne wuchtete, wird bei Schoeck zum Stationendrama mit fröhlichen Nonnen, die in die Weinberge ziehen, und Aufständischen, die sich mit leichten Mädchen amüsieren und am Stammtisch schwadronieren. Nie kommt er auf den Punkt, nie wird etwas wirklich dramatisch verdichtet, sondern in den langen drei Stunden endlos zerredet. Schoecks Sympathien gelten dabei eindeutig dem Adel und der vom Freiherrn von Eichendorff vertretenen Ansicht, „Es ist überhaupt ein Irrtum, wenn man den Adel jener Zeit als die ausschließlich konservative Partei bezeichnen will.“ Wirft doch der alte Diener Nicolas vor, nur aus niederen Motiven, blankem Hass und menschlicher Kälte gehandelt zu haben. Der treue alte Diener ist ein schönes Motiv, das durch den Auftritt des markanten und mit soigniertem Bassbariton singenden Roland Hartmann davor bewahrt wird, gar zu larmoyant zu werden. Immer eine Freude ist es, Anna Maria Dur zu hören, die der Priorin neben süffig profunder Tiefe, eleganter Geschmeidigkeit und einer immer noch sicher sitzenden Stimme auch Herzensgüte und Humor zukommen ließ, eine durchaus runde Figur, wie es der zur Karikatur verkommene alte Graf des charaktertenoral schleimigen Matthias Grätzel und Sonja Freitags harmlose Gräfin Morvaille nicht waren. Mine Yücel war mit einem leuchtenden jugendlich-dramatischen Sopran, der jubelnde wie fast liedhafte intime Momente mit fesselnder Freunde umspannt, eine ideale Gabriele, Odrej Saling mit engem, leicht näselndem Tenor und heldischen Kornetttönen ein hinreichend sympathischer Armand, Shin Taniguchi ein zur Wutfratze verzerrter, durchgehend wortdeutlich deklamierender und ebenmäßig auf Linie singender Renald Dubois. Das umfangreiche Ensemble war vor allem im dritten Akt, in Paris, eingesetzt, wo es unter den tumben Freudschreien, „Jugend und Jubel in Lust“, für anrüchige Atmosphäre sorgen musste. Schoeck hängt den alten Zeiten nach wie der in seine Spieldosen verliebte Graf. Das ist nichts, was aufhorchen lässt, doch ist eine durchgehend meisterhafte Tonklöppelei zu spüren, klingeln die Glöckchen an der richtigen Stelle, tönen die Hörner bei der Jagd, vermittelt das Klavier Intimität, wird ein wenig zu häufig die Marseillaise zitiert, erklingt sehnsüchtig das Geigensolo zu Gabrieles Weltschmerz. Man merkt Schoecks Verbundenheit mit dem Lied, dem sein umfangreichstes Schaffen galt, denn in den volksliedhaft poetischen Bildern und den zarten liedhaften Insel erreicht er eine feine und vornehme Wort-Ton-Intensität und Subtilität des Ausdrucks, die sich ihrer nostalgischen Gebrochenheit und Rückwärtsgewandtheit durchaus bewusst zu sein scheint, wenngleich der Eindruck durch die routiniert fließende Illustration von umfangreichen Textmassen und hohlem Parlando immer wieder zunichte gemacht wird. Welke Melancholie dominiert anfangs auch in Ansgar Haags Inszenierung, die auf einer schrägen Ebene mit einer für alle Orte einsatzbereiten, gekippten Würfelbühne die Zeit aus den Fugen geraten lässt und eine gebrochene Herbststimmung auf die Wände wirft (Bernd Dieter Müller und Annette Zepperitz), die in den Farben der Kostüme wiederkehrt und der Liebesgeschichte auf dem provenzalischen Schloss den Keim des bösen Endes einpflanzt. Haag versagt sich jegliche Stellungnahme zu den Umständen der Entstehung, ergreift nicht Partei. Muss er auch nicht, doch gar so brav und unbeholfen hätten seine szenischen Handreichungen nicht ausfallen müssen, bei denen sich die die Choristen auf der engen Bühne drängeln – egal ob im Kloster oder in Paris mit seiner 20er Jahre Verruchtheit – und die Figuren wenig Spannkraft entfalten. Das mag auch ein Mangel von Schoecks illustrierender musikalischer Reihung sein, die nie den oft gemachten Vergleich mit Strauss erzielt. Das ist gutes Handwerk, eine schöne Geschichte, ein großer Erfolg bei der dritten Aufführung (16. März 2019), denn Philippe Bach und die Hofkapelle Meinigen identifizierten sich spürbar mit der Musik, die sie mit seidigem Streicherklang und markanten Akzenten versahen. Rolf Fath

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.Eine vollständige Auflistung der bisherigen Beiträge dieser Serie hier

Herausragend

 

Wie oft kommt es vor, dass man ein Buch von der ersten bis zur letzten Seite in einem Atemzug verschlingt, es nicht vor dem Lesen auch des Epilogs wieder schließen möchte und traurig ist, wenn man es schließlich ausgelesen aus der Hand legen muss?!  Helmut Deutsch gelingt das Wunder mit seiner Autobiographie mit dem Titel Gesang auf Händen tragen – Mein Leben als Liedbegleiter, viel klüger gewählt als der einer Biographie, die den Titel „Im Schatten des Sängers“, der schließlich umgewandelt wurde in „Im Schatten des Sängers?“, trug und eigentlich heißen müsste „Aus dem Schatten getreten“.

So wie sich Helmut Deutsch nach eigenem Bekunden Gedanken um den Aufbau eines Liederabends macht, auf kurze längere, auf schnelle langsamere Lieder folgen lässt, so hat er offensichtlich auch das Buch ganz bewusst gegliedert und lässt Kapitel über Sänger, mit denen er besonders häufig oder gern oder beides zusammen gearbeitet hat, auf solche mit Gedanken über Musik, Liedgesang, dessen Begleitung und alles, was sie tangiert, einander abwechseln. Das geht soweit, dass er im Inhaltsverzeichnis die Sänger-Kapitel groß, die über allgemeine Themen klein drucken ließ. Einige der Sänger äußern sich auf dem vorderen Klappentext und auf der Rückseite des Einbands und zwar diejenigen, mit denen gemeinsam er seine bisher letzten großen Erfolge erzielte, so 2018 mit Diana Damrau und Jonas Kaufmann mit einer Tournee mit Hugo Wolfs Italienischem Liederbuch.

Das Geleitwort zum Buch stammt von Alfred Brendel, und allein die Tatsache, dass er sich zu einem solchen bereit fand, spricht bereits im vornherein für den Wert des Buches.

Schont der Autor die Sänger, mit denen er jetzt zusammen arbeitet wie Jonas Kaufmann mehr als diejenigen, die bereits seit Jahren tot sind, so wie Hermann Prey, der ihn über vielerlei Schrullen und Absonderlichkeiten staunen ließ, so über das „optische Forte“ und den „Fischer-Dieskau-Komplex“, oder sind die heutigen Künstler einfach „normaler“? Letzteres scheint der Fall zu sein, denn der Verfasser erweckt nirgends den Eindruck, jemandem nach dem Mund reden oder schreiben zu wollen, sondern lässt sein Buch als ein durch und durch ehrliches erscheinen, aus dessen jeder Zeile die Achtung und Liebe gegenüber der Musik und ihren Botschaftern, die Sänger, spricht. Dazu wird es liebens- und lesenswert durch den Humor, der nicht zu kurz kommt, so bei der Schilderung des japanischen Musiklebens, das Deutsch besonders gut kennt, da er, geraume Zeit mit einer japanischen Sängerin  verheiratet, sich häufig und lange in dem asiatischen Land aufhielt und hier auch beruflich tätig war. Dabei wird auch über die Tätigkeit vor allem vor und während der Begleiterzeit, die als Korrepetitor und Lehrer, berichtet.

Deutsch erzählt davon, wie er seit Kindesbeinen mit klassischer Musik konfrontiert war, wie seine Verehrung, ja Leidenschaft für Franz Liszt ihn das ganze bisherige Leben hindurch begleitete und die für schöne Stimmen, deren er, da die Karriere eines Begleiters ungleich länger dauern kann als die eines Sängers, die mehrerer Generationen kennenlernte: sowohl Viorica Ursuleac wie Camilla Nylund, Peter Schreier wie Michael Volle und die er  nicht nur auf dem Flügel begleitete, sondern die teilweise zu Freunden wurden.

Der Leser kann sich auf Begegnungen mit Josef Protschka, Olaf Bär, Brigitte Fassbaender, Bo Skovhus, Bernd Weikl,  Angelika Kirchschlager, Thomas Quasthoff, Juliane Banse, Dietrich Henschel, Andreas Schmidt (Brahms-Aufnahmen!), Grace Bumbry, Matthias Goerne und Piotr Beczala, über Stefanie Irányi und Peter Mauro freuen und die taktvolle Ausgewogenheit des Berichtens jenseits von Verklärung oder Klatsch.

Sehr interessant sind auch die Ansichten von Deutsch über das Üben, über die Arbeit mit dem Sänger, den Zustand der Hochschulen für Musik, denen er vorwirft, sie weckten in unbegabten Studenten falsche Hoffnungen,  um den eigenen Bestand zu sichern.  Klaviere und Flügel, die auch schon mal direkt aus einem Rockkonzert statt von einem Auftritt Claudio Arraus kommen können, sind ein anderes Thema. Wertvolle Ratschläge gibt es in den Kapiteln über die Verhütung von Katastrophen bei der Vorbereitung eines Konzertabends, über nationale Eigenarten beim Publikum einschließlich des Hustens, über Zugaben und über Notenwender, die durchaus eine tragende Rolle spielen können.

Mancher Leser wird sich erleichtert von dem Vorwurf freisprechen , er sei ein Banause, weil kein Liebhaber moderner Musik, denn Deutsch bekennt offen, er kenne keinen Sänger, der sie gern singe, und kaum jemanden, der sie hören wolle. Ähnlich kritisch werden die Musikjournalisten gesehen, das aber ohne Bissigkeit, stattdessen humorvoll und gelassen.

Toleranz bestimmt auch die Aussagen über Werktreue und das Gegenteil davon, das Bewahren von Aufführungstraditionen, auch im Bereich der Oper ja ein beliebtes Thema. Verzierungen „in bescheidenen Maßen“  findet Deutsch tolerierbar, von inszenierten oder getanzten Liederabenden hält er nichts. Er glaubt an das Fortbestehen der Kunstform, auch wenn das Wissen um Lyrik und Mythen heutzutage gering ist und das Publikum ein zahlenmäßig kleines. Am Ende des Buches, wenn der Verfasser bekennt,  trotz seines Alters weiterhin gern seine Kunst ausüben zu wollen, freut man sich aufrichtig darüber und hofft mit ihm, dass sein Wunsch, noch einmal eine Tournee wie die mit Diana Damrau und Jonas Kaufmann unternehmen zu können, in Erfüllung geht.

Das Buch enthält zahlreiche Fotos von Helmut Deutsch mit „seinen“ Sängern, eine Vita, Ein Diskographie (Auswahl), ein Personenregister, einen Bildnachweis und eine Bibliographie (225 Seiten, Henschelverlag 2019; ISBN 978 3 89487 803 0) Ingrid Wanja

María aus Buenos Aires

 

In einer Live-Aufnahme aus dem Jahre 2016 legt Capriccio Astor Piazzollas Operita en dos partes María de Buenos Aires vor (C5305, 2 CD). Sie entstand in Zusammenarbeit mit dem Theater Bonn, dem Beethoven Orchester Bonn und den Deutschlandfunk Kultur. Dirigent ist Christoph Sprenger, der mehrere Jahre Kapellmeister an der Oper Bonn war und viele zeitgenössische Musikwerke interpretiert hat. Auch zu Piazzollas spezifischem Stil mit der Einbindung von Fuge und Toccata sowie dem südamerikanischen Tango hat er eine besondere Affinität, denn die Einspielung sprüht vor Vitalität, ist reich an Lokalkolorit und fängt die Atmosphäre des Geschehens bezwingend ein.

Die Handlung ist in Buenos Aires angesiedelt, wo ein Geist die Erscheinung und Stimme von María de Buenos Aires heraufbeschwört. María lebte für den Tango und die Liebe – obwohl sie ihren größten Verehrer, den träumenden Gorrión, stets abgewiesen hat. Ihr Weg führte durch Nachtlokale und zweifelhafte Cabarets schließlich in die Unterwelt. Sie stirbt, von Dieben und Hurenmüttern verflucht. Ihr Schatten soll ihre Schuld bis in die Ewigkeit mit sich herumtragen. Verloren irrt dieser durch die Stadt, wendet sich in seiner Verzweiflung an das Volk, die Trauer um ihn nicht aufzugeben. In einer Magischen Bar im 30. Stock eines Wolkenkratzers erzählt er verwirrt von Geburt, Sterben und Reinkarnation. Am Ende wird ein Mädchen geboren, das vielleicht wieder eine María sein wird.

Daniel Bonilla-Torres gibt den Geist, El Duende, mit prononciertem Sprechgesang. Er ist auch später noch in diversen Parts eingesetzt, es sind ausschließlich Stimmen (Voces), wo er seinen sinnlichen Stimmklang wirkungsvoll einsetzen kann – Stimmen von Männern, die aus dem Mysterium zurückgekehrt sind, von Alten Dieben, Hurenmüttern, Psychoanalytikern, Nudelwalzerinnen und Magischen Maurern. Diese Aufzählung zeugt von den Bizarrerien des Stückes, die auch die Sängerin der Titelrolle, Luciana Mancini, betreffen, denn sie interpretiert auch den Schatten Marías. In ihrem ersten Auftritt stellt sie in Vokalisen das tema de María vor. Die Stimme mit sinnlich lockendem Klang ist die einer Diseuse. In ihrem berühmten Canción, „Yo soy María“, kann sie mit üppigem, schwelgerischem Klang eine ganze Palette von Temperament, Erotik und Lebensgier zeigen. Ihr Thema kehrt auch in dem delikaten  Poema  valseado mit seinen träumerischen Walzeranklängen wieder. Als sombre di María, Marias Schatten, singt sie mit dunkel verschattetem  Ton. Und die letzte Nummer des Werkes wiederholt noch einmal ihr Thema. Dem dritten Mitwirkenden der Aufführung, Johannes Mertes, fallen gleichfalls mehrere Aufgaben zu – den Alten Anführer der Diebe, den Ersten Psychoanalytiker mit seinem Gassenhauer „Buenos Aires, Buenos Aires“, den Träumenden Gorrión sowie die Stimmen eines Gauchosängers und des Sonntags. Sein gleichermaßen klangvoller wie ausdrucksstarker latino-Tenor vermag all diesen Porträts eine prägnante Kontur zu verleihen. Die idiomatisch besetzte Aufnahme dürfte für alle aficionados der Musik Piazzollas un gran placer sein. Bernd Hoppe

Hans Günther Nöcker

 

Mit Bedauern hörten wir vom Tode des Bass-Baritons Hans Günter Nöcker, der am 20. März 2019 verstarb. Als Berliner erinnere ich mich gerne an seine Pizarros und Telramunds an der Deutschen Oper Berlin, wo seine kernige, gut gestützte und sehr persönlich gefärbte Bass-Stimme ein Garant für eine nachdrückliche Interpretation war. Auch sein Mandryka oder Holländer bleiben mir in Erinnerung, und sein elegantes, individuelles Spiel fügte seiner stimmlichen Leistung eine überzeugende Dimension hinzu. G. H.

Auch die Bayerische Staatsoper trauert um das langjährige Ensemble-Mitglied Hans Günter Nöcker. Der Sänger verstarb letzte Woche im Alter von 92 Jahren.  Hans Günter Nöcker gab 1960 sein Debüt an unserem Haus; zwei Jahre später wurde er Ensemblemitglied, das er bis 1998 war. Er sang an der Bayerischen Staatsoper ein umfangreiches Repertoire, darunter: Don Pizarro (FIDELIO), Jochanaan (SALOME), Mandryka (ARABELLA), den Holländer, Klingsor (PARSIFAL), Beckmesser (DIE MEISTERSINGER VON NÜRNBERG), Dr. Schön (LULU) und Gloster (LEAR)

 

Zu seiner Vita hier ein Auszug aus dem unentbehrlichen Kutsch-Riemens: Nöcker, Hans Günter, Baß-Bariton, * 22.1.1927 Hagen (Westfalen); Studium bei Carl Momberg in Braunschweig, bei Hans-Hermann Nissen und bei Willi Domgraf-Fassbaender in München. Debüt 1952 am Stadttheater von Münster (Westfalen) als Alfio in »Cavalleria rusticana«. Er ging von dort für die Spielzeit 1953-54 an das Stadttheater von Gießen und war 1954-65 an der Stuttgarter Staatsoper engagiert, wo er 1957 in der Uraufführung von Carl Orffs »Comoedia de Christi Resurrectione«, 1959 in der von »Oedipus der Tyrann« vom gleichen Komponisten mitwirkte. Er wurde 1965 an die Bayerische Staatsoper in München berufen, an der er 1969 an der Uraufführung der Oper »Aucassin und Nicolette« von Günter Bialas teilnahm, und an der länger als 25 Jahre wirkte. Häufige Gastspiele an der Deutschen Oper Berlin, an der Staatsoper von Wien, an den Opernhäusern von Köln, Hamburg, Frankfurt a.M. und an der Deutschen Oper am Rhein Düsseldorf-Duisburg. Bei den Festspielen von Schwetzingen gastierte er 1966 in »Armide« von Gluck. Im Ausland trat er beim Maggio musicale von Florenz, beim Edinburgh Festival, an den Opernhäusern von Brüssel, Palermo, Venedig und an der Covent Garden Oper London auf. Er wirkte bei den Festspielen von Bayreuth 1958-60 als Hans Schwarz in den »Meistersingern«, 1959 als Melot im grin« und 1984 als Beckmesser in den »Meistersingern« mit. 1989 sang er bei den Festspielen von Salzburg in einer konzertanten Aufführung von Fr. Schrekers »Die Gezeichneten«. Am 23.10.1972 nahm er an der Deutschen Oper Berlin an der Uraufführung der Oper »Elisabeth Tudor« von Fortner, am 27.11.1963 in München an der Uraufführung von Werner Egks »Verlobung in San Domingo« (in der Rolle des Hoango), 1978, gleichfalls in München, an der Uraufführung von A. Reimanns Oper »Lear« teil. 1983 Gastspiel in Venedig als Klingsor im »Parsifal« am 25.9.1984 am Deutschen Opernhaus Berlin in der Uraufführung von A. Reimanns »Gespenstersonate«, 1986 in München in der Uraufführung von V.D. Kirchners »Belshazar« aufgetreten, 1991 bei den Festspielen von Schwetzingen in der Uraufführung der Oper »Enrico« von Manfred Trojahn, 1994 bei den gleichen Festspielen in der der Oper »Sansibar« von Eckehard Mayer. 1990 sang er in München in C. Orffs »Trionfo d’Afrodite«, 1992 den Dörfling in H.W. Henzes »Prinz von Homburg«. Auf der Bühne im heldischen wie im Charakterfach, im Konzertsaal in einem umfassenden Repertoire aufgetreten. Noch 1997 trat er an der Münchner Staatsoper als Kruschina in der »Verkauften Braut«, als Baron Douphol in »La Traviata« und als Hermann Ortel in den »Meistersingern« auf.

Schallplatten: Schallplatten: BASF (»Trionfi« von Carl Orff), DGG (»Oedipus der Tyrann« von C. Orff, Mozart-Quartette), Eurodisc (»Götterdämmerung«), Orfeo (»Die Verlobung in San Domingo«, Mitschnitt der Uraufführung von 1963), CPO (»Enrico« von M. Trojahn); Castle-Video (»Tannhäuser«). [Lexikon: Nöcker, Hans Günter. Großes Sängerlexikon, S. 17844; (vgl. Sängerlex. Bd. 4, S. 2546) (c) Verlag K.G. Saur]/ Foto Bayerische Staatsoper

Die Husaren kommen

 

Einsam wiegt sich der Husar in Erinnerungen, „Denkst du daran“. Ausgerechnet auf das Schloss seiner Väter wird Oberleutnant von Lörenthy zum Herbstmanöver abkommandiert. Wie sein Nachkomme, der verarmte Graf Tassilo in der Gräfin Mariza, hockt er als „Zaungast des Glücks“ und rechtmäßiger Erbe vor dem Schloss, in dem ausgelassen gefeiert wird und das er sich zu betreten weigert. Denn darin residiert seine Jugendliebe Baronin Riza von Marbach, die ihn einst wegen eines reichen Rivalen verließ, welcher Lörenthy die Frau und sein Schloss nahm. Eine Wiederbegegnung mit der inzwischen verwitweten Riza ist ebenso unausweichlich wie das glückliche Ende. Für Riza riskiert Lörenthy das unehrenhafte Ende seiner militärischen Laufbahn, wird begnadigt und kann fortan „Tanzen wie ein Schneidergesell und trinken wie ein Bürstenbinder“. Wir wissen nicht, was ein Wehrbeauftragter zu diesem Manöver und den Finten, mit denen der Husar vor einem unehrenhaften Ende bewahrt wird, sagen würde, doch das Publikum im Theater an der Wien war am 22. Januar 1909 von dem Zeitstück mit den feschen Husaren angetan, „johlte Beifall“ über die zu Karikaturen verkommenden Offiziere und sorgte dafür, dass Ein Herbstmanöver zu Emmerich Kálmáns erstem Erfolg wurde. Hervorgegangen aus seiner im Vorjahr am Budapester Lustspieltheater uraufgeführten und bescheiden als Vaudeville bezeichneten Tatarenplage (Tatárjárás) gelangte das Herbstmanöver auf rasante Weise noch 1909 als The Gay Husars nach New York, wurde im gleichen Jahr in Moskau und Berlin gespielt.

Im Juni 2018 auch im Stadttheater Gießen, das sich an Kálmáns längst verklungenen Früherfolg erinnerte und sich aus Budapest Verstärkung in Gestalt von Bálázs Kovalik und seiner ersten Operetteninszenierung holte. Im Beiheft der nun auf einer CD erschienen Ersteinspielung (Oehms OC 977) erzählt Kovalik anschaulich von der Arbeit an der Gießener Fassung, “Vom Herbstmanöver gibt es lediglich eine einzige, handschriftliche Ur-Partitur im Kálmán-Archiv in Los Angeles. In Budapest existieren vor allem Stimmbücher; es ist ein marodes, konfuses Material, da es wegen des Erfolges es des Werkes oft herumgeschickt, nachbearbeitet und vielfarbigen Strichen versehen wurde. Trotzdem hat es Spaß gemacht, das alte Material zu studieren, zu sehen, wie damals ein solches Stück gespielt wurde, und daraus eine neue Gießener Partitur zu editieren.“  Spaß gemacht hat seinerzeit offenbar auch die anspielungsreiche Gießener Aufführung, die man wohl besser als DVD veröffentlicht hätte. Michael Hofstetter präsentiert das Ergebnis – „Gießener Dialogfassung von Balázs Kovalik, Ergänzende Gesangstexte und Dramaturgie von Matthias Kaufmann“ – mit Gusto, ohne den Funken überspringen zu lassen. Herbstlich verhalten. Die teilweise eingestreuten Sprechszenen wirken auf der CD so steif wie in den alten Operetteneinspielungen vom WDR oder NDR. Schade, dass die Nummern ohne Hinweis auf Figuren und Interpreten auf der Trackliste aneinandergereiht wurden. Klar, das „Lied des Lörenthy“ wird von dem kroatischen Bariton Grga Peroš, der den Csárdáskavalier ein wenig steifleinen und eingeschnappt gibt, was sicher auch an der Rolle liegt, mit wohltönend breitem Bariton und schmachtendem Schmerz gesungen, dazu gehören auch das vom Zigeunerprimas begleitete „Lied und Tanz des Lörenthy“. Einige Nummern stammen aus Der gute Kamerad, darunter das Pumper-Duett („Komm und zeig es mir“) – leider fehlt verzichtet das Beiheft auf die Gesangstexte -, das Gießens wandelbarer, witzig sprühender Buffobariton Tomi Wendt als Leutnant der Reserve Wallerstein und der Schauspieler Rainer Hustedt als Gutsverwalter Kurt singen. Den ursprünglich als Hosenrolle konzipierten Freiwilligen Marosi singt Clemens Kerschbaumer, insbesondere in seinem „Kusslied („Die kleine Gretel küsste gern“) mit drahtig schlankem Tenor. Christiane Boesiger entfaltet als Riza die Aura einer etwas angejahrten serösen Operetten- Primadonna alten Schlags („Seh ich dich strahlen“), und Marie Seidler ist soubrettenzart und schön timbriert die in Lörenthy verliebte Feldmarschalls-Tochter Treszka, die schließlich mit Marosi vorliebnimmt. Noch nicht ganz auf der Höhe der Csárdásfürstin, die es musikalisch in manchen Details vorwegnimmt, ist Ein Herbstmanöver ein unverkennbarer Kálmán-Erfolg: melancholisch umflort, Walzer nostalgisch, mit trotzigen Märschen, ein Abgesang auf die Zeit der Husarenherrlichkeit und ein Jahrhundert, zugleich aufmüpfig genug, sich im Strudel der Silbernen Operette zu behaupten. Rolf Fath

 

Der „neurotische Narziss“

 

Wohl Gift und Galle spucken würde der polnische Komponist Karol Szymanowski könnte er die von Danuta Gwizdalanka geschriebene Biographie  mit dem Titel Der Verführer lesen, denn wenn auch spät im Verlauf des Buches so doch schonungslos deckt sie die Charaktereigenschaften des Künstlers auf, die seine Zeitgenossen nach seinem Tod vor der Nachwelt zugunsten eines schmeichelhaften Bildes zu leugnen suchten. Schließlich war ihm die Rolle des zweiten Nationalkomponisten neben Chopin im noch jungen Nationalstaat Polen zugedacht.

Das Buch ist zunächst chronologisch, im zweiten Teil thematisch gegliedert, wenn es opportun erscheint, ist den einzelnen Kapiteln ein Motto oder Zitat von oder über Szymanowski vorangestellt. Innerhalb der einzelnen Kapitel finden sich zahlreiche Aussagen von Zeitgenossen und Wegbegleitern des Komponisten, was das Vergnügen beim Lesen ungemein erhöht. Es gibt auch einige Fotos des Komponisten, dasjenige, das ihn als Knaben zeigt, lässt unvermeidlich die Assoziation Tadzio, der schöne Jüngling aus Thomas Manns Der Tod in Venedig, zu. Ebenso wirkte er, glaubt man der Autorin, auf Männer wie Frauen nicht zuletzt wegen seiner Eleganz, auf die Jugend wegen seiner Bereitschaft, auf die Alten, die wahre Größe nicht zu schätzen wüssten, zu schimpfen, sich mit ihr zu solidarisieren.

Mit dem älteren Moniuszko teilt Szymanowski die Herkunft aus dem von Russland beherrschten Teil Polens. Die Mutter war deutscher Herkunft, die Russen wurden gemieden und verachtet, die deutsche Musik so sehr verehrt, dass der junge Komponist mit seinem Schwager Bayreuth besuchte, dass er die Uraufführung von Elektra miterlebte. Nach 37 auf dem Gut Tymoszowka verbrachten Jahren musste die Familie vor den Bolschewiki nach Warschau fliehen, wo,  da die Einnahmen aus dem zur Kolchose umgestalteten Adelssitz fehlten,  Mangel das Leben bestimmte. Farbig und interessant wie das Leben, das der von Gönnern unterstützte junge Komponist u.a. mit dem Freund Artur Rubinstein in Wien oder in Italien oder sogar Nordafrika führte, ist die Darstellung der Autorin, die auch das Ringen Szymanowskis mit der erst nicht zugegebenen Homosexualität, ehe er sich ihr in vollen Zügen mit kostspieligen „Epheben“ hingibt, zum Thema macht. Dabei beschränkt sie sich nicht auf die Vita des Komponisten, sondern bezieht diese Neigung auch in ihre sehr sachkundigen Werkanalysen mit ein, so in die der Oper König Roger, in der sie sowohl im König wie im Hirten Charakterzüge Szymanowskis, jedenfalls derer, die er selbst bei sich wahrnahm, aufzeigt.

Das Leben Szymanowskis wird auch als eines des gegenseitigen Übelwollens, der Fehleinschätzung beschrieben, wenn zum Beispiel Russen seine Musik als eine ohne „Inneres“ verunglimpfen, er selbst Puccinis Musik, damals noch verächtlich, als solche für Homosexuelle bezeichnet. Immer wieder weist die Verfasserin darauf hin, wie sehr Wehleidigkeit, Egoismus, die Unfähigkeit zur Selbstkritik und der Hang zu einem luxuriösen Lebensstil auf Kosten seiner Gönner, dazu eine am Schaffen hindernde Bequemlichkeit  ein kontinuierliches Fertigstellen bereits zur Aufführung angenommener Kompositionen zum Unmut auch der Wohlgesonnensten führen. Auch das Streben nach gutbezahlten Ämtern, die er nicht ausfüllen kann oder will, kommt mehrfach zur Sprache. Dauernder Zigaretten- und Alkoholkonsum sind mit der Grund dafür, dass der Komponist bereits mit 54 Jahren in Lausanne stirbt.

Der Schweizer Kurort ist seine letzte Lebensstation, davor wird ausführlich auf Aufenthalte auch in Paris, Berlin, Petersburg eingegangen. In Berlin, wo die Philharmoniker einige seiner Werke aufführen, meldet sich mehrfach der Kritiker Hans Heinz Stuckenschmidt, auch noch im Nachkriegsberlin tätig, zu Wort und klassifiziert Chopin als elegischen Ekstatiker, Szymanowski als ekstatischen Elegiker.

Besonders intensiv befasst sich die Autorin mit den „Meisterwerken“, neben König Roger das Ballett Harnasie um eine Goralenhochzeit, die Violinkonzerte, das Stabat Mater und das Liedschaffen. Sie stellt deutlich heraus, wie sehr man von dem Polen folkloristische Elemente in seiner Musik erwartete und wie sehr er eigentlich Kosmopolit war. Auch bei dem Pianisten Szymanowski wird eine Schwäche nicht übersehen, die darin besteht, dass seine Spätwerke, die er wegen des Broterwerbs selbst aufführen musste, weit weniger technische Schwierigkeiten aufweisen als die frühen, die anderen Pianisten, so Rubinstein,  anvertraut waren.

Ein wesentliches Kapitel ist der Einordnung von Szymanowskis Musik gewidmet, der Frage, inwieweit expressionistische, folkloristische oder hochromantische Elemente sie kennzeichnen. Auch die Rezeptionsgeschichte kommt nicht zu kurz bis hin zu der Entdeckung von König Roger als Gay-Oper oder der Aufführung der Violinkonzerte mit Simon Rattle.

Das Buch wurde aus dem Polnischen von Peter Oliver Loew übersetzt und das offensichtlich sehr gut, ein Passus wie „Die Unfähigkeit, Verpflichtungen nicht zu erfüllen, war eine Eigenschaft….“ ist ein einmaliger Ausrutscher.

Den Schluss des lesenswerten Werks bilden eine Chronik von Leben und Werk, ein Bildnachweis, ein Literaturverzeichnis und ein Personenregister (Harrasowitz Verlag 2017, 292 Seiten; ISBN 978 3 447 10888 1Z/ Foto Karol Szymanowski website). Ingrid Wanja       

Ein glanzvoller Rückblick

 

Das 1918 gegründete und in Genf ansässige Orchestre de la Suisse Romande (OSR) ist untrennbar mit dem Namen des schweizerischen Dirigenten Ernest Ansermet verbunden, der es nicht nur ins Leben rief, sondern diesem Klangkörper auch beinahe ein halbes Jahrhundert lang vorstand und somit der französischsprachigen Schweiz internationale Geltung innerhalb der klassischen Musikszene verschaffte. Damit deckt Ansermet bereits die Hälfte der Zeitspanne ab, welche die anlässlich des 100. Orchesterjubiläums auf fünf hybriden SACDs erschienene Box One Century of Music/Premier siècle 1918-2018 bei Pentatone (PTC 5186 791) umfasst. Der Anspruch dieser Veröffentlichung war es, alle der bis dato zehn Chefdirigenten abzudecken, was gelungen ist. Es handelt sich dabei neben Ernest Ansermet (1918-1967) um Paul Kletzki (1967-1970), Wolfgang Sawallisch (1970-1980), Horst Stein (1980-1985), Armin Jordan (1985-1997), Fabio Luisi (1997-2002), Pinchas Steinberg (2002-2005), Marek Janowski (2005-2012), Neeme Järvi (2012-2015) sowie Jonathan Nott (seit 2017). Dies wird auch die teilweise ein wenig spezielle, insgesamt aber sehr kluge und geschickte Werkauswahl begründen, welche berücksichtigt wurde, waren manche künstlerische Leiter des OSR doch nur kurz im Amt und ist der Vorrat an erhaltenen Tondokumenten begrenzt. Von zwei Ausnahmen abgesehen, handelt es sich um Aufnahmen zwischen den späten 1970er Jahren und der jüngsten Vergangenheit.

Thematisch ist die ansprechend aufbereitete Kollektion in fünf Abschnitte untergliedert, die jeweils eine SACD einnehmen: Zum einen wird die französische Musik berücksichtigt, die sich prominent auf der ersten SACD befindet und zum Kernrepertoire des bedeutendsten Orchesters der Romandie gehört. Debussys Épigraphes antiques in der Orchestrierung von Ansermet und in einer Einspielung unter Sawallisch von 1978 machen den Auftakt. Ravel ist doppelt bedacht, zum einen mit dem Liederzyklus Shéhérazade mit der Sopranistin Marilyn Richardson unter Horst Stein von 1980, zum anderen mit der Suite Nr. 2 zu Daphnis et Chloé unter Armin Jordan von 1993. Als „Lückenfüller“ fungieren zwei selten eingespielte Ouvertüren, diejenige zur wagnerisch angehauchten Oper Le Roi d’Ys von Édouard Lalo unter Pinchas Steinberg von 2002 sowie die Konzertouvertüre Polyeucte von Paul Dukas, wiederum unter Jordan, von 1993. Hierbei handelt es sich mit um die stärksten Interpretationen der Werke, die auf Tonträger vorliegen.

Auf der zweiten SACD ist das deutsche Repertoire versammelt, wobei die Auswahl mit einer Ausnahme recht konventionell geraten ist. Wagners Ouvertüre und Bacchanal zu Tannhäuser (Wiener Fassung) unter Steinberg (2004), Salomes Tanz der sieben Schleier aus demselben Konzert, Schumanns Manfred-Ouvertüre ausgezeichnet unter Sawallisch (1984) sowie Don Juan von Richard Strauss unter Luisi (2000) machen das Gros aus. Ergänzt wird dieses Programm durch die vergleichsweise exquisiten Orchestervariationen über ein Thema von Paganini von Boris Blacher, welche in einer Aufnahme unter Janowski von 2012 beigegeben wurden.

Dieses Werk von 1947 bildet gleichsam die Überleitung zur Musik des 20. Jahrhunderts, die auf der dritten Disc versammelt wurde. Ligetis Melodien steuert neuerlich Sawallisch bei (1978), während Horst Stein eine beeindruckende Einspielung der atmosphärischen Prélude Photoptosis von Bernd Alois Zimmermann verantwortet (1985). Der nur kurzzeitig als Leiter des OSR amtierende Paul Kletzki dirigiert das erste Violinkonzert von Béla Bartók (Solist: Isaac Stern), welches bereits 1961, also noch in Ansermets Amtszeit, aufgezeichnet wurde. Die von Heinz Holliger komponierten Fünf Lieder nach Gedichten von Georg Trakl stehen einmal mehr unter der musikalischen Leitung von Armin Jordan. Es wirken in dieser Einspielung von 1993 zudem mit die Mezzosopranistin Cornelia Kallisch sowie der Frauenchor des Chœur de Chambre Romand. Den Abschluss bildet schließlich die nur fünfminütige Passacaglia von Alban Berg unter Luisi (2002).

Die vierte SACD bedenkt die beim OSR seit jeher sehr gepflegte russische Musik, repräsentiert besonders durch Igor Strawinsky, der mit Les Noces (Vokalisten: Francine Laurent, Nadine Denize, Louis Devos, Michel Brodard sowie der Chœur de la Radio Suisse Romande) unter dem Dirigat Horst Steins (1983) sowie Le Sacre du printemps unter Jonathan Nott vertreten ist. Letztere Aufnahme vom 1. Juni 2017 ist zugleich die neueste der gesamten Box und kann sich in Notts intensiver Lesart erstaunlich gut auch gegenüber als Referenzen gehandelten Vorgängeraufnahmen behaupten. Abgerundet wird das russische Programm durch Rachmaninows Sinfonische Dichtung Die Toteninsel unter der Stabführung von Neeme Järvi (2013), die vielleicht nicht ganz die Sogwirkung der Interpretationen Jewgeni Swetlanows besitzt, aber für sich genommen ebenfalls überzeugt.

Auf der letzten CD findet man ein wahrlich historisches Tondokument mit der nahezu 80-minütigen Einspielung der Dramatischen Legende Les Armaillis von Gustave Doret aus dem Jahre 1943. Selbstredend stand hier der damalige Chefdirigent Ernest Ansermet auf dem Pult. Das Werk ist in drei Akte untergliedert, die zwischen 22 und 28 Minuten dauern, und mit Fernando Corena, Hugues Cuenod, Georges Genin, René Chambaz, Robert Bugnard, Marie-Louise Rochat sowie Juliette Salvisberg besetzt. Die Chorleitung des Chanson Valaissane hatte Georges Haenni inne (und man wird daran erinnert, dass das Orchester ja auch Operndienst im Grand Théâtre versieht und mit eben dessen Aufführungen auch in den schweizerischen Rundfunk kommt G. H.)

Die Klangqualität der ganz überwiegend in der berühmten Genfer Victoria Hall entstandenen Aufnahmen ist tadellos. Selbst die historische Einspielung von 1943 klingt sehr ordentlich. Sie ist neben dem Bartók-Violinkonzert von 1961 auch die einzige Monoaufnahme. Der Rest erklingt in astreinem Stereo, was bereits für die 70er-Jahre-Aufnahmen gilt. Besonders die Aufnahmen aus dem 21. Jahrhundert dürfen als audiophil gelten.

Ein informatives, über 100-seitiges dreisprachiges Booklet (Englisch, Französisch, Deutsch!!!) mit einer Einführung von Jean-François Monnard zur Orchestergeschichte, den Dirigenten und wichtigen Aufnahmen rundet diese empfehlenswerte Kollektion vorzüglich ab (Orchestre de la Suisse Romande: One Century of Music/Premier siècle 1918-2018; Pentatone PTC 5186 791/ 2019). Daniel Hauser.

Russisches

 

Auf Leopold Stokowski, Ferenc Fricsay und Hermann Scherchen verweist Gabriel Feltz, der Dirigent der vorliegenden Aufnahme von Glières Ilja Muromez (Dreyer Gaido CD 21112), in seinem informativen Vorwort, in welchem er nur schwer seine Begeisterung für das eingespielte Werk, die monumentale dritte Sinfonie in h-Moll „Ilja Muromez“ des in Kiew geborenen Komponisten mit deutschen Wurzeln Reinhold Glière (1875-1956), zurückhalten kann. Die genannten großen Dirigenten hatten sich dieses tatsächlich mehr oder weniger in Vergessenheit geratenen Werkes, das 1912 mit Erfolg uraufgeführt wurde, bereits vor vielen Jahrzehnten angenommen. Geht man allein nach der Diskographie, dann ist es dieser gewaltigen Sinfonie (die mit gut 83 Minuten die Spielzeit der CD bis zum Anschlag ausreizt) gar nicht so schlecht ergangen. Abgesehen von den drei schon angeführten Dirigenten haben auch Harold Farberman (Regis/Alto), Sir Edward Downes (Chandos), Leon Botstein (Telarc), Donald Johanos (Naxos) und zuletzt JoAnn Falletta (ebenfalls Naxos) von der Kritik mit Lob bedachte Einspielungen vorgelegt. Gleichwohl konnte sich das Werk in den Konzertsälen der Welt bis heute nicht etablieren. Dies dürfte keinen monokausalen Grund haben, doch bereits die Ausmaße der Sinfonie sind derart enorm, dass sie mit Mahlers längsten Sinfonien gleichzieht. Um dies vorweg zu nehmen: Die Neueinspielung ist deutlich langsamer als fast alle ihre Vorgängerinnen. Lediglich Farberman nahm sich für jeden der vier Sätze noch etwas mehr Zeit und kam insgesamt gar auf 93 Minuten. Die EMI-Einspielung von Stokowski wird auf dem Cover der alten CD-Ausgabe zurecht als Arrangement des Dirigenten angeführt: Die Striche sind teilweise erschreckend, er benötigt gerade einmal etwa 38 (sic) Spielminuten, weswegen die Aufnahme, bei allen ihren Meriten, heutzutage keine ernsthafte Alternative mehr darstellen kann.

Beim Titelhelden Ilja Muromez handelt es sich um eine westlichen Hörern schwerlich besonders geläufige legendäre Sagenfigur der sog. Kiewer Tafelrunde, ursprünglich ein Bauernsohn, der zahlreiche phantastische Abenteuer durchmacht, bevor er mit seinen Mitstreitern in Stein verwandelt wird. Als einzige Sagengestalt wurde er von der russisch-orthodoxen Kirche sogar heiliggesprochen. Im über 23-minütigen Kopfsatz dieser Programmsinfonie wird Ilja von zwei Pilgern aus einer 33 Jahre anhaltenden Lähmung erlöst, anschließend zum dritten Bogatyr (russ. Recke) und trifft auf Swjatogor, der ihm kurz vor seinem Ableben sein Schwert und magische Kräfte vermacht. Stellenweise drängt sich hier musikalisch ein Hauch Bruckner auf. Der sogar noch um zwei Minuten längere zweite Satz sich dem furchtbaren Briganten Solvej, den Ilja letztlich besiegt. Die Behandlung der Holzbläser ist ein besonderes Highlight dieses Satzes, der an Skrjabin und gar Messiaen denken lässt. Der scherzoartige dritte Satz – der mit knapp acht Minuten bei weitem kürzeste der Sinfonie – beschreibt den Palast des Fürsten Wladimir, der wegen Iljas Zauberkraft einstürzt. Gleichwohl hebt er sich durch seine Leichtigkeit von den übrigen Sätzen deutlich ab. Hie und da fühlt man sich an Strawinskys Feuervogel erinnert, ohne dass Glière seine ihm eigene Tonsprache dafür opfern würde. Im Finale schließlich werden wieder die Dimensionen der ersten beiden Sätze abermals erreicht (26:36). Glière erweist sich hier als genialer Tondichter, der keine Vergleiche zu scheuen braucht (Versteinerungsszene). Nach einem fulminanten Höhepunkt klingt das Werk unerwartet lyrisch aus, zuletzt mit einer Reminiszenz an den ruhig-verhaltenen Beginn.

Das kleine Label Dreyer Gaido aus Münster setzt zwar nicht auf die ganz großen Namen, doch darf das Ergebnis in allen Belangen aus überaus geglückt gelten. Mit Gabriel Feltz, GMD in Dortmund, konnte einer der herausragenden deutschen Dirigenten der jüngeren Generation gewonnen werden. Die 1923 gegründeten und bis dato hierzulande diskographisch kaum in Erscheinung getretenen Belgrader Philharmoniker, denen Feltz seit 2017 ebenfalls vorsteht, erweisen sich als ausgezeichneter Klangkörper. Die im Booklet erwähnten zahlreichen Proben haben sich jedenfalls ausgezahlt. Aus dem ansonsten sehr guten Beiheft (auf Deutsch, Englisch und Serbisch) gehen leider nicht der Aufnahmeort und das genaue Aufnahmedatum hervor; die Rede ist nur davon, dass sich die Studioproduktion an ein Konzert in Belgrad vom 2. März 2018 unmittelbar anschloss. Klanglich weiß diese Hybrid-SACD jedenfalls zu überzeugen und setzt bei diesem Werk tontechnisch die neuen Maßstäbe (Glière: Sinfonie Nr. 3 h-Moll op. 42 „Ilja Muromez“; Belgrader Philharmoniker/Gabriel Feltz 2018; Erscheinungsdatum: 2019) Daniel Hauser

 

Der in Ostpreußen geborene Dirigent Kurt Sanderling (1912-2011) hatte zeitlebens eine enge Verbindung zu russischen Komponisten. Von 1936 bis 1960 emigrierte er in die Sowjetunion und amtierte von 1941 bis 1960 als Co-Chefdirigent der Leningrader Philharmoniker neben dem berühmten Jewgeni Mrawinski, dem der Ruf eines Pultdiktators anhaftete. Allein dies bürgt schon für die außerordentliche Qualität seiner Dirigate. Nach seiner Rückkehr in die nunmehrige DDR hatte er (zeitweise parallel) die Leitung des Berliner Sinfonie-Orchesters und der Staatskapelle Dresden inne. Bis ins hohe Alter stand Sanderling auf dem Podium, wovon die kürzlich vom SWR herausgegebenen Rundfunkaufnahmen aus dem Jahre 1995 zeugen (SWR19050CD). Enthalten sind das Vorspiel zum ersten Akt der Oper Chowanschtschina von Modest Mussorgski sowie die dritte Sinfonie von Sergei Rachmaninov. Interessanterweise entschied sich Sanderling für die weniger geläufige Schostakowitsch-Orchestrierung des Chowanschtschina-Vorspiels. Mussorgski selbst konnte seine Oper nicht mehr vollenden, so dass sie zunächst Rimski-Korsakow orchestrierte. Schostakowitsch, der ein enger Freund Sanderlings war, orientierte sich bei seiner 1959 vorgenommenen Neuorchestrierung stärker an Mussorgskis Klavierpartitur, so dass hier den ursprünglichen Intentionen des Komponisten stärker Rechnung getragen wurde. Sanderlings gefühlvolle Interpretation überzeugt von der Qualität dieser Fassung vollkommen.

Zu den Werken Sergei Rachmaninovs hatte Sanderling eine besonders enge Verbindung. Bereits 1956 spielte er die zweite Sinfonie für die Deutsche Grammophon Gesellschaft ein. Seinen eigenen Worten zufolge wollte er die Musik Rachmaninovs im Westen in einer Art missionarischem Eifer populärer machen. Wie die zweite lag Sanderling auch die seltener aufgeführte dritte Sinfonie sehr am Herzen. Der Violinist Efim Belski von den Leningrader Philharmonikern meinte gar, Rachmaninovs Dritte sei Sanderlings brillanteste Leistung auf dem Felde der russischen Musik. Tatsächlich weiß der damals bereits über achtzigjährige Dirigent den Hörer vom ersten Takt an zu fesseln. Die 1935/36 entstandene und 1938 revidierte Sinfonie in a-Moll erinnert in ihrer Tonsprache zunächst noch völlig an die drei Jahrzehnte ältere e-Moll-Sinfonie, deren Stimmung sie in nostalgischer Verklärung im Kopfsatz aufgreift. Mit 17:45 ist dieser bei Sanderling außergewöhnlich lange geraten; die beiden anderen Sätze folgen mit 12:12 bzw. 13:08 eher der Norm. Freilich zeigen bedrohlichere Töne im weiteren Verlauf der Sinfonie unverkennbar an, dass sich die Zeiten verändert haben.

Sanderlings Lesart lässt einen die lauwarme Reaktion des Publikums der Uraufführung vergessen und darf als deutliches Plädoyer für dieses Spätwerk gelten. Die Einspielung findet sich in der illustren Gesellschaft so gelungener Aufnahmen wie derjenigen Jewgeni Swetlanows mit dem Staatlichen Sinfonieorchester der Russischen Föderation (Canyon, 1995) oder jener Lorin Maazels mit den Berliner Philharmonikern (DG, 1981). Die Tonqualität dieser zwischen 29. und 31. März 1995 im Beethovensaal der Stuttgarter Liederhalle entstandenen Einspielungen ist tadellos. Die Wärme des Klangbildes unterstreicht vor allem die Opulenz der monumentalen Sinfonie. Eine höchst willkommene Bereicherung der Diskographie des 2011 im biblischen Alter von beinahe 99 Jahren verstorbenen Dirigenten Kurt Sanderling. Einziger Wermutstropfen: Die CD hat lediglich 49 Minuten Spielzeit.

 

Sergei Prokofjews Kantate zum 20. Jahrestag der Oktoberrevolution. Hundert Jahre Oktoberrevolution. Fast dreißig Jahre nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion muss das große Spektakel ausbleiben. Anders sah dies freilich zu Zeiten Stalins aus, der das Sowjetimperium zwischen Ende der 1920er Jahre und 1953 beherrschte – oder vielmehr terrorisierte. Zum 1937 anstehenden 20. Jahrestag der Großen Sozialistischen Oktoberrevolution (wie sie seinerzeit offiziell genannt wurde) komponierte niemand Geringerer als Sergei Prokofjew, zweifelsohne alles andere als ein Stalinist, eine Kantate für Sprecher, zwei vierstimmige gemischte Chöre, Akkordeon-, Blechbläser- und Schlagzeug-Ensemble und Orchester mit insgesamt zehn Sätzen. Ganze zwei Jahre dauerte die Arbeit an dem propagandistischen Werk, das dann freilich zum Jubiläumstag gar nicht zur Aufführung gelangte – Prokofjew war in Ungnade gefallen (offiziell wurde das Spektakel wegen „linksradikaler Abweichung und Vulgarität“ abgesagt). Ein riesiges Konzert auf dem Roten Platz in Moskau mit 500 Musikern und Sängern hätte die Feierlichkeiten am 7. November (julianisch 25. Oktober) 1937 krönen sollen. Für die Textauswahl war der seinerzeit in Paris lebende Philosoph und Musikwissenschaftler Pjotr Swutschinski zuständig. Freilich hätte man durchaus sarkastische Töne heraushören können, die Prokofjew auf dem Höhepunkt des Großen Terrors zum Verhängnis werden hätten können. Tatsächlich sollte es noch beinahe drei Jahrzehnte dauern, ehe die Kantate doch noch erklang, lange nach dem am gleichen Tag erfolgten Tode Stalins und des Komponisten. 1966 brachte sie der berühmte sowjetische Dirigent Kirill Kondraschin zur Uraufführung, allerdings in bearbeiteter Form (eine Einspielung erfolgte im Jahr darauf). Die beiden Sätze mit Stalin-Bezug (Nr. 8 und 10) wurden gestrichen, dafür am Ende der zweite Satz wiederholt. Stehen blieben die Texte von Marx, Engels und Lenin. In seiner Urfassung konnte man das Werk erst 1992, ironischerweise kurz nach dem Ende der UdSSR, in London unter Neeme Järvi hören.

Nun also, zum 100. Jubiläum, besorgt mit dem Ukrainer Kirill Karabits ein weiterer renommierter Dirigent der jüngeren Generation eine Neueinspielung dieses zumindest problematischen Werkes im Zuge des Kunstfestes Weimar (Audite 97.754). Ihm zur Seite stehen der Ernst Senff Chor Berlin, die Staatskapelle Weimar und Mitglieder des Luftwaffenmusikkorps Erfurt. Es wurde also gewissermaßen alles in Gang gesetzt, um diesem wenig bekannten Werk eine neue Chance zu verschaffen und seinem künstlerischen Wert auf den Grund zu gehen. Vom Sturm auf das Winterpalais des Zaren über Lenins Tod bis hin zur Verabschiedung einer neuen Verfassung durch Stalin zieht sich das episch angelegte Opus. Dass es sich um eine Live-Aufnahme handelt, kann man gelegentlichen Publikumsgeräuschen entnehmen. Ansonsten ist der Klang ausgezeichnet eingefangen worden. Inwieweit der deutsche Chor den russischen Texten gerecht wird, müsste indes ein Muttersprachler beurteilen. Hervorgehoben werden sollte, dass die gerade erst im August erfolgte Aufführung bereits jetzt, im November, pünktlich zum 100. Jubiläum, auf CD erscheint.

Vergleicht man die Neuaufnahme mit der 50 Jahre alten unter Kondraschin (Melodija), fallen in den vergleichbaren Sätzen (damals entfielen ja derer zwei) die sehr ähnlichen, teilweise bis auf die Sekunde identischen Spielzeiten auf. Hat sich Karabits an Kondraschin orientiert? In einigen wenigen Abschnitten lässt dieser sich ein klein wenig mehr Zeit, so in der Zwischenmusik des dritten Satzes und beim Sieg der Revolution im siebten Satz. Dies allein ist freilich kein Qualitätsmerkmal. Dass die Moskauer Philharmoniker und der Staatliche Jurlow-Chor zu Breschnews Zeiten noch idiomatischer agieren als die gleichwohl sehr engagierten deutschen Kräfte, liegt auf der Hand. Besonders während des Revolutionssatzes (Nr. 6) geht Karabits gleichwohl aufs Ganze. Die ihm innewohnende Brutalität wird durch schrille Glocken und Sirenen und mörderische Maschinengewehrschüsse unterstrichen. Als Krönung des Ganzen dann noch ein Sprecher mit Megaphon, der die Stimme Lenins verkörpert. Karabits ließ es sich nicht nehmen, dies selbst zu übernehmen. Der dramatische Höhepunkt des Werkes darf hier verortet werden. Nach dem triumphalen Sieg sodann pathetisch verklärend der im achten Satz erfolgende Eid. Die an vorletzter Stelle platzierte, rein instrumentale, etwa sechsminütige sogenannte Sinfonie könnte aus einer derselben des Komponisten stammen. Zuletzt die von Stalin auf den Weg gebrachte Verfassung, die diesen Namen kaum verdiente und in der alten Sowjetaufnahme auch gestrichen wurde. Naturgemäß erreicht das Pathos im Finale seinen Höhepunkt. Schwere Kost, die man sich allenfalls anlässlich allfälliger Jubiläen antun sollte.

 

Tschaikowski: Sinfonie Nr. 6 „Pathétique“. Griechenland und Russland sind sich auf mancherlei Art verbunden. Das Zarenreich sah sich als legitimer Nachfolger von Byzanz, auf das sich die heutigen Griechen berufen. Die Orthodoxie ist beiden gemein. Der nicht unbedingt als orthodox geltende, exzentrische griechische Dirigent Teodor Currentzis erzielte seinen internationalen Durchbruch mit russischen Orchestern, allen voran sein in Sibirien gegründetes, völlig auf ihn abgestimmtes Ensemble MusicAeterna. Ganz behutsam erarbeitet sich Currentzis den wohl berühmtesten aller russischen Sinfoniker: Pjotr Iljitsch Tschaikowski. 2016 legte er dessen Violinkonzert bei Sony vor (Solistin: Patricia Kopatchinskaja), nun folgt die sechste und letzte Sinfonie, die Pathétique. Unumstritten ist Currentzis mitnichten. Unstrittig ist indes, dass er niemanden kalt lässt.

Warum ausgerechnet mit der Pathétique beginnen? Sie mag das berühmteste Werk Tschaikowskis sein, vielfach verklärt und von Mythen umgeben. War sie wirklich die musikalische Ankündigung eines Abschieds vom Leben? Diese Frage wird nie einwandfrei geklärt werden können. An Spitzenaufnahmen besteht kein Mangel. Vom nebulösen Furtwängler (DG, Kairo 1951) über den todnüchternen Klemperer (EMI, 1961) und den idiomatischen Swetlanow (Exton, 1993) bis zum hyperemotionalen Selbstbekenntnis des späten Bernstein (DG, 1986). Currentzis ist dafür bekannt, Werke selektiv auszuwählen. Von Schostakowitsch nahm er bislang nur ausgerechnet die schwierige Vierzehnte auf. Keine Scheu also vor Tschaikowskis komplexer Letzter.

Wie nun klingt Currentzis‘ Sichtweise? Im gewaltigen Kopfsatz (knapp 20 Minuten) lotet er die gefühlsmäßigen Extreme aus, setzt scharfe Kontraste, geht bis an die Grenzen. Düstere Abschnitte werden von hoffnungsvollen Passagen unterbrochen. Auffällig lange dehnt er die Generalpausen und hält eine gefühlte Ewigkeit inne. Umso unerbittlicher, geradezu aggressiv die orchestralen Ausbrüche, hervorragend umgesetzt vom Orchester, das sich hier einmal mehr als wendig erweist. Obgleich der Klang schlank anmutet, entsteht doch nie der Eindruck von Schmächtigkeit. Streicher und Holzbläser spielen ihre ganze Virtuosität aus. Für diesen Satz die Höchstnote.

Der an einen Walzer erinnernde zweite Satz verspricht einen Schimmer von Hoffnung, auch wenn im Hintergrund bedrohlich die Pauken dräuen und einen bereits eine üble Vorahnung beschleicht. Currentzis schlägt hier ein vorwärtsdrängendes Grundtempo an und benötigt keine acht Minuten. Auch in diesem Satz kann das Orchester seine Stärken voll ausspielen.

Eine Messlatte für eine gelungene Einspielung dieses Werkes ist gerade auch der die Grenzen eines klassischen Scherzos sprengende triumphale dritte Satz (8:35). Hier trumpft noch einmal die Zuversicht überbordend auf. Das MusicAeterna kann besonders in der ersten Hälfte durch hervorragende Durchhörbarkeit bis in die Nebenstimmen überzeugen. Die sich stetig steigernde Klimax verspricht das höchste der Gefühle – und enttäuscht doch in gewisser Weise. Am Höhepunkt (bei etwa 6:45) sind die sonst so präsenten Pauken aus unerfindlichem Grund zu sehr in den Gesamtklang eingebettet. Schade. Deutlich besser dafür wieder die abschließende Coda.

Nach diesem nervenzerreißenden Intermezzo folgt die Ernüchterung im Adagio lamentoso. Von Bernstein’schen Extremen (17 Minuten Spielzeit!) ist Currentzis mit etwas über 10 Minuten weit entfernt. Gleichwohl weiß er die Zeit zu nutzen. Larmoyantes Resignieren ist seine Sache nicht von vornherein. Es mutet eher so an, als versuchte der desillusionierte Verzweifelte noch ein paar hoffnungslose Ausbrüche. Großartig wieder das Orchesterspiel. Regelrecht knarzend. Das hat man so auch noch nicht gehört. Der Ausklang kommt ganz abrupt und, recht ungewohnt, ohne Zurücknahme des Tempos.

Fazit: Eine sehr gute, etwas exaltierte Neueinspielung. Currentzis hat tatsächlich etwas in Sachen Tschaikowski zu sagen. Besonders der Kopf- und der Finalsatz sind ausgezeichnet gelungen. Das Scherzo fällt ein klein wenig ab. Die Klangqualität ist exquisit (Sony LC 06868 88985404352; 2017; genaues Aufnahmedatum?)

 

Dmitri Schostakowitsch – Komplette Konzerte (Melodija CD 10 02465)Das traditionsreiche, ehemals sowjetische Label Melodija ist in jüngster Zeit so aktiv wie lange nicht. Nach einigen CD-Erstveröffentlichungen alter Schallplatteneinspielungen folgt nun ein neuer Coup: Eine Gesamtaufnahme sämtlicher Konzerte von Dmitri Schostakowitsch, sechs an der Zahl. Es handelt sich um jeweils zwei Klavier-, Violin- und Cellokonzerte, wobei beim ersten Klavierkonzert auch noch eine Trompete mit dabei ist.

Melodija unternimmt gar nicht den Versuch, auf etablierte große Namen zu setzen. Dies beginnt bereits beim Dirigenten Alexander Sladkovsky, 52, derzeit künstlerischer Leiter des Tatarstan National Symphony Orchestra. Vom Westen weitgehend unbeachtet, legte er eine beachtliche Karriere hin und hat seit 2013 einen Plattenvertrag mit Sony in der Tasche. Das in Kasan, der Hauptstadt der autonomen russischen Republik Tatarstan, ansässige Orchester dürfte sich wohl auch ethnisch aus zahlreichen Angehörigen der Volksgruppe der Tataren zusammensetzen, was dem Ganzen einen noch exotischeren Hauch verleiht.

Kurios an diesem Großprojekt ist auch die Auswahl der Solisten. Man setzt auf die Jugend, keiner ist älter als Mitte dreißig. Freilich handelt es sich gleichwohl um Preisträger internationaler Wettbewerbe, also erwiesenermaßen um Talente. Interessant auch, dass für jedes der sechs Konzerte ein anderer Solist ausgewählt wurde, offenbar ganz bewusst. Im Einzelnen handelt es sich um die beiden Pianisten Lukas Geniusas, 27, und Dmitry Masleyev, 29; die beiden Violinisten Sergey Dogadin, 29, und Pavel Milyukov, 33; sowie die beiden Cellisten Alexander Buzlov, 34, und Alexander Ramm, 29.

Die Konkurrenz auf Tonträger ist groß und bedeutungsschwer. Der Fokus sei in diesem Zusammenhang besonders auf sowjetische Interpreten gelegt. Eugene List spielte 1975 die beiden Klavierkonzerte mit dem Rundfunk-Sinfonieorchester der UdSSR unter Maxim Schostakowitsch für RCA ein. Von Mstislaw Rostropowitsch liegen beide Cellokonzerte in Aufnahmen von 1966 und 1967 mit dem Staatlichen Sinfonieorchester der UdSSR unter Jewgeni Swetlanow auf Russian Disc vor. David Oistrach schließlich ist in Mitschnitten der BBC mit dem Philharmonia Orchestra unter Gennadi Roschdestwenski (Violinkonzert Nr. 1, 1962) bzw. dem UdSSR-Staatsorchester unter Jewgeni Swetlanow (Violinkonzert Nr. 2, 1968) tontechnisch dokumentiert. Von Leonid Kogan gibt es von 1976 zumindest das 1. Violinkonzert, ebenfalls unter Swetlanow mit seinem Orchester (Melodija). Gleichwohl scheinen sich die jungen russischen Kräfte in den Neueinspielungen davon nicht eingeschüchtert zu fühlen.

Das etwas ungenau als Klavierkonzert Nr. 1 bezeichnete, gut 21-minütige Werk mit der Opusnummer 35 heißt mit vollem Titel Konzert für Klavier, Trompete und Streichorchester in c-Moll (1933) und schwankt zwischen einem gewöhnlichen Klavier- und einem Doppelkonzert für Klavier und Trompete. Auch aufgrund seiner Viersätzigkeit weicht es von der Norm ab (auch wenn der dritte Satz extrem kurz geraten ist). Sladkovsky versucht gar nicht erst, die Trompete (gespielt von Dmitri Trubakov) gleichberechtigt oder gar dominierend in den Vordergrund zu rücken. Ausgezeichnet Lukas Geniusas am Piano, der sich dem herben Tonfall des Konzerts anpasst und auch die schwierige Kadenz am Schluss bravourös meistert. Bereits bei diesem leichtgewichtigen, fast kammermusikalischen Werk zeigt sich ein charakteristischer östlicher Klang. List/M. Schostakowitsch erzielen in der Coda vielleicht eine noch zupackendere Wirkung, was auch am aggressiver anmutenden Trompetensolo liegen mag.

Das 2. Klavierkonzert entstand deutlich später (1957) und ist Schostakowitschs Sohn Maxim gewidmet. Ihm wohnt ein freudiger Tonfall inne, der für diesen Komponisten eher untypisch ist. Hinsichtlich seiner Dreisätzigkeit ist es zumindest formal eher an klassischen Klavierkonzerten angelegt. Pianist Dmitry Masleyev setzt die heitere Grundstimmung durchaus um, wenngleich er sie eher jovial erscheinen lässt. Mit 18 Minuten Spielzeit ist die Einspielung auch fast zwei Minuten länger als der Klassiker von 1975 mit List am Klavier und dem Widmungsträger am Dirigentenpult, was praktisch ausschließlich auf den bei Masleyev/Sladkovsky bedeutend langsameren zweiten Satz zurückzuführen ist, der hier in kontemplativster Spätromantik erklingt. Näher an Rachmaninow war Schostakowitsch wohl nie. Eugene List geht dies deutlich nüchtern-sachlicher an. Im Finale kann das tatarische Orchester auch erstmals seine Qualitäten richtig ausspielen. Die Neueinspielung ist der alten Vergleichsaufnahme insgesamt durchaus ebenbürtig, im langsamen Satz m. E. sogar überlegen.

Keinem Geringeren als dem großen Geiger David Oistrach ist das Violinkonzert Nr. 1 gewidmet. 1947/48 komponiert, erfuhr es erst 1955, nach Stalins Tod, seine Uraufführung. Dieses Opus 77 (teilweise auch Op. 99 genannt) ist vermutlich das bekannteste von Schostakowitschs Konzerten. Mit der berühmten Passacaglia verfügt es über den wohl beeindruckendsten Satz in einem Schostakowitsch-Konzert überhaupt. Im verzweifelten Kopfsatz sehr verinnerlicht, entfacht das Scherzo etwas Dämonisches (so Oistrach) und beinhaltet das DSCH-Motiv. Eine Burlesque beschließt das Werk. Bereits von seiner Anlage her ist dieses Violinkonzert ungleich gewichtiger als die beiden Klavierkonzerte und kommt in dieser Einspielung auf über 38 Minuten Spielzeit. Damit ist diese deutlich getragener als sowohl die Oistrach- als auch die Kogan-Aufnahme (beide gut 34 Minuten). Das Beiheft geht nicht fehl, wenn es hier gar von einer Violinsinfonie spricht, ist der orchestrale Part doch stark aufgewertet worden. Sergey Dogadin erweist sich als vorzüglicher Solist, der durchaus seinen Anteil an der Tempogestaltung hat. Oistrachs und Kogans Interpretationen wirken im Vergleich noch zugespitzter, wohl auch durch die Zeitumstände bedingt – und weil es sich um Live-Aufnahmen handelt. Die Passacaglia wird – wenig verwunderlich – auch in der Neueinspielung zum Höhepunkt. Vom bedrohlichen, von den Pauken dominierten Anfang, der das Invasionsthema der Leningrader Sinfonie und das Schicksalsmotiv von Beethovens Fünfter zitiert, bis hin zum gleichsam totalen Ersterben des Orchesters und nachfolgendem, virtuosen und hochemotionalen Violinsolopart. Die nahtlos anschließende, furiose Burlesque bringt erneut das Orchester ins Spiel und lässt den Hörer im Unklaren darüber, ob das Werk desillusioniert oder doch hoffnungsvoll ausklingt. Das Tatarstan National Symphony Orchestra zeichnet sich wiederum als formidabler Klangkörper aus, auch wenn nicht ganz die an Brutalität grenzende Wucht des UdSSR-Staatsorchesters unter Swetlanow zu Beginn der Passacaglia und ganz am Ende erreicht wird.

Auch das 2. Violinkonzert ist enger Beziehung zu David Oistrach zu betrachten, widmete es ihm Schostakowitsch doch anlässlich seines 60. Geburtstages. Es handelt sich im gleichen Zuge um ein Spätwerk des Komponisten und ist sogar das letzte seiner Konzerte. Die Uraufführung erfolgte 1967 – natürlich mit Oistrach. Von jugendlichem Elan ist in diesem Werk nichts mehr zu spüren, eher vom sich bereits ankündigenden Abschied. Der Solist in der hier besprochenen Aufnahme heißt Pavel Milyukov, der das hohe Niveau dieser Gesamteinspielung fortsetzt. Die Hörner des Tatarstan National Symphony Orchestra dürfen in diesem Konzert glänzen und erinnern abermals an den rauen Ton alter Sowjetaufnahmen. Dass das 2. derartig im Schatten des 1. Violinkonzerts steht, ist sicherlich ungerechtfertigt, wie diese höchst gelungene Neuinterpretation beweist, die keinesfalls davor zurückschreckt, die Schroffheit der Partitur offenzulegen (exzellentes Schlagwerk mit Tomtom-Trommel).

Die auf der dritten und letzten CD versammelten beiden Cellokonzerte sind untrennbar mit Mstislaw Rostropowitsch verbunden. Beide hat Schostakowitsch für diesen legendären Cellisten geschrieben. Es handelt sich ebenfalls um späte Werke: Das viersätzige Cellokonzert Nr. 1 stammt von 1959, das dreisätzige Cellokonzert Nr. 2 von 1966. Das DSCH-Motiv taucht im 1. Cellokonzert ebenfalls auf. Die in den Jahren 1966 und 1967 entstandenen Aufnahmen mit dem Widmungsträger als Solisten und dem Staatlichen Sinfonieorchester der Sowjetunion (einmal mehr) unter Jewgeni Swetlanow werden schwerlich jemals übertroffen werden. Gleichwohl gelingt es sowohl Alexander Buzlov im ersten Konzert als auch Alexander Ramm im zweiten an der Seite des kompetenten Dirigenten Sladkovsky eine Art moderne Referenz einzuspielen. Die Schwierigkeiten, die beide Werke den Solisten abverlangen, erscheinen wie egalisiert angesichts der dargebotenen Leistung.

Summa summarum handelt es sich bei dieser Gesamtaufnahme um eine hervorragende, sehr willkommene Erweiterung der wahrlich nicht schmalen Diskographie. In gewisser Weise knüpfen Alexander Sladkovsky und sein Orchester an die alte sowjetische Tradition an und überraschen mit einem beinahe für ausgestorben gehaltenen rauen Tonfall, wie man ihn lange nicht mehr vernahm. Ausnahmslos exzellent sind alle sechs hier repräsentierten jungen Solisten und bilden gut die heutige russische Nachwuchsgeneration ab. Melodija knüpft an die glorreichen alten Zeiten an. Die Klangqualität ist durch die Bank exquisit, Nebengeräusche sind nicht vorhanden, das spieltechnische Niveau geradezu verblüffend. Weiter so!

 

Prières Russes – russische Gebete. So heißt die Neuveröffentlichung des französischen Labels Mirare. Enthalten sind insgesamt 18 Nummern mit Stücken von berühmten Komponisten wie Rachmaninow, Tschaikowski und Glinka/Balakirew, aber auch eher unbekannte Namen wie Tanejew, Dargomyschski, Gretschaninow, Swiridow, Aliabiew und Gawrilin. Allein dreimal ist die Liturgie des hl. Johannes Chrysostomos, eines der wichtigsten Heiligen der Orthodoxie, vertreten. Unverkennbar der typische östliche Tonfall, den westliche Hörer am ehesten durch diverse Kosakenchöre kennen. Es geht die Legende um, den großen Herbert von Karajan hätten diese spezifischen Eigenarten bei seiner Einspielung der Ouvertüre 1812 von Tschaikowski, in der er zu Beginn den Don-Kosaken-Chor Serge Jaroff a capella einsetzte, beinahe in den Wahnsinn getrieben. Tatsächlich muss man bereit sein, sich auf diesen für Westeuropäer doch sehr gewöhnungsbedürftigen Tonfall einzulassen. Dann aber wird man sich der Großartigkeit dieser Musik erst richtig bewusst. Diese neue Platte beweist, dass weniger manchmal mehr sein kann. Durch den Verzicht auf einen großen Orchesterapparat, der in der Kirchenmusik der Orthodoxie nicht vorgesehen ist, gilt die volle Konzentration selbstredend dem Chor. Der Philharmonische Chor Jekaterinburg unter der Stabführung von Andrey Petrenko meistert seine Aufgabe mit Bravour. Es ist immer wieder erstaunlich, welch eine Klanggewalt allein durch die menschliche Stimme erzielt werden kann. Am beeindruckendsten fand ich gerade die ebenfalls enthaltenen russischen Volkslieder, die man in unseren Breiten tatsächlich noch am ehesten kennt. Ein Déjà-vu bereitete mir das Lied von der weiten Steppe, das in Pier Paolo Pasolinis berühmtem Film Das 1. Evangelium – Matthäus von 1964 am Ende kurz vor der Auferstehung Christi auf sehr adäquate Weise verwendet wird. Eine insgesamt erfreuliche Neuerscheinung, auch wenn die Klangqualität ein klein wenig transparenter hätte sein können (Prières Russes ;  Choeur Philharmonique d’Ekaterinburg ; Andrey Petrenko ; Mirare, 2017). Daniel Hauser

Noch immer irritierend

 

Kontrovers aufgenommen wurde Michael Sturmingers Inszenierung von Puccinis Tosca bei den Osterfestspielen Salzburg 2018 – offenbar diesmal keine Koproduktion mit der Semperoper Dresden und in der Elbmetropole bislang auch noch nicht gezeigt. Nun bringt sie Cmajor als DVD/Blu-ray Disc heraus (748404), so dass man den Eindruck von der Premiere überprüfen kann.

Mit einem Vorspiel in der Tiefgarage beginnt das Geschehen, wo der flüchtende Angelotti (Andrea Mastroni mit verquollen klingendem Bassbariton) sich gegen ein Polizeikommando mit Schüssen wehrt und in die Kirche entkommen kann. Diese bestimmt eine riesige Madonnen-Statue im Zentrum (Bühne: Andreas Donhauser), umgeben vom Sagrestano (Matteo Peirone mit brummigem Bass) und sitzenden Kindern mit Zeichenblöcken. Cavaradossi mit Künstlerschal (Kostüme: Renate Martin) gibt ihnen kleine Korrekturen, bevor er seine Arie „Recondita armonia“ anstimmt. Aleksandrs Antonenko lässt einen ältlichen Tenor von gequältem Klang hören, der kein Salzburg-Niveau aufweist. Die langen Phrasen und Aufschwünge der Partie bereiten ihm hörbar Mühe. Die Tosca von Anja Harteros dagegen erfüllt alle Ansprüche, die man eine Interpretation bei diesen renommierten Festspielen stellt. Sie ist eine moderne, selbstbewusste Frau in einer weiten Hose, mit langem Mantel und Sonnenbrille ganz ohne divenhafte Allüre. Der Sopran ist dunkel und sinnlich getönt, bewältigt die Ausbrüche der Rolle ohne grellen Beiklang.

Ludovic Tézier ist ein ungewöhnlich lyrischer Scarpia, auch als Figur im korrekten Anzug aus dem herkömmlichen Rollenschema fallend und in der Erscheinung einem prominenten Politiker unserer Tage fatal ähnelnd. Autoritär ist sein erster Auftritt mit „Un tal baccano in chiesa“ auf der Kanzel, hintergründig und voller perfider Nuancen das „Tre sbirri“  mit dem nachfolgenden „Te Deum“.  Das teuflische Wesen des Polizeichefs äußert sich hier weniger in brutalen stimmlichen Attacken denn in raffinierten, perversen Zwischentönen. Zu Beginn des 2. Aktes im Palazzo Farnese, das mit Gemäldesegmenten in der Manier Michelangelos und einem männlichen Torso prachtvoll ausgestattet ist, sieht man ihn im Turnhemd am Hometrainer. Strenge Assistentinnen sind ihm beim Ankleiden behilflich oder reichen ihm ein Glas Wasser. Fast gutmütig wirkt Scarpia in der Konfrontation mit Cavaradossi, bis er seine wahren Absichten mit umso infamerer Deutlichkeit zu erkennen gibt. Eine Wendeltruppe führt nach unten in die unterirdische Folterkammer, mit der Scarpia per Telefon verbunden ist. Tosca im leuchtend roten Konzertkleid hält ihm zunächst auf Augenhöhe stand, bis die Angst um das Leben des Geliebten sie überwältigt. In ihrer Verzweiflung wirkt Anja Harteros auch darstellerisch absolut glaubwürdig, singt das „Vissi d’arte“ auf dem Tisch liegend mit kantabler Linie und grandioser Steigerung. Dagegen kommen die triumphalen Ausbrüche des Cavaradossi von Antonenko mit vulgärer Tongebung. Seine Arie „E lucevan le stelle“ im 3. Akt, der zunächst in einem Schlafsaal angesiedelt ist, wo Knaben als Erschießungskommando ausgebildet werden und Benjamin Aster mit zittriger Stimme das „Io de’ sospiri“ des Pastore anstimmt, gelingt ihm dagegen zufrieden stellend. Auch der fiebrige Ausdruck im Duett mit Tosca überzeugt. In Hosen und Lederjacke wirkt sie hier wie eine Fidelio-Leonore.

Überraschend hatte sich Scarpia nach Toscas tödlichem Messerstich wieder erhoben, und tatsächlich erscheint er – schwer verletzt – auch auf der Engelsburg, um Tosca hinzurichten. Auf seinen tödlichen Schuss antwortet sie mit einem ebensolchen.

Der Bachchor Salzburg (Alois Glaßner) sowie der Salzburger Festspiele und Theater Kinderchor (Wolfgang Götz) sorgen im 1. Akt für ein turbulentes Spektakel der Allievi und ein machtvolles „Te Deum“. Christian Thielemann beweist mit der Staatskapelle Dresden auch seine Affinität für das italienische Fach, fächert die Komposition mit viel Gespür für die dramatischen Teile und die lyrischen Passagen  auf. Bernd Hoppe

Michael Gielen

 

Wenige Dirigenten der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts wurden derart als Vertreter der Avantgarde angesehen wie Michael Gielen, geboren am 20. Juli 1927 in Dresden. Kurz nach Kriegsausbruch, 1940, musste seine Familie emigrieren und ging nach Argentinien, war sein Vater Josef Gielen, ein bedeutender österreichischer Burgschauspieler und Theaterregisseur, doch mit einer jüdischen Schauspielerin, Rosa Steuermann, verheiratet. Im Exil wurde Gielens musikalische Ader stark gefördert; er verkehrte dort mit solch bedeutenden Persönlichkeiten wie den Dirigenten Fritz Busch und Erich Kleiber und wurde von der Zweiten Wiener Schule beeinflusst. Die lebenslange Liebe zur Musik von Schönberg, Webern und Berg wird nicht zuletzt darauf zurückzuführen sein. In Buenos Aires traf Gielen später auch auf Wilhelm Furtwängler, der einen völlig anderen Dirigententypus, ganz dem späten 19. Jahrhundert verhaftet, repräsentierte. Nach seiner Rückkehr nach Europa im Jahre 1950 arbeitete er zunächst an der Wiener Staatsoper unter Krauss, Böhm und Karajan (erstes Dirigat an der Staatsoper 1954), bevor er ab 1960 vier Jahre lang als Chefdirigent der Königlichen Oper in Stockholm amtierte (Zusammenarbeit mit Ingmar Bergman). Zwischen 1969 und 1971 leitete Gielen das Orchestre National de Belgique in Brüssel und zwischen 1973 und 1975 die Niederländische Oper in Amsterdam. Als besonders bedeutend sollte sich die Zusammenarbeit Gielens mit dem Südfunk-Sinfonieorchester ab 1964, mit dem Sinfonieorchester des Saarländischen Rundfunks ab 1966 sowie mit dem Südwestfunk-Orchester ab 1967 erweisen. 1965 dirigierte er die Uraufführung der bis dato als unaufführbar gegoltenen Oper Die Soldaten von Bernd Alois Zimmermann. Gielens erste Schallplattenproduktion datiert bereits in das Jahr 1952. Hauptsächlich für verschiedene Rundfunkanstalten folgten zahllose weitere Einspielungen im Verlaufe der nächsten Jahrzehnte. Unter seiner Führung als Generalmusikdirektor (1977-1987) wurde die Oper Frankfurt zu einem der wichtigsten Opernhäuser in ganz Europa, die keine Berührungsängste zum sog. modernen Regietheater verspürte (Zusammenarbeit mit Operndirektor Klaus Zehelein und Regisseuren wie Ruth Berghaus und Hans Neuenfels). In seiner Frankfurter Zeit dirigierte er zudem die Museumskonzerte. Seinen internationalen Ruf festigte Gielen während seiner Chefdirigententätigkeit beim BBC Symphony Orchestra in London (1978-1981) sowie beim Cincinnati Symphony Orchestra in Ohio (1980-1986). Seine in der Rückschau wohl prägendste Amtszeit als Orchesterleiter absolvierte Gielen beim SWF-Sinfonieorchester in Baden-Baden, dem er ab 1986 als Chefdirigent vorstand und nach seinem Rücktritt 1999 noch bis 2014 als ständiger Gastdirigent verbunden war. 2002 ernannte ihn das seit 1996 als SWR-Sinfonieorchester Baden-Baden und Freiburg firmierende Rundfunkorchester zu seinem Ehrendirigenten. Eine enge Verbindung pflegte er zudem zum Konzerthausorchester Berlin sowie zur Staatskapelle Berlin. Bei all diesen Klangkörpern versuchte er das Klangverständnis für die Musik des 20. Jahrhunderts zu befördern. Gielens Repertoire war mannigfaltig und umfasste vom Barock bis zur Moderne zahllose Strömungen. Neben der Neuen Wiener Schule waren es gerade die großen Sinfoniker Beethoven, Bruckner und Mahler, denen er sich mit Nachdruck widmete und von der Kritik mit Lob überhäufte Gesamtaufnahmen vorlegte. Überhaupt lag Gielen an der Verbindung des scheinbar Unvereinbaren (etwa die Kombination von Beethovens Neunter mit Schönbergs Überlebendem aus Warschau). Im Alter wurden seine früher flüssigen Tempi ungewohnt breit, seine Lesarten fast „klemperesk“. Diese Widersprüchlichkeit zeigte sich u. a. auch darin, dass Gielen bis zuletzt kurioserweise auf längst als überholt geltende spätromantische Orchesterretuschen bei Schumann setzte. Daneben betätigte er sich bereits seit 1946 als Komponist. Nach seinem gesundheitlich bedingten Rückzug vom Podium im Februar 2014 (letztes Dirigat beim NDR-Sinfonieorchester) wurde es ruhig um Gielen, der am 8. März 2019 im 92. Lebensjahr stehend in seinem Haus am Mondsee im Salzkammergut an den Folgen einer Lungenentzündung starb (Foto Wikipedia/Wikiwand). Daniel Hauser

Britten mit Laute und Horn

 

Es ist still geworden um Julian Bream. Der 1933 in London geborene Gitarrist und Lautenist war 2002 letztmals öffentlich aufgetreten. Seine vielen Aufnahmen aber sind nach wie vor marktbeherrschend. Bream verhalf der Laute, deren Ursprünge bis ins zweite Jahrtausend vor Christus zurückreichen, zu neuer Popularität. Das legendenumwobene Instrument findet sich bereits auf Wandbildern im alten Ägypten und in Persien. Es wird angenommen, dass es die Kreuzritter nach Europa brachten. Namhafte Komponisten – darunter Hans Werner Henze, Michael Tippet, Benjamin Britten und William Walton – arbeiteten für Bream, der sich aber auch um die Pflege der Musik des elisabethanischen Zeitalters verdient machte. Eine seiner bevorzugten Komponisten war John Dowland, dessen Lebensdaten nicht gesichert sind. Fest steht nur, dass er am 20. Februar 1626 in London begraben wurde. Bei dessen Liedern begleitete Bream auch den englischen Tenor Peter Pears 1958 beim Aldeburgh Festival.

Einen Mitschnitt legte jetzt Doremi im Rahmen seiner Reihe Legendary Treasures vor (DHR-8060). Diesen Liedern sind chinesische Songs von Britten gegenüber gestellt, die nicht als Kontrast, sondern als Ergänzung der Dowland-Lieder wirken. Nach Angaben im Booklet werden sie nun erstmals auf CD veröffentlicht. Wie eine Klammer zwischen beiden Gruppen wirken drei Arrangements von britischen Volksliedern durch Britten. Gemeinsam mit dem schweizerischen Flötisten Auréle Nicolet und dem Cembalisten George Malcolm trat Bream auch im Folgejahr des von Britten, Pears und dem Librettisten Eric Crozier 1948 gegründeten Festivals auf – und zwar mit  einem Konzert für Flöte, Laute und Cembalo von Georg Philipp Telemann. Es ist ebenfalls auf der CD dokumentiert. Die technische Qualität der Mitschnitte hält sich zwar in Grenzen. Durch den Verzicht auf ein übertriebenes Remastering bleibt die authentische Atmosphäre des Live-Konzerts erhalten.

 

Obwohl Brittens Hymn to St Cecilia nur gut zehn Minuten dauert, gibt sie einer neuen CD mit A-cappella-Chorstücken des Komponisten bei harmonia mundi den Titel (HMM 902285), die vom Rias Kammerchor eingespielt wurden. Textgrundlage ist eine Ode von WH Auden. Der englische Dichter nahm 1946 die amerikanische Staatsbürgerschaft an und war zeitweise mit der aus Nazideutschland emigrierten Tochter des Schriftstellers Thomas Mann, Erika, verheiratet, um ihr zu einem englischen Reisepass zu verhelfen. Auden lebte mit Christopher Isherwood in Berlin zusammen und verfasste mit seinem späteren Lebensgefährten Chester Kallman die Libretti für für Strawinsky The Rake’s Progress sowie Henzes Bassariden und Elegie für junge Liebende. In England haben Kompositionen für Cecilia, die Schutzpatronin der Musik,  Tradition. Zudem fühlte sich Britten der Heiligen auch dadurch verbunden, weil er am ihrem Gedenktag, dem 22. November, geboren wurde. Der Musikexperte Philip Rupprecht bescheinigt dem Stück mit neoklassischen Elementen im Booklet eine „erstaunliche Leuchtkraft“. Der Rias Kammerchor bringt sie durch seine feinsinnige Interpretation zum Klingen. Eingeleitet wird das Programm der CD mit den „Choral Dances“ aus der Oper Gloriana, die schon kurz nach deren Uraufführung als eigenständiges Werk Verbreitung fanden. Den Abschluss bildet eine Sammlung aus sieben Gedichten von Gerald Manley Hopkins: „A.M.D.G. (Ad majorem Dei gloriam“. Britten komponierte sie im August 1939 in New York kurz nach seiner Begegnung mit Pears.

 

Im Schaffen von Britten führt „The Heart of The Matter“ ein seltsames Dasein. Denselben Titel trägt ein 1948 veröffentlichter Roman von Graham Greene, der in Großbritannien bis heute sehr hoch geschätzt wird. Die Hauptfigur begeht Selbstmord, wohl wissend, damit eine schwere Schuld auf sich zu laden. Auch der Britten sehr verbundene australische Pianist Noel Mewton-Wood schied freiwillig aus dem Leben. Zu seinem Gedenken entstand 1954 das Lied Canticle III, op. 55 „Still falls the rain“ nach einem Gedicht der Lyrikerin Edith Sitwell. Um dieses Lied gruppierte Britten zwei Jahre später für das Festival in Aldeburgh weitere Gesänge aber auch von der Dichterin persönlich vorgetragene Verse. Weitere Aufführungen gab es nicht. Erst 1983 stellte Peter Pears eine revidierte Fassung her. Nachzulesen ist die bewegte Entstehungsgeschichte in einem Text von Daniel Lienhard für die Aufnahme von Christoph Prégardien bei Challenge Classics (CC72771). Eröffnet wird das Werk von einem Hornsignal, ausgeführt von Olivier Darbellay spielt. Am Piano waltet Michael Gees. Das Horn ist denn auch das verbindende Instrument zu den übrigen Titeln der Produktion, die bis aus Schuberts „Auf dem Strom“ interessante Ausgrabungen sind: „Die Seejungfern“ und „Herbst“ von Franz Lachner, „Das Mühlrad“ und „Ständchen“ von Conradin Kreutzer. „Sehnsucht“ und das „Fischermädchen“ dürften die einzigen Werke des 1812 in Breslau geborenen und 1893 in Stettin gestorbenen Carl Kossmaly, sein, der auch als Dirigent und Musikkritiker wirkte, die es jemals auf CD schafften. Mit nationalistischen Lied „O Deutschland hoch in Ehren“ erlangte Henry Hugo Pierson zweifelhafte Berühmtheit. Der 1815 in Oxford geborene Komponist lebte seit 1863 dauerhaft in Deutschland und veröffentlichte seine Werke auch unter mehreren anderen Namen, darunter als Edgar Mansfeld(t). Von ihm wurde „Jägers Abschied“ ausgewählt. Die literarische Vorlage lieferte das von Ferdinand Freiligrath ins Deutsche übersetzte Gedicht des Schotten Robert Burns. Rüdiger Winter

Ein „philosophischer Tonsetzer“

 

„Ach je, jetzt kehrt er den Komponisten-Kollegen heraus“, könnte man noch beim Lesen des Prologs zu Timo Jouko Herrmanns SalieriBiographie denken, um dann lange vor dem Ankommen im Epilog davon überzeugt zu sein, dass man es mit einem überaus redlichen, grundsoliden und ungemein informationsreichen Buch zu tun hat.  Hand in Hand geht sein Erscheinen mit einer bereits vor einigen Jahren begonnenen Salieri-Renaissance, für die nicht zuletzt Cecilia Bartoli und Diana Damrau, aber auch der nicht erwähnte Riccardo Muti stehen.

Das erste Kapitel befasst sich mit der Jugend und Ausbildung des in Legnago im Veneto geborenen Komponisten, dessen Eltern früh verstarben und der deswegen mit seinem Gönner und Lehrer Florian Leopold Gassmann nach Wien ging, dessen reiches musikalisches Leben anschaulich beschrieben wird. Bereits in diesem ersten Kapitel wird deutlich, wie eng  die Künstler Mittel- und Westeuropas miteinander vernetzt waren, denn nach Gluck und Metatasio, die der noch junge Antonio Salieri kennenlernte, kommen im Verlauf der Biografie noch so ziemlich alle Größen seiner Zeit in den Genuss seiner Bekanntschaft, seien  es seine Schüler Beethoven und Schubert, später Meyerbeer, oder auch Mozart, bei dessen Erwähnung man natürlich sofort an das Gerücht vom Giftmord an dem unliebsamen Rivalen denkt. Näher geht der Autor darauf am Schluss seines Buches ein und enthüllt dabei einen interessanten Aspekt, wenn er auf den Zusammenhang zwischen der Verbreitung des Gerüchts mit dem Aufkommen des Nationalismus verweist, der der „welchen Tücke“, die angeblich Salieri leitete, die „deutsche Treue“ gegenüberstellte. Herrmann gelingt es überzeugend,  die Absurdität der für einen Giftmord sprechenden Argumente aufzuzeigen, mehrmals weist er auch darauf hin, dass Salieri sich durchaus als deutscher Komponist fühlte, von den Zeitgenossen auch für einen solchen gehalten wurde.

Im Kapitel über die Lehrjahre wird wie auch in den folgenden ausführlich auf seine Kompositionen eingegangen, besonders auf die Opern wie Armida, La secchia rapita, La locandiera, für die Wiedereröffnung der Scala nach einem Brand L’Europa riconosciuta. Joseph II., der den Komponisten sehr schätzte, bestellt bei ihm ein deutsches Singspiel, der Rauchfangkehrer, Gluck empfiehlt  ihn nicht nur für die Scala, sondern auch für Paris, dem er Les Danaides, später Tarrare beschert. Man möchte aus diesen so unterschiedlichen Aktivitäten, und das Buch legt das nahe,  den Schluss ziehen, dass Salieri ein europäischer Komponist war.

Interessant ist auch, dass einige Opern Salieris, so Cublai  gran Kan dei Tartari (mit der ganz jungen Diana Damrau in Würzburg) erneut in unserer Zeit uraufgeführt wurden.

Der Autor bietet dem Leser neben seinem Text auch eine Fülle von Zitaten, die zu Lebzeiten Salieris entstanden, so Kritiken seiner Werke oder Berichte von Besuchen bei dem offensichtlich äußerst gastfreundlichen Komponisten, der nicht nur zu allen Festen, Hochzeiten wie Begräbnissen der kaiserlichen Familie, dazu noch jeweils drei Krönungen (in Frankfurt, Pressburg und Prag) als Komponist wie Dirigent wirken musste, sondern auch zahlreiche Schüler teils unentgeltlich unterrichtete. Ein Brief Zelters an Goethe ist besonders hervorzuheben ebenso wie ein Bericht von Friedrich Rochlitz.

Dem Jahr 1795 und damit drei wichtigen Opern, die zu dieser Zeit entstanden, ist ein eigenes Kapitel gewidmet, Il Mondo alla Rovescia, Heraklit und Demokrit sowie Palmira, Regina di Persia. In den folgenden Jahren entstehen auch ein Falstaff und eine Komposition für den Landsturm (!), der allerdings nicht gleichzusetzen ist mit der Landbevölkerung, so wie Ludwig XVIII. nicht „wieder eingesetzt“ wurde.

Der Autor bringt dem Leser auch den Menschen Salieri nahe, der nicht nur seine Ehefrau, sondern auch den einzigen Sohn und einige seiner zahlreichen Töchter begraben musste, der eine rührende Liebe zu drei Bäumen hegte und der beitrug zur Gründung der Gesellschaft der Wiener Musikfreunde sowie zur Einführung des Metronoms.

Der Verfasser beschränkt sich nicht auf eine reine Biografie, sondern bietet dem Leser auch  musikalische Analysen der Hauptwerke Salieris, dazu eine Einordnung und Einschätzung durch Zeitgenossen und Nachgeborene und kommt zum Schluss, dass die Bezeichnung „philosophischer Tonsetzer“ eine durchaus angemessene sei. Dem kann man nur zustimmen und sich über die Bereicherung, die das Buch für den Leser bedeutet, freuen (Morio Verlag, 315 Seiten, ISBN 978 3 945424 70 4; Im Anhang Abkürzungen, Währungen, Bildnachweis, Literatur, Index; . oben: Der berühmte Adolphe Nourrit als Salieris Tarare (Wiki)). Ingrid Wanja