Archiv für den Monat: Januar 2015

Bestürzende Diktion…

Die DVD A Recital with Renée Fleming bei der DG hält einen Auftritt der amerikanischen Sopranistin im Wiener Musikverein vom Dezember 2012 fest (102 196). „Vienna at the Turn of the 20th Century“ ist das Motto des Programms, bei dem die Diva von Maciej Pikulski am Flügel inspirierend begleitet wird. Die Liedauswahl vereint fünf Komponisten, beginnend mit Fünf Liedern auf Gedichte von Goethe für Singstimme und Klavier von Hugo Wolf, komponiert 1888. Sogleich im ersten fällt die bestürzend mangelhafte Artikulation der Sängerin auf – ein Mangel, der sich leider fast durch das gesamte Programm zieht. Natürlich gibt es einzelne wunderbare Spitzentöne (so in „Die Spröde“), aber sie fallen heraus aus dem vokalen Gesangsbild. Melancholische Lieder, wo sie die Stimme nachsinnend strömen lassen kann („Die Bekehrte“), gelingen ihr besser. Es folgen Mahlers Rückert-Lieder aus den Jahren 1901/02, die wenige Jahre später in Wien uraufgeführt wurden, in diesem Programm also einen besonderen Stellenwert einnehmen. Hier ist die Intonation nicht immer sicher, steht die Demonstration stimmlicher Qualitäten vor dem Ausdruck. Und der gekünstelte Vortrag bei einigen Titeln („Blicke mir nicht in die Lieder“) stört ebenso wie das oft herzige Lächeln ins  Publikum. Zwei Stücke von Schönberg – „Erwartung“ und „Jane Grey“ – sind ebenso selten zu hören wie Zemlinskys Fünf Lieder nach Richard Dehmel, die 1907 entstanden. Die Sopranistin hat schon frühzeitig eine Affinität zur Klassischen Moderne gezeigt, und so meistert sie auch die beiden Schönberg-Kompositionen überzeugend mit einmal flirrenden, dann herb expressiven Klängen. Zu solchen findet sie auch bei Zemlinsky, riskiert dabei gelegentlich grelle Spitzentöne („Ansturm“), vermag aber gleichermaßen mit träumerischen Gespinsten („Letzte Bitte“) zu betören. Die Lieder von Korngold am Schluss sind ebenfalls Raritäten in den gängigen Konzertprogrammen. Mich überzeugt die Sopranistin hier am meisten – mit dem sinnlichen Klang und der luxuriösen Höhe im „Sterbelied“, dem innigen, emphatischen Ausdruck in „Was du mir bist“, dem nostalgischen Charme in „Frag mich oft“. Die ungewöhnliche Titelauswahl gibt der DVD durchaus ihre Besonderheit, spricht auch für den Mut und das Engagement der Sängerin, sich für unbekanntes Terrain im Liedrepertoire einzusetzen.

Wie stets bei ihren Liederabenden ist die Solistin, von glamouröser  Erscheinung und in wechselnden extravaganten Roben, freizügig mit den Zugaben – von der unvermeidlichen Strauss’chen „Zueignung“ bis zum häufig gewählten und wie stets hinreißenden „Summertime“ aus Gershwins Oper Porgy and Bess. Dazwischen gibt es Mariettas Arie „Glück, das mir verblieb“ aus Korngolds Die tote Stadt in einer Wiedergabe nahe der Vollkommenheit und eine Referenz an das Wiener Publikum mit dem schwelgerischen „I’m in love with Vienna“ aus dem Strauß-Arrangement The Great Waltz.

Bernd Hoppe

 

 

Ernest Reyers „Sigurd“

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Obwohl im späten 19. Jahrhundert die Opern Sigurd und Salâmmbô beträchtlichen Ruf in Frankreich und einigen Ländern genossen, ist ihr Komponist, Ernest Reyer, heute kaum noch bekannt – nur wenige Aufführungen lassen sich für seine beiden populärsten Werke nach dem letzten Krieg nachweisen, in jüngster Zeit Sâlammbô in Marseille und davor Sigurd in Montpellier und Marseille (in derselben Produktion, immerhin mit Francoise Pollet und anderen ersten Sängern, darunter Chris Merritt), im Oktober 2013 in Genf und sogar in Erfurt am 30. Januar 2015 pp. (s. unten), das ist einen Artikel wert.

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Die schöne Rose Caron als Brunehilde

Zu Reyers „Sigurd“: Die schöne Rose Caron als Brunehilde/J. Mucci

Für den Unterhalt arbeitete Reyer (1. Dezember 1823 in Marseille; † 15. Januar 1909 in Le Lavandou) als Musikkritiker, in erster Linie für das renommierte Journal des Débats. In dieser Eigenschaft war er in der Lage, seinen Landsleuten Bizet und Saint-Saens, aber auch manchen anderen, Ermutigungen zuzusprechen; aber niemals im engen Sinne eines Chauvinisten. Er war zum Beispiel einer der ersten Wagner-Enthusiasten, als er zu einem so frühen Zeitpunkt wie 1851 eine glühende Besprechung zu einer Tannhäuser-Vorstellung schrieb, die er in Wiesbaden gesehen hatte. Reyer trat auch durch seine positive Haltung zu Verdi hervor (im sehr nationalen Frankreich damals keine Selbstverständlichkeit). Er war bei der Aida-Premiere in Kairo dabei und sah in Verdi den großen musikalischen Neuerer. Dies fand er später im Otello erfüllt, den er dafür pries, das „mit Entschlossenheit jeder konventionelle Effekt zugunsten der dramatischen Wahrheit geopfert“ worden sei.

Urauffüngsszene des 2. Aktes/HeiB

Zu Reyers „Sigurd“: Uraufführungsszene des 2. Aktes/HeiB

Internationaler Ruhm wurde Reyer mit der Brüsseler Premiere des Sigurd zuteil (Brüssel hatte damals meistens die Nase vorn vor der schwerfälligen Pariser Opéra, die sich nicht an Neues herantraute – also sah man ganze Züge voll mit Pariser Opernfans nach Brüssel abdampfen, sehr zum chagrin der Opéra). Sigurd ist eine Oper in vier Akten und sieben Szenen auf ein Libretto des Erfolgsgespanns du Locle (Verdis Librettist für Don Carlos) und Blau. Wie auch Wagners Götterdämmerung basiert diese Oper auf einer Mischung aus nordischen Heldensagen und dem epischen Gedicht des Nibelungenliedes. Aber beide Opern (und im Wagners Fall spricht man ja besser von einem Zyklus) wurden unabhängig von einander konzipiert; und obwohl sie gleichermaßen ihren Brennpunkt in der tragischen Beziehung Brunehilde/Brünnhilde-Sigurd/Siegfried haben (neben einigen kleineren Gemeinsamkeiten wie der Bruderpakt zwischen Sigurd/Siegfried und Gunther und das Aufwecken der in Schlaf versenkten Heldin auf dem Feuerberg), so differieren sie gleichwohl in ihrem generellen Ansatz.

Ernest Reyer um 1870/Wiki

Zu Reyers „Sigurd“: Ernest Reyer um 1870/Wiki

Von Reyers Oper kann man sagen, dass sie weniger kosmisch und eher im Meyerbeerschen Sinne historisch lokalisierbar ist als Wagners Werk. Der Plot in Sigurd behält in seinem Kern den Kampf der Burgunder gegen die eindringenden Hunnen unter Attila bei (womit die Oper beginnt) und vermeidet jede Erwähnung eines Nibelungenschatzes oder den Sturz der Götter. Hagen ist bei Reyer wenig mehr als der oberste Hofberater des Königs; und es ist eher Uta, Hilda Amme, die eine Brangäne-ähnliche Rolle übernimmt, indem sie den präparierten Kelch ersinnt, der den Helden willenlos macht und zum Opfer der Intrige.

Der Tenor Paul Franz als Sigurd/J. Mucci

Zu Reyers „Sigurd“: Der Tenor Paul Franz als Sigurd/J. Mucci

Die Musik des Sigurd ist unbedingt dem französischen Idiom der Grand Opéra entnommen, so vor allem, wenn man zum Beispiel dem großen – von Trompeten begleiteten – deklamatorischen Eintritt Sigurds zuhört (Beginn A1) oder an die Szene im 2. Akt denkt, wenn sich Sigurd seinen Weg zum feuerumkränzten Felsen der schlafenden Brunehilde erkämpft und sein Aushalten gegen überirdische Wesen zu einer schamlosen Entschuldigung für das obligatorische Ballett wird, de rigeur für eine französische Grand Opéra jener Jahre.

"Sigurd": Titelblatt des Klavierauzugs bei Druout/OBA

„Sigurd“: Titelblatt des Klavierauzugs bei Druout/OBA

Trotz seiner Bewunderung für Wagner und dessen Musik vernachlässigte Reyer die Verwendung eine Leitmotivs im strengen Sinn und strebt stattdessen nach breiten, eindrucksvollen orchestralen und dramatischen Effekten. der hauptsächliche musikalische Einfluss dagegen ist bei Berlioz zu suchen. Schon die Partie des Sigurd, mit ihrer Verbindung von hehrem Heldentum und zarten Lyrismen ruft Erinnerung an den Enée in Berlioz´Troyens in Erinnerung.

Der Tenor Gresse als Sigurd/J. Mucci

Zu Reyers „Sigurd“: Der Tenor Gresse als Sigurd/J. Mucci

Sigurd wurde nach seiner Erstaufführung 1884 in Brüssel, dann in London im selben Jahr in einer (damals üblichen) italienischen Übersetzung und erst 1885 an der Pariser Opéra aufgeführt. Einer der Hauptgründe für für den überragenden Erfolg in Brüssel und Paris war die dramatische Präsenz und der Gesang der über alle Maßen attraktiven Sopranistin Rose Caron in der Partie der Brunehilde. Noch eine Kollegin lernte diese schwere Rolle für ihr Debüt an der Opéra: Jeanne Hattó, die als die Verkörperung der Brunehilde ihrer Zeit galt, wie später als der Sâlammbô desselben Komponisten.

Sigurd hatte auch eine amerikanische Premiere 1891 am French Opera House von New Orleans und wurde danach 1891 in Philadelphia gegeben (und dabei sehr

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wenig vorteilhaft mit Wagner Werk verglichen – ein Urteil, das bis heute anhält und das sowohl unhistorisch ist wie auch falsch fundiert, denn die französische Operntradition ist eine zutiefst andere als die Wagners und seinen Vorläufern in der deutschen Romantik). In New York ist bis heute die Oper nie in ihrer Gänze aufgeführt worden.

Jeanne Hatto als Reyers Brunehilde im Sigurd/OBA

Zu Reyers „Sigurd“: Jeanne Hatto als Reyers Brunehilde im „Sigurd“/OBA

Reyers letztes Werk war die Sâlammbô nach der romantischen Novelle von Flaubert über das antike Karthago. Auch diese Oper hatte ihre Premiere in Brüssel mit der bereits erwähnten Rose Caron (1890), die erste französische Premiere gab es 1892, die erste amerikanische 1901 an der Met in einer illustren Besetzung (Breval, Journet und Scotti). Reyer war, wie Fotos zeigen, ein scheuer, ernsthafter Mann, der jegliche Publizität fürchtete. Er starb am 15. Januar 1909 in Lavandou, wo er seit dem Erfolg des Sigurd wohnte. Geerd Heinsen

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Zum Inhalt: Der Burgunderkönig Gunther hört von der auf einem Felsen gebannten und durch einen Zauber geschützten Brunehilde und beschließt, sie zu befreien und zu ehelichen. Dasselbe Ziel hat auch Sigurd, der deshalb gekommen ist, um Gunther zum Zweikampf aufzufordern. Gunthers Schwester Hilda liebt Sigurd insgeheim und lässt ihm einen Vergessenstrank verabreichen. Dadurch betäubt, erklärt Sigurd sich bereit, Brunehilde für Gunther zu gewinnen. Es gelingt ihm, den Zauber zu brechen und Brunehilde zu Gunther zu bringen. Zum Lohn soll er die Hand Hildas erhalten. Obwohl Gunther gegenüber Brunehilde beteuert, dass er der Held war, der sie befreite, ahnt diese, dass Sigurd verzaubert worden sein muss. Nachdem der Betrug aufgedeckt wurde, töten Gunther und Hagen Sigurd. (Theater Erfurt)

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(Die Illustrationen stammen zum Teil von der wirklich hervorragenden Webseite von J. Mucci, der in Englisch eine ganz vorzügliche Analyse der Oper und ihrer Genesis erbringt, Danke!)

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In Marseille steht im Park oberhalb des Wasserfalls das Denkmal Ernest Reyers/Winter

Zu Reyers „Sigurd“: In Marseille steht im Park oberhalb des Wasserfalls das Denkmal Ernest Reyers/Winter

Die Auführungen in Erfurt:Premiere Fr, 30. Januar 2015, 19.30 Uhr, Großes Haus, Weitere Aufführungen So, 15.02. l Sa, 28.02. l Sa, 07.03. l So, 22.03.2015; Stab: Joana Mallwitz (Musikalische Leitung); Guy Montavon (Inszenierung); Maurizio Balò (Ausstattung); Frauke Langer (Kostüme); Florian Hahn (Licht); Andreas Ketelhut (Chor);Arne Langer (Dramaturgie) / Marc Heller * (Sigurd, ein fränkischer Held); Kartal Karagedik (Gunther, König der Burgunden), Vazgen Ghazaryan (Hagen, Krieger, Gunthers Gefährt), Juri Batukov (Ein Priester Odins), Máté Sólyom-Nagy (Ein Barde), Ilia Papandreou (Brunehilde), Marisca Mulder (Hilda, Gunthers Schwester), Katja Bildt (Uta, Hildas Amme); Sigurd im Radio Die Premierenvorstellung der Oper ist am 31. Januar 2015 ab 20.15 Uhr im MDR Figaro zu hören. Die Rundfunkaufzeichnung erfolgte mit Deutschlandradio Kultur.

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Zu Reyers „Sigurd“: César Vezzani als Sigurd/HeiB

Ernest Reyer: Sigurd – Tragische Oper in vier Akten und sieben Szenen, Libretto von Camille du Locle und Alfred Blau, Sigurd – Tenor, Brunehilde – dramatischer Sopran, Gunther – Bass, Hagen – Bass, Oberpriester Odins – Bass, Hilda, Gunters Schwester – lyrischer Sopran, Uta, Hildas Amme – Mezzsopran, Priester, Barden, Gefolge, Geister. Die Handlung spielt im Palast Gunters, König von Burgund, am Rhein und auf Island, in legendärer Zeit.

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Gesamtaufnahme (mit leichten Strichen) Chant du Monde (vergriffen/mit Esposito, Massard, Chauvet, Guiot; Rosenthal, ORTF); Auszüge auf Vogue (1 LP/CD Malibran Records) und Vega (2 LP) (mit Cymia, Botiaux, Bianco; Etcheverry); Schellack-Dokumente historischer Sänger in Reyer/Sigurd bietet eine wunderbare CD von Malibran Music MR 576; Foto unten: der Tenor Gustave Botiaux als Sigurd/Vega

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Eine vollständige Auflistung der bisherigen Beiträge findet sich auf dieser Serie hier.

Marienleben in Bad Ischl

Paul Hindemiths Zyklus Das Marienleben nach Texten von Rainer Maria Rilke begegnet man heute relativ selten in den Konzertsälen. Das mag sicher auch daran liegen, dass die gemäßigte Moderne, zu deren Vertretern man Hindemith zählen muss, aktuell ein wenig aus dem Fokus geriet. Darüber hinaus ist dieser fünfzehn Lieder umfassende Zyklus mit einer Aufführungsdauer von über einer Stunde für Interpreten und Publikum gleichermaßen eine Herausforderung. Die vorliegende Einspielung (cpo 77 817-2) ist am Rande des Lehár-Festivals in Bad Ischl 2014 entstanden und mit dessen Logo ausgestattet. Es fällt zwar nicht leicht, zwischen Lehár und Hindemith eine Verbindung herzustellen, zumindest aber waren die beiden Komponisten Zeitgenossen. Die Sopranistin Maya Boog und der Intendant des Festivals, Michael Lakner, am Flügel, knien sich mit hörbarem Engagement in dieses doch eher spröde und auch gesanglich sehr anspruchsvolle Werk.

Boog beginnt ein wenig flackernd, mit deutlicher Trübung der Intonation, vermag sich aber im weiteren Verlauf erfreulich zu steigern und lässt zumal im Forte eindrucksvolle Töne hören. Mir will es scheinen, als wäre die Sängerin bei den ersten Liedern nicht richtig eingesungen gewesen, was sich bei den über drei Tage hingezogenen Aufnahmen doch leicht hätte korrigieren lassen können. Schade, so bleibt ein recht zwiespältiger Eindruck haften.

1-Reintaler-Lieder (cpo)Der Erfurter Komponist Carl Martin Reinthaler, dessen musikalisches Wirken in Bremen bis 1893 seinen zentralen Ort hatte, ist trotz seiner einst erfolgreichen Opern, Oratorien, Symphonien und zahlreichen Liedern heute nur noch wenigen Spezialisten bekannt. Die vorliegende CD (cpo 777 570-2) mit einer Auswahl von 26 Liedern, die teilweise in Zyklen zusammengefasst sind, ist aber durchaus lohnend, es handelt sich durchwegs um ansprechende Stücke. Der ambitionierte Bariton Peter Schöne, der über eine für sein Stimmfach bemerkenswerte Höhe verfügt, versucht gemeinsam mit dem Pianisten Günther Albers diese Musik wieder in die Gegenwart zurückzuholen. Ob dies dauerhaft möglich ist, muss bezweifelt werden, fehlt es Reinthalers Musik doch bei aller Gefälligkeit an einer unverwechselbaren Charakteristik. Trotzdem muss man solchen Wiederbelebungsversuchen Respekt zollen, sie sind allemal eine Bereicherung des Repertoires. Hingewiesen sei hier auch auf das bemerkenswerte Online-Projekt Peter Schönes. Unter www.Schubertlied.de ist eine komplette Einspielung aller Schubert-Lieder im Entstehen. Weit über dreihundert Lieder sind bereits aufgenommen und online gestellt. Man darf auf die Weiterentwicklung des Projekts gespannt sein!

Bridge-Lieder (Hyperion)Der englische Komponist Frank Bridge (1879-1941) ist auf dem Kontinent nicht annähernd so populär wie in seiner britischen Heimat. Sein Werk besteht hauptsächlich aus Kammermusik und einigen Tondichtungen für großes Orchester. Große Teile von Bridges Liedschaffen versammelt ein Doppel-CD-Album, das bereits in den 1990er Jahren entstanden ist und nun seine Wiederveröffentlichung erlebt. Es wurden ausgezeichnete britische Liedersänger aufgeboten: die Soprane Janice Watson, Louise Winter, der Tenor Jamie MacDougall und der Bariton Gerald Finley, begleitet von dem Pianisten Roger Vignoles und dem Geiger Roger Chase. Die insgesamt 45 Lieder auf Texte verschiedener englischer Lyriker wie Keats, Tennywon und Shelley entbehren leider nicht einer gewissen Gleichförmigkeit. Für das an Richard Strauss gewöhnte Ohr klingen sie über weite Strecken doch eher enttäuschend, man vermisst eingängige Melodien. Am ehesten können noch jene gefallen, die im volkstümlichen Ton gehalten sind. Für Liebhaber des Komponisten sicher ein Muss, für den Ersthörer aber doch eher gewöhnungsbedürftig. Erschienen ist das Album mit dem Titel „The Songs of Frank Bridge“ bei beim Label hyperion (CDA 67181/2).

Peter Sommeregger

 

Un uomo vero

Knapp zehn Jahre nach seinem ganz unerwarteten Tod widmet der Verlag Zecchini Editore, Herausgeber auch der verdienstvollen Zeitschrift Musica, dem bulgarischen Bass Nicolai (in Italien Nicola) Ghiaurov ein Buch, geschrieben von Vincenzo Ramón Bisogni, der sich bereits auf den ersten Seiten nicht nur als Chronist, sondern ebenso als Verehrer des Künstlers zu erkennen gibt. In einem angenehmen, unterhaltsamen Plauderton und nicht selten wie mit einem verschmitzten Lächeln geschrieben, beginnt er die Biographie mit einem humorvollen Blick auf die „Invasion“ Italiens durch bulgarische Sänger und Sängerinnen in den fünfziger und sechziger Jahren und unterzieht die wichtigsten von ihnen einer sehr positiven Wertung. Interessant ist dabei, dass im Unterschied zur Sowjetunion die musikalischen Verbindungen zwischen Bulgarien und Italien auch in bezug auf die Gesangsausbildung nie ganz abgerissen waren.

Ausführlich werden der Geburtsort, die Herkunft, die ersten musikalischen Erfahrungen, seien es Kirchenchor oder Violine, geschildert. Wie ein Witz hört es sich an, wenn der Autor davon berichtet, Ghiaurovs erste Rolle sei der Cavaradossi gewesen, doch es ist der von Sardou, nicht Puccinis gemeint. Früh zeigt sich die musikalische Begabung des Basses, so dass er bereits während des Militärdienstes stellvertretender Chordirektor ist, Unterricht bei dem bekannten Lehrer Christo Brambarov nimmt, dessen Methoden ausführlich geschildert werden. Kurse in Leningrad und Moskau auch in der Stanislawski-Methode, später in Warschau führen schnell zum Debüt als Gounods Mephisto in Moskau, eine seiner bekanntesten Rollen im gesamten Verlauf der Karriere. International bekannt wird der Sänger durch das Gewinnen eines Wettbewerbs in Paris, wird aber zunächst Ensemblemitglied des Sofioter Opernhauses, wo er mit dem Basilio debütiert. Seine Antrittsvorstellung in Wien findet mit dem Ramfis statt, zwölf weitere Partien wird es hier in den Jahren 1957 bis 1999 geben.

Das Buch beruft sich oft auf die Urteile italienischer Kritiker bei der Schilderung der Karriere Ghiaurovs, besonders Rodolfo Celletti und Elvio Giudici werden herangezogen, um die Einmaligkeit der Stimme zu bekunden, aber auch Journalisten der verschiedenen Tageszeitungen. Rollenportraits werden mit großer Akribie entworfen, besonders Filippo und Boris, aber auch die vielen anderen Verdi-Partien, der Boito-Mephisto oder Don Quichotte, wobei Vergleiche mit den Leistungen anderer Sänger angestellt werden. Boris Christoff, nicht nur Intimfeind seines Schwagers Tito Gobbi, ist der große Rivale, der ihn nicht nur künstlerisch „bekämpft“, sondern Spionageverdacht nährt, weil der jüngere Kollege stets seinem Heimatland verbunden blieb, das ihn u.a. mit einer Briefmarke ehrte. Nicht nur in Boris Godunov, auch in Don Carlo werden beide aufeinander treffen.

„Sei un organo“, ruft es aus dem Chor der Loggionisten der Scala bei seinem Debüt am Mailänder Opernhaus als Don Giovanni. Zerlina ist Mirella Freni, die Jahre später seine zweite Frau werden wird. Der Autor stellt kompetente Vergleiche mit anderen berühmten Dons an, charakterisiert die Ausnahmestimme bei Überlegungen über basso cantante und basso profondo.

Humorvoll werden die einzelnen Stimmtypen analysiert, werden schlimme Diätfolgen beschrieben, von denen auch ein Ghiaurov nicht verschont blieb, wird dem Basilio ein ganzes Kapitel gewidmet, ebenso viel Raum nimmt der Vergleich von „Ella giammai m’amò“, von unterschiedlichen Künstlern gesungen, ein. In zwölf verschiedenen Produktionen wird der Bass den spanischen König singen.

Nicht verschwiegen wird, wenn sich Defizite vernehmen lassen.so beim Zaccaria, die Rollenwahl, so der Seneca von Monteverdi, nicht immer die glücklichste bedeutete. Und selbst die unterschiedlichen Vorlieben von Ghiaurov und Freni in bezug auf den Calcio, Inter oder Milan, bleiben nicht unerwähnt. Was man vermisst sind Fotos, deren es nur, sage und schreibe, drei gibt: Mephisto, Filippo, Gremin – da hätte man spendabler sein sollen (Zecchini Editore  ISBN 978 88 6540 023 4).

Ingrid Wanja

Un viaggio in Italia

So schlecht sollte es um den Liedgesang nicht bestellt sein. Die große Zahl an Veröffentlichungen gaukelt uns ein üppig bestelltes Feld vor. Nur wenige Lieder hat sich die kolumbianische Mezzosopranistin Adriana Bastidas-Gamboa in ihr Reisegepäck gesteckt, um Un viaggio in Italia zu unternehmen (Crescendoaudio cra 035). Seit 2008 an der Kölner Oper verpflichtet, wo sie für Partien wie Hänsel, Cherubino, Dorabella und Olga zuständig war, nimmt sie den Hörer durch Spontaneität und (Bühnen-)Temperament ein, geht die von Lara Jones am Klavier stilvoll begleiteten Stationen von Pergolesi über Gluck, Händel, Bellini, Rossini bis zu Donizetti und schließlich einem Lied aus ihrer Heimat, die sich, laut Beiheft, „aus dem inneren Kompass der Interpretin“ ergeben, mit Geschmack und Gespür ein.

Adriana Bastidas-GamboaDer innere Kompass schlägt bei der Arie der Magd Serpina aus Pergolesis La serva padrona noch all zu heftig und ungezügelt aus, springt uns die Stimme doch etwas harsch und heftig an, doch bei Gluck und Händel – Parides „O del mio dolche ardor“ und Cleopatras „Piangerò la sorte mia“ –  ist Bastidas-Gamboa bestens aufgehoben, bei Bellinis Liedern, darunter das beliebte „Vaga luna, che inargenti“, würde man sich einen ruhigeren Fluss wünschen, kann die an sich klangvoll rassige Stimme keinen einheitlichen Glanz entfalten. Bellinis Romeo bleibt vorerst noch ein Versuch, denn die Stimme ist an beiden Enden der Tessitur zu kurz, auch Leonoras „O mio Fernando“ wirkt trotz des unleugbaren Aplombs und Wagemuts der Sängerin phasenweise sehr unruhig tastend, doch Annas inniges Legato-Stimmungsbild „Giusto Ciel“ aus Rossinis Maometto Secondo gerät ebenso gekonnt wie das das für Bastidas-Gamboa maßgeschneiderte Rondò der Cenerentola.

Einen willkommenen Nachklang zum Meyerbeer-Jahr 2014 bieten die 25 Lieder, welche Andrea Chudak und ihr Begleiter Andreas Schulz im Vorjahr aufgenommen haben (Antes Edition (BM319294) und die einen repräsentativen Überblick über Meyerbeers gut 80 Lieder umfassendes Lied-Schaffen zwischen 1810 und 1863 erlauben. Wirkungsvolle Romanzen und Mélodies, auf Texte u. a von Goethe (Suleika“), Rückert („Sie und ich“), italienisch ariosenhaft, französisch duftig, brillant, sehr abwechslungsreich und oftmals spritzig, was Thomas Kliche im Beiheft sehr treffend beschreibt, „In den Liedern offenbart sich eine pittoreske Vielfalt, grenzüberschreitend zwischen Keckheit, Sentimentalität und religiöser Meditation. Meyerbeer kostet dabei den Stimmumfang der Sängerinnen und Sänger facettenreich und ausdrucksvoll aus… von ganz banalen musikalischen Floskeln über eine Tarantella oder einen Galopp bis hin zu locker-flockigen Walzerrhythmen“. Chudak und Schulz, der den brillanten Klaviersatz virtuos und mit Finesse umsetzt, sind mit großem Plaisir bei der Sache, lassen die Musik funkeln und leuchten, musizieren mit ansteckend guter Laune; Chudak verfügt über einen charmanten, flirrenden Sopran, mit dem sie parodistische Akzente setzt („Armes Kind“ auf einen Text von Meyerbeers Bruder Michael Beer), aber auch weite stimmungsvolle Bögen, in „Suleika“, mit Substanz erfüllt. Insgesamt eine mehr als angenehme Überraschung.

mayr partenope naxosFranz Hauk, der unermüdliche Mayr-Apologet, hat dem Naxos-Katalog seiner Aufnahmen mit Werken Simon Mayrs mit der 2012 in Neuburg an der Donau entstandenen Ersteinspielung der Cantata Opera bzw. melodramma allegorico Il sogno di Partenope 8.573236) eine weitere Rarität hinzugefügt. Die zweiaktige Kantate entstand 1817 anlässlich der Wiedereröffnung Teatro San Carlo, das mit diesem auf die griechische Mythologie verweisenden Thema unter Beteiligung von Genien, Göttern und olympischem Personal nach einem Brand neuerlich als Tempel der Musen installiert wurde: Die Stadtheilige Partenope wird in einen Schlaf versenkt, während das Opernhaus unter Ferdinand I. zu neuem Glanz ersteht. Zur Neueröffnung des Theaters am Geburtstag des Königs sang Isabella Colbran die Titelrolle, flankiert von Giovanni David als Merkur Giovanni Battista Rubini als Apoll und Andrea Nozzari als böser Geist Polyphlegon. Mit solch einem Staraufgebot kann die von Mitgliedern des Bayerischen Staatsopernchores und dem Simon Mayr Chor und Ensemble unter Franz Hauk bestrittene Aufnahme natürlich nicht konkurrieren. Andrea Lauren Brown als Partenope sowie u. a. Sara Hershkowitz, Caroline Adler und die Tenören Cornel Frey und Sellier sind kundige Sänger, die sich bereits mehrfach und mit Hingabe für Mayr eingesetzt haben.

Rolf Fath

Giuseppe Nicolinis „Carlo Magno“

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Im Karolinischen Jahr 2014 (vor 1200 Jahren – am 28. Januar 814 – starb Karl der Große in Aachen) gab es am 5. Dezember 2014 eine absolut unbekannte Oper von Giuseppe Nicolini (1762 – 1842) in Frankfurt als konzertante Aufführung beim Frankfurter Motettenchor unter dem Dirigenten Thomas Hanelt.

Die konzertante Aufführung im Frankfurter Cantate-Saal war eine gelungene. Allein schon die mit vielen witzigen Wendungen durchsetzte Ouvertüre zeigte die Schönheiten des Werkes und die beeindruckende Klangsprache des Russischen kammerorchesters aus St. petersburg unter der leitenden hand von Thomas Hanelt. Jeweils den solistischen und Chor-Auftritten fügte Michael Quast (Schauspieler und Intendant der Fliegenden Volksbühne Frankfurt) humorvolle texte zur erheiternden Erhellung der abenteuerlichen Handlung (im Karolinischen Germanien) ein, die die vorhersehbaren Verwicklungen und Beziehungen klar stellten (Liebeswirren um Karl den Großen). Der Motettenchor Frankfurt schlug sich opernhaft-ehrenvoll und begleitete die etwas dünne Aktion mit Verve. Solistisch war man mit dem Bariton Michael Mrosek am glücklichsten, der eine schöne sonore Stimme als Hohepriester vernehmen ließ (Timothy Sharp sag die Partie an den übrigen beiden Abenden). Auch Ralf Simon, der in der Tenor(!)-Rolle des Carlo Magno auftrat, schuf aus seiner Partie eine greifbare Persönlichkeit, dazu verfügt er über eine gutsitzende Tenorstimme. Ich bin ja nicht wirklich ein Fan von Falsettisten und habe Robert Crowe auch in Berlin und Potsdam erlebt, also gebe ich meine Befangenheit zu – mir wäre ein satter, hochagiler Mezzo für die Velutti-Partie des Karl-Gegenspieler Vitekindo, Anführer der Sachsen, lieber gewesen. Ein Sopranist ist eben kein Kastrat.. Bernadette Schäfer blieb als Rosmilda ein wenig höhenängstlich und im ganzen mir zu mädchenstimmig, aber sie machte einen sicheren, guten Job als einzige Frau zwischen der kriegerischen Männlichkeit, die von Boyan Di als Statthalter Arbantes ergänzt wurde. Ich selber hätte gerne einige Rezitative mehr gehört, aber das ist wohl unter diesen Umständen nicht zu schaffen. So war man/ich dankbar, diese hochinteressante Oper zu hören, deren Klangsprache doch ungewöhnlich ist, die mit fast schon galanten Wendungen bereits zum klassischen Belcanto tendiert (Nicolini starb erst 1842), wenngleich vieles noch im Seria-Stil des späten 18. Jahrhunderts verhaftet ist. Es ist wirklich das Verdienst Hanelts, dieses Werk ausgegraben und vor allem den absolut unterrepräsentierten Komponisten vorgestellt zu haben – namentlich in Deutschland kennt ihn wirklich kaum jemand, und selbst in Italien gab´s nur Heiteres bislang. Was für ein spannender Abend, danke! A. H. Commert

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Dirigent und Musikwissenschaftler Thomas Hanelt/Hanelt

Dirigent und Musikwissenschaftler Thomas Hanelt/Hanelt

Ein paar Worte zum Ereignis und zum Komponisten: Im Juni 2013 entdeckte Hanelt in der Bayerischen Staatsbibliothek in München ein Libretto der Oper Carlo Magno  Giuseppe Nicolinis (1762-1842). Schnell wurde klar, dass es sich hier um das einzige Werk der Operngeschichte handelt, in dem die Person Karls des Großen und seine Zeit im Mittelpunkt stehen.
Nicolini, der um die Jahrhundertwende des 19. Jahrhunderts größte Popularität mit seinen mehr als 50 Opernkompositionen erlangte, geriet in der Folgezeit mit dem Aufkommen eines neuen Opernstils zunehmend in Vergessenheit, und ist vielen Opernliebhabern, vor allem in Deutschland, bis heute unbekannt geblieben. Nicolini wurde am 29. Januar 1762 in Piacenza geboren. Seine ersten musikalischen Unterweisungen erhielt er von seinem Vater Omobono Carletti, genannt Nicolini, Organist und Kapellmeister in Piacenza. Von 1778 bis 1784 studierte Nicolini am „Conservatorio napoletano di Sant’Onofrio“. Sein Lehrer war Giacomo Insanguine und später Dominico Cimarosa. In dieser Zeit schrieb er seine erste Komposition, das Oratorium „Daniele nel lago dei leoni“ (1781). Laut zeitgenössischen Berichten machte er anschließend als Organist der Kirche San Paolo in Piacenza auf sich aufmerksam. Im Jahre 1793 debütierte Nicolini als Opernkomponist in Parma    mit La famiglia stravagante. Es folgen über 50 weitere Bühnenwerke. Als Aufführungsorte dieser Werke sind alle berühmten Opernhäuser Italiens überliefert, wie die Scala in Mailand, das Teatro La Fenice in Venedig oder das Teatro San Carlo in Neapel. Besondere Aufmerksamkeit erregt Traiano in Dacia, uraufgeführt 1807 in Rom, sowie die Uraufführung der Oper I baccanali di Roma am 21. Januar 1801 in der Mailänder Scala.

Der Komponist Giuseppe Nicolini/OBA

Der Komponist Giuseppe Nicolini/OBA

1819 erfolgte Nicolinis Ernennung zum Kapellmeister an der Kathedrale seiner Heimatstadt. Nach 1820 gelang es ihm, seine Erfolge in Italien und Europa fortzusetzen, ab 1831 finden seine Opernkompositionen jedoch mit einer Änderung des Publikumsgeschmacks keinen Beifall mehr. Er wandte sich völlig der Kirchenmusik zu. Sein geistliches Werk umfasst unter anderem 40 Messen, 13 Kantaten und 7 Oratorien. Giuseppe Nicolini starb am 18. Dezember 1842 in Piacenza und wird heute als letzter Vertreter der klassischen Neapolitanischen Schule gesehen, die ab 1800 an Bedeutung verlor und in der Folge in einem neu aufkommenden, national geprägten Musikgeschmacksstil aufging. Der Hauptvertreter dieses Wechsels war Gioachino Rossini. Seit einer Umstrukturierung im Jahre 1977 trägt das vormalige „liceo- musicale“ seiner Heimatstadt den Namen Conservatorio di Musica „Giuseppe Nicolini“ Piacenza. Thomas Hahnelt

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Der Motettenchor Frankfurt, der in den letzten Jahren einige Bühnenwerke vom Barock bis zur Moderne aufgeführt hat, wollte diesen sensationellen Fund wieder zugänglich machen und die Oper 2014 anlässlich des 1200. Todestages Karls des Großen in Frankfurt und in der Rhein-Main Region nach 200 Jahren erstmals wieder aufführen. In diesem so genannten Melodramma serio geht es um eine Episode zur Zeit der Unterwerfung des Sachsenherzogs Widukind im Jahre 785. Ort der Handlung ist die Eresburg im heutigen Westfalen, in der Nähe von Karls Königspfalz Paderborn. Der Librettist Antonio Peracchi hat ein mehr oder weniger fiktives Intrigenspiel am Hofe Karls des Großen entwickelt, dessen Ausgang auf historischen Fakten beruht.

Kastratenstar war Battista Velluti/OBA

Kastratenstar war Battista Velluti/OBA

Thomas Hanelt hat anhand alter Programmhefte herausgefunden, dass die Partie des Widukund in vielen Aufführungen (u. a. in München) von dem damals weltberühmten Kastraten Giovanni Battista Velluti gesungen wurde. Dies ist ein weiteres Indiz für Nicolinis herausragende Bedeutung als Komponist, da er seine Partien den besten Solisten seiner Zeit gewissermaßen auf den Leib schneidern konnte.  Und auch Gioachino Rossini schrieb zur selben Zeit einige Rollen eigens für Velluti. T. H.

 

Carlo Magno: Melodramma serio von Giuseppe Nicolini (1762 – 1842) Konzertante Aufführungen; 5. Dezember 2014;  mit Bernadette Schäfer, Sopran; Ralf Simon, Tenor; Robert Crowe, Sopran; Boyan Di, Bariton u.a.; Männerstimmen des Motettenchor Frankfurt; Michael Quast, Moderation; Thomas Hanelt, Leitung

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Eine vollständige Auflistung der bisherigen Beiträge findet sich auf dieser Serie hier.

Biederkeit in neuem Glanz

Nach dem Erleiden von psychisch schwer gestörten (Scala) oder als schleimig-betrügerische Politfunktionäre (Berlin) auftretenden Lohengrinen kann man den Skandal um den biederen Zimmermann, als der der Gralsritter 2009 in München erschien, um am Häusle-Erbauen seiner Elsa in Latzhose behilflich zu sein, gar nicht mehr verstehen, umso mehr als man dort zu dieser Zeit an Spießigkeit und Biedersinn nebst Blümchentapete und Stehlampe in Götter- wie Heldenkreisen durchaus gewöhnt war. Zudem war das Hohe Handwerkerpaar mit Jonas Kaufmann und Anja Harteros (nun als Blu-ray neu aufgelegt bei Decca) so attraktiv besetzt, dass ihm Kostüme kaum etwas anhaben konnten, da schmückten dieselben nicht ihre Träger, sondern umgekehrt.

Regisseur Richard Jones hatte sich von Ultz (und nichts weiter) eine Baustelle für ein Einfamilienhaus entwerfen lassen, vor das sich, um unvorstellbar rasant vor sich gehende Fortschritte dem Zuschauer vorzuenthalten, eine Zwischenwand mit Türen und darin Sehschlitzen für das spionierende Intrigantenpaar senken konnte. Voreilig war man mit dem Bereitstellen von Wiege und Kinderwagen bereits für die Hochzeitsnacht, mittelalterlich sollte es zugehen, als Elsa bereits auf dem mit Benzin übergossenen Scheiterhaufen stand, ehe Lohengrin endlich erschien, ebensolches fand dann doch noch Verwendung beim Abfackeln von Wiege und Brautbett durch den enttäuschten Titelhelden. Die Kostüme in Mostrich für die Brabanter, BDM-Aufmachung für die Gefolgschaft Elsas und die Folklorehaartracht für das weibliche Personal konnte so unbefangen wohl nur ein

um drei Ecken herum ironisch denkender Engländer erdacht haben – man wartet, zum Glück vergeblich, auf die Verwandlung des bieder bleibenden König Heinrich in eine weit weniger sympathische Führerfigur.

Einerseits banalisiert die Regie das mythische Geschehen, andererseits treibt sie es auf die Spitze mit einem sich putzenden Schwan, der zu Gottfried, dem Knaben, wird, und einem Lohengrin, der mit graziösem Tanz und beim zweiten Aufeinandertreffen

Telramund allein durch eine leichte Berührung zur Strecke bringt. Da die Charaktere sich treu bleiben dürfen, ist das alles zweitrangig und sollte gut vom Zuschauer zu verkraften sein. Inzwischen ist einiges Wasser die Schelde hinabgeflossen, und das Werk hat schlimmere Deutungen erfahren müssen.

Für den Reichssender Brabant scheint Heerrufer Evgenij Nikitin mit geschmeidigem Bariton ohne jede hörbare Angestrengtheit tätig zu sein. Beeindruckend sich steigernd bekundet Telramund Wolfgang Koch „mein Ehr ist hin“ und hat auch noch für seinen Auftritt vor dem Dom, der hier nur durch einen Resopaltisch mit drei Stühlen vertreten ist, genügend Kraft für einen gewaltigen Ausbruch. In dieser Szene genießt der Besitzer der Blu-ray ein Vorrecht gegenüber dem Opernhausbesucher: Er sieht, dass Lohengrin die Heiratsurkunde nicht unterschreibt!!! Michaela Schuster ist eine Ortrud auch der leisen, gleisnerischen Töne, ohne um dramatische Ausbrüche verlegen zu sein. Trotz jugendlichen Alters des Sängers wirkt der König Heinrich von Christof Fischesser wie ein harmloser Teddybär, gemütvoll und hilflos ob all der Intrigen und nicht einmal böse, wenn die Untertanen mit den Händen in den Hosentaschen vor ihm herumlümmeln. Vokal kann er davon überzeugen, ein Trostspender für die verängstigte Elsa zu sein. Diese findet in Anja Harteros eine ideale Verkörperung, obwohl man wie bei ihrem Partner zunächst keine rollentypische Stimme in der ihren zu hören vermeinte. Aber ihr inniger Gesangsausdruck, ihre strahlenden Höhen, die feinen Farben, aber auch das ausdrucksvolle Mienenspiel so bei der wie entrückt klingenden Traumerzählung sind einfach zum Entzücken. Jonas Kaufmann ist ein charmanter Lohengrin, dem die Zimmermannstracht vorzüglich steht, dessen dunkles Timbre zur Optik besser passt als zu den akustischen Vorstellungen, die man von dem Wagner-Helden hat, der aber hier einfach besser nicht sein könnte mit penibler Beherrschung aller agogischen Anweisungen des Komponisten bis hin zu ätherischem „eine Taube“ oder „bei dem Ringe sollt ihr mein gedenken“. Mit einem weniger charismatischen Protagonistenpaar hätte diese Produktion zu einer peinlichen Angelegenheit werden können. Kent Nagano zaubert ein zartes silbriges Vorspiel zum ersten und einen schönen Jubelton für das zum 3. Akt, verhält sich ansonsten eher zurückhaltend (Decca 074 3829).

Ingrid Wanja

Waldemar Kmett

 

Es ist noch nicht lange her, dass an dieser Stelle Mahlers Lied von der Erde unter Carlos Kleiber aus Wien mit Waldemar Kmentt in der Tenorpartie besprochen wurde. Ich hatte mir den Mitschnitt aus Wien auch angehört.

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Und es kam mir ein wenig so vor, als würde die Aufführungen gerade jetzt stattfinden. Wie eine aktuelle Radioübertragung. Es war da keine historische Distanz zu spüren, in der man sich gern genussreich verliert, weil sie einem nichts anhaben kann. Dieser Mitschnitt aber packte mich an, ließ mich nicht los, obwohl er fast fünfzig Jahre alt ist. Er war in der Gegenwart angekommen. So etwas können Sänger und Dirigenten zustande bringen. Es gehört zu den Wundern der Kunst.

Diese CD dürfte die bislang letzte offizielle Aufnahme in der sehr umfangreichen Diskographie von Kmentt gewesen sein. Am 21. Januar 2015 ist er in seiner Heimatstadt Wien gestorben. Er wurde 85 Jahre alt. „Mit ihm ist gewissermaßen der Doyen des Sängerensembles der Wiener Staatsoper, ein Familienmitglied von uns gegangen“, sagte Direktor Dominique Meyer. Tatsächlich hatte er, der auch in aller Welt gastierte, dem Haus am Ring mehr als dreieinhalb Jahrzehnte angehört. Im Laufe dieser Zeit sang er 79 Partien in 1480 Vorstellungen. Diese unglaublich große Ziffer kommt auch dadurch zustande, dass Kmentt mit den Jahren nicht selten bis zu vier verschiedene Rollen in ein und demselben Werk sang. Sie wurden immer kleiner. Aus Tamino wurde der Erste Priester, aus Eisenstein Dr. Blind, aus Bacchus der Haushofmeister – um nur wenige Beispiele zu nennen. Kmentt war kein Star, er war ein Diener der Musik. Und diese Rolle, die die Hauptrolle seines langen Lebens gewesen ist, spielte er fast bis zum Schluss.

Diese DC von ORFEO dokumentiert wichtige Rollen von Waldemar Kmentt an der Wiener Staatsoper.

Diese DC von ORFEO dokumentiert wichtige Rollen von Waldemar Kmentt an der Wiener Staatsoper.

Seine Schallplattenaufnahmen sind Legende. Nicht alle entstanden im Studio. Viele Werke gelangten als Mitschnitte auf Tonträger, nicht immer ganz offiziell. Die Vielseitigkeit dieses lyrischen Tenors, die sich im Aufführungsverzeichnis seines Stammhauses ablesen lässt, ist im akustischen Nachlass noch größer. Es kommen Lieder, Oratorien, Operetten und Opern von Joseph Haydn, Manuell de Falla, Hermann Goetz, Werner Egk und Giuseppe Verdi hinzu. Als Herzog und Manrico war er lediglich an der Volksoper, wo die internationale Konkurrenz in diesem Fach nicht so übermächtig war, zu hören, wie einschlägige Tondokumente belegen. Ein ganz besonderer Fall ist auch Wagner. Mit dem Stolzing in den Meistersingern von Nürnberg, den er von 1968 bis 1970 sogar bei den Bayreuther Festspielen sang, ging er an Grenzen. Als Froh im Rheingold bei der Decca unter Solti ist er ein Ereignis. Wenn Froh nach dem schweren Gewitter der Regenbogenbrücke den Weg zur Burg Walhall weist, ist es, als könne er den Glanz und den Zauber des phantastischen Ereignisses selbst nicht fassen. In dieser schlichten Liedhaftigkeit ist die Szene für mich einer der anrührendsten Momente im ganzen Ring des Nibelungen. Für diese kleine Rolle einen lyrischen Tenor der Spitzenklasse zu besetzen, ist so klug wie konsequent. Leider wird das nicht immer so gehandhabt. Hier und in der Person von Kmentt kommen sich Wagner und Mozart, der seine eigentliche Domäne gewesen ist, nahe.

kmentt preiserEr gehörte zum sagenumwobenen Mozartensemble der Wiener Staatsoper, das in den 1950er Jahren den nachhaltigen Versuch unternahm, Opern dieses Komponisten in mustergültigen Aufführungen zustande zu bringen. Und zwar so, dass das Ensemble triumphiert, nicht der einzelner Sänger. Dafür bringt Kmentt mit seinem ehr unauffälligen Timbre beste Voraussetzungen mit. Unauffällig im Sinne von sich nicht vordrängeln, in der Zurückhaltung den Kollegen gegenüber, im Versuch, so genau auf den Noten zu bleiben, dass die Stimme zum Transporteur des musikalischen Gedankens wird und nicht zum Mittel von Selbstdarstellung. Seinen stimmlichen Reichtum trägt Waldemar Kmentt nicht als juwelenbesetzten Orden auf der Brust, er trägt ihn im Herzen. Ich bin ihn dankbar. Rüdiger Winter

 

Dazu wie stets ein Auszug aus Wikipedia: Waldemar Kmentt (* 2. Februar 1929 in Wien; † 21. Jänner 2015 ebenda) war ein österreichischer Tenor, der besonders als Opern-Interpret bekannt geworden ist. Waldemar Kmentt maturierte im Jahr 1947 gemeinsam mit seinen Schulkollegen Eberhard Waechter und Fritz Uhl. Ursprünglich wollte er Pianist werden, ab 1949 studierte er Gesang an der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst in Wien, unter anderem bei Elisabeth Radó, Adolf Vogel und Hans Duhan. Schon im Alter von 21 Jahren wurde er eingeladen, die Tenorpartie in Beethovens Neunter Symphonie unter der musikalischen Leitung von Karl Böhm zu singen. Ab 1951 war er Ensemblemitglied der Wiener Staatsoper, deren Mitglied er über 35 Jahre blieb. Sein Debüt gab er am 26. Juni 1951 als Prinz in Die Liebe zu den drei Orangen von Sergei Sergejewitsch Prokofjew. Nachdem das Operngebäude im März 1945 bei Bombenangriffen zerstört wurde, wich man bis zur Wiedereröffnung im Jahr 1955 unter anderem in die Volksoper aus, die offizielle Bezeichnung war damals Staatsoper in der Volksoper. Insgesamt verkörperte er am Haus am Ring 79 Rollen in 1480 Vorstellungen, zuletzt trat er dort am 25. November 2005 als Haushofmeister in Ariadne auf Naxos auf. Als junger lyrischer Tenor war er Mitglied des Wiener Mozartensembles. Das Repertoire seiner langen Karriere umfasst mehr als 80 Opern- und Operettenrollen vom lyrischen, jugendlich heldischen bis zum Charakterfach. Er hat an allen großen Opernhäusern sowohl in Europa als auch in Japan und Amerika gesungen. Bei den Salzburger Festspielen war er viele Jahre als Gast zu sehen. Auch trat er bei den Festivals von Bayreuth, Edinburgh und Aix-en-Provence auf. Als Konzertsänger wirkte er unter Herbert von Karajan, Otto Klemperer, Carlos Kleiber, Karl Richter, Karl Böhm, Eugen Jochum, Sergiu Celibidache und Leonard Bernstein. Kmentt leitete von 1978 bis 1995 das Opernstudio am Konservatorium der Stadt Wien, aus welchem viele heute namhafte Sänger hervorgingen, wie z. B. Wolfgang Bankl, Malin Hartelius oder Mehrzad Montazeri. Im Alter von 72 Jahren feierte er sein Met-Debüt mit der Rolle des Haushofmeisters in Ariadne auf Naxos. Danach stand er einige Jahre in kleineren Operncharakterrollen an der Volksoper Wien auf der Bühne. Kmentt starb im Jänner 2015 im Alter von 85 Jahren in seiner Geburtsstadt Wien.

Das Foto oben zeigt Waldemar Kmentt bei einer Talk-Show in 3Sat.

 

Der verflixte dritte Akt

In seiner theoretischen Pionier-Arbeit „Operette – Porträt und Handbuch einer unerhörten Kunst“ (1991, erweiterte Neuauflage 2004), die ein vergleichsloses Standardwerk geworden ist und ein „Sesam-öffne-dich!“ für alle an der Gattung ernsthaft Interessierten, appelliert Volker Klotz nachdrücklich an die Theatermacher, sich nicht auf das Dutzend immergleicher Stücke zu beschränken, sondern einmal auf Entdeckungsreise zu gehen und vergessene, einstmals erfolgreiche Meisterwerke des Genres wieder zugänglich zu machen und erneut auf ihre Bühnenwirksamkeit zu überprüfen.

Théâtre_des_Nouveautés-Fatinitza-1879Zwar blieb das Echo auf diesen Ruf bisher relativ bescheiden, doch immerhin wurde dem Autor ein paar Mal an kleinen und mittleren deutschsprachigen Bühnen die Gelegenheit gegeben, seine Vorstellungen als Bearbeiter, Dramaturg und – in einigen Fällen – Co-Regisseur in der Praxis umzusetzen. Zu diesen Produktionen legt er in seiner jüngsten Buch-Publikation („Es lebe: Die Operette – Anläufe, sie neuerlich zu erwecken!“) ausführliche und anschauliche Werkstattberichte vor, die Einblick geben in den Prozeß der Inszenierungen und der Bearbeitungen.

Diese Berichte zeigen, was Produktionsdramaturgie, richtig verstanden, im Musiktheater sein kann: nämlich mehr als theoretische Unterfütterung der praktischen Arbeit, sondern konkrete Zulieferung an szenischen Ideen auf der Grundlage der Stück-Analyse. Klotz macht seinen Regisseuren immer wieder Vorschläge, wie die gemeinsamen Konzeptionen bühnengerecht umzusetzen sind; dass nicht alle angenommen werden, liegt in der Natur einer solchen Zusammenarbeit. Spannend zu lesen, auch wenn man die fertigen Aufführungen nicht gesehen hat, ist es allemal, wie sich der Dramaturg die Lösung einzelner Szenen vorstellt, etwa im Ritter Blaubart an der Wiener Volksoper (2000, Inszenierung: Dominique Mentha). Dass die „Sachzwänge“ an den heutigen Theatern den engagierten Künstlern, die mehr wollen als nur den Markt bedienen, jede Menge Stolpersteine in den Weg legen, musste der Theaterneuling Klotz in einigen Fällen schmerzlich erfahren.

zigeunerbaronDer Start in die Theaterarbeit mit Franz von Suppés Fatinitza am Bremer Theater (1995) war ein offenbar sehr glücklicher, und Klotz windet dem früh verstorbenen Sänger und Regisseur Ernst Theo Richter (1949-2002) posthume Lorbeerkränze. Gemeinsam haben sie diese vergessene Operette quasi ausgegraben und damit einen guten Fund getan. Das an aberwitzigen Situationen reiche Stück spielt vor dem Hintergrund des Krimkrieges, steht im Duktus aber der Großherzogin von Gerolstein näher als dem Zigeunerbaron. Die Titelfigur nimmt den Rosenkavalier vorweg: Eine Frau spielt einen Mann, der sich als Frau verkleidet. Leutnant Wladimir geht im Kostüm der Tscherkessin Fatinitza auf erotische Eroberungstour. Einige Theater haben Fatinitza unterdessen nachgespielt, die Aufführung vom Lehár-Festival Bad Ischl (2006), bei cpo als Mitschnitt veröffentlicht, ist leider zu behäbig dirigiert und nicht in allen Positionen glücklich besetzt, trotzdem gibt sie einen kleinen Begriff von den komödiantischen und musikalischen Qualitäten des Stücks.

Es ist bemerkenswert, dass Klotz immer von der Musik her argumentiert, seine Aufgabe als Dramaturg und Bearbeiter in erster Linie darin sieht, die Texte auf das Niveau der Partituren zu heben. Vor allem bei den Auflösungen der Stücke gibt es da viel Handlungsbedarf. In den meisten Operetten haben die Autoren nicht viel Liebe und Sorgfalt auf den dritten Akt verwendet, da wird oft im Hauruck-Verfahren das erwartete Happy-End auf die Bühne gestemmt, ohne Rücksicht auf die dramatische Logik. Hier hat Klotz nun in einigen Fällen gründliche Abhilfe geschaffen, wobei die textlichen Ergänzungen die Aufnahme neuer Musiknummern (aus anderen Werken des jeweiligen Komponisten) nahe legten, wenn nicht nötig machten. Die dramaturgische Auflösung wird dabei vorzugsweise durch ein Spiel im Spiel herbeigeführt. Im Falle von Eine Nacht in Venedig (Münster 2005, Co-Regie mit Wolfgang Quetes) gibt der Karneval Anlaß für allerlei zusätzlichen Mummenschanz, der in ein mehrdeutig-frivoles Happy End mündet.

die-dollarprinzessinIn der Dollarprinzessin (Nordhausen, 1998) endet das Stück in einer riesigen Zirkusshow (die den räumlichen Rahmen des kleinen Theaters sprengte). Hier finden nicht nur die widerspenstigen Liebenden zusammen, hier wird auch das kapitalistische System aus den Angeln gehoben, Lebensfreude triumphiert über Profitmaximierung: „Amerika, gib acht, es kracht!“ In Kálmáns Bajadere (Erfurt, 2003, Co-Regie mit Wolfgang Quetes) löst sich der Stückkonflikt während einer Vorstellung der Diva Odette. Durch eine Trickserei des Claque-Chefs Pimprinette erscheint der unglücklich verliebte Prinz Radjami auf der Bühne und vereint sich duettierend mit der Heißbegehrten.

Anders als in den genannten Beispielen handelt es sich bei Mephistos Höllenfahrt nicht um eine produktionsbezogene Bearbeitung, sondern um ein eigenständiges Stück auf der Grundlage des Librettos zur Operette Là-haut! (Da droben) von Maurice Yvain, der in Deutschland weitgehend unbekannt geblieben ist. Über die Qualität der Musik gibt ein etwa halbstündiger Querschnitt in der Uraufführungsbesetzung von 1923 (mit Maurice Chevalier) Auskunft, der bei youtube eingestellt ist. Das Original handelt von einem Pariser Bourgeois, der im Traum in den Himmel kommt und von dort das frivole Treiben seiner Gattin betrachtet, was ihn zu sofortiger Rückkehr veranlasst. Klotz hat dem harmlosen Text ein literarisch-mythisches Gewand umgelegt und verquickt ihn im Sinne einer Offenbachiade mit dem Faust-Stoff. Das macht beim Lesen allerdings mehr Spaß als bisher auf der Bühne, denn die Regisseure der Lübecker Premiere (2001) – die ich selbst gesehen und rezensiert habe – und der Reprise in Kassel (2004) waren mit dem literarischen Artefakt hoffnungslos überfordert.

Den Werkstattberichten vorausgeschickt hat Klotz einige Essays zum Genre Operette, die teilweise bereits in Fachzeitschriften erschienen waren. Von besonderem gattungshistorischem Interesse sind dabei die Aufsätze „Cancan contra Stechschritt“ (Antimilitarismus mit Rückfällen im Ersten Weltkrieg) und „Der Widerspenstigen Lähmung“ (Operette in der Nazizeit). Sie zeigen, wie die ihrem Wesen nach aufmüpfige Gattung auch von autoritären Ideologien vereinnahmt werden kann.

Der Band schließt ab mit einem Bericht von einer „fruchtbaren Tagung“, gemeint ist ein Operetten-Kongress, der 1999 in Wien stattfand, auf dem Theaterpraktiker, Wissenschaftler und Journalisten referierend und diskutierend möglichst alle Aspekte des Themas auszuschöpfen versuchten, wobei es – wie ich mich gut erinnere – viele aufschlussreiche Beiträge nicht nur zur Wiener, sondern auch zur weniger bekannten englischen und französischen Operette sowie zur spanischen Zarzuela (Volker Klotz, Es lebe: Die Operette – Anläufe, sie neuerlich zu erwecken; 265 Seiten; Königshausen & Neumann, Würzburg 2014; ISBN 10: 3826050878 / ISBN 13: 9783826050879).

Ekkehard Pluta

Akustische Lortzing-Dokumente

Die Uraufführung des Andreas Hofer  und die seltene Wiederaufnahme des Weihnachtsabend im tapferen Eduard-von-Winterstein-Theater zu Annaberg-Buchholz im Dezember 2014 beschreiben genau die Lage des einst so vielverbreiteten, für ganze Generationen als erz-deutsch geltenden Komponisten im heutigen Theaterbetrieb und Bewusstsein. Ganze zwei Seiten nimmt der Komponist Albert Lortzing mit seinen offiziellen Aufnahmen im verdienstvollen Steiger-Buch ein (Operndiskographie bei Noetzel, broschiert, dann verramscht und nun bei De Gruyter zum exorbitanten Preis; Ommer hat mehr Einträge, wie auch der Blick zu Amazon zeigt, aber das Meiste dort sind die historischen Radioaufnahmen und Wiederauflagen immer Desselben). Und das ist bezeichnend für die Situation seiner Rezeption, die ihn fast nur als den heiteren, volkstümlichen, unbeschwerten Vielschreiber sieht.

Verlachlässigt von Medien und Theatern: Albert Lortzing/OBA

Nicht vernachlässigt von der Industrie, aber den Theatern: AlbertLortzing/OBA

Man mag sich sehr streiten (was ich durchaus würde), ob Lortzing nun der große, aber erfolglose Neuerer auf der deutschen Bühne des mittleren 19. Jahrhunderts ist (wie ihn Biografen wie Jürgen Lodemann sehen wollen), oder ob er – opportunistisch oder ökonomisch genötigt – sich dem Muckelgeschmack der Restitution in der Metternich-Ära beugen musste: Ihm haftet in unserer Einschätzung diese (klein-)bürgerliche Muffigkeit an, die holzschuhtanzend und bacculus-selig sich dem Tümelnden hingibt und darüber die unendlich vielen musikalischen Einfälle vergessen macht, die in den Soli oder Ensembles bis hin zu Wagner (Meistersinger) reichen. Auch seine erst in der späten Hälfte des letzten Jahrhunderts zu Ehren gekommene Regina will mir nach ihrem wirklich eindrucksvollen Beginn des Streik-Chores in dieses Klichée zurückfallen. Der klassenkämpferische Revoluzzer ist eben doch nur ein gemeiner Bösewicht, und der nette blonde Tenor von nebenan bekommt die Tochter des patricharchischen Fabrikbesitzers („Das Volk ist eben blöd und muss vor sich selbst beschützt werden“).  Eigentlich wollte ich hier nicht über die musikalische Qualität der Lortzingschen Musik diskutieren, das ist ein ander Ding. Auch nicht über Lortzing und seine Lebensumstände, die sicher Einfluss auf seine Kompositionen hatten. Aber die erneute Beschäftigung mit Lortzing hat auch meine Wertschätzung in eine Krise gestürzt, denn ich stelle nun für mich fest, dass im Gegensatrz zu Kompositionen von Weber, Marschner und vor allem auch Nicolai Lortzings Musik sich doch eher im Einzelnen erschöpft, dass sich bewunderswerte Einfälle/Instrumentationen eher wie eine locker geknüpfte Flussperlenkette durch die langatmigen und mit verheerenden Libretti versehenden Werke ziehen, denen es an dramatischer Stringenz mangelt. Die Dürftigkeit des Undine-Plots steht im krassen Gegensatz zum universell Gültigen des Freischütz oder zum Menschlich-Tragischen im Hans Heiling. Dazwischen liegen Welten, politische, phychologische und deutsche.

briefmarke lortzingInsofern könnte man fast geneigt sein, die knorrig-holzschnittartigen historischen Aufnahmen in ihrer solistischen Einzelwirkung im Lortzing-Kanon fast noch für wirkungsvoller zu halten als die Stereo-breiten, die eine gewisse Armseligkeit der Handlung und der Libretto-Sprache um so greller offenbar werden lassen. Nach Anhören eben der Undine in der Capriccio-Ausgabe muss ich dies für mich – bei aller Wertschätzung der Genannten – doch leider feststellen… Lortzing ist eben nicht Weber oder Nicolai, und seinen Werken fehlt das durchgehend Schwungvolle, thematisch Verlinkte. Man erinnert sich nur an die Gassenhauer (wie das „flandrisch´ Mädchen“), nicht an die Musik als solche. Und wie bei der erwähnten Undine mit ihrer eindruckvollen Ouvertüre (deren Eröffnung an das Nonnenballett Meyerbeers erinnert) und ihrem dünnem Ballett  liegt zwischen den planschenden Elementarwesen hier und der bedrohlichen Samuel-Welt dort eben „eine ganze Welt“. Lortzing bleibt doch „nur“ der Meister des Kleinen, im kleinen vielleicht Großen, der Mozart für die Provinz……

ali pascha dgAber zurück also zur gerne ettikettierten  Komik. Selbst von seinen Buffa-Opern gibt es nicht viele Aufnahmen – Trübes auch da. Ali Pascha von 1828 hat eine CD-Aufnahme bei MDG, wird mit Kräften der NWD-Musikakademie Detmold, darunter Karl Fäth in der Titelrolle und Monika Krause als Arianna, bestritten und macht nicht viel Spaß, ist aber solide gesungen und vor allem gut ausgestattet (textlich arg beschnitten im Dialog, für den Gert Westphal 1989 sorgt). Bei Darbringhaus & Grimm kam das Ganze angekoppelt noch einmal mit Szenen aus Mozarts Leben und als Warm-up die Schauspielmusik zu Don Juan und Faust von Grabbe (1829) heraus, wiedererkennbar an der Beschäftigung von Gert Westphal als Rezitant. Es ist gut, die beiden letzteren Titel zu haben, zeigen sie auch die Gelegenheitsarbeiten Lortzings, der sein Brot verdienen musste. Mit der von mir sehr geschätzten Monika Krause, Dirk Schortemeier und anderen weiß man, dass man beim WDR und in guten Händen gelandet ist, vor allem Schortemeier hat sich ja immer um dieses Metier bemüht. Bravo!

Albert Lortzing und Philipp Reger, Daguerrographie 1^848/OBA

Albert Lortzing und Philipp Reger, Daguerrographie 1848/OBA

Die beiden Schützen (Leipzig 1837) bei ex-Melodram/ Memories/nun Walhall  stammen von Rundfunk in Frankfurt 1950 und leiden vielleicht unter einer rabiaten Bearbeitung, machen aber mit dem munteren Rundfunk-Dialog viel Spaß (Dialoge sind wirklich de rigeur bei diesen Opern, sie wegzulassen kastriert den Zusammenhang), zumal Max Proebstl, Karl Schmitt-Walter, Elisabeth Lindermeier und Kollegen unter Jan Koetsier wissen, was sie ihrem Lortzing-Affen als Zucker´l anbieten müssen. Mir will scheinen, dass die neuere  Wieder-Übertragung in HR2 etwas länger ausfiel und vor allem auch technisch netter war als die CD-Überspielung. Die EMI-Kurzfassung des Operchens (auch kurzfristig bei cpo) ist unter Hans Wallberg gar nicht lustig: Eine Beobachtung, die sich wiederholen wird (und ganz grundsätzlich ist ja EMI nicht mehr EMI sondern nach Pleite nun bei Warner in der Warteschleife…)

Standbild Lortzings von Gustav Eberlein im Tiergarten Berlin/Wiki

Standbild Lortzings von Gustav Eberlein im Tiergarten Berlin/Wiki

Zar und Zimmermann  (Leipzig 1837) gehört neben dem Wildschütz und dem Waffenschmied zu der unseligen Trias der Heiteren- Lortzing-Kost auf dem deutschen Theater der ersten 30 deutschen Nachkriegsjahre und ist selten amüsant, meist zu bodenlastig-deutsch, in jüngerer Zeit auch Material für wüste Regie-Bemühungen, die weder die Herkunft noch das unerlässliche Umfeld dieser Opern respektieren… Die antike  Aufnahme von 1936 unter Bernhard Zimmermann mit Georg Hann, Margot Guillaume und Wilhelm Strienz scheint mir das Muster an „teutscher“ Humorlosigkeit und Bieder-Männlichkeit vorzugeben (Myto, Radio Years-CD u. a. zuletzt Line), die die folgenden voll übernehmen, wenngleich die DG-CD-Aufnahme von 1952 (inzwischen Naxos)  zumindest in Ferdinand Leitner einen Anwalt fürs Differenzierte besitzt und die Künstler (Horst Wilhelm, Gustav Neidlinger, Elionore Junker-Giesen) sich um Munterkeit bemühen und im Miteinander echtes Theater erkennen lassen. Das gilt auch für den Querschnitt der DG mit Fischer-Dieskau, Hallstein und Fritze Wunderlich unter Hans Gierster – vielleicht ist es die Kürze, die hier Spaß macht, aber vieles klingt munterer als woanders. Nicht auf dem Eurodisc-Querschnitt mit Renate Holm, Waldemar Kmentt und Eberhard Wächter unter Franz Bauer-Theussel, wo man das Gefühl hat, die Nummern wären über Jahre verstreut aufgenommen worden. Peinlich ist der EMI (nun Warner-)-Spielopern-Versuch der Sechziger, wo die Storjohannsche Betonmischmaschiene Hermann Prey, Peter Schreier, Nicolai Gedda und Erika Köth unter Robert Heger zu (im einzelnen natürlich auch schön singenden) Dauersäulen an Bodenständigkeit und geradezu grauenhafter Bürgerlichkeit degradiert. Das mag Lortzing nahe gekommen sein, macht aber absolut keinen Spaß, dagegen ist die ältere Leitner-DG-Aufnahme geradezu frivol. Hier wird das deutsche Spießertum festgeklopft, davon hat sich die Aufnahmeszene nicht mehr erholt, wie die folgende Soundtrack-Verwertung des TV-Films unter Hans Wallberg bei DA-Records (CD) zeigt, wo nun dieselbe Spießigkeit von (der im Solistischen bezaubernde) Lucia Popp, erneut Hermann Prey, Werner Krenn und anderen festgemauert wird (1975) – als Gesamtwerk kein Vergnügen (auch nicht visuell-hollandaise nun bei Zweitausendeins Edition).

lortzing zar und zimmermannUnd auch die jüngste EMI-Version des Zimmermannstums in Holland unter Heinz Fricke mit einem reschen Wolfgang Brendel, mit einem mehr als steifen Deon van der Walt, Kurt Moll (balsamisch, gewiss) und einer absolut fehlbesetzten Barbara Bonney war ein TV-Versuch und klingt auch so; nur Peter Seiffert rettet einiges, aber nicht alles. Aber es ist anzuerkennen, dass sich die deutsche Electrola/EMI und die DG doch immer wieder um deutsches Volksgut gekümmert haben, mit Sängern wie Hermann Prey als Leuchttürme darin. Da wollte auch Relief nicht abseits stehen und steuerte einen weiteren Z&Z mit Hermann Prey bei, diesmal aus Stuttgart 1959, zur Abwechslung singt die bezaubernde Irmgard Jacobeit die Marie und die üblichen Verdächtigen (Kurt Böhme et al) treten auf, Jan Koetzier dirigiert wie gewohnt fesch. Die wirklich sehr historischen Produktionen vom Rundfunk sind bei verschiedenen Firmen zu Ehren gekommen und unterstreichen für mich meine Allergie gegen Tümelndes. Walhall oder Myto haben Verdienstvolles geleistet, und Georg Hann, Margot Gripekoven (who???) oder Hubert Buchta waren ganz sicher verdienstvolle Sänger (Wilhelm Strienz????), aber 1936 ist mir einfach zu alt, und ich gehe ja auch nicht mehr als alle 10 Jahre ins paläontologische Museum, um die Dino-Skelette zu bestaunen… Da bleibt ein weites Feld offen. Freund Rüdiger Winter ist dem Antiken gütiger gewogen und schwärmt vom alten Defa-Film 1956 mit Gerhard Unger, Ingeborg Wenglor, Heinrich Pflanzl und Josef Metternich (immerhin!), gemimt von Bert Fortell, Lore Frisch oder Willy A. Kleinau (gibt’s wieder bei Icestorm), das freut sicher manchen….

lortzing wildschütz berlin classicDer Wildschütz  von 1842 (1842) erinnert mich immer an die unglaubliche Gräfin der Martha Mödl, die im wüsten grünen Empirekleid die Griechen rezitierte und auf der Bühne der Deutschen Oper Berlin ohne ein Quentchen Singstimme das Ensemble an die Wand spielte. Leider sind die verfügbaren akustischen Dokumente der Oper nicht von dieser Wirkung. Sie bleiben brav, es fehlt die Outrage, die perfide Ironie, die Autor Lodemann doch in seinem Lortzing-Buch immer wieder entdecken will. Die Einspielung von 1963 ist EMI-Ware von der erwähnten Betonqualität (Robert Heger). Anneliese Rothenberger ist die Ruth Leuwerik der deutschen Spieloper und lacht nur nach dem prüfenden Blick in den Spiegel. Gisela Litz mulscht sich durch die Gräfin, Hermann Prey nasaliert den Grafen in gewohnt zu heiterer Manier, Lotte Schädle bleibt  resch-bemüht. Einzig Fritz Wunderlich adelt (wie stets recht anonym-rollenfern) einen viel zu gut gelaunten Baron (aber gut gelaunt klang W. ja eigentlich immer auf seinen Aufnahmen), und Fritz Ollendorf kehrt zu sehr als Bacculus den Buffo-Profi heraus – nee, gar nicht lustig. Bernhand Klees Bemühen um Humor ist da ungleich glücklicher (so wie seine Lustigen Weiber gegenüber der EMI-Aufnahme auch). Bei ehemals EMI, inzwischen Berlin Classics als interpolitische Zerrware, singt zwar Peter Schreier einen mehr als un-jugendlichen Baron, die Mathis bleibt steif als Baronin. Doris Soffel holt mächtig aus für die Gräfin, und mit Gottfried Hornik, Gertrud Ottenthal, Hans Sotin und Georgine Resick hat man mal die Chance, nicht immer diese ur-alten Hasen des Spielopern-Humors zu hören, und musikalisch ist das ein federnder, lockerer Wurf. Ein weitere Gesamtaufnahme (Line) vereint Anny Schlemm, Anneliese Müller, Gerhard Unger, Irmgard Arnold, Arno Schellenberg und andere unter Walter Schartner 1951 beim Rundfunk der DDR – auch hier wird gut gesungen und findet sich jene Identität der Mitwirkenden mit ihren Partien, die man später vermißt. Immerhin singt Heinz Rehfuss den Grafen auf einem inzwischen bei Walhall angekommenen Wildschütz 1954 unter Müller-Kray mit Adel und Stil, zu dem sich Franz Fehringer elegant hinzufügt und Lore Wissmann eine feine Baronin gibt – mir will unter den antiken Aufnahme auch diese mit großem Identitätsgehalt scheinen, weshalb sie meine Sammlung schmückt. Fritze W. ist auch noch auf einem Live-Wildschütz zu erleben, beim Konzert in Endiburgh 1958, wo Altmeister Ferndinand Leitner den Briten zeigt, was eine tolle deutsche Spieloper ist (Sound könnter frischer sein, aber 1958 BBC ist eben so). Lore Wissmann und die wie stets unübertroffene Hetty Plümacher wetteifern mit Karl Schmitt-Walter und der restlichen Stuttgarter Gastspiel-Besetzung bei Walhall.

4011790786223Und live gibt’s auch noch einen netten Wildschütz aus Wien mit Irmgard Seefried, Waldemar Kmentt, der lustigen Hilde Rössl-Majdan unter Heinz Wallberg von 1960, ein bisschen ehern-schelmisch durchaus, aber gerade die Frauen bringen mehr an Kontur ins Spiel als üblich, und das Ganze ist opern-ernsthafter, greifbarer als sonst und keine so töricht geschlagene Schaumspeise, vielleicht liegt´s an der „Wiener Art“ (bei orfeo, aber wie kam das Foto mit dem Dirigenten hinter den Sängern im Kostüm und über dem Publikum zustande?).

Albert Lortzing: Altes Theater Leipzig auf einer Postkarte der Zeit/albertlortzing.org

Albert Lortzing: Altes Theater Leipzig auf einer Postkarte der Zeit/albertlortzing.org

Der Waffenschmied  (Wien 1846) besitzt ein unglückliches Libretto (Ziegler), das kein Mensch mehr ernst nehmen kann. Die humorlose Marie der Gundula Janowitz auf dem Sechziger- DG-Querschnitt fügt eine eher damenhafte Dimension hinzu, die man normalerweise in diesem Feld nicht findet. Josef Greindl, Thomas Stewart, Sieglinde Wagner (eine mehr als vokal-spielfreudige Irmentraut!) und Martin Vantin stehen neben den Kräften des Berliner Rias unter Christoph Stepp, und es ist einfach nett, ihnen zuzuhören – eine seltene Feststellung auf diesem Feld. Die Aufnahme bei Calig ist außerordentlich entbehrlich, denn erstens tummelt sich mit John Tomlinson und Bo Skovhus (was für eine Wahl) bereits das internationale Esperanto in der deutschen Spieloper, und zweitens sind weder Ruth Ziesak noch der Rest eindringlich, nur kammersängerisch bemüht. Da rettet vor allem auch Leopold Hager nichts. Vorher gab‘ s mal wieder die EMI-Nummer mit Gisela Litz, Hermann Prey im Dauereinsatz, Kurt Böhme, Lotte Schädle (Frau Rothenberger war vielleicht nicht abkömmlich) und natürlich Fritz Wunderlich, der zu viele dieser Aufnahmen bestückt. Diesmal ist es Fritz Lehan, der (wieder mal beim Bayerischen Rundfunk) für’s Solide sorgt. Aber gelacht wird hier auch nicht, nur schelmisch geguckt – verwegen! Antikes kommt bei Myto mit Michael Bohnen, Carla Spletter & Co. vom Reichsrundfunk unter Gustav Schlemm, und das ist mit 1936 für mich um Jahrzehnte zu „paläontologisch“. Wer keine hohen Ansprüche stellt, sollte mit dieser Aufnahme gut bedient sein. Sie ist durch die Bank solide…“, schreibt ein frecher Leser bei Amazon über den alten DDR-Querschnitt bei nunmehr Berlin Classics mit Elisabeth Ebert, Günther Leib und Harald Neukirch unter Heinz Fricke. Also ich find den auch zu schelmisch, aber netter als die EMI-Prey-Litz-Dauerware, ehrlich gesagt.

Albert Loirtziung: Hausgesellschaft auf einer Stich der Noten zum Lied "Abschied" von Lortzing auf den Text von Vogel/albertlortzing.org

Albert Loirtzing: Hausgesellschaft auf einer Illustration  zum Lied „Abschied“ von Lortzing auf den Text von Vogel/Lortzing links//albertlortzing.org

Die Opernprobe  (ein Spätwerk von 1851, Frankfurt) ist ebenfalls eines jener EMI-Projekte, die Humor dokumentieren sollen und nur Erzenes bieten. 1971 dirigiert Otmar Suitner mit deutsch-schwerer Hand die Kräfte des BR (warum? er zeichnete sich doch nun wirklich nicht für dieses Fach aus), und wieder findet sich Gisela Litz neben Nicolai Gedda und (diesmal) Walter Berry (hatte Prey nun genug?), verstärkt durch Klaus Hirte, Kari Lövaas und Regina Marheinecken (eine kurze Karriere). Also, da kann man wirklich nur noch gähnen. Probe abbrechen! Munteres (wie ich das Wort hasse – es bezeichnet alles, was ich an soubrettigem Stadttheatern nicht liebe) steuert Lisa Otto auf der Walhall-Aufnahme von 1951 in Berlin bei, Fried Walter dirigiert mit rundfunkgewohnter Hand, Sonja Schöner ist als Klassesopran hier verschenkt, Helmut Krebs und Herbert Bauer steuern Regionales bei, das hat was und mehr als der spätere Nachfolger. (Aber beim Nachschauen ob der Verfügbarkeit kichere ich nun wirklich, weil ich da lese: Besuchen Sie den Walter Fried-Shop bei Amazon.de, das hat auch was!). Uff, Gottseidank fallen mir keine weiteren Opernproben-Aufnahmen ein. Ist ja auch nur ein Einakter.

Albert Lortzing: "Hans Sachs", Klavierauszug/Deckblatt/ Oba

Albert Lortzing: „Hans Sachs“, Klavierauszug/Deckblatt/ OBA

Hans Sachs  (Leipzig 1840) wird sehr selten aufgeführt (zuletzt 2000 in Freiberg, Hort einer gezielten und phantasievollen Lortzing-Pflege unter Intendant Ingolf Huhn, der das nun via Plauen-Döbeln in Annaberg-Buchholz fortsetzt und dem man einfach nicht genug Kränze flechten kann; davor erinnere ich mich an eine konzertante Aufführung in Berlin mit der jungen Gaby Ronge und dem von mir so geschätzten Jörn W. Wilsing unter 1983 Fritz Weise). Auf CD gibt‘ s als einzige „moderne“ Aufnahme die von 2007 aus Osnabrück bei Ars mit zumindest soliden Kräften, akustisch etwas dunkel-unbestimmt, gut ausgestattet aber strunzlangweilig. Hans Sachs ist ja nicht wirklich eine heitere Oper, sondern nun wirklich eine deutsche Spieloper mit Happy-end und braucht vor allem ein Ensemble, das die Verbindungen zwischen den Figuren trägt. Mit Ulrich Wand, Kate Radmilovic, Marlene Mild, Mark Hamman und anderen ist die sprachliche Seite mehr oder auch mal weniger überzeugend gesichert, aber im Ganzen bin ich nicht wirklich hingerissen und habe Mühe, bis zum Schluss der Live-Aufführung durchzuhalten (und ein Auszug aus einer Leserreaktion bei Amazon bestätigt meinen Eindruck: „Provinz pur. Amateurleistung von dem Dirigent…!“). Da war das bereits erwähnte Berliner Konzert mit Wilsing wesentlich spannender, und auch ein Ohr in einen Radio-Mitschnitt aus der Stadthalle Bayreuth 1983 mit der erwähnten Gaby Ronge und diesmal Rainer Weiss unter Erich Waglechner macht mehr Spaß. Selbst die barbarisch gekürzte Aufnahme von „Radio Frankenland“ 1950 (um in der Region zu bleiben) unter Max Loy macht mehr Vergnügen, denn Karl Schmidt-Walter und Friederike Sailer kennen ihr Geschäft und machen mit den Kollegen viel daraus (Walhall).  Diese Nachkriegsaufnahmen haben ja was Gewisses in Sprache und Musikalität, das den späteren Versionen abgeht: Die Darsteller glauben einfach an das, was sie machen, das merkt man einem mundigen Albert Vogler ebenso an wie Max Kohl, Margot Weindl oder Karl Mikorey – es macht ihnen Vergnügen und damit auch uns! So einfach ist das.

lortzing undine capriccioIm „serösen“ Bereich wird’s lichter, weil Undine  (Magdeburg 1845) auf Tonträgern besser weggekommen ist. Die ältere Einspielung der EMI folgt zwar dem bewährten Haus-Casting-Muster mit Prey, Schreier, Rothenberger, Frick und einer ziemlich gewöhnungsbedürftigen  Berthalda von Ruth-Margaret Pütz, aber die Rothenberger fügt der Undine eine Dimension an Ernsthaftigkeit (vielleicht wie Gundel J. zuviel Damenhaftigkeit) hinzu, die der Rolle doch gut bekommt. Peter Schreier bleibt als Veit in seinem Buffo-Bereich. Robert Heger dirigiert mit weiter Hand (diesmal gewinnbringend beim Rias Berlin), einzig Gedda bleibt androgyn-kühl und wie meist außerhalb seiner Rolle: Er ist eben immer ein wirklich fabelhaft technischer Sänger und kein Gestalter gewesen, und rein klanglich weder Fisch noch Fleisch – seinen Operetten-Helden fehlen die cohones, pardon. Die Capriccio-Aufnahme ist für mich die Alternative: Hier stimmt vieles, und es findet sich auch das gekürzte Ballett am Hofe Berthaldas (aber was für eine abenteuerliche Dramaturgie herrscht da doch bei Lortzing…). Monika Krause hatte 1990 eine schöne deutsche, etwas unruhige Stimme voller jugendlicher Dramatik, voller Aplomb, voller Melancholie und ist bis heute ideal für die Rolle der Undine. Christiane Hampe war damals ein viel verprechender Name, und ihre etwas höhenknappe Berthalda wirkt  solide-kompetent. Josef Protschka galt in jenen Jahren als der ideale und kommende Zwischenfachtenor und kann für die tückische Partie des Hugo Material und Stamina aufbieten. Heinz Kruse, John Janssen, Klaus Häger, Andreas Schmidt und Günter Wewel stehen als gültige Stimmen dieses Repertoires (und dieser Zeit) zur Verfügung, und die Musiker/Chor vom WDR machen unter dem sehr romantisch aufspielenden Kurt Eichhorn einen idiomatischen Job, wenngleich die Schulfunk-Atmosphäre der Dialoge mit zu langen Pausen den Fluss hemmt. Die Aufnahme gehört zu den Lichtblicken, namentlich im orchestral-symphonischen Bereich (Ouvertüre, Schluss).

Albert Lortzing: Auszüge aus "Undine" mit Anny schlemm und der vollständigen Ballettmusik bei DG

Albert Lortzing: Auszüge aus „Undine“ mit Anny Schlemm und der vollständigen Ballettmusik bei DG

Einen Querschnitt der DG aus den Sechzigern mit Anny Schlemm und Walther Ludwig unter Victor Reinshagen kann man nur als bizarr abbuchen, denn es fehlen so viele Teile, dass man ganz wirr wird. Er zeichnet sich aber durch die sonst fehlende komplette Ballettmusik aus (man kann nur munkeln, dass es sich hier um eine früh abgebrochene Gesamtaufnahme handelt), die von den Bambergern mit avec gespielt wird. Bei Eurodisc gab es einen Querschnitt mit Lisa Otto (viel zu klein besetzt), Ursula Schirrmacher und Rudi Schock unter Wilhelm Schüchter aus den strengen Sechzigern und recht unzusammenhängend, die Oper eignet sich nicht wirklich für Querschnitte, finde ich. Eine weitere RAI-Aufnahme kann man inzwischen mp3-mäßig bei Amazon einzeln herunterladen (RAI-Orchester, erlebnisreich Traxel, die Bak/Heger; The Art Of Singing), aber sie ist erstens nicht nett im Klang und zweitens barbarisch zusammengestrichen. Der Rundfunkmitschnitt mit Trude Eipperle und der schon damals präpotent wirkenden Christa Ludwig als Berthalda (es gibt sogar eine Cenerentola mit ihr aus Wien!) ist bei Relief gelandet – was man alles findet.

lortzing regina cpoNoch vor zwei  Jahren hätte ich geschrieben: Was es alles nicht gibt, zeigte ein Blick auf die wenigen ernsthaften Opern Lortzing, vor allem auf die Regina. Es war doch eine Affenschande, dass  es Zauberflöten oder Bohèmes en masse gab, bis einem das Soufflée hochkam, aber keine Regina. In Wuppertal und Gelsenkirchen liefen bis zur neuen cpo-Aufnahme unter Ulf Schirmer die letzten Versuche. Die RAI hatte eine im ganzen sehr gelungene Ehrenrettung (in der Originalfassung ohne Dialoge/Arkadia u. a.) unter Dieter Berneth 1968 gebracht, die in Berlin im Rahmen der Opernanthologie des SFB übertragen wurde (das waren noch Zeiten) – neben Julia Conwells mauliger Regina nicht so viele deutsche Mannen, aber alle doch sehr bemüht. Eine rudimenäre DDR-Rundfunk-Aufnahme von 1951 unter Walter Schartner (Irmgard Klein, Gerhard Frei, Karl-Heinz-Stracke und Ernst Kozub sind unter den bekannteren Sängern) gibt´s bei Walhall in einer wirklich hochverdächtigen Fassung mit einer abenteuerlichen Genesis.

Und nun – oh Wunder – die wirklich sehr anständige Regina aus München unter Schirmer mit einer nahezu idealen Besetzung: Johanna Stojkovic, Daniel Kirch, Rolf Simon, Detlef Roth, Peter Schöne und andere mehr – cpo sei´s gedankt. Der jugendliche Sopran kann jubeln, die Herren sind mehr als angenehm, und die Live-Atmosphäre sorgt für Spontanität. Das ganze kommt vom Boden hoch und allen meinen Vorbehalten gegen diese angeblich als revolutionär geltende Oper zum Trotz ist dies der defintive Lortzingbeitrag unserer Tage. Hier mischt sich erfolgreich Kleines und Großes, Junges singt auch jung, und Ulf Schirmer holt aus der Musik geraus, was möglich ist. Beilage und Klang sind gut, Dialoge auch, zudem das Ganze live. Also eine wirklich empfehlenswerte Aufnahme in dieser Lortzing-Disko-Revue.

Albert Lortzing: "Casanova", Theaterzettel Theater Leipzig 1841/OBA

Albert Lortzing: „Casanova“, Theaterzettel Theater Leipzig 1841/OBA

Und wo bleibt der Casanova Lortzings (Leipzig 1841)? Nix da. Wieder muss der Rundfunk einspringen, aber es gibt m. W. keine offiziellen Dokumente davon. Eine Aufnahme aus Prag scheidet aus wegen der Sprache, eine weitere von 1941 (anderen Quellen zufolge1958)  aus dem Berner Radio hat Zwischentexte von Kurt Blaukopf, der Sammlern wegen seiner unschätzbaren Auflistung historischer Opernaufnahmen ein Begriff ist. Aber ob nun der von mir so geliebte Petre Munteanu der richtige Casanova ist? Sonst machen die damaligen Berner Kräfte mit: Chloe Owens, Gottfried Fehr und weitere. Der Clou ist die leichte Hand von Otto Ackermann. Aus Oberhausen hat mancher Sammler einen weiteren Casanova im Besitz – nicht so nett gesungen von William Pugh, aber Frank Schneiders, Ursula Berg und andere machen einen ordentlichen Job unter Konstantin Schenks Hand (1985). Nur eben – offiziell tut sich hier nichts.

Albert Lortzing: "Rolands Knappen" am Theater Freiberg, Theaterprogramm

Albert Lortzing: „Rolands Knappen“ am Theater Freiberg, Theaterprogramm

Der Berliner RBB hatte im Lortzing-Jahr 2001 (200. Geburstag und 150. Todestag) vollmundig angekündigt, nun alles (!!!) von Lortzing senden zu wollen. Bis auf den Großadmiral  in einer mehr als verdächtigen, klanglich gewöhnungsbedürftigen Berliner Funkfassung aus der Nazizeit von 1937 hat sich da bislang nichts gerührt. Hessen brachte die eigene Konserve der Beiden Schützen – armer Lortzing. Bis auf die neu hinzugekommene Münchner Regina von cpo 2013 hat sich auch theatermäßig wirklich nichts Innovatives getan, und da sind doch die Verdienste von Herrn Huhn in Annaberg geradezu als gigantisch einzustufen, dem interessierten und von weither angereisten Publikum den Andreas Hofer (Leipzig 1832) vorzustellen, so wie er in vergangenen Jahren den Polen und sein Kind, den Weihnachtsabend und Rolands Knappen (Leipzig 1848) an den verschiedenen Theatern seiner Intendantenlaufbahn zur Diskussion gestellt hat. In Berlin, wo Lortzing geboren und in Armnut gestorben ist, gab´s und gibt’s nichts. Was für eine Schande! Dafür Doubletten der Bekannten: Tosca, Ring, Jenufa, Traviata – was weiß ich…

Ausgräber des Seltenen - der Annaberger Intendant Ingolf Huhn/EVWTAB

Ausgräber des Seltenen – der Annaberger Intendant Ingolf Huhn/EVWTAB

Insofern hat Herr Lodemann (Jürgen Lodemann: Albert Lortzing, Steidl Göttingen, ISBN-13: 978-3882437331)  mit seiner Jeremiade über das Vergessen/Verkennen Lortzings vielleicht doch Recht. Zumindest die Ouvertüre zum Polen und sein Kind ist auf der Marco-Polo-CD mit vermischten Vorspielen Lortzings und vermischten Orchestern/Dirigenten zu hören, ebenso die für Regina, Hans Sachs und den heiteren Werken. Immerhin.

Dank an Rüdiger Winter für die Hilfe beim Nachschlagen in Büchern und in seinem fabelhaften Gedächtnis wie auch Archiv-Festplatte. Zudem belehrt ein Blick in die Website von Amazon, was es alles – in großer Vervielfältigung desselben – gegenwärtig auf dem Markt gibt.

Foto oben: Lortzings Grab in Berlin/privat

Ina Del Campo

 

Am 4.11.2014 starb in einem Bergdorf nahe dem kroatischen Rijeka die österreichische Diva, italienische Geschäftsfrau und Live-Opern-Pionierin internationalen Zuschnitts, Ina Delcampo. Die Nachricht erreichte uns erst um die Jahreswende.

Ina Delcampo-Felderer-001Ina hatte viel Humor. Ich höre sie mit ihrem tiefsitzenden, umwerfenden Lachen noch heute („Schatzi!“), und während ich diesen Nachruf mit Betroffenheit und Trauer schreibe, ist sie mir im Ohr, mit ihrer markanten, dunkel-gesungenen Stimme, ihrem immer-noch-österreichischen Dialekt, mit ihren umwerfenden Sprüchen und ihrer absolut schonungslosen Offenheit. Gewiss, sie war Meisterin im Geschichtenerzählen, aber ich kenne kaum jemanden anderen, der so erbarmungslos – auch gegen sich selbst – die Wirklichkeit um sie herum erfasste.

Sie hatte ein hartes und turbulentes Leben voller Höhen und Tiefen hinter sich, aufgehellt von ihrer guten Freundin Christiane und deren Söhnen, die in den Jahren ihres kroatischen Exils ihre Ersatzfamilie wurden und die ihr die nötige Wärme zum Überleben gaben, sich um sie mit ihrer schweren Diabetes kümmerten und ihr Halt waren. Ohne sie wäre vieles schneller zu Ende gegangen.

Ina Delcampo: "Tannhäuser"-Elisabeth an der Met/Melancon/Met-Archives/privat

Ina Delcampo: „Tannhäuser“-Elisabeth an der Met/Melancon/Metropolitan Opera Archives/privat

Ina war gläubig, auf ihre Weise, aber das Österreichisch-Katholische ließ sich nicht verleugnen – vielleicht war das ihr anderer Halt in ihrem turbulenten Leben. Denn nach einer wirklich großen Karriere als gefeierte Sopranistin im italienischen und deutschen Fach (dazu die nachfolgenden Angaben), nach glanzvollen Abenden an der Met (Intendant Rudolf Bing verpasste ihr den italianisierten Namen nach ihrem eigen, Ingeborg Felderer) und dem Liceu Barcelona, nach Auftritten in Bayreuth, Salzburg, München, Edinburgh, bei den Proms, dem Holland Festival und vielen anderen Opernhäusern mehr ging aus kaum heute nachvollziehbaren Gründen die Karriere steil bergab. Die Stimme gab nach, das Privatleben wurde chaotisch, Partner wechselten und ihre Kunst auch. Sie zog die Reißleine und beendete ihre Gesangskarriere nach rund 20 Jahren.

Ina Delcampo: "Cavalleria rusticana"-Santuzza an der Met/Melancon/Met-Archives/privat

Ina Delcampo: „Cavalleria rusticana“-Santuzza an der Met/Melancon/Metropolitan Opera Archives/privat

Aber sie verharrte im Musikgeschäft. Nicht immer mit glücklichster Hand und Beziehungen gesegnet gründete sie die Live-Opern-Firma Melodram und später Golden Melodram, erst mit LPs und dann später als CD-Ausgaben und räumte die Archive der italienischen Rai und anderer Rundfunkanstalten aus. Gute Kontakte halfen ihr… Ihre Opern-Ausgaben und Sänger-Alben waren in ihrer Seltenheit des Materials und auch in der Klangqualittät legendär – sie war die wirklich erste, die im großen kommerziellen Stil, bei bester Tonqualität die Aufnahmen auf den Markt brachte (Sohn Stephan Felderer zählt für mich zu den wirklich genialsten Tontechnikern, die ich kenne, und seine Bearbeitungen vorher fast unhörbarer Aufnahmen wie die Rossini-Armida der Callas aus Florenz zählen zu seinen Glanzleistungen). Auf ihren Labels fand man viele, viele Radio-Mitschnitte, die das Sammlerherz höher schlagen ließen, zumal auch die Ausstattung und die vielen Fotos entzückten.Ihre anhaltender guter Draht zu den ehemaligen Kollegen (namentlich zu ihrer Freundin „Monzi“ Caballé oder Horne, Gedda, Di Stefano, Domingo u. a.) und großen Künstlern ihrer Zeit ermöglichten ihr Ausgaben aus deren Privatbesitz – sie setzte mit Reihen wie „Neu-Bayreuth“, „Di Stefano Records“ oder der „Maria-Callas-Edition“ bis heute unübertroffene Maßstäbe.

Ina Delcampo: Tosca an der Met/Melancon/Met-Archives/privat

Ina Delcampo: Tosca an der Met/Melancon/Metropolitan Opera Archives/privat

Das alles ging eine Weile gut, die Nachfrage war groß. Melodram war der absolute Renner, weltweit. Bis die ersten Probleme mit den Rechten auftraten – Ina war da unbekümmert-blauäugig, wie in so vielen Belangen ihres Lebens und steckte den Kopf in den Sand. Bis auf Betreiben Großer ein Gesetz geändert wurde, die italienische Steuer und die Copyright-Anstalten zuschlugen und ihr nur eine Produktion in Ausland übrig blieb. Kroatien war damals noch kein EU-Land, und die geschäftstüchtige Stadt Rijeka hatte in der Adria so etwas wie eine Freihandelszone installiert, wo die Steuern gering und die Belästigung null waren. Also transferierte Ina Delcampo hierhin ihre neue/alte Firma und exportierte munter weiter ihre Produkte. Aber die Nachfrage ging zurück, die nun nachfolgende Konkurrenz hatte sich – ihrem Beispiel folgend – zu fest etabliert, und sie wurde ihre Aufnahmen nicht mehr los, zumal eben auch die Schutzfristen juristisch durchgesetzt wurden. Auch ihr persönlicher Einsatz bei den Händlern in Europa wie Japan (in den USA wurde einmal eine ganze Schiffsladung an Aufnahmen in den Hudson gekippt, weil die Met sich durchgesetzt hatte) fruchtete nichts mehr: Die Zeit war über Ina Delcampo und ihr Geschäftsmodell dahin gegangen, die Urheberschutzrechte schlugen zu sehr durch, und sie publizierte nichts Neues mehr, sondern vermarktete immer dasselbe. Sie wurde vielleicht nicht unbedingt vergessen, aber schwand erst aus den Regalen und dann aus dem Bewusstsein und lebte als alternde Diva, als Privatperson in der Nähe von Rijeka. Sie zog

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sich immer mehr aus dem öffentlichen Leben zurück und starb im vergangenen November, Gott sei Dank nicht einsam.

DownloadIch fand Ina immer eine ganz besondere Persönlichkeit. Wir lernten uns vor mindestens 35 Jahren in Berlin kennen, und ich erinnere mich wie heute an diese eindrucksvolle, hochgewachsene, massive Frau mit dem umwerfenden Lachen, den forschenden, abwartenden Augen (die nicht viel preisgaben) und der wunderbaren, offenen, überwältigenden Art. Sie war so ungewöhnlich! Und muss eine Schönheit gewesen sein! Ich erinnere mich an sie genau: ein wenig bizarr, unglaublich großzügig, lustig, klug, auch weise, unsentimental. Wir trafen uns in Abständen, mal in Berlin, mal in Mailand in ihrer schönen Wohnung mit dem großen Flügel und den Fotografien in Silberrahmen darauf. Zuletzt in Opatija, wohin sie mich eingeladen hatte und wo ich diese Veränderung bemerkte – vielleicht war ihr Lebenswillen schon angeknackst? Ich empfand sie als eine tragische Frau, die ihr bewegtes und gar nicht einfaches Leben zwar in den Griff bekommen hatte, aber doch an Defiziten an Liebe und Wärme litt. Alles, was sie war, war sie durch sich selbst – eine unendlich starke Frau, die hinter Schroffheit auch ihre Verletzbarkeit verbarg – eine unvergessliche Persönlichkeit. Ach Ina, Dein Tod hat ja nicht nur mich erschüttert, wie ich von Deiner „kroatischen Familie“ weiß. Adieu und meine tiefe Verehrung und Zuneigung. Geerd Heinsen

 

Unbenannt-Scannen-003Dazu ein Auszug aus dem Großen Sängerlexikon von K. J. Kutsch und Leo Riemens: (Ina Delcampo, i. e.) Felderer, Ingeborg, Sopran, * 28.11.1933 Inns­bruck; Ausbildung an der Wiener Musikakademie und bei Maestro Pais und dem berühmten Tenor Tino Pattiera in Mailand und Wien, letzterer pflanzte wohl auch den Gedanken an ein Leben in seiner Heimat Kroatien in ihr ein. Sie begann ihre Bühnenlaufbahn mit einem Engagement am Stadttheater von Basel 1955-59. Am 15.4.1958 sang sie in Basel in der Uraufführung der Oper »Titus Feuerfuchs« von H. Sutermeister die Partie der Flora Baumscheer, 1957 in der deutschsprachigen Erstaufführung von Prokofieffs »L’Ange de feu« die Renata. 1959 wurde sie an das Opernhaus von Wuppertal verpflichtet, wo sie, jetzt unter dem Namen Ingeborg Moussa-Felderer, bis 1962 sang. 1962-65 war sie Mitglied des Staatstheaters Karlsruhe, zugleich 1962-67 wieder am Stadttheater von Basel im Engagement; seit 1964 trat sie wieder unter dem alten Namen Ingeborg Felderer auf. Seit 1970 lebte sie in München und gab Gastspiele an führenden Bühnen im deutschen Sprachraum.

116192977-001Bei den Festspielen von Bayreuth trat sie in den Jahren 1961-63 in Erscheinung, u.a. 1961-62 als Waldvogel im »Siegfried«, 1961 als Woglinde, 1961 und 1963 als Helmwige im Nibelungenring. 1962 gastierte sie mit dem Ensemble des Wuppertaler Opernhauses beim Holland Festival, 1963 an der Königlichen Oper Kopenhagen, 1966 an der Oper von Frankfurt a.M., 1966 am Staatstheater Kassel, 1969 am Teatro Liceo Barcelona. Sie gastierte auch in Amsterdam und Brüssel, in Wien, Zürich und Paris, an der Oper von Miami und in New York. Dort sang sie in den Jahren 1967-70 an der Metropolitan Oper Partien wie die Tosca, die Leonore im »Troubadour« und die Santuzza in »Cavalleria rusticana«. An der Wiener Staatsoper trat sie als Senta, als Woglinde und als Chrysothemis in »Elektra« von R. Strauss auf. 1969 Gastspiel am Teatro Liceo Barcelona (jetzt unter dem Namen Ina Delcampo) als Elisabetta in Donizettis »Maria Stuarda«. 1963 übernahm sie in der deutschen Erstaufführung der Oper »King Priam« von Michael Tippett in Karlsruhe die Rolle der Hecuba. Weitere Höhepunkte in ihrem umfangreichen Repertoire für die Bühne waren die Senta im »Fliegenden Holländer«, die Tosca, die Titelheldin in Monteverdis »Incoronazione di Poppea«, die Herzogin von Parma in »Doktor Faust« von Busoni und die Katja Kabanowa in der Oper gleichen Namens von Janácek. Sie war auch im Konzertsaal in zahlreichen Aufgaben zu hören. Die Künstlerin, die auch unter dem Namen Ina Delcampo gesungen hat, war später Geschäftsführerin der Schallplattenfirma Melodram in Mailand. Eigenes Arienrecital bei Belcanto (Arien aus Opern von Verdi und Mascagni, Lieder italienischer Kom­ponisten, Arie antiche).

Nach: Kutsch, K. J. und Riemens, Leo. Großes Sängerlexikon. München: K.G. Saur, 1999; Dank an die Pressestelle der Metropolitan Opera New York für die Foto-Genehmigung, G. H.

 

Das Beste sind die Chöre

Der konzertante Mitschnitt des Fliegenden Holländer aus Amsterdam entstand am 24. und 26. Mai 2013 und ist nun bei dem hauseigenen Label des Royal Concertgebouw Orchestras erschienen (RCO 14004 im Vertrieb von Naxos). Andris Nelsons, der von 2010 bis 2014 in Bayreuth den Lohengrin leitete, kann seine Wagner-Kompetenz am Pult des  konzentriert aufspielenden Concertgebouw Orchestra durchaus einbringen. Seine Interpretation zeichnet sich durch eine sorgfältige und in den Details überzeugende Lesart aus,  allerdings schlägt er eine insgesamt etwas zu ruhige Gangart an. Die Ouvertüre hat man schon weitaus aufregender und „sturmdurchtoster“ gehört und den dramatischen Höhepunkten fehlt es etwas am letzten Quäntchen Spannung und Leidenschaft. Das große Duett zwischen dem Holländer und Senta wird allerdings sehr organisch entwickelt. Und bei der Chorszene „Steuermann, lass die Wacht“ lässt er das Orchester ordentlich aufstampfen. Überhaupt die Chöre: Sie sind mit das Beste, was diese Aufnahme zu bieten hat. Immerhin sind hier der Chor des Bayerischen Rundfunks, der NDR Chor und der WDR Rundfunk Chor versammelt. Das Ergebnis ist überwältigend und von berauschender Klangsinnlichkeit.

Die Aufnahme ist auch ein Dokument für den 1943 geborenen Bariton Terje Stensvold. Der war zum Zeitpunkt der Aufnahme fast 70 Jahre alt (Opera Lounge brachte eine Würdigung zum runden Geburtstag) und konnte in der Titelpartie mit immer noch beachtlichem Stimmpotential beeindrucken. Der Norweger  war in dieser Partie (aber vor allem auch als Wotan) international erfolgreich (zu seinem Bühnenabschied s. unten). Beim Monolog „Die Frist ist um“ schleudert er die trotzige Verachtung seines Schicksals  eindrucksvoll heraus. Sein Bariton hat nicht ganz die dunkle Farbe, die andere in diese Rolle einbringen konnten, aber sein Rollenporträt nimmt weitgehend gefangen. Kwangchul Youn ist da als Daland nicht ganz so souverän, manchen Tönen hört man die Mühe an. Und die Figur strahlt eher Behäbigkeit aus; das Berechnende bleibt auf der Strecke. Zu den Pluspunkten zählt Anja Kampe als Senta, die die Ballade ohne Kraftmeierei meistert und der Figur anrührende Momente mitgibt, auch wenn das Exaltierte etwas auf der Strecke bleibt. Ihren lyrischen Sopran führt sie dabei weitgehend ebenmäßig,

Aufhorchen lässt Russell Thomas, der als Steuermann einen kräftigen, virilen Tenor einbringt. Ihm würde man auch den Erik zutrauen, womit aber nichts gegen Christopher Ventris gesagt werden soll, der die Partie ansprechend singt und ihr mit viel Engagement auch eigenständiges Profil gibt. „Italienischen“ Schmelz, den ein Sänger des Erik durchaus haben sollte, vermisst man bei ihm aber weitgehend. Für die Mary wurde die verdienstvolle Jane Henschel mit Gewinn  aufgeboten. Fazit: Eine solide Aufnahme, die für vor allem für die Anhänger von Stenvold und Kampe interessant ist, die aber auch mit prachtvollem Chorgesang punktet.

 Wolfgang Denker

Bühnenabschied Terje Stensvolds an der Frankfurter Oper 2014/Foto Wolfgang Runkel/Oper Frankfurt

Bühnenabschied Terje Stensvolds an der Frankfurter Oper 2014/Foto Wolfgang Runkel/Oper Frankfurt

Am 16. November vergangenen Jahres beendete der finnische Bariton in Frankfurt seine Bühnenkarriere – dazu ein Auszug aus der Pressemitteilung der Oper Frankfurt: Seit der Premiere der Inszenierung von Richard Strauss‘ Die Frau ohne Schatten in der Regie von Christof Nel am 2. Februar 2003 an der Oper Frankfurt ist der norwegische Bariton Terje Stensvold als Barak besetzt. Der Sänger, zudem u.a. stark akklamierter Wotan im Frankfurter Ring, gab nun als Färber in der Frau ohne Schatten am 16. November 2014 im Alter von 71 Jahren seinen Abschied von Frankfurt und beendete damit auch gleichzeitig seine außergewöhnliche Bühnenkarriere. Der norwegische Bariton gastierte seit dem Jahr 2000 regelmäßig an den großen Opernhäusern wie u.a. den Staatsopern in Hamburg, München, Berlin und Wien, der Deutschen Oper Berlin, Nederlandse Opera Amsterdam, Königlichen Oper Stockholm, dem Théâtre La Monnaie Brüssel, Opernhaus Zürich, Gran Teatre del Liceu Barcelona, Teatro alla Scala Mailand, ROH Covent Garden London, weiterhin in Toronto und bei den Salzburger Festspielen. Als ehemaliges Ensemblemitglied der Norske Opera Oslo sang er etwa achtzig Rollen: von Jago (Otello) und Klingsor (Parsifal) bis Gianni Schicchi, von Mozarts Figaro und Don Giovanni bis Danilo (Die lustige Witwe) und Professor Higgins (My Fair Lady). Auch an der Oper Frankfurt, wo er zuletzt für seine Wotan-Interpretation unter der Leitung von Sebastian Weigle (Ring, CD und DVD bei OehmsClassics) gefeiert wurde, sang Terje Stensvold regelmäßig. Hier gab er außerdem den Fliegenden Holländer, Jochanaan (Salome), Balstrode (Peter Grimes), Alfio und Tonio (Cavalleria rusticana / I Pagliacci), Dr. Schön und Jack the Ripper (Lulu) und Don Pizarro (Fidelio). Konzertant war er zudem mit den Berliner Philharmonikern unter Sir Simon Rattle und bei den London Proms unter Daniel Barenboim zu erleben. Weiterhin arbeitete der Bariton u.a. mit Leif Segerstam, Philippe Jordan, Donald Runnicles, Kent Nagano und Franz Welser-Möst zusammen. Zu seinen jüngsten Gastengagements zählt Wotan in Melbourne, wofür er den Helpmann-Award als Bester männlicher Opernsänger einer australischen Produktion erhielt. Kürzlich wurde Terje Stensvold als erst vierter norwegischer Opernsänger in die Kirsten Flagstad Hall of Fame aufgenommen. 2008 wurde er vom norwegischen König zum Ritter 1. Klasse des St. Olav-Ordens ernannt. Seine Diskografie umfasst u.a. eine Gesamteinspielung des Fliegenden Holländer unter Bruno Weil (harmonia mundi) und Jeanne d’Arc von Walter Braunfels unter Manfred Honeck (DECCA). Engelhardt/Oper Frankfurt

 

Belcanto à la Marchesi

Zumindest die Namen sind klingend, bis heute: Nellie Melba, die sängerisch das British Empire regierte, Mary Garden, die erste Mélisande, die „Sarah Bernhardt der Oper“, Emma Calvé, die legendäre Carmen. Oder auch Selma Kurz, deren Triller nicht nur die Wiener Hofoper berückte, Frances Alda, die oftmalige Caruso-Partnerin der MET, Sibyl Sanderson, die Schönheit, der Massenet verfallen war, was sich in einer Reihe von „Sanderson-Opern“ von ihm niederschlug. Und alle – von Nellie Melba bis Selma Kurz – waren sie Schülerinnen von Mathilde Marchesi, geborene Graumann, in Paris ausgebildet bei Manuel García dem Jüngeren, legendäre Figur der Gesangshistorie auch er, (und ihre Tochter Blanche Marchesi, die erst 1940 starb und viele große Sängerinnen unterrichtete, G. H.). Mathilde Marchesi und ihre Gesangsschule steht für das, was an „Belcanto“ ins beginnende 20.Jahrhundert zu retten war. Trotzdem wird es zumindest so faszinierend sein, neben dem ihre Schülerinnen Verbindenden auch dem Trennenden nachzuspüren: dem Individuellen, soweit es in Tonaufnahmen von ehedem konserviert ist (so die Kollegin Tina Tengel als Einleitung ihrer dokumentarischen Sendung „Stimmen hören“ im ORF am 28. November 2013).

"The Marchesi school": Mathilde Castrone-Marchesi/OBA

„The Marchesi School“: Mathilde Castrone-Marchesi/OBA

Eine absolut faszinierende CD bei Symposium in der Reihe der Harold-Wayne-Collection beschäftigt sich mit den akustischen Hinterlassenschaften dieser Sängerinnen, die durch die formbildende, formbewahrende Schule der Mathilde Marchesi und ihrer nicht minder wichtigen Tochter Blanche Marchesi gegangen waren. Zu den wirklich raren Tondokumenten gesellt sich ein hochinformativer Artikel des bedeutend englischen Stimmbildners (dazu Autors zahloser Artikel über Oper, Opern und Aufführungen) John Freestone (1910 – 2006), selber einer der letzten Schüler von Blanche Marchesi und Lehrer des Tenors Laurence Dale, der zum einen die Belcanto-Methode der Marchesis aufbrezelt und zum anderen die Schülerinnen und Nachkommen dieser bedeutenden, authentischen Gesangsschule vorstellt, die ihre Auswirkungen bis heute hat und die selbst in unseren Tagen Sängerinnen wie Elisabeth Schwarzkopf (über Lula Mysz-Gmeiner, die eine Schülerin von Blanche Marchesi war), Joan Sutherland, Maria Callas (durch Elvira de Hidalgo) oder Marilyn Horne (und in letzten Ausläufern auch Cecilia Bartoli in ihrer Beschäftigung mit Maria Malibran) zur „richtigen“ Gesangstechnik und zur perfekten Beherrschung des Belcanto geholfen hat. Im Folgenden also der Artikel von John Freestone (wieder mal im originalen Englisch).

"The Marchesi school": Blanche Marchesi als Santuzza/OBA

„The Marchesi School“: Blanche Marchesi als Santuzza/OBA

The Marchesi SchoolMathilde Marchesi, the most celebrated singing-teacher of her time, was born on the 24th March 1821 in Frankfurt am Main, her maiden name being Graumann. Her father, a prosperous merchant, lost his fortune, and Mathilde, who had been brought up to understand that she would never have to earn her living, was sent, despite her desire to study singing, to be a governess to a wealthy Austrian family. She was very unhappy in her work and managed to have singing lessons from the composer Nicolai. Her aunt, Baroness Dorothea von Erdtmann, dedicatee of Beethoven’s Piano Sonata Opus 101, took her to Pauline Viardot who said that she must study with her brother. Eventually, in 1845, her father grudgingly consented to her going to Paris where she did indeed study with Manuel Garcia and had the advantage of hearing legendary singers like Persiani, Grisi, Alboni, Duprez, Tamburini and Lablache. She also took lessons in declamation from Samson, the teacher of Rachel. Garcia was so impressed with her abilities that when, as a result of a broken arm, he was forced to give up teaching for a time, he entrusted all his pupils to her. She had an excellent mezzo-soprano voice and for some years sang very successfully as a concert singer but, in deference to her father’s wishes, not in opera. She made a number of successful concert tours, including one to England.

"The Marchesi school": Mathilde Marchesi und Nelli Melba/OBA

„The Marchesi School“: Mathilde Marchesi und Nelli Melba/OBA

In 1852 she married Salvatore, Cavaliere di Castrone, Marchese della Raiata, who sang and taught under the name of Marchesi to avoid offending the susceptibilities of his family, and from 1854 Mathilde taught singing in Vienna. Many people nowadays are inclined to think that she only produced coloratura sopranos, but certainly in Vienna she trained many other great artists, including the dramatic soprano Gabrielle Krauss, who was for years the undisputed queen of the Paris Opera; the mezzo-soprano Antonietta Fricci; Lima de Murska; and the celebrated contralto Caroline Dory, who was especially famous for her Arsace in Rossini’s Semiramide. She only taught female singers for the very simple reason that her husband, also a Garcia pupil, instructed the male pupiIs.

After a while she felt that she should move in a wider circle, so in 1861 she moved to Paris, where she rapidly became the most famous singing teacher of her generation. Pupils flocked to her studio. She insisted that all her pupils practice exercises which involved agility because she maintained that this was essential for the preservation of the voice, and this may have helped to create the impression that she tried to make all her pupils specialise in coloratura roles.

"The Marchesi school": Lehrer und tenor Manuel Garcia (als Otello von Rossini)/OBA

„The Marchesi School“: Lehrer und tenor Manuel García (als Otello von Rossini)/OBA

Of course she was not the right teacher for every artist. One famous singer who was not happy with Marchesi was Mary Garden. In her biography she says that she had lessons for three weeks and then, after a short holiday, she wrote to Mathilde saying that she did not wish to continue her lessons. Madame’s reply was brief and to the point: „Mary Garden, a rolling stone gathers no moss. Don’t cry till you come out of the woods. Mathilde Marchesi“. Amy Castles was another who moved on. Nevertheless, the vast majority of Marchesi’s pupils were happy with their tuition and many had highly successful careers..

"The Marchesi school": Mathilde Marchesi, 1896/OBA

„The Marchesi School“: Mathilde Marchesi, 1896/OBA

The Marchesis had four daughters, Theresa, Stella, Clare, who died in infancy, and, lastly, Blanche. The last named was the only one who wished to become a singer. She studied with her mother and was perhaps the only student taught entirely by her. She acquired a formidable technique, but unfortunately her natural voice was not of particular promise and it was only her great musical intelligence and her wonderful gift for interpretation which made her an artist of distinction. She sang with the Moody-Manners Opera Company for a while but was never heard at Covent Garden in the international seasons. Blanche herself put this down to the machinations of Melba, but the truth was that her voice was of insufficient volume and range for an operatic career. She was highly successful as a concert artist, and the recordings of her which are included on this Compact Disc show that even after her seventieth birthday, when she made her last recordings, she was still able to show her mastery of style in a unique manner.

"The Marchesi school": Garcia Tochter und Lehrerin/Schülerin Paulinbe Viardot/OBA

„The Marchesi School“: García Tochter und Lehrerin/Schülerin Pauline Viardot/OBA

Blanche settled in London at number 78, Lancaster Gate and taught singing from her home for many years. I became her pupil in 1938 and stayed with her until 1940 when I was called up into the Royal Artillery. I recall my lessons vividly. After an audition she said that I had been badly taught but she felt that she could correct this, and proceeded to give me exercises for the first year of my tuition. She insisted that men’s‘ voices only used one register, but that the top notes from E natural upwards should be covered, and never sung with an open sound.

"Ther Marchesi school": John Freestone in "The Gondoliers", 1936/OBA

„Ther Marchesi School“: John Freestone in „The Gondoliers“, 1936/OBA

Once she was satisfied that my technique was sufficiently sound she spent most of my lessons dealing with questions of interpretation. Her voice by this time was virtually non-existent but I remember her singing Schubert’s Erlkönig in a husky voice with so much dramatic conviction that I have never forgotten it. She explained that

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one needed four distinct voices for the song. The narrator should always sound uninvolved, the father should start off sounding warm and comforting, but should gradually become more agitated, the boy should sound progressively more terrified, but the Erlking should remain an icy whisper throughout, and should never become a creature of flesh and blood.

"The Marchesi school": Miriam Licette/OBA

„The Marchesi School“: Miriam Licette/OBA

Certainly Blanche’s teaching gave the lie to the suggestion that the Marchesi school was interested only in vocal technique. Nothing could be further from the truth, and, as I have said, Blanche’s own recordings make this point very clearly.

Both Mathilde and Blanche Marchesi taught that the female voice consists of three registers – the chest, the medium and the head. Beginners were always given exercises to place the chest voice correctly first, using an open „Ah“ sound up to and including the lower E in the treble clef. The medium register was developed next, using the French U sound up to the high F. The head register, which was introduced last, on the „Ah“ sound, starting always from F at the top of the treble clef. These were practiced until the registers were equal in quality, and then scales and arpeggios were given to ensure the matching of the tones.

"The Marchesi school": Selma Kurz (als Lakmé)/OBA

„The Marchesi School“: Selma Kurz (als Lakmé)/OBA

Of course this method of practise was only used for complete beginners. Once the registers were firmly established further exercises were given to ensure they were blended smoothly. The final result was to produce a voice which was even throughout its entire range, and which sounded as though there were no separate registers. Listening to the records of Arnoldson, Calvé, Eames, Kurz and Melba one is very seldom conscious of a change of gear, unless the singer for dramatic reasons wishes to make the change apparent. For example, Blanche deliberately emphasises a very telling chest register in parts of her recording of the „Sicilian cart driver’s song“, and the result is quite magical.

Mathilde Marchesi was often criticised by other teachers and singers who said that her method was only suitable for light sopranos. Many Italians felt that the typical Marchesi pupils sang with great purity of tone, but were too sexless and lacking in warmth. Indeed this type of voice was appreciated more in Anglo-Saxon than in Latin countries.

"The Marchesi school": Emma Eames/OBA

„The Marchesi School“: Emma Eames/OBA

Blanche Marchesi continued to teach like her mother, but she also had male pupils. She claimed that all men sang in one register, covering the higher notes. To begin with pupils had to sing on the open vowel „Ah“ but the covered quality was obtained by singing the higher notes on the French „U“ sound or the English „E“ in the initial stages of instruction. Breathing was taught on the „Lateral costal“ principle, filling and expanding the lower part of the lungs and slightly pulling in the abdomen to give the necessary support.

While the Marchesi school was the most favoured one of its day, there were other highly successful teachers. For example, Lamperti senior, whose pupils include Albani and Sembrich, and Giovanni Sbriglia who taught Jean and Edouard de Reszke, Nordica, Sybil Sanderson (who also had lessons from Mathilde Marchesi) and Plangon.

"The Marchesi school": Laurence Dale war Schüler von John Freestone/OBA

„The Marchesi School“: Laurence Dale war Schüler von John Freestone/OBA

It was, however, the extraordinary success of Marchesi, whose pupils included Sigrid Arnoldson, Emma Calvé, Emma Eames, Etelka Gerster and Melba, which made her pre-eminent in her time. Fortunately there are records of a number of the later generation of her pupils, and these remain as a wonderful testimony to a very great teacher. (SYMPOSIUM 1188 The Harold Wayne Collection: The Marchesi School) John W. Freestone

"Marchesi School": die berühmte dramatische Sängerin gabrielle Krauss als Gounods Sapho in einer Fotographie von Benque/Gallica

„The Marchesi School“: die berühmte dramatische Sängerin Gabrielle Krauss als Gounods Sapho in einer Fotographie von Benque/Gallica

Zu den vielen Schülerinnen der beiden Marchesis gibt es von Freestone amüsante Anmerkungen, die er von Blanche Marchesi kolportiert. Die lange Liste der heute noch bekannten und vieler vergessener Sängerinnen findet sich am Ende des Artikels im Booklet der Symposium-Ausgabe, so: Frances Alda (1872 Cambridge, Massachusetts – 1953 London), Sigrid Arnoldson (1861 Stockholm – 1943 Stockholm), Blanche Arral (1864 Lidge – 1945 New York), Emma Calvé (Décazeville – 1942 Millau), Ada Crossley, Emma Eames (August 13, 1865 – June 13, 1952), Selma Kurz (1874 Bielietz, Schlesien – 1933 Wien), Elizabeth Parkina, Ellen Beach Yaw (1869 Boston – 1947 Covina, California), Yvonne de Tréville (1881 Galveston, Texas – 1954 New York), natürlich Blanche Marchesi, Suzanne Adams (28 November 1872 – 5 February 1953), Nina de Friede (1859 – 1942) und prime of place Nelly Melba (geb. Armstrong; 1861 Burnley, nahe Melbourne – 1931 Sydney) sowie Etelka Gerster (25 June 1855, Košice – 20 August 1920, Pontecchio), Julia Culp (6 October 1880 – 13 October 1970), Sigrid Onegin (June 1, 1889 – June 16, 1943), Sybil Sanderson (December 7, 1864 – May 16, 1903), Jeanne Horovitz, Miriam Licette (9 September 1885 – 11 August 1969), Esther Pallisser, Nadine Boulichoff, Ida Bayer, Amalia Stagl, Elisa Wiedemann, Carolina Smeroschi, Anna d´Angeri, Antoinette Sterling, die berühmte Gabrielle Krauss, Ilma de Murska (i. e.Ema Pukšec/ February 6, 1834 – January 14, 1889) und viele mehr. Beide Marchesi-Damen waren tüchtig…

"The Marchesi school": Emma Calvé/OBA

„The Marchesi School“: Emma Calvé/OBA

Auch von Pearl gibt es eine “Marchesi”-CD (Pearl 0067), und dazu liest man: An exceptionally interesting disc (Pearl 0067) is testimony to the remarkable legacy of the great voice teacher of the late 19th century, Mathilde Marchesi(1863-1940). Her pupils were mostly lyric sopranos, and all of them displayed the hallmarks of her teaching: evenness of tone production throughout the chest, middle, and head registers, precision of attack and intonation, and perfect trills in which both notes are given equal value (for a good example, listen to Ellen Beach Yaw singing Masse’s „Nightingale Song“). Some of her students became famous (Alda, Calvé, Eames, Kurz, Melba), others were less well known (including Mathilde’s daughter Blanche and one tenor, John Freestone). The 21 selections on the disc were well chosen to display the vocal characteristics of each of the 16 singers represented, though the acoustic horn was more congenial to some than to others. Melba’s studio recordings usually make her sound soulless, but the warmth and excitement that were reported of her performances are apparent in Mimi’s „Addio“ (from La Bohème), recorded live at her 1926 farewell concert at Covent Garden. Alda’s vibrancy and color (in Giordano’s „Sempre cosi“) and Kurz’s spectacular agility and precise placement (in Auber’s „Air and Variations“) come through with remarkable vividness. The transfers are generally good, though there are lapses of intonation on some tracks that probably come from the recording process rather than the singers. This release is important and valuable for historical performance enthusiasts and for all lovers of vocal artistry. Dazu auch ein interessanter Eintrag auf dem blog Voice talk über Garcia und Marchesi

John Freestone 1938/OBA

John Freestone 1938/OBA

Zum Autor: John Freestone (1910 – 2006) was a student of Mme Marchesi. „She was old and physically weak but her character held an almost superhuman strength….Blanche asked me to sing a scale and an arpeggio and finally an aria. She then said “ You have a voice of good quality, but your method is all wrong and the voice would soon have been ruined, but I will restore it“. A few months later she died and Freestone had to join the army. Listen to him in Grieg’s I love thee and Geehl’s for you alone record around that time. Freestone became involved in education and writing on music. He also taught voice. (Freestone/Blanche Marchesi zu hören auf youtube)

http://www.classical.net/music/recs/reviews/r/rom82017a.php

 

CD Marchesi schoolDas britische Label Symposium hat neben zahlreichen anderen historischen Veröffentlichungen dankenswerterweise auch die wichtigsten akustischen Schätze aus der legendären Sammlung Harold Wayne allgemein zugänglich gemacht. Diese editorische Großtat in insgesamt 40 Folgen war umso wichtiger, als Waynes unvergleichliche Sammlung nach seinem Tod zwar noch geschlossen verkauft wurde, nach dem Ableben des neuen Besitzers Paul Getty aber durch Auktionen in alle Winde verstreut wurde.

Die Folge 25 (Symposium 1188) widmet sich der sogenannten Marchesi-Schule, entwickelt von der gebürtigen Deutschen Mathilde Marchesi. Sie selbst war Schülerin des legendären Manuel Garcia II gewesen, Bruder der Malibran und Pauline Viardots. Typisch für diese, bis in das frühe 20. Jahrhundert sehr gebräuchliche Gesangstechnik ist der fast ausschließliche Gebrauch der Kopfstimme, der allerdings bis zur höchsten Virtuosität entwickelt wurde. Nicht zuletzt durch das Erscheinen eines neuen, große Stimmen erfordernden Repertoires auf der Opernbühne trat diese Technik mehr und mehr in den Hintergrund. In ihrer Blütezeit bedienten sich aber praktisch alle bedeutenden Sopranistinnen dieser Technik.

Die Liste der berühmten Schülerinnen Marchesis liest sich wie ein who’s who der Operngeschichte des späten 19. Und frühen 20. Jahrhunderts. Eine ihrer erfolgreichsten Schülerinnen war die eigene Tochter, Blanche Marchesi, von der auf der vorliegenden CD so gut wie sämtliche überlieferten Aufnahmen enthalten sind. Die berühmtesten Schülerinnen waren zweifellos Nellie Melba, Selma Kurz, Emma Calve , Sigrid Arnoldson und Emma Eames. Sie sind hier ebenso vertreten, wie Suzanne Adams, Frances Alda, Blanche Arral, Ada Crossley, Nina de Friede, Elizabeth Parkina, Yvonne de Treville und Ellen Beach-Yaw. Jeder dieser Titel ist eine Zeitreise, die nicht nur mit heute ungewohnter Gesangstechnik vertraut macht, sondern darüber hinaus auch teilweise vergessenes Repertoire zu Gehör bringt. Ein lohnender Ausflug!

Peter Sommeregger

 

und Foto oben: Nellie Melba gegen Luisa Tettrazini: Karikatur zum Streit der Gesangsschulen (Tetrazzini versus Melba for For the Gramophone & Typewriter Company 1904)

Wahnsinn mit Marchesi-Kadenz

Die konzertante Aufführung von Donizettis Lucia di Lammermoor aus dem Münchner Gasteig im Juli 2013 mit Diana Damrau in der Titelrolle übertrug der BR auch im TV und es ist schade, dass  Erato nicht diese Video-Aufzeichnung als DVD herausgebracht hat, sondern nur den akustischen Mitschnitt des Abends auf zwei CD. Denn die Sopranistin ist stets ein Gesamtereignis, in ihrem mimischen und gestischen Ausdruck so beredt, dass sie mühelos den Rahmen einer Aufführung auf dem Konzertpodium vergessen machen, die Szene evozieren und suggerieren kann. Sie hat die Rolle in Bilbao, an der New Yorker Met, bei deren Gastspiel in Japan und auch an der Deutschen Oper Berlin gesungen, diese war eine wichtige Vorstufe für ihre Violetta, der inzwischen internationalen Erfolgspartie der Sängerin. Für die Lucia wiederum war die Linda di Chamounix am Gran Teatre del Liceu Barcelona mit Juan Diego Flórez im Dezember 2011 die perfekte Vorbereitung – ein Beispiel für die kluge Rollenwahl und Karriereplanung der Sopranistin, die in diesem Repertoire inzwischen international als die Vorzeigekünstlerin unter den deutschen Fachvertreterinnen gilt. Wer die Fernsehübertragung gesehen hat, wird diese Interpretation schwerlich vergessen und manch gestresste Spitzentöne vielleicht gar nicht wahrgenommen haben. Und wenn – dann empfand man sie als Aufschreie einer Seele in Not. Natürlich vermittelt auch die CD noch einen starken Eindruck von diesem singulären Ereignis, zumal der Damrau exquisite Partner zur Seite standen. Joseph Calleja ist ein schmachtender Edgardo, der sich mit einer sehr intensiven Auftrittsszene einführt, die den tragischen Ausgang der Geschichte schon ahnen lässt.

Auch Damrau ist in Lucias bangen, träumerisch-introvertierten Entgegnungen schon ganz in ihrer Rolle. Beider Stimmen mischen sich ideal, und man bedauert, dass Donizetti ihnen nicht noch ein zweites Duett geschrieben hat. Aber sie singen im Sextett des 2. Aufzuges mit überwältigender Emphase und existentieller Passion, dass sie diese Nummer ganz dominieren. Von ähnlicher Verve und erhitzter Stimmung ist das Duett Edgardo mit Lucias Bruder, Lord Enrico Ashton, im Turm von Wolferag erfüllt, in dem sich beide zum Duell am nächsten Morgen verabreden. Mit dem Bariton Ludovic Tézier ist dieser Gegenspieler glänzend besetzt. Er hat sich nach vielen Partien im angestammten französischen Repertoire seit einiger Zeit erfolgreich mit den dramatischen Rollen Verdis beschäftigt und dürfte darin derzeit konkurrenzlos sein. Auch diese Figur Donizettis profitiert von seiner energisch-virilen Tongebung, wie man sie schon im Auftritt  („Cruda, funesta smania“) vernehmen kann und auch im Duett mit Lucia im 2. Akt  („Soffriva nel pianto“) hört. Damrau gestaltet diese Szene bereits als Vorwegnahme des späteren Wahnsinns mit verhangen-somnambulen Tönen. Lucias Erzieher, Raimondo, hat mit Nicolas Testé einen soliden Interpreten, der Bass mit maskulin-körnigem Timbre singt auch das oft gestrichene Duett mit Lucia im 2. Akt  („Ah! cedi, cedi“), in welchem er sie zum Wohle de Familie Ashton zur Heirat mit dem ungeliebten Lord Arturo überredet. Diesen singt David Lee mit frischem Tenor, der besonders im Sextett des 2. Aktes zur Wirkung kommt. Testé überzeugt vor allem auch in seinem Auftritt vor der Wahnsinnsszene  („Dalle stanze“), in welchem er Lucias Sinneswandlung mit beschwörenden Tönen bekannt gibt. Als Alisa, Lucias Kammerdame, gibt es ein Wiederhören mit der einst im lyrischen Sopranfach international reüssierenden Marie McLaughlin, die nun Mezzopartien singt und hier mit reifem Ton eine mütterliche Vertraute der Lucia gibt.

Jesús López-Cobos, der 1975 die Edition des Urtextes der Partitur Donizettis besorgt und sie ein Jahr später in einer Einspielung mit Montserrat Caballé erstmals in neuer Zeit vorgestellt hat, findet mit dem Münchener Opernorchester die richtigen Farben für dieses romantische Schauerdrama, leitet Lucias Wahnsinnsszene gemeinsam mit Sascha Reckert an der Glasharmonika mit gespenstisch-fahlen Tönen ein und die Sopranistin nimmt exakt diese Stimmung auf, formuliert  „Il dolce suono“ mit bang-verhangenem Klang, findet für „Ardon gli incensi“ eine Vielzahl von Nuancen und Stimmungen – beklommen, weltentrückt, verzückt, ängstlich-verschreckt, ekstatisch. Und sie singt jene Kadenz, welche Mathilde Marchesi ihrer Schülerin Nellie Melba für eine Aufführung an der Covent Garden Opera 1888 geschrieben hatte. Bei aller staunenswerten Vituosität – es gibt durchaus Extremtöne, welche die Sängerin bis an ihre Grenze führen und dies auch deutlich hören lassen. Aber als fesselndes Gesamtporträt dürfte diese bedeutende Interpretation in die Geschichte eingehen. Das letzte Wort gehört Edgardo mit der Szene an den Gräbern seiner Ahnen, wo er mit der Nachricht von Lucias Tod konfrontiert wird und sich das Leben nimmt. Calleja singt das mit bewegenden, Schmerz erfüllten Tönen und meistert auch die heikle Tessitura dieser Nummer mit ihrem entrückt-verklärten Schluss beachtlich. Das Booklet verzichtet leider auf das Libretto, bringt aber einen informativen Einführungstext von Stephen Jay-Taylor und zwei Fotos vom Konzert, in dem Diana Damrau ein Atem beraubendes schwarzes Kleid trug. Ich habe sie nie in einer spektakuläreren Robe gesehen. (Gaetano Donizetti: Lucia di Lammermoor (Damrau, Calleja, Tézier, Testé, McLaughlin, Lee; Münchener Opernchor, Münchener Opernorchester, Jesús López-Cobos) Erato 0825646219018).

Bernd Hoppe

 

Und dazu auch die Sängerin selbst:  As a soprano describing the legacy and huge debt owed to Maria Callas, it is near-impossible to avoid those often-stated clichés; impossible to avoid because every one of them is true. I first heard Callas as Rosina in a recording of Il Barbiere di Siviglia and was entranced by her employment of vocal coloration to portray the lightning-quick changes of mood and temperament that characterise Rosina. Her coquettish yet defiant ‚ma‘ in the aria Una voce poco fa is one of many examples of this. She was able to invest so much meaning into such a tiny, little word.

Like countless others, I too marveled at the video recording of Tosca with Tito Gobbi as her Scarpia; a masterclass in how minimal gesture and movement could be used to such a thrillingly powerful effect. Rather than the semaphoric, baroque acting so ubiquitous at the time, her physicalisation was so very internal and really drew the audience’s eye to her portrayal of Floria Tosca’s plight. The fact this performance still stands as a benchmark in our time demonstrates just how ahead of her own time Callas was.

One catches a glimpse of her magisterial, magnetic presence in those few performances captured forever on film. It is impossible to take your eyes off her from the moment the camera is on her as she radiates that ‚diva‘ aura, a fascinating, untouchable, unattainable personification of the divine, all united in her deeply felt incarnation of the energy of the interpreted situation and music.

Having recently performed the title role in Verdi’s La Traviata a great deal, indeed on many of the same stages Callas herself performed the piece, I have become particularly attached to her Violetta. One can hear the subtext she invests into the piece in her phrasing, pauses and rhythmic choices. Such instincts even enable her to portray an emotional weakness in the first act; this is particularly hard to do given the overt bravura of a great deal of the vocal writing. Nevertheless, it is all there. The vulnerability, the need to be loved and protected so intrinsic to Violetta.

As fans and performers, we are so, so lucky to have her recordings, but for me there will always be question marks and ‚what-ifs‘ as well. I long to hear how she would have played the fury and fire of both Tudor Elizabeths; Donizetti’s Roberto Devereux would have no doubt been seminal in its intensity and virtuosity, and one can only wish that the planned debut of the title role in Britten’sGloriana at La Scala would have gone ahead. Her naturally commanding vocal authority and stage presence would have suited both of these parts magnificently.

As both a Brünhilde and Amina, Maria Callas was indeed one-of-a-kind and will continue to be a shining beacon to everyone from the casual opera fan to prima donna for her authenticity, stage-craft and musicianship.(Warner)

 

 

Montemezzis Oper “La Nave”

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Im Jahre 2012 gab es in New York im Rose Theatre von der Opern-Compagnie  Grattacielo  (unter der langjährigen Leitung der Intendantin Duane D. Printz) eine international besonders beachtete Premiere: La Nave von Italo Montemezzi, den Opernliebhaber wenn überhaupt dann nur als den Komponisten der Dreikönigs-Oper L´amore di tre re kennen, die es relativ reichlich dokumentiert gibt (namentlich mit Virginia Zeani, aber zuletzt abenteuerlich mit Anna Moffo in den letzten Zügen ihrer Karriere). La Nave von 1918 (also dem Jahr des Endes des 1. Weltkriegs) besitzt ein kompliziertes, heute politisch fragwürdiges Libretto des berühmten italienischen Nationaldichters Gabriele D´Annunzio, das nicht nur damit endet, dass die Heldin an den Bug des die Welt/Äthiopien/die Adriatischen Gebiete erobernden Schiffes genagelt wird, sondern das ganz unverstellt den Anspruch des aufkommenden Faschismus verherrlicht – der alte D´Annunzio hatte sich wirklich zu einer Hymne auf die neue Bewegung hinreißen lassen, und Montemezzi folgte ihm darin enthusiastisch, ebenso wie auch Mascagni, Pizetti und viele andere mehr.

montemezzi75Andererseits ist  La Nave das musikalische Testament Montemezzis, stilistisch aufregend in seiner Vision einer Verblendung von Musik und Text (und was für ein literarisch unglaublicher Text!), von visonärer Kraft der Auflösung der bekannten tonalen Strukturen, von dynamisch-barbarischer Brutalität und feinstem, dicht gesponnenem musikalischem Geflecht

"La Nave": Gabriele D´Annunzio 1922/OBA

„La Nave“: Gabriele D´Annunzio 1922/OBA

Der britische Musikwissenschaftler und Autor David Chandler (zudem Professor für Englische Literatur im japanischen Koyoto) hat sich seit langem mit dem Verismo in Italien beschäftigt und gilt als der Fachmann auf diesem Gebiet. Nach seinen Büchern über Catalani stellte er für die New Yorker Aufführung des Teatro Grattacielo einen Band mit Texten zur Oper La Nave zusammen (Essays on the Montemezzi-D´Annunzio Opera La Nave), der neben einer eigenen Einschätzung der Oper auch zeitgenössische Berichte/Kritiken aus der Zeit der Premiere 1918 umfasst (Pizetti, Navarra, Barilli, Montemezzi selbst u. a.), und der neben Chandlers eigenem Text auch ein kluges Vorwort von Duane D. Printz enthält, deren unerschütterliche Beharrlichkeit schlussendlich in einer glanzvollen Aufführung in New York mündete (der sogar ein Eissturm nichts anhaben konnte). G. H.

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"La Nave": Entworf von Marusi für A1 der Uraufführung/Grattacielo

„La Nave“: Entwurf von Marusi für A1 der Uraufführung/Grattacielo

Im Folgenden also ein Artikel von David Chandler: La Nave – Italo Montemezzi’s Career-Ending Magnum Opus. Die kompositorische Laufbahn von Italo Montemezzi (1875-1952) stellt ein faszinierendes strukturelles Problem dar. Die erste Hälfte, 1896 – 1918, zeigt eine breite Aufwärtskurve von Leistung und Erfolg. Montemezzi trat 1896 in das Königliche Konservatorium in Mailand ein (Abschluss 1900); seine erste Oper, Bianca (1901), gewann den Bonetti-Preis des Konservatoriums; seine zweite, Giovanni Gallurese (1905), war ein großer Publikumserfolg und etablierte Montemezzi in der italienischen Opernszene; seine dritte, Héllera (1909), war zwar ein deutlicher künstlerischer Fortschritt gegenüber Giovanni Gallurese, aber ein unerwarteter Misserfolg; Sein viertes Werk, L’Amore dei Tre Re (1913), war ein großer internationaler Triumph und wurde von vielen amerikanischen Kritikern als die größte italienische Oper seit Verdi gefeiert. Sein fünftes Werk, La Nave (1918), war eindeutig sein bis dahin ehrgeizigstes Werk, das kurz vor Ende des Ersten Weltkriegs an der Scala Premiere hatte. So weit, so gut. Doch die zweite Hälfte von Montemezzis Karriere, 1919-52, folgt einem steilen Abstieg. In den 1920er Jahren zog Montemezzi verschiedene Opernprojekte in Betracht und gab sie wieder auf, und erstaunlicherweise schuf er überhaupt kein neues Werk. Seine nächste Oper nach La Nave war der weit weniger ehrgeizige Einakter La Notte di Zoraima (1931); danach sollte es nur noch eine weitere Oper geben, ebenfalls ein Einakter, L’Incantesimo (1943).  Bis Mitte der 1920er Jahre war Montemezzi fast ausschließlich als Komponist von  bekannt. Im Jahr 1927 verglich ihn der führende amerikanische Kritiker W. J. Henderson mit „Single Speech Hamilton“ (dem englischen Politiker William Gerard Hamilton) und nannte ihn „single opera Montemezzi“ – ein Spott, der um so bösartiger war, als dahinter ein großes Gefühl der Enttäuschung steckte.[1] Henderson hatte L’Amore dei Tre Re 1914 in Amerika als eines der großen musikalischen Ereignisse der Zeit begrüßt.

„La nave“: Entwurf für A3 von Norman Bel geddes für die Aufführung in Chicago 1919/Grattacielo

Wie ist dieser außergewöhnliche Zusammenbruch einer der vielversprechendsten musikalischen Karrieren des frühen zwanzigsten Jahrhunderts zu erklären? Dahinter steckt eine Kombination aus persönlichen und beruflichen Faktoren; meiner Meinung nach ist jedoch der relative Misserfolg von La Nave im Vergleich zu L’Amore dei Tre Re am wichtigsten. Montemezzi konnte dies nie verwinden, und es erschütterte sein Selbstvertrauen schwer. Im Gegensatz zu zeitgenössischen Komponisten wie Schönberg und De Falla, die viele Jahre an Werken arbeiteten, die sie für ihre Meisterwerke hielten, und sie unvollendet ließen, glaubte Montemezzi, sein Meisterwerk komponiert zu haben. Das Problem war nur, dass die Welt davon nicht überzeugt war. Mit der Zeit wurden seine Äußerungen in dieser Angelegenheit immer drängender und verzweifelter. Am 18. Juli 1930 schrieb er an Mussolini, nicht weniger: La Nave … ist mein Hauptwerk. / Ich bestehe darauf: mein Hauptwerk. Ich rufe es zu den Dächern, damit ich gehört werde. / Ich möchte wirklich verstanden werden, bevor ich sterbe! Ich schreie, denn nach dem Credo des Künstlers, der die Kunst unter dem Gesichtspunkt der Schönheit und nur der Schönheit betrachtet, bin ich sicher, dass ich es verdiene, dass mein Kirchenschiff in gutem Glauben betrachtet wird. / Es wurde zu einem Zeitpunkt komponiert, als alle auf die andere Seite der Adria blickten [d.h. während des Ersten Weltkriegs, als Italien hoffte, ehemalige venezianische Gebiete zurückzuerobern], mit Augen voller Tränen und Hoffnung und einem von erhabener Liebe geschwollenen Herzen. Es war mein größter Traum: Italien eine Oper zu schenken, die ausschließlich und typisch italienisch ist, die keinen Präzedenzfall hat und die ein bescheidener Beitrag eines treuen und vernarrten Künstlers sein sollte.

„La Nave“ Standfoto aus dem gleichnamigen Film mit Ida Rubinstein 1921 (An Ambrosio-Zanotta film production; Directed by Gabriellino (D’Annunzio and Mario Roncoroni; Produced by Arturo Ambrosio
Cinematography by Narciso Maffeis/ Grattacielo)

Diese Aussage ist sicherlich ein wenig verworren, und die Verwirrung ist aufschlussreich. Einerseits unterstreicht Montemezzi den rein ästhetischen Anspruch von La Nave, andererseits zögert er nicht, seine politische und nationalistische Inspiration zu erwähnen. Im folgenden Jahr ging er in Bezug auf Letzteres sogar noch weiter und empfahl La Nave als geeignete Oper für den „zehnten Jahrestag des Faschismus [1932]. … Sicherlich kann keine andere Oper besser geeignet sein als La Nave, um die Macht unserer Rasse zu verherrlichen“[ii] Darüber hinaus ist Montemezzis Beschreibung einer „rein und charakteristisch italienischen Oper“ sehr seltsam, ja sogar unaufrichtig, wenn man bedenkt, dass die italienischen Kritiker die Oper 1918 einhellig als sehr, ja sogar übermäßig wagnerianisch bezeichnet hatten: etwas, das nach dem Ersten Weltkrieg nicht sehr wohlwollend betrachtet wurde. Diese Verquickung von Kunst und Politik, von Nationalismus und internationalem Wagnerismus, hat La Nave und damit auch Montemezzis Karriere zum Scheitern gebracht.

„La Nave“ Standfoto aus dem gleichnamigen Film mit Ida Rubinstein 1921 (An Ambrosio-Zanotta film production; Directed by Gabriellino (D’Annunzio and Mario Roncoroni; Produced by Arturo Ambrosio
Cinematography by Narciso Maffeis/ Grattacielo)

Es hätte auch ganz anders kommen können. Nach L’Amore dei Tre Re schloss Montemezzi einen Vertrag mit Casa Ricordi, seinem mächtigen Verleger, über die Lieferung von zwei weiteren abendfüllenden Opern. Aus seiner Korrespondenz mit Ricordi, die im Ricordi-Archiv aufbewahrt wird, geht hervor, dass seine erste Wahl des Themas Edmond Rostands Versdrama La Princesse lointaine von 1895 war. Dies war ein Thema, auf das er jahrelang immer wieder zurückkam, und meiner Meinung nach hätte es perfekt zu ihm gepasst; es war eine unpolitische Geschichte von internationalem und romantischem Interesse, und wenn er eine solche Oper geschrieben hätte, wäre sie wahrscheinlich L’Amore dei Tre Re in das internationale Repertoire gefolgt. Aber Tito Ricordi konnte oder wollte die Rechte an Rostands Stück nicht erwerben, und Montemezzi musste sich zwangsläufig nach einem anderen Stoff umsehen. Als er im April 1914 in einem Mailänder Restaurant saß, kam ihm zum ersten Mal Gabriele D’Annunzios La Nave in den Sinn, und er las das Stück gleich noch einmal – offenbar schickte er einen Kellner los, um eine Kopie zu besorgen! In seinem frühesten Bericht an Vincenzo Bucci über das, was dann geschah, wird deutlich, dass er sich von der Schwierigkeit, ein so langes, komplexes, stark rhetorisches Stück in eine Oper zu verwandeln, überwältigt fühlte: Der Maestro schloss das Buch, geblendet von der grandiosen Vision. Was für ein Thema für einen Komponisten, was für eine Skizze, die es zu einem Meisterwerk auszufüllen galt![iii] Doch das Ausmaß des Bildes und die Größe der Tragödie, die sich kaum auf die kleinen Proportionen eines Librettos reduzieren ließ, ließen ihn ratlos zurück. Er ging nach Hause, warf das Buch auf den Tisch und schlug es eine Zeit lang nicht wieder auf[iv].

„La Nave“: Rosa Raisa im Kostüm der Basilola Chicago 1919/Grattacielo

Wahrscheinlich wäre es für Montemezzis Karriere besser gewesen, wenn er La Nave nicht wieder aufgeschlagen hätte. Aber Anfang 1915, als die Frage, ob Italien auf der Seite der Alliierten in den Ersten Weltkrieg eintreten sollte, heftig diskutiert wurde, fasste er den schicksalhaften Entschluss, dass D’Annunzios Stück von so großer Aktualität war, dass er die Oper komponieren sollte. Tito Ricordi stimmte zu und bereitete eine gekürzte Fassung des Stücks vor, die Montemezzi als Literaturoper vertonte.

In La Nave (1908) wollte D’Annunzio offenbar einen Mythos von der Gründung Venedigs schaffen, der mit dem von der Gründung Roms vergleichbar ist, in dem Romulus seinen Bruder Remus tötet. In La Nave tötet Marco Gratico seinen Bruder Sergio auf Betreiben von Basiliola, dem Vertreter der älteren Faledro-Dynastie. Am Ende verspricht er, sein Verbrechen zu sühnen, indem er mit dem „Schiff“ des Titels lossegelt, um „die Adria zu erlösen“: ein Projekt, das für das Italien des frühen 19. Jahrhunderts von großer Aktualität war und mit D’Annunzios eigener bewaffneter Eroberung von Fiume (heute Rijeka in Kroatien) im Jahr 1919 seinen Höhepunkt fand. So kurz zusammengefasst, mag die Geschichte klar genug erscheinen, aber im episodischen Verlauf des Stücks ist die Motivation der Hauptfiguren bemerkenswert unklar, und dies gilt erst recht für das gekürzte Libretto. Der amerikanische Kritiker William L. Hubbard brachte auf den Punkt, was immer ein Grundproblem bleiben wird: „“The Ship“ in Librettoform ist mehrdeutig und verwirrend. Es gibt große Löcher im Drama, die für die Köpfe von Herrn Ricordi und Herrn Montemezzi gut gefüllt sein mögen, die aber derjenige, der mit dem ursprünglichen Drama von D’Annunzio nicht vertraut ist, nicht ausgleichen kann.“[v]

„La Nave“: The composer/conductor rehearsing the cast – Montmezzi, Raisa, Dolci, Crimi, Chicago, 1919/Grattacielo

Die hilfreichste Interpretation der Handlung, die ich gefunden habe, ist die von Bucci, der, nachdem er Montemezzi zu diesem Thema interviewt hatte, die Handlung als „Kampf des Helden gegen die obskuren Kräfte, die versuchen, das heldenhafte Leben zu vereiteln“ beschreibt – wobei die „obskuren Kräfte“ vor allem Basiliolas verführerische List und das Erbe vergangener Gewalt sind[vi]. Mit dieser Hilfe ist es möglich, das meiste von dem, was in der Oper geschieht, zu verstehen, selbst mit Hubbards „großen Löchern“. Eine positive Sicht auf die eher fragmentarische Struktur liefert einer von Montemezzis wohlwollendsten Kritikern, Adriano Lualdi, der vorschlägt, dass die Oper „einer Reihe großer Fresken“ ähnelt: das heißt, einer Reihe miteinander verbundener, detaillierter „Bilder“, zwischen denen der Zuschauer imaginative Sprünge machen muss.[vii]

Montemezzi arbeitete während der Kriegsjahre an La Nave, und es ist klar, dass er von seinem Libretto stark inspiriert und überzeugt war, eine Oper von nationaler Bedeutung zu komponieren. In L’Amore dei Tre Re war er seinem Ideal eines italienischen „Musikdramas“, das von den Vorbildern Wagners lernen, sich aber nicht von ihnen überwältigen lassen sollte, schon weit näher gekommen. Dazu gehörte eine streng dramatische Behandlung der Melodie: Die Melodie führt praktisch nie ein freies Eigenleben, sondern bleibt streng an den Text und die Handlung gebunden. In La Nave setzte er dieses Verfahren fort, aber die Andersartigkeit des Textes, in dem es keine romantische Liebe gibt, sondern eher ein Reden, führte zu einer Oper, in der es viel dramatisches Rezitativ und vergleichsweise wenig reine Lyrik gibt – was die italienischen Kritiker 1918 bemängelten. Andererseits erlaubte das Thema eine Weiterentwicklung der reichen orchestralen und vokalen Polyphonie, die Montemezzi in der früheren Oper geschaffen hatte, und La Nave stellt vor allem durch die gründliche Integration eines Chorelements einen Fortschritt gegenüber L’Amore dei Tre Re dar. Im Grunde handelt es sich um die Geschichte eines Volkes; Matteo Incagliati hatte Recht, wenn er die Oper als „Choroper“ bezeichnete und das Modell von Boris Godunow heraufbeschwor.[viii] Im Allgemeinen waren sich die Kritiker über die Vorzüge und Nachteile der Oper einig, lobten Montemezzis Orchestrierung und den Einsatz des Chors und kritisierten seine Wahl des Librettos und den Mangel an Lyrik.

„La Nave“: Cover des Klavierauszugs von RicordiGrattacielo

Trotz alledem sind es die politische Botschaft und der erfolglose Versuch, die Bewegung der Geschichte einzufangen (das moderne Italien hat die Adria nie „erlöst“ und wird es vermutlich auch nie tun), sowie die Kosten für die Aufführung, die zweifellos am meisten gegen die Produktion von La Nave gesprochen haben. Nach zehn Aufführungen an der Scala im Jahr 1918 (3. November 1918, Elena Rakowska, Giulio Cirino, Edoardo Di Giovanne bzw. Edward Johnson/Tullio Serafin) wurde die Oper im darauffolgenden Jahr in Chicago (Rosa Raisa, Alessandro Dolci) mit großem internationalem Erfolg getauft. Doch hier geriet die Bühnenkarriere ins Stocken; das Scheitern des ursprünglichen Plans, die Chicagoer Produktion nach New York zu bringen, war sehr unglücklich. Eine dritte Inszenierung fand 1923 in Verona statt, eine vierte 1938 in Rom (Gina Cigna, Mario Basiola/ Tullio Serafin): Das ist der Umfang der bisherigen szenischen Aufführungen. Die Aufführungen in Verona und Rom hätten ohne die Lobbyarbeit von Montemezzi wahrscheinlich nicht stattgefunden.

Trotz dieser wenig vielversprechenden Bühnengeschichte, die in auffälligem Kontrast zu den Hunderten von Aufführungen von L’Amore dei Tre Re steht, wurde denjenigen von uns, die das Glück hatten, bei der konzertanten Wiederaufführung von La Nave durch das Teatro Grattacielo in New York im Jahr 2012 dabei zu sein, eine erstaunliche Offenbarung zuteil. Wenn Montemezzis Karriere mit diesem Werk zusammenbrach, dann zumindest auf spektakuläre Weise, und wie sehr man auch von einer alternativen Geschichte träumen mag, in der er eine erfolgreiche Princesse lointaine schrieb und weitere populäre Opern folgen ließ, La Nave bleibt ein großer Erfolg.

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