Archiv für den Monat: November 2014

Berührendes Abendrot

Ein Hauch von Hollywood weht durch das Foto auf dem Cover. Hollywood in den Dreißiger Jahren. Als die legendären Diven märchenhaft in einer Traumwelt inszeniert wurden, den Niederungen des Alltags völlig entrückt. Anna Netrebko ist in eine wallende Robe gehüllt, die Schultern frei. Der Farbton zwischen Pink und Rubin. Die lange Schleppe flattert im Wind. Die Künstlerin schreitet, schreitet durch Schnee. Die muss doch frieren, ist mein erster Gedanke. Schnee auch auf den Innenseiten des Albums, mit dem die Deutsche Grammophon die große Anhängerschar der gefeierten Sängerin im zu Ende gehenden Richard-Strauss-Jahr beglückt (479 3964). Äste im Schnee, die letzten Hagebutten im Schnee, zwei Menschen auf einer Brücke im Schnee. Dabei hat das Programm dieser CD eigentlich gar nichts mit Schnee zu tun. Es handelt sich um den Mitschnitt eines Konzerts der Staatskapelle Berlin vom August 2014 unter der Leitung von Daniel Barenboim, bei dem die Netrebko im ersten Teil die Vier letzten Lieder sang. Im zweiten Teil dann  Ein Heldenleben. Zwei Werke aus absolut schneefreier Zone. Nun gut, die hübschen Fotos waren wohl noch vorrätig aus dem letzten Winter. Sie müssen auch mal weg. Das lässt sich ja nachzuvollziehen. Schön sehen sie aus.

Auf der CD selbst geht es nicht ganz so traumhaft zu wie auf dem Titelblatt. Die Sängerin muss sich erst hineinfinden in die entrückte Stimmung dieser Lieder. Sie ist um deutliche Aussprache bemüht, hat wohl intensiv am Text gearbeitet und ist über weite Strecken ganz gut zu verstehen. Wenn sie sich denn in nächster Zeit auch im deutschen Fach umtun will – die Elsa ist selbst für Bayreuth angekündigt – muss das auch sein. Potenzial ist vorhanden. Sie steigert sich von Lied zu Lied. Es dürfte kein Zufall sein, dass sie mit Im Abendrot am meisten berühren kann. Sehr gut gelingen ihr die lyrischen, zurück genommenen Momente, die aber noch besser verbunden werden können, auch mit dem Orchester. Sie zerfallen manchmal in ihre Einzelteile. Muss die Stimme in die Tiefe hinab oder aus der Tiefe heraus, klingt sie in diesen Übergängen leicht unliebenswürdig. Es wäre ungerecht und unfair, die Sängerinnen, die mit diesen Liedern Musikgeschichte geschrieben haben, gegen die Netrebko aufmarschieren zu lassen. Wir schreiben 2014 und leben nicht irgendwo zwischen 1960 und 1975. Aber die Konkurrenz ist nun einmal da und auch auf Tonträgern verfügbar. Man kommt nicht davon los, weil sich Anna Netrebko nicht genug durch eine eigene unverwechselbare Lesart davon abheben kann.

Eine Frage stellt sich: Warum live auf CD? Ich bin der festen Überzeugung, dass die Sopranistin mit diesen Liedern im Studio viel besser aufgehoben gewesen wäre. Dort ist der Druck weniger stark, dort gibt es die Möglichkeit der Wiederholung, der Korrektur. Die besten Aufnahmen, die ich kenne, sind im Studio entstanden. Selbst Elisabeth Schwarzkopf, die zwei Studioeinspielungen hinterlassen hat, die noch immer Referenzcharakter haben, war mit den Vier letzten Liedern im Konzert weniger überzeugend. Ich hätte es der Netrebko gegönnt, dass sie mit ihrer Aufnahme besser abgeschnitten hätte. Das Zeug dazu hat sie. Nun ist sie eine unter sehr vielen. Eben.

Die geballte Wucht des großen Orchesters nach dem intimen Einstieg halte ich nicht für die allerglücklichste Wahl. Nun ja, Barenboim will auch glänzen, und das tut er. Sein Heldenleben ist rauschhaft und verschwenderisch. Die Knöpfe für die Lautstärke dürfen ruhig etwas weiter aufgedreht werden, sonst wirkt diese Musik nicht. Aber es gibt auch hier wunderbare leise Momente der Einkehr, die besonders Wolfram Brandl mit der Solovioline zu verdanken sind.

Rüdiger Winter

Vergessen, bewahrt und wiederentdeckt

Bei Thorofon ist eine 2-CD-Box erschienen (Nachtreise und Theurerdank), in der die Solisten Rebecca Brobeck, Martin Schmidt und Rainer Maria Klaas am Klavier vom pianiopianissimo-musiktheater Lieder, Gesänge, Szenen und Klavierwerke von Ludwig Thuille aufgenommen haben; darunter „Lieder und Gesänge aus dem Nachlass“ in einer Uraufführung, Szenen aus Theuerdank (Klavierwerke aus dem Nachlass, dto), Viariationen für Piano solo und Trois Nocturnes für Klavier – eine sehr umfängliche Dokumentation, die durch den Einschluss von Stimmen und Soloklavier sehr anschaulich die interessante Bandbreite des jungen Komponisten verdeutlicht. Peter P. Pachl, wieder einmal  spiritus rector für einen unbekannten Komponisten der Jahrhundertwende, spricht in seinen, die einzelnen Stücke begleitenden Kommentaren über die Nähe Thuilles auch zu Schumann, zum Impressionismus und über das Verhältnis zur Dichtergeneration Eichendorffs wie auch der Gegenwart, also Bierbaum oder Remers, von denen sich Thuille inspiriert sah. Eine lohnende Entdeckung! Nun wartet man auf eine Neueinspielung der Thuille-Oper Lobethanz, die es bislang nur in dem alten österreichischen Mitschnitt von 1961 (immerhin mit Fehenberger) gibt, der aber m. W. bislang nicht offiziell herausgekommen ist. G. H.

LudwigThuille/Ludwig Thuille Gesellschaft

LudwigThuille/Ludwig Thuille Gesellschaft

Den nachstehenden Text von Peter P. Pachl entnahmen wir dem Booklet zur Doppel-CD-Ausgabe bei Thorofon (CTH26162): In der Oper pflegt man gerne Alles mit Allem zu belegen und so Beweise zu führen, dass etwa eine Oper mit komplizierter, schwer verständlicher Handlung, keine Überlebenschan­ce hätte (ebenso oft zitierter Gegenbeweis: Giuseppe Verdis II Trovatore), dass ein Minimum an Handlung dem Erfolg ebenso im Weg stünde wie eine kunstvolle Sprache (Gegenbeweis: Richard Wagners Tristan und Isolde), dass Humor in der deutschen Oper nicht machbar sei (Gegenbeweis: der aller­dings durch die politische Großlage ins Hintertreffen geratene Barbier von Bagdad von Peter Cornelius oder die spät wieder­entdeckte komischste Oper in deutscher Sprache, Anton Urspruchs Das Unmög­lichste von Allem) oder dass Melodien­reichtum kein Garant für ein Machwerk sei (so Heinz-Klaus Metzger über Wolfgang Amadeus Mozarts Zauberflöte).

Überlegene Beweisführer stellten auch fol­gende Behauptungen auf: Ein abgeschla­gener Kopf eines christlichen Propheten sei weniger anstößig als der eines islamischen Propheten (Jochanaan in Strauss‘ Salome und Mohamed in Hans Neuenfels‘ Insze­nierung von Mozarts Idomeneo an der Deutschen Oper Berlin) oder der Auftritt eines namentlich nicht näher benannten, also prototypisch gemeinten Juden sei antisemi­tischer als der Auftritt von deren fünf, sich um ihre Religionsauslegung streitenden und keifenden Juden (der alte Jude in Thuilles Heiligenschein im Gegensatz zum Juden- Quintett in Strauss‘ Salome).

Peter P. Pachl, Regisseur, Journalist und Musikwissenschaftler/HeiB

Peter P. Pachl, Regisseur, Journalist und Musikwissenschaftler/HeiB

Umgekehrt hat die Beweisführung, das Tristan-Motiv stamme nicht von Richard Wagner, ebenso wenig zu einer größeren Popularität von Franz Liszt beigetragen wie das Auffinden von Zwölftonreihen vor der Erfindung durch Arnold Schönberg. Auch die korrekte Erkenntnis, wie viel Richard Wagner thematisch von seinem Freund Peter Corne­lius übernommen hat, zeitigte aufführungs­geschichtlich keine Folgen.

Die Parallele zwischen Ludwig Thuille (1861 – 1907) und Peter Cornelius (1824 – 1874) auf der einen Seite, Richard Wagner und Richard Strauss (1864 – 1949) auf der anderen Seite, drängt sich auf. Schließlich hat Thuille Cornelius sehr geschätzt und den Klavier­auszug zu dessen Oper Der Cid angefertigt. Beide waren Wegbereiter für ihre Freunde und trugen mit eigenen Einfällen zu deren Ruhm bei, beider wichtigstes Werk blieb zu Lebzeiten unterschätzt und beider letztes Bühnenwerk blieb Fragment.

Was Richard Strauss angeht, sei auf den Gebrauch der Hilfestellung durch Thuille hin­gewiesen und dessen Rücksicht, die etwa so weit reichte, eines seiner Lieder, das meh­rere Jahre vor Strauss‘ Tod und Verklärung exakt dessen ungewöhnliche Harmoniefolge vorwegnahm, unveröffentlicht zu lassen. Peter P. Pachl

 

 

Glorioser Gesang und ein bewegender Film

Der legendäre Spielfilm Interrupted Melody über das Leben und Leiden der großen Wagner- und Opernsängerin Marjorie Lawrence, die an Polio erkrankte und die im letzten Teil ihrer glanzvollen Karriere sich nur sitzend auf der Bühne zeigte, war Fans natürlich immer ein Begriff, weil nicht nur die betörende Hollywood-Actrice Eleanor Parker und der smarte Glenn Ford diesen Cinemascope-Streifen zu einem bewegenden Musikerschicksal gestalten, sondern weil hier die ganz junge Eileen Farrell den Soundtrack für die Parker singt und dabei sich absolut umwerfend durch das Opern-Repertoire von Carmen bis Tristan arbeitet, unverkennbar sie und glanzvoll.

„Interrupted Melody“ Parker als Lawrence/Isolde/Screenshot

„Interrupted Melody“ Parker als Lawrence/Isolde/Screenshot/youtube

Unterbrochene Melodie  (so der deutsche Filmtitel) ist ein biographischer Film aus dem Jahr 1955 über den Kampf der australischen Opernsängerin Marjorie Lawrence mit Kinderlähmung. Die Regie führte Curtis Bernhardt, die Hauptrollen spielten Glenn Ford, Eleanor Parker und Roger Moore. Der Traum der Australierin Marjorie Lawrence ist es, eine große Opernsängerin zu werden. Um diesen Traum zu verwirklichen, geht sie nach Paris und studiert Gesang. Dort wird sie nach einem grandiosen Auftritt entdeckt und steigt an der Metropolitan Opera in New York City zu einem Weltstar auf. Schon bald aber erkrankt sie schwer an Kinderlähmung und muss fortan im Rollstuhl sitzen. Doch durch den Zuspruch, den sie durch ihren Mann und ihre Verwandten erfährt, verliert sie die Hoffnung nicht und startet eine zweite Karriere. Der Film basiert auf der 1949 erschienenen Autobiografie Interrupted Melody von Marjorie Lawrence. Als die Verfilmung im Gespräch war, kündigte sie der Presse an, den Gesangspart übernehmen zu wollen, stattdessen wurde aber Eileen Farrell für die Gesangsszenen engagiert. Lawrence kritisierte den Film später als „unwahr“ gegenüber ihrem Leben. Der Film spielte an den US-Kinokassen ungefähr 1,8 Millionen Dollar ein.

lf2Der Soundtrack mit Eileen Farrell wurde am 20. September 1955 bei MGM veröffentlicht und enthält folgende Stücke: 1. Walzer der Musette (aus La Bohème), 2. Habanéra (aus Carmen), 3. Finale Act 1 (aus Il Trovatore), 4. „One Fine Day” (aus Madama Butterfly), 5. Séguidilla (aus Carmen), 6. Inmolation Scene (aus Götterdämmerung), 7. “My Heart At the Sweet Voice” (aus Samson et Dalila), 8. “Over the Rainbow” (aus The Wizard of Oz), 9. “Voi che sapete“ (aus Le Nozze di Figaro), 10. Medley: “Anchors Aweigh“, 11. Auszüge aus Tristan und Isolde). Der Film sammelte zahlreiche Preise und Oscars ein: Oscarverleihung 1956 für Oscar/Bestes Originaldrehbuch (William Ludwig), Oscar/Beste Hauptdarstellerin (Eleanor Parker), Oscar/Bestes Kostümdesign (Helen Rose). (Wikipedia)

interr mel franzEine Würdigung des Films erschien (neben vielen anderen) von der bedeutenden Filmkritikerin, Journalistin und Autorin Laura Wagner in den USA, die wir mit freundlicher Genehmigung von www.classicimages.com und dem Chefredakteur Bob King „nachdrucken“ – wir danken sehr!

Nun also der Artikel von Laura Wagner zu Interrupted Melody: The Subject – Marjorie Lawrence was born in Victoria, Australia, on February 17, 1907, the daughter of farmer William Lawrence and Elizabeth Smith. Her vocalizing started early, and against the wishes of her father (her mother died when she was two), Marjorie ran away from home to pursue singing lessons in Melbourne. Her professional debut occurred in Monte Carlo playing Elisabeth inTannhäuser. She was an instant success. Afterwards, she appeared at the Paris Opera from 1933-38, and critics began hailing her as one of the great sopranos. She made her Metropolitan Opera debut in 1935 and was famous for riding her horse into the flames on stage in the finale of the opera Götterdämmerung.

MPW-29484As a dramatic soprano and opera presence, Marjorie Lawrence had few equals, which the New York Times readily agreed, adding in 1935, “Her voice is a fine organ of great range and mettle.” With her popularity at its peak in 1941, she suffered a devastating blow to her personal and professional lives when she was stricken with polio just three months after her marriage to Dr. Thomas King. Lawrence managed to make a comeback, with the help of her husband, in 1942, singing at a concert at Town Hall. Although she made occasional singing engagements, however, Lawrence was never fully able to continue with a full-time opera schedule. But she carried on in great style. During World War II, she made a valiant tour for the troops, traveling 50,000 miles in the South Pacific, as well as entertaining in Europe – in her wheelchair. The 1960s onward saw her turning to teaching at various colleges, penning a book of poems (High on a Hilltop), hosting TV and radio shows, as well as participating in opera workshops near her home in Arkansas, which is where she passed away on January 13, 1979.

"Interrupted Melody": Eleanor Parker/Pressefoto MGM

„Interrupted Melody“: Eleanor Parker/Pressefoto MGM

The Actress: The actress given the challenging role of Marjorie Lawrence in Interrupted Melody was the extremely versatile Eleanor Parker. She was born on June 26, 1922, in Cedarville, Ohio, and, like Lawrence, her interest in acting was planted at a young age. Eleanor was put under contract to Warner Bros. in 1941, and gradually became a star in The Very Thought of You (1944) and Pride of the Marines (1945). She proved her versatility and dedication to her craft in a variety of roles for Warners, in such films as Of Human Bondage(1946), The Voice of the Turtle (1947) and Caged (1950). She found her way to MGM in 1952, and while other actresses were finding it hard to obtain suitable roles in the ‘50s, Eleanor had no trouble acquiring major parts because of her flexibility as an actress. Besides Interrupted Melody, Eleanor did other fine work for both MGM and other studios on loan-out: Scaramouche (1952), The Man with the Golden Arm (1955) and Lizzie (1957). She was nominated for the Oscar three times: Caged (1950),Detective Story (1951) and for her part here in Interrupted Melody(1955). Later roles were geared more toward foreign and television productions. Parker remained active on TV and the stage until her retirement after Dead on the Money (1991), a cable film.

"Interrupted Melody": Marjorie Lawrence/OBA

„Interrupted Melody“: Marjorie Lawrence/OBA

The Singer: One of the very best opera singers in recent recall, Eileen Farrell was called on to voice double Eleanor Parker, not even requesting screen credit for her very important contribution to the film. Eileen was born on February 13, 1920, in Willimantic, Connecticut. After high school, this fine soprano went to New York and tried out for Major Bowes’ amateur show, and failed; but, as one critic later noted, this was “perhaps because she could never be an amateur.” She bounced back and landed her first radio program in 1940 and her own show in 1942. She followed that with appearances on such shows as the popular The Prudential Family Hour. Singer Jack Smith, who also performed on this music show, marveled, “Eileen could sing ‘I Got a Right to Sing the Blues’ as well as she could sing a German round.” Her vocal diversity was well known: She recorded Irish songs, Broadway tunes, and pop songs, in addition to her opera repertoire. Concert singing started late for Miss Farrell, making her debut in 1947. She didn’t sing in an actual opera house until 1956, and she made her long overdue debut at The Met in 1960. Described by The New Yorker as “The finest dramatic soprano before the public,” theNew York Times went on to enthuse, “She can float long-breathed phrases of matchless quality, and she can vary her tone from fine-hued softness to a sumptuous fullness,” which could well speak for her work in Interrupted Melody.

"Interrupted Melody": Eileen Farrell/Foto CBS/OBA

„Interrupted Melody“: Eileen Farrell/Foto CBS/OBA

Eileen recorded for Columbia records, doing both opera selections and pop standards. She continued to sing into the ‘90s on the Audiophile label, being one of the select opera singers to record jazz. Farrell happily retired in the late 1990s and wrote her autobiography (Can’t Help Singing). She passed away on March 23, 2002, at the age of 82.

The Film: Metro-Goldywn-Mayer bought the screen rights to Marjorie Lawrence’s book in 1952 and planned to star an unlikely Lana Turner. Greer Garson was then approached for the lead, and when that deal fell through, it was reported that singer Kathryn Grayson was in the running. In a later interview, Grayson explained that she did not get the role because Lawrence herself thought Grayson “too pretty,” which seems ludicrous. Although Grayson was a good singer and a presentable actress, she was never in the same league as Eileen Farrell or Eleanor Parker.

"Interrupted Melody": Szene/Screenshot

„Interrupted Melody“: Szene/Screenshot

Eleanor Parker was given the lead when she confronted producer Jack Cummings in his office. Cummings, according to columnist Sheilah Graham in Photoplay (August 1955), “was stuck for a leading lady, but he just couldn’t see Eleanor in the part of a prima donna because off-screen, Eleanor is quiet, conservative, and a devoted wife and mother to her three youngsters. But Cummings didn’t reckon with the determination of a woman who was after something she wanted – and Eleanor wanted to play Marj on the screen.“ Cummings was sitting behind his studio desk, slowly going over the list of possible candidates for the role when his door burst open, and in rushed a flamed-haired bunch of fury. He had to look twice before he even recognized Eleanor. She took the offensive and accused him of disliking her, said if she played the Lawrence role she would do thus and thus and then proceeded to show him. She exploded into a dramatic firecracker that would have done justice to Bernhardt. Infuriated by Ellie’s attack, Cummings replied that if she played the part she would do as he told her. Then he suddenly realized she had deliberately tricked him into seeing how temperamental she really could be when she set her mind to it.”

"Interrupted Melody": Szene/Screenshot

„Interrupted Melody“: Szene/Screenshot

It’s highly doubtful this scenario actually place, but it made excellent copy. However she got the part, Eleanor was in for a grueling study period to prepare for the role. The part was much more than just learning dialogue. She had to learn the musical arias, which were in different languages. “I had to be letter-perfect because while I didn’t actually sing the songs … the movement of my lips in forming the words had to ‘sync’ exactly with those of the great soprano’s as they came off the soundtrack. I learned three operas in three languages during two weeks.” Eleanor talked about how she accomplished the learning of the opera arias in another fan magazine interview: “I don’t have an opera voice, and I don’t speak all those foreign languages – what a challenge. I secluded myself in a mountain cabin at Lake Arrowhead [California] for ten days and listened to records day and night, learning 22 arias. For good measure, I had six lessons from MGM’s voice coach to help me with my lip synchronization.”

"Interrupted Melody": Szene/Screenshot

„Interrupted Melody“: Szene/Screenshot

For Photoplay, Eleanor revealed the off-camera motivation the role provoked: “I drove to work in the morning with the score propped up on the steering wheel of my car, and I woke up at night to find I’d been repeating the songs in my sleep.” Such dedication finally took its toll when she collapsed on the set and was rushed to the hospital suffering from exhaustion. Her faithfulness to her role paid off, with one reviewer raving, “She has mastered the mannerisms of her operatic roles so meticulously that it always seems that she is doing the singing.” Higher praise came from the singer herself, Eileen Farrell, who told me in 1998, “I remember the first time I saw the movie; I was out at MGM and they played it in a small studio for me. It never dawned on me once that it was me singing. Never once!”

"Interrupted Melody": Szene/Screenshot

„Interrupted Melody“: Szene/Screenshot

Farrell remembered the first time she met Eleanor. “She was making Many Rivers to Cross [1955] at the time I was doing the soundtrack. Every once in awhile she would appear in the control room, and she’d watch me and then she would have to leave because she’d have to go back to the other set. Later, she told me she almost had a nervous breakdown learning the whole damn thing because she had to learn the songs by playing my records. They put everything on records for her; when it was time for her to breathe, there would be a beep on the record so she knew that’s when she could breathe. But, she had to learn all those words, and she can’t sing a note. She was so damn smart. I think she’s a marvelous actress and a wonderful person. She worked very, very hard, but she learned every one of those [arias].”

lm22daomnshsn7xsnu97jk7403k7ty7gw7q6l4fkxkjz943k09oqa70eem7cflvml9ipifpcyyxo1awa-w370Initially, Marjorie Lawrence wanted to record the songs for the movie herself, but physically she was unable to do so at that point. “Jack [Cummings] had told me that Marjorie Lawrence wanted to do the singing, so they did one whole recording of the whole movie, and he said it was terrible,” Farrell revealed. “She said she wanted to do it with another conductor, so they did another whole recording. He said it was just as bad.” Screenwriter William Ludwig explained to author Doug McClelland in 1988 the behind-the-scenes vocal dubbing drama: “Marjorie Lawrence was supposed to do the singing … but the abdominal muscles were gone, and the repertoire too grueling. MGM approached Eileen Farrell, who was married to a New York City policeman and had refused to join the Met because she didn’t want to leave her husband and children. She agreed to do the singing for Eleanor Parker as Marjorie Lawrence on the condition that she get no publicity, because Lawrence was planning some concert tours and Eileen didn’t want to hurt Lawrence’s business by letting it be known that she wasn’t able to sing for her own life story. It was one of the most unselfish things I’ve ever seen in this business. Later, Lawrence herself spilled the beans when she sued MGM over not being allowed to sing in the film.”

"Interrupted Melody": Eileen Farrells Anteil am Film kam als LP bei MGM heraus

„Interrupted Melody“: Eileen Farrells Anteil am Film kam als LP bei MGM heraus

Lawrence was indignant and refused to believe she was incapable of doing the movie. Continued Farrell, “They told her that she couldn’t do the soundtrack, and she got very annoyed and very mad. At this point in her life she was into Jesus, and she told them, ‘If you do this without me, God will punish you!’ It was not [written] down in the contract that she had to do the soundtrack, so that’s why Jack [Cummings] waited for me. Jack had asked me to do [the movie] a long time before, but I was having my second child, and I couldn’t do it [then].” (Eileen was personal friends with Cummings’ wife and observed that the producer “was a lovely man, very quiet; a very gentlemanly-like person.”)

51Xy7tPbRCL._SL500_AA280_Recalling the recording session of the soundtrack, Eileen remembered, “I was supposed to be [at MGM] for three weeks, but I did the whole thing in one week. There were things that I knew, and when you know them, you know them. Out there at MGM they were used to splicing the tapes, putting them together for the voices, but they didn’t have to do that for me. So. I got through very early.” The recordings were supervised and conducted by Walter Du Cloux. Eileen recalls: “I’d known him a long time because I worked with him before. He was originally a ballet conductor, and we were good friends.”

"Interrupted Melody": Szene/Screenshot

„Interrupted Melody“: Szene/Screenshot

The songs featured in the movie were diverse, to say the least. In addition to “My Heart at Thy Sweet Voice” (from Saint-Saens’Samson and Delilah), “Musetta’s Waltz” (from La Bohème), “One Fine Day” (from Madame Butterfly), the “Habanera” and “Seguidilla” (from Bizet’s Carmen), and “The Finale to Act I” (from Verdi’s Il trovatore), Farrell gets to show her vocal mettle and diversity by doing “Annie Laurie,” “Over the Rainbow,” “Waltzing Matilda,” “Anchors Aweigh,” and “Don’t Sit Under the Apple Tree.” For sheer variety, Eileen Farrell gives one of the greatest vocal performances in film musical history. It is a shame that it has been overlooked by film historians as such. It is also regretful that Interrupted Melodyis Farrell’s only film. “I don’t believe [Marjorie Lawrence] sang all those roles [in her career],” remarked Farrell. “Anyone in their right mind would not singCarmen, would not sing Wagner, La bohème. Those are all different kinds of voices. She was a dramatic soprano, and here she’s singingLa bohème, which is for a lyric soprano. I don’t believe she sang all those, but who am I to know? Just because I can do it!” she added with a wry laugh. (…)

"Interrupted Melody": Eileen farrell/OBA

„Interrupted Melody“: die junge Eileen Farrell am Beginn der Karrierel/OBA

It was truly a sin that MGM failed to promote Parker’s Oscar nomination, and Anna Magnani won for The Rose Tattoo. William Ludwig noted, “I still believe that what helped our screenplay earn an Academy Award was the quality and substance which she gave to the starring role.” Besides the win for screenplay, Interrupted Melody received a nom for Helen Rose for her fabulous costumes, the most memorable being the beaded bikini for the Samson and Delilah number. William Tuttle did astonishing work on the make-up for Eleanor’s opera roles, especially his artistry in making her look like Carmen and Delilah. Interrupted Melody may be underappreciated today, but it has all the elements of a classic. This treasure of a film has never become dated; it’s as fresh and vibrant today as it was in 1955. Marjorie Lawrence may be somewhat forgotten today, but her inspiring film demands a reappraisal. Its melody, and memory, lingers on.

 

"Interrupted Melody": Laura Wagner/Three wise Girls

„Interrupted Melody“: Laura Wagner/Three wise Girls

Und das findet sich über die Autorin: Laura Wagner is resident film critic for Classic Images, the celebrated and iconic tome that is everything classic films. An avid movie watcher from her youngest years, Laura would take notes on movies—titles, actors, dates, other details. She had a notebook, she says, and each time she re-watched a movie, and she did that a lot, she’d review what she’d written, and mark off that she’d seen a movie again. During school lunch, every day, she’d read movie books. At home, once she’d done her homework, she’d read more movie books … and at quite a young age, she started to CORRECT some of the mis-information in some of these movie books. So begins the story of someone who’s lived and breathed movies most of her life. There’s virtually nothing Laura Wagner can’t recall about a movie. So it was that when she began reviewing movies for classic images years ago, she became quite the sensation in classic movie fandom. She also reviews books on the market about industry people—actors, producers, directors, collections and collectors … you name it—the wildly famous all the way down to the barely-known.

Ihr oben stehender Artikel findet sich auf diesem  Blog. Die DVD gibts u. a. bei  Amazon als preiswerten Import.

 


Mozart neu und antik

Vergleicht man Mozart-Einspielungen unterschiedlicher Jahrzehnte, oder gar durch ein halbes Jahrhundert Abstand der Aufnahmedaten getrennte Interpretationen, so lassen sich gänzlich gegenläufige Entwicklungen beobachten. Kann man bei Werktreue und editorischer Sorgfalt deutliche Fortschritte beobachten, so ist andererseits die Qualität des Mozart-Gesanges auf ein erschütterndes Allzeit-Tief gesunken. Ersteres ist mit Sicherheit den Innovationen wie das Spiel auf Originalinstrumenten der Zeit und neue Notentexteditionen auf dem Gebiet der “Alten Musik“ geschuldet, Letzteres leider kein auf Mozart beschränktes Phänomen.

1-Idomeneo (Brilliant)Eine Wiederbegegnung mit dem unverwüstlichen Idomeneo von 1956 aus Glyndebourne (als erste Gesamtaufnahme des Werkes, ehemals bei EMI, nun Brilliant 94497) ist durchaus lohnend, aber trotz John Pritchards kompetenter Leitung sind es in erster Linie die Sänger, deren Leistungen auch heute noch den Referenzcharakter dieser Einspielung ausmachen. Allen voran Sena Jurinac mit ihrem unverwechselbaren, warmen und (und gegenüber der ersten Aufnahme von 1951 bei Immortal Performances/IPCD 1015-2) gedeckterem Klang als Ilia, Léopold Simoneau als stilsicherer Idamante, Richard Lewis englisch-heroisch in der Titelrolle und die Elettra der etwas scharfzüngigen Lucille Udovick (statt Birgit Nilsson 1951 unter Busch, dessen Assistent Pritchard war). Dem entgegen steht eine gewisse Verstümmelung der Oper, verzichtet die Aufführung doch komplett auf die von Mozart als wichtiges dramaturgisches Element vorgesehene Ballettmusik. Die Besetzung des Idamante mit einem Tenor wird inzwischen nach Möglichkeit vermieden. Dazu kommt ein dumpfes Klangbild der gesamten Aufnahme. Sicher, die Einspielung ist beinahe sechzig Jahre alt, aber ein wenig hätte man schon in die Restaurierung dieses Dokuments investieren können.

Der gänzlich entgegen gesetzte Eindruck stellt sich bei der brandneuen Einspielung der Jugendoper Mitridate ein, die beim Label Signum herausgekommen ist (SIGCD 400). Das Orchestra of Classical Opera unter Ian Page folgt der neuen Mozart-Ausgabe von Bärenreiter, in Zusammenarbeit mit dem Verlag ist sie auch entstanden. Einmal mehr versetzt einen das Genie Mozarts in ungläubiges Staunen: Diese Vollblut-Oper, randvoll mit unzähligen musikalischen Einfällen und großem dramatischem Bogen ist das Werk eines Vierzehnjährigen! Gespart hat der Komponist auch nicht mit virtuosen Arien und Ensembles, und hier beginnt das Problem nicht nur dieser Aufnahme: Die aufgebotenen Sänger mühen sich redlich, den großen Herausforderungen gerecht zu werden, scheitern aber fast ausnahmslos an ihren Partien. Barry Banks in der Titelrolle bringt einen schönen, frischen Tenor für seine Rolle mit, verfügt aber leider über keinerlei Tiefe, die Stimme wirkt ab einem gewissen Punkt wie abgeschnitten. Miah Persson als Aspasia ist durchaus auf der Haben-Seite des Ensembles zu verbuchen, aber auch sie gerät immer wieder an ihre Grenzen. Sophie Bevan (Sifare) und Klara Ek (Ismene) haben schöne Momente, aber auch solche der Überforderung. Gänzlich unzureichend ist der Countertenor Lawrence Zazzo als Farnace. Er wirkt etwas hilflos verloren zwischen den Registern, vereinzelt versucht er, Töne aus dem Baritonregister einzuschmuggeln, was durchaus Eindruck machen kann – wenn man es beherrscht. Der negativen vokalen Bilanz steht ein engagiert musizierendes Ensemble unter Ian Page, der für diese Musik den richtigen „Drive“ mitbringt und ein guter Sängerbegleiter ist. Als Bonus ist der Aufnahme noch eine vierte CD mit alternativen Versionen einiger Arien beigegeben, was editorisch verdienstvoll ist, in Anbetracht der sängerischen Leistungen aber nur ein halbes Vergnügen darstellt.

Mozart a-zDas selbe Label legt auch ein von der Idee her originelles A-Z of Mozart Opera vor (SIGCD 373) . Es scheint sich um eine Art Promotion für das Projekt einer Gesamteinspielung der Mozart’schen Opern zu handeln. Dem entgegen spricht das Copyright, welches die Aufnahmen als Übernahme von Sony BMG von 2007 ausweist. Wie auch immer, die etwas wahllos zusammen geführten Ensembles und Arien mit Sängern wie Susan Gritton, Andrew Staples, Mark Stone können in den wenigsten Fällen überzeugen, auch sie illustrieren deutlich das erschreckend niedrige Niveau, auf dem Mozart heute in vielen Fällen gesungen wird, wobei auch hier die Begleitung durch das Orchestra of Classical Opera unter Ian Page auf hohem Niveau erfolgt. Lust auf komplette Opern mit solchen Besetzungen will sich nicht unbedingt einstellen.

Peter Sommeregger

 

Voll daneben

Sagen wir mal so: Wenn man kein Deutsch kann, wenn man noch nie einen Kabarett-Lied auf einen Kästner- oder Tucholsky-Text gelungen serviert gehört hat, wenn man Wienerisch und Berlinerisch nicht als notwendige stilistische Beigabe bei den bekannten Liedern Georg Kreislers, Hermann Leopoldis oder Hanns Eislers erachtet und wenn man den Sound einer Band mit steifen drums und ohne Gespür für sinnfällige Dehnung und Beschleunigung mag, wenn man eine ruinöse, scharf vibrierende Opernstimme einer sprachgewandten, verführerischen Chansonettenstimme bei Kabarett- und Operettenliedern vorzieht, dann könnte man hier vielleicht richtig sein. Man muss dann nur noch ignorieren, dass nicht alles was hier als jüdisches Kabarett vereinnahmt wird auch tatsächlich daher stammt. Oder anders gesagt: die drei 2002, 2009 und 2014 erschienenen Sammlungen Dancing on the Edge of a Volcano. Jewish Cabaret, Popular, and Political Songs 1900-1945 (Cedille CDR 90000 065, 2 CD), Jewish Cabaret in Exile (Cedille CDR 90000 110, 1 CD) und As Dreams Fall Aparts. The Golden Age of Jewish Stage and Film Music 1925-1955 (Cedille CDR 90000 151, 2 CD) sind zwar sehr bemüht, ihr musikalisch-künstlerisches Ergebnis ist jedoch alles andere als überzeugend.

As Dreams fall apartGleich zu Beginn werden sechs Lieder von Edmund Nick auf Texte von Erich Kästner präsentiert. Trotz der sehr umfangreichen englischsprachigen Booklets ist den Machern entgangen, dass diese ursprünglich der abendfüllenden Radiokantate Leben in dieser Zeit (Breslauer Rundfunk 1929) entstammen, wo sie von einem großen Orchester begleitet werden und im Zusammenhang mit einer Geschichte stehen, die als typische Gegenwartsanalyse der Weimarer Republik zu sehen ist. Die CD ist jedoch dem Thema jüdisches Exil gewidmet. Damit haben weder Kästner noch Nick etwas zu tun (beide lebten während des Dritten Reiches in Deutschland), noch die in den zwanziger Jahren entstanden Texte oder die Musiksprache Edmund Nicks. Tatsächlich ist es so: Die Einzelveröffentlichung der Lieder in einer Sammlung mit Klavierbegleitung erfolgte 1931 wegen des enormen Erfolges von Leben in dieser Zeit, das als Bühnenwerk bis zur Verbrennung der Werke Kästners durch die Nazis große Erfolge im gesamten deutschen Sprachgebiet feierte und Kästners am meisten aufgeführtes Bühnenstück war. Es ist nur ein Beispiel für die schlechte – oder sollte man sagen: zu sehr auf das Thema jüdisches Exil fokussierte – Recherche dieser mit wissenschaftlichem Anspruch daherkommenden Edition.

Lyrische Suite Leben in dieser ZeitWenn man nun übrigens hören will, wie delikat und tiefgründig, wie zeitmalerisch und präzise diese Lieder sind, wie mioralisch tiefgreifend ihre satirischen Texte wirken können, dann greife man zur wunderbaren Einspielung des gesamten Werkes von Nick/Kästners Leben in dieser Zeit, die der Dirigent Ernst Theis 2010 im Rahmen seiner RadioMusiken Edition beim Osnabrücker Label CPO vorgelegt hat (cpo 777 541-2). Der Vergleich lohnt sich wirklich, denn sofort merkt man dass Ton, Tempo und Stilistik, den die Interpreten der Cedille-CDs treffen, weit von den Ideen und dem Ansinnen dieser Musik entfernt sind. Vergleichbares lässt sich für nahezu alle Stücke der Editionen zeigen, für die ohnehin bekannten Stücke Schönbergs und Eislers, die Operetten- und Filmlieder Kálmáns, Abrahams, Korngolds oder Holländers, aber auch für die bissigen Kabarett- und Unterhaltungslieder Leopoldis oder Kreislers.

Es scheint ohnehin so, als ob es keine klare Eingrenzung bei der Auswahl der Stücke gibt. Alles was jüdische Autoren hat kommt offenbar in Betracht und wird in langen Booklet-Texten stets in einen Kontext gerückt, bei dem die Naziherrschaft (ausgesprochen oder unausgesprochen) impliziert mitschwingt – tatsächliche Entstehungshintergründe und -anlässe werden dabei ignoriert. Nehme wir zum Beispiel Paul Abrahams Operette Die Blume von Hawaii (mit Texten von u.a. Alfred Grünwald und Fritz Löhner-Beda, die beide Opfer der Nazis wurden), die 1931 in Leipzig als typisches, im Grunde ziemlich harmloses Unterhaltungsstück der Weimarer Republik auf die Bühne kam, mit großer exotische Ausstattung, Revueelementen, amerikanischen Jazzeinflüssen und einer selbstironischen Komik, wie sie allerorts zwischen München und Hamburg zu erleben war. Die Blume von Hawaii kam aber nicht als jiddische Operette oder als Anklage antijüdischer Strömungen auf die Bühne. Dennoch suggeriert die Sammlung für dieses und vergleichbare Stücke genau solche einen Kontext. – Nicht verschwiegen sei, dass neben den deutschsprachigen auch einige wenige jiddische Nummern auf den CDs zu finden sind: weniges  aus originär jiddischer Tradition wie von Mordechaj Gebirtig oder Abraham Ellstein (der übrigens Amerikaner war und keineswegs ins Exil musste, wie der CD-Titel, auf der sich sein Tif vi die Nacht befindet, vermuten ließe). Anders wie von Weill, Dessau, Milhaud, Wolpe oder Copland hingegen ist angeeignete jiddische  Musiksprache und als Kunstlied konzipiert.

Dancing on the Edge of a VolcanoMan kann fast jedes der Lieder hören, die Julia Bentley mit ihrem Reibeisen-Mezzosopran ohne Fokus und sich abenteuerlich vibratös herumirrender Intonation zum Besten gibt, um zu merken, wie daneben diese Interpretationen sind. Man muss gar nicht die anspruchsvollen beiden Ullman-Lieder (Immer inmitten oder Vor der Ewigkeit) oder die beiden Brettl-Lieder von Schönberg bemühen, auch ein Operetten-Lied von Abraham oder späte Lieder von Friedrich Holländer reichen da schon aus. Was Julia Bentley mit ihrer auch sprachlich verwaschenen Operndiva-Attitüde nicht kaputt macht, singt mit schlechtem Deutsch der Bariton Stewart Figa (ein jüdischer Kantor aus der Nähe Chicagos), der mit seinem gelegentlichen Sprechgesang stilistisch schon näher an das richtige Servieren dieser Texte herankommt. Doch sein Deutsch scheint phonetisch gelernt, da stimmen Vokaledehnungen nicht, da verwischen Silben ins Unverständliche und da fehlt vor allem der so unverzichtbare Text-Musik-Bezug, der ein hintersinniges Spiel zwischen Interpret und Hörer erlauben würde. Bei beiden Gesangsinterpreten stimmt die Stilistik nicht und mangelt es an sprachlichen Fähigkeiten, so bleiben die Darbietungen allenfalls amateurhaft. Der angemessenen Wiederbelebung dieses Repertoires dienen sie so nicht. Begleitet wird das alles von einer kleinen Formation aus einem Violinisten, einem Kontrabassisten, einem Schlagzeuger und einem Pianisten (der auch für die meist schematischen, wenig inspirierten Arrangements zuständig zu sein scheint). Auf je einer der Sammlungen gesellt sich gelegentlich noch eine Flöte bzw. ein Akkordeon dazu. Alle Interpreten sind mit der University of Chicago assoziiert und nennen sich New Budapest Orpheum Society. Auch ihnen fehlt das Rechte Gespür für Timing und Agogik, für Dynamikabstufungen oder gezielte Finessen, zu gleichmäßig, zu überraschungslos wird ein Einheitssound über nahezu alles gezogen.

Aus der Perspektive eines nicht Deutsch sprechenden Amerikaners, für den die Sache, das Bewusstsein für eine jüdische Kompositionskultur im Vordergrund steht (aber was ist schon wirklich jüdische Kompositionskultur?), mag das alles ganz anders wirken. Und nur so sind diese über fünf Stunden an Aufnahmen zu erklären. Ein Problem bleibt dabei allerdings: Die meisten der Stücke sind viel besser, als sie hier wirken können.

Moritz Schön

 

(Und ganz grundsätzlich muss man einwenden, dass Komponisten jüdischer Herkunft nicht unbedingt „jüdisch“ komponiert bzw. sich alle als – wie hier suggeriert wird – „jüdisch“ empfunden haben. Männer wie Eisler hätten sich dagegen sehr verwahrt, der noch die DDR-Staatshymne schrieb – und die DDR war nun nicht wirklich philosemitisch. Es stellt sich also hier eher auch die Frage, was ist „jüdisch“ bzw. „jüdische Musik“? Gibt es die überhaupt? Leonard Bernstein hielt eine spannende Lecture über „Das Jüdische in der Musik Gustav Mahlers“ und meinte damit die osteuropäisch-folkloristischen Elemente aus den polnisch-russischen Ghettos, deutlich merkbar und bewusst eingesetzt. Aber enthalten Cabaret-Songs der Zwanziger diese Elemente? Nichts wäre Komponisten wie Abraham oder Hollaender oder Eisler konträrer gewesen. Was also ist „jüdisch“ in und an dieser Musik? Sie werden auf diesen CDs einfach nur für einen Zweck reklamiert. So wie es diese Dreier-Edition mit ihren wirklich schrecklichen Coverillustrationen tut, erfolgt sicher gegen den Willen bzw. die Lebenseinstellung vieler der hier aufgeführten Komponisten eine doppelte Diskriminierung durch diese Eingemeindung á la Jewish Claim. Die Tatsache, dass viele dieser Musiker verfolgt, umgebracht oder vertrieben wurden heißt ja nicht, dass sie sich nicht als Deutsche und als Juden empfunden haben, auch im Exil. Und es geht hier ja nicht um Klezmer, sondern um Kunstmusik in und aus einem bestimmten europäischen, historischen Zusammenhang. G. H.)

Lachtheater als fröhliche Wissenschaft

Das Theater, vor allem das unterhaltende, durch das Lachen befreiende, hat den Literaturwissenschaftler Volker Klotz ein Gelehrtenleben lang begleitet. Sein konzises, Gattungen übergreifendes Standardwerk Das bürgerliche Lachtheater hat mehrere Neuauflagen erfahren, ebenso wie seine umfassende Untersuchung über die „Operette“, die auch für den Kenner eine wahre Fundgrube bietet. Sein jüngstes, epochengeschichtlich aufbereitetes Kompendium über die Komödie (Komödie: Etappen ihrer Geschichte von der Antike bis heute) hat ihren Ursprung in einer mehrsemestrigen Vorlesungsreihe des Autors, die er in Stuttgart gemeinsam mit Schauspielern des dortigen Staatstheaters durchgeführt hat. Das war etwas Neuartiges, denn Universität und Theater begegneten sich vorher „ähnlich schreckhaft wie Papageno und Monostatos“ (Klotz).

Wie die anderen Theaterbücher von Klotz ist auch dieses nicht für die Fachkollegen an den Universitäten, sondern für den praktischen Gebrauch, für Theatermacher und Theatergänger, geschrieben. Das heißt nicht, dass es Theoriedefizite gäbe. Einleitend wird erklärt, was die Komödie von anderen Dramenformen und von anderen literarischen Formen der Komik unterscheidet; Aristoteles, Bergson und Bachtin werden als Kronzeugen des Komik-Begriffs angerufen. Aber im Zentrum steht die Frage: Wie funktioniert Komik auf dem Theater, was wird dem öffentlichen Gelächter ausgesetzt und mit welchen Mitteln? Da gibt es Konstanten von Aristophanes über Molière bis in die Neuzeit, aber auch viele historische, geographische und gesellschaftliche Unterschiede. Jede Stückanalyse macht die politischen und sozialen Hintergründe deutlich, ordnet das Stück im Gesamtwerk des Autors ein und präzisiert das Komische – nach dem Prinzip: pars pro toto – an längeren Dialogpassagen.

Klotz ist in diesem neuen Kompendium zum ersten Mal nicht der alleinige Autor, wenn er auch mit 31 Beiträgen den Hauptteil des Buches bestreitet, von denen acht auf frühere Veröffentlichungen zurückgehen. Bereits emeritiert, war er

mit vielen Projekten gleichzeitig beschäftigt, als Produktionsdramaturg und Co-Regisseur am Theater, als Gastdozent an ausländischen Universitäten und mit dem Verfassen der Bücher über das Erzählen und über die Verskunst. Er mußte deshalb irgendwann einsehen, dass er dieses lange geplante große Buch über die Komödie alleine nicht würde zuende führen können, und suchte sich Mitstreiter, die bereit waren, sich auf sein Konzept und die Methode der Stückanalysen einzulassen. Es waren dies der Anglist Andreas Mahler, die Romanisten Wolfram Nitsch und Hanspeter Plocher sowie der Theaterkritiker und Feuilletonredakteur Roland Müller, der zugleich Koordinator und Redaktor war und die nötige Homogenität der Beiträge sicherzustellen hatte, was mir als gelungen erscheint.

Die spannende Lese-Zeitreise durch die Epochen der Gattung führt von der griechischen und römischen Komödie bis Dario Fò und Yasmina Reza. Dabei folgt das Buch nicht durchweg strikter Chronologie. Es gibt Länder-Schwerpunkte: die Elisabethanische Komödie, die Komödie im „goldenen Zeitalter“ Spaniens, die Komödie in Frankreich, die commedia dell’arte und die „Irische Komödien-Invasion“. Deutsche und Russen werden unter einem Dach als Nachzügler in der Geschichte der Gattung zusammengefaßt. Je näher wir der Neuzeit kommen, läßt sich der Gegenstand nur noch unter sehr weit gefassten thematischen Oberbegriffen subsumieren. Im Abschnitt „Farce, Satire, Melodrama“ kommen nicht nur Labiche, Feydeau und Schönthan zu Ehren, sondern auch so unterschiedliche Autoren wie Sternheim, Hofmannsthal und Rostand, dessen Cyrano de Bergerac ohne Zweifel einen Grenzfall der Gattung darstellt. Wie sich die Komödie mit der szenischen Avantgarde der jeweiligen Zeit verbindet, wird an Stücken von Molnár, Brecht, Valle-Inclán, Dürrenmatt, Fò und Tabori exemplifiziert.

Ein sehr weites Feld wird da auf 800 Seiten ausgeschritten. Als „Komödien-Führer“ dient der umfangreiche Band gleichwohl nicht. Die Vielfalt des Gegenstands, die Fülle des Materials und die Gründlichkeit der Analyse zwangen den Herausgeber zu rigoroser Auswahl, die auch Mut zur schmerzlichen Lücke zeigt. Die Kriterien waren programmatischer Natur: Unverwechselbares Eigenprofil, Einfluss auf die weitere Entwicklung der Gattung, paradigmatische Bedeutung im Werk des Autors und im heiteren Theater seiner Zeit. Reine Literaturkomödien fehlen deshalb ebenso wie schwerrmütige Seelenfarcen, etwa Schnitzlers Professor Bernhardi oder Tschechows Kirschgarten. Wir finden Kotzebues Die deutschen Kleinstädter, aber nicht Büchners Leonce und Lena, Schönthans Der Raub der Sabinerinnen“, aber nicht Hauptmanns Biberpelz und Zuckmayers Hauptmann von Köpenick.

Also: kein Buch zum Nachschlagen, sondern zum Lesen, von vorne bis hinten, und zum Mehrmals-Lesen einzelner Kapitel. Und um wirklich davon zu profitieren, sollte man sich auch noch die Zeit nehmen, die besprochenen Stücke zu lesen oder wiederzulesen. Mich begleitet dieser anregende Wälzer schon ein dreiviertel Jahr, ich habe die Lektüre zum Anlass genommen, mir einige der besprochenen Komödien erneut vorzunehmen und sie unter anderem Blickwinkel auch neu zu erkennen. Aber ich habe auch Entdeckungen gemacht. In einem Fall handelt es sich um eine Wieder-Entdeckung: die Komödie Der Ritter von der flammenden Mörserkeule des elisabethanischen Autoren-Tandems Beaumont & Fletcher habe ich vor einem halben Jahrhundert als Gymnasiast im damaligen Ulmer Behelfstheater gesehen – sie gehörte zu einem Zyklus von Stücken, die der findige Chefdramaturg Claus Bremer quasi ausgegraben hatte – und ich war damals stark beeindruckt. Roland Müllers einlässliche Beschreibung des Stücks hat mir jetzt auch Einzelheiten wieder in Erinnerung gerufen.

Drei Dramen werden hier in einem gegeben. Ein Gewürzkrämer „entert“ mit seiner Frau die Bühne, wo das Stück Der Kaufmann von London gespielt werden soll und verlangt stattdessen ein Drama, in dem ein Krämer einen Löwen mit einer Mörserkeule tötet; sein Gehilfe Ralph scheint ihm die richtige Besetzung für diese Rolle zu sein. Tatsächlich werden nun beide Stücke gleichzeitig gespielt und durch die ständigen Interventionen der Krämersleute kommt noch eine dritte Dimension ins Spiel. Diese Dramaturgie hat noch in späteren Jahrhunderten Autoren fasziniert, das prominenteste Beispiel ist Ludwig Tiecks Gestiefelter Kater. Ein Fundstück ist auch die Komödie Ulysses von Ithacia des norwegisch-dänischen Autors Ludvik Holberg, der bei uns mehr durch die ihm gewidmete Suite von Edvard Grieg bekannt ist als durch seine Bühnenwerke. Anderthalb Jahrhunderte vor Offenbachs Schöne Helena wird hier der trojanische Krieg parodistisch durch den Kakao gezogen und gleichzeitig eine durchgängige Desillusionierung des Theaterspiels betrieben. Am Ende wird Held Ulysses von den Kostümverleihern bis aufs Hemd ausgezogen. Theaterspiel ist auch ein Thema in Ferenc Molnárs (von Klotz hoch geschätzter) Komödie Spiel im Schloss, in dem sich Muster der französischen Farce à la Labiche mit Stilmitteln Pirandellos mischen. Da wird von einem findigen Autor ein Eifersuchtsdrama abgewendet, indem er ein belauschtes kompromittierendes Gespräch zur nächtlichen Probe eines Bühnendialogs umfunktioniert. In der Parlamentssatire Der verlorene Brief (1884) des rumänischen Autors Ion Luca Caragiale scheint ein Vertreter der konservativen Partei Loriots berühmte Bundestagsrede schon vorwegzunehmen.

Ekkehard Pluta

Volker Klotz – Andreas Mahler – Roland Müller – Wolfram Nitsch – Hanspeter Plocher/ Komödie: Etappen ihrer Geschichte von der Antike bis heute; 816 Seiten; S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2013; ISBN 978-3-10-039330-2

Tiefgang und Ausdruck

Es lässt sich kaum umgehen. Die Erwähnung, dass Julian Prégardien, der Sohn von Christoph Prégardiens ist, muss bei diesem Debüt-Album fallen, jedoch sofort mit der Bemerkung verbunden, dass der Sohn hier selbstbewusst einen eigenen Weg eingeschlagen hat. An die Geliebte heißt die klug zusammengestellte Lieder-CD, die Kompositionen von Beethoven, Weber, Strauss und Wolf vereint. Das große romantische Thema der Beschreibung, des Be- und Ansingens und der allegorischen Umschreibung der fernen, der nicht erreichbaren Geliebten wird hier angeschlagen – und als ein Zentralmotiv des 19. Jahrhunderts vorgestellt. Julian Prégardien ist dabei ein vorzüglicher Gestalter, ganz im Sinne einer mit vokalen Mitteln erzielten Narrativik. Denn Textvorlage und musikalische Ausgestaltung gehen in der romantischen Poesie, der all diese Kompositionen verpflichtet sind, bis hin zu Richard Strauss’ frühem Mädchenblumen-Zyklus, eine untrennbare Bindung ein. Dass dies so vorzüglich gelingt, liegt auch an Christoph Schnackertz` vorzüglich illustrierender Klavierbegleitung, die immer wieder die Leerstellen findet, um selbst zum Akteur zu werden, Perspektiven zu öffnen und Gedanken sich verzweigen zu lassen –  ohne den Sänger in den Hintergrund zu drängen.

Julian Prégardien gelingt es, die beständige lyrische Idealisierung, die in den zeittypischen Texten eingefangen ist, als wesentliches Liebeskonzepte der Romantik auszumachen, mit klarer Artikulation und stilistisch auch mal die Grenzen des Gesangsausdrucks ausreizenden Mitteln. Die Ausdruckpalette reicht von der romantischen Ironie in Carl Maria von Webers leider viel zu unbekanntem Zyklus Die vier Temperamente beim Verluste der Geliebten (1816), über die an Stimmfarben reichen, allegorischen Schilderungen der vier Blumen aus Richard Strauss’ op.22, bis hin zu der poetischen Idylle der sechs ausgewählten Mörike-Lieder Hugo Wolfs. Beethovens An die ferne Geliebte und Resignation rahmen das Programm. „Auf dem Hügel sitz ich spähend“ beginnt es und der Blick richtet sich sofort auf die Liebe zur unerreichbaren Geliebten.

Die große Qualität dieser lebendigen CD ist die Vielgestalt der stimmlichen Mittel Julian Prégardiens, die nichts vom seriösen und ehrfürchtigen Kammerton vergangener Jahrzehnte kennt. Er ist als Geschichtenerzähler, Laut- und Klangmaler so überzeugend, dass man viele der bekannten Lieder ganz neu zu hören meint. Seine Stimme  ist tenorschlau, fast spitzbübisch deklamierend, effektvoll im Ausdruck, ohne effekthascherisch zu sein und so plastisch in der vokalen Gestaltung, dass man den „Sausewind, Brausewind“ in Wolfs Lied vom Winde im Nacken zu fühlen glaubt oder den Tambour aus seiner zur Schüssel gewordenen Trommel Würste und Sauerkraut essen sieht. Ein wahrer Geniestreich ist Beethovens Resignation am Ende dieser CD, die in ihrer sich selbst vergewissernden Interpretation das romantische Liebes-Panorama der vergangenen Stunde ins rechte Licht einer großen poetischen Geste rückt – und damit den Kern der literarischen und musikalischen Romantik erfasst, die nicht die ‚Erfüllung’ sondern die beständige‚Suche’ als Kernthema eines Zeitalters der Sehnsucht ausmachte. Und so endet diese inhaltlich ebenso dichte, wie in ihren Wendungen abwechslungsreiche CD folgerichtig mit Paul Graf von Haugwitz’ Versen: „Sucht, findet nicht, lisch aus, mein Licht!“ (Myrios Classics MYR012).

john mark aisnley heliosPhilip Heseltine wurde 1894 in London geboren und fand in seinem kurzen Leben, er starb unter tragischen Umständen im Alter von 36 Jahren, öffentlich Anerkennung vor allem für seine Lieder, die er unter dem Pseudonym Peter Warlock publizierte. Dabei wurde er vor allem für seine Vertonungen von Texten des sechzehnten und siebzehnten Jahrhundert bewundert, die er mit großer Sensibilität in der Musiksprache seiner Zeit vertonte. Warlock galt als eine Autorität für die Musik des elisabethanischen Zeitalters und hat im Laufe seines Lebens über dreihundert elisabethanische und jakobinische Lautenlieder für Gesang und Klavier oder Chor bearbeitet. Neben den Texten aus dieser Zeit vertonte er jedoch auch Lyrik von W. B. Yeats und seiner Freunde Robert Nichols und Bruce Blunt. Etwa 120 Songs sind überliefert, knapp ein Drittel davon haben John Mark Ainsley und Roger Vignoles 1994 für das britische Label hyperion eingespielt. Vom frühen The wind from the West (1911) bis zur erst posthum veröffentlichten Komposition, dem relativ bekannten The Fox (1930). Auf Helios (das zu hyperion gehört) ist diese Referenzaufnahme nun erneut veröffentlicht worden.

Sänger und Pianist sind dabei ein ideales Paar, das das typisch britische Idiom dieser songs mit großer Leichtigkeit trifft und auf die hohe Qualität der Textvorlagen mit individuellen Interpretationen einzugehen versteht. Den in der Tradition seiner Vorbilder von Frederick Delius und Roger Quilter stehenden songs Warlocks begegnet Ainsleys mit seinem hellen, in allen Registern ausgeglichenen und kontrollierten Tenor mit einer Mischung aus sehnsüchtigem Ausdruck und Emphase. Klar wird dabei, dass Warlock  selbständige, hochwertige Klavierlieder geschaffen hat, die zu starker Dichte finden und stets einen poetischen Tiefgang in der musikalischen Textur haben. Ainsley findet die passenden Stimmfärbungen, um den Miniaturen eine unmittelbar präsente Atmosphäre und Ausdruckskraft zu verleihen. Die meist um existentielle Empfindungen kreisenden Themen der songs bekommen in seiner Interpretationen eine melancholische Schönheit, die sie zu mehr als beliebigen Genrebildern oder Trouvaillen machen. Zugleich gelingt es Ainsley, getragen von der präsent erzählenden, aber nie zu vordergründigen Begleitung Roger Vignoles, die songs mit einer den Hörer ansprechenden Direktheit in schlichter und unprätentiöser Ansprache zu inszenieren. Alles scheint hier auf eine unfassliche Sehnsucht hinzu drängen, die in ihren unendlichen Facetten einen Teil der Faszination dieser CD ausmacht. Ein ausgezeichneter Booklet-Text von Fred Tomlinson (leider nur auf Englisch) und die Song-Texte runden diese unbedingt empfehlenswerte Widerveröffentlichung ab (Helios CDH 55442).

Moritz Schön

 

 

Französische Rundfunkarchiv-Funde

Da scheint das Institut national de l’audiovisuel, kurz INA, dieses Mal aber besonders tief in den Archiven gesucht zu haben. So tief, dass auf der Francis Poulenc gewidmeten Doppel-CD mit Rundfunkaufnahmen in einem Fall Interpreten und Aufnahmedaten nicht überliefert und auch nicht mehr rekonstruierbar sind. Vier Uraufführungen (Stabat Mater, Sonate pour flûte et piano, La Dame de Monte Carlo und L’Histoire de Babar in der bekannten Orchesterversion von Jean Françaix) und acht bislang unveröffentlichte Aufnahmen, sowie einige Komponisteninterviews, die Poulenc als eloquenten und die Moderne klug reflektierenden Künstler zeigen, liegen damit erstmals auf Tonträger vor. Alle Dokumente sind Rundfunkmitschnitte, die zwischen 1946 und 1963 entstanden sind und in durchaus divergierender Aufnahmequalität für zwei randvolle CDs sorgen. Das nur französischsprachige Beiheft führt das, was sich an Informationen noch auffinden ließ zusammen und gibt kurze Hinweise zu den Umständen der Werk- und Aufnahme-Entstehungen.

Einige Raritäten erscheinen zum ersten Mal auf CD. Denise Duval ist als Ideal-Interpretin in einigen der melodiés zu erleben, die Poulenc für sie komponiert hat, darunter Ausschnitte aus dem wenig bekannten Zyklus La courte Paille. Rosana Carteri ist mit einem kurzen, 1962 in Versailles festgehaltenem Ausschnitt aus den Dialogues des Carmèlites (mit Poulenc als Klavierbegleiter) zu erleben. Der junge Jean-Pierre Rampal eröffnet die Kompilation mit der dreisätzigen, bis heute gut bekannten Flötensonate, deren Uraufführungsinterpret er war. Von besonderem Interesse ist sicherlich der Mitschnitt der Uraufführung des Stabat Mater unter Fritz Münch vom Juni 1951 aus Strasbourg, der zeigt wie fordernd die Musiksprache Poulencs damals war. Nicht alles gelingt, vor allem der Chor kämpft mit Intonation und rhythmischer Präzision. Ohnehin wird einem beim Hören dieser Live-Dokumente immer wieder bewusst, wie sehr Poulenc, trotz seiner eingängigen Melodieführungen und der rhythmischen Einprägsamkeit seiner Ideen, als Avantgardist wahrgenommen wurde. Diese Sammlung ist eine ideale Ergänzung zur Ende der 1990er Jahre erstmals erschienenen EMI-Edition, die es mittlerweile als preiswerte 20 CD-Box gibt. Die Atmosphäre einer ‘Neuen Musik’, die diese zeitgenössischen Aufnahmen aus den Frühphasen der jeweiligen Rezeptionsgeschichte der Werke atmet, trägt viel zum Verständnis Poulencs bei, dessen Status als ‘Klassiker der Moderne’ vor über einem halben Jahrhundert noch nicht zwingend absehbar war. (IMV 092)

danco 2 inaNach einer ersten Suzanne Danco en concert betitelten CD, die vor allem die Breite ihres Repertoires zeigte, ist nun in der Reihe INA, mémoire vive eine weitere Hommage an die belgische Sängerin erschienen, die sie mit drei zentralen Werken des französischen Repertoires des 20. Jahrhunderts im Zusammenspiel mit dem Orchester präsentiert: Suzanne Danco 2. Eric Saties neo-klassizistisches, etwas verkopftes drame symphonique Socrate (Rom, 5. April 1954 unter der musikalischen Leitung von Darius Milhaud), über eine halbe Stunde Ausschnitte aus Debussys Pelléas et Mélisande in einer der zahlreichen Inghelbrecht-Aufnahmen (hier der frühe Rundfunkmitschnitt aus dem Théâtre des Champs-Élysées vom 29. April 1952) und Ravels Shéhérazade (aus Aix vom 24. Juli 1950 unter Charles Munch). Livemitschnitte, durch den französischen und italienischen Rundfunk überliefert, die vor allem die interpretatorischen Qualitäten der Sängerin zeigen. Sie konnte mit ihrem warmen, individuellen Timbre, dem leichten Vibrato und dem sicheren Tiefenregister, eine bewusste Gestaltung zwischen nüchterner, fast neutraler Darstellung (Satie), leidenschaftlicher, expressiver Aufladung (Debussy) und schlanker Zurückgenommenheit (Ravel) anbieten, ohne dabei artifiziell zu wirken oder ein gewisses poetisches Momentum zu verlieren. Die Diktion ist exemplarisch, die Lesarten haben – nicht nur im Falle ihrer Paraderolle, der mehrmals aufgenommenen Mélisande, – Referenzcharakter. Das Beiheft zur Edition, dieses Mal mit englischer Übersetzung, berichtet sehr anschaulich von den Aufnahmeumständen und Suzanne  Dancos Bezügen zu den Werken (IMV059).

Moritz Schön

Helden aus dem Schattenreich

Nach einem Ausflug zur DG ist Nathalie Stutzmann wieder zu ihrer angestammten Firma Erato/Warner Classics zurückgekehrt und hat dort ein Album mit Händel-Arien (08256 4623177 5) herausgebracht, das sie Heroes from the Shadows nennt und dabei erneut in Personalunion als Sängerin und Dirigentin wirkt. Mit den „Helden aus dem Schatten“ (eigentlich: im Schatten) meint sie die Figuren in den Opern des Komponisten, die in der zweiten Reihe stehen, im Schatten der Titelhelden, und dennoch wunderbare Stücke zu singen haben. Gleich der erste vokale Beitrag mit dem intriganten Polinesso aus Ariodante scheint ein treffliches Beispiel dafür zu sein. „Dover, giustizia“ ist für alle Altistinnen mit profunder, satter Tiefe und resoluter Attacke eine beliebte Nummer. Die französische Altistin nutzt sie, ihre maskulin-strenge Stimme von rauher Textur auszustellen. Deutlich bemüht klingt sie bei einigen ertrotzten Spitzennoten. Recht unterschiedlich ist das Klangbild mit sehr präsenten Passagen, aber auch dumpfen und verschwommenen.

In Amadigi di Gaula klagt Dardano in der Arie „Pena tiranna“ über die unglückliche Liebe zu Oriana, der Verlobten seines besten Freundes. In dieser melancholisch-schmerzlichen Sarabande hört man von der Solistin ernstes Pathos und einen sich expressiv steigernden Klagegesang. Ein starker Kontrast dazu ist Cleones furioses „Sarò qual vento“ aus Alessandro, das mit den Metaphern von Sturm und Feuersbrunst enorme Wirkung erzeugt. Von aufgewühlten Orchesterwogen eingeleitet und durchgängig von Affekten gleich Peitschenhieben begleitet, zeigt das Stück mit seinen Koloraturläufen die Kompetenz der Sängerin hinsichtlich der virtuosen Anforderungen. Nur der heulende Klang der Stimme in der Höhe stört. In der komischen Oper Serse sorgt Arsamene für ernste Momente, wenn er seine geliebte Romilda dem tyrannischen Bruder Serse überlassen soll. „Non so se sia la speme“ ist eine sehr innige Arie von introvertiertem Duktus, man hört sie in schöner Schlichtheit.

Eine würdevolle, tragische Figur ist Zenobia, Gattin des Titelhelden Radamisto, die sich im dramatisch eingeleiteten „Son contenta di morire“ zu sterben bereit erklärt, um den von König Tiridate erklärten Krieg zu verhindern. Die Arie zeigt sie in einer existentiellen Situation, und die Sängerin formt das auf packende, spannende Weise. Insgesamt gehört dieser Titel zu den gelungensten der Auswahl. Ähnlich erfleht auch Irene (Tamerlano) in „Par che mi nasca in seno“ Hoffnung und Liebe. Die Arie in ihrem wiegenden Melos und sanftem Charakter zeigt Stutzmanns Alt von seiner besten Seite mit schmeichelnden Momenten. Ein getragenes Lamento ist Ottones „Voi che udite“ aus Agrippina, in dem Stutzmann zu berührenden Tönen findet, gelegentlich aber auch solche von bohrender Intensität hören lässt. Aus Giulio Cesare wurden zwei Szenen ausgewählt – Cornelias vom Willen nach Rache erfülltes „L’aure che spira“ in geradezu wilder Energie und ihr wunderbares Duett mit Sesto, als der Philippe Jaroussky mitwirkt und mit seinem zärtlich-keuschen Ton für einen besonders berührenden Moment sorgt. Erstaunlich, wie die Altistin hier ihre Stimme verschlankt, sie zurückzunehmen und mit der des Countertenors zu einem homogenen Klang zu verbinden weiß. Der Athener Jüngling Alceste schildert in „Son qual stanco pellegrino“ aus Arianna in Creta seine Situation einer unerwiderten Liebe – ein sehr intimes, vom Cello piccolo begleitetes Stück, das in der Stimmung dem vorangegangenen Duett ähnelt.

Der Bertarido in Rodelinda wurde für Senesino geschrieben; seine Arie „Se fiera belva“ ist erfüllt von der Zuversicht, bald wieder mit seiner geliebten Frau vereint zu sein. Von straffem Rhythmus und männlicher Energie widerspiegelt sie die gespannte Erwartungshaltung des jungen Helden. Eine selten aufgeführte Oper ist Silla (von 1713), aus der die Arie des Claudio, „Senti, bell’idol mio“, erklingt – ein von der Solotheorbe begleitetes, introvertiertes Stück, in welchem Stutzmann ihren Alt sanft und delikat einsetzt. Ganz das Gegenteil mit opulenter Orchesterbegleitung ist Rosmiras „Io seguo sol fiero“ aus Partenope, die ihren treulosen Geliebten bestrafen will. Hier hat die Solistin Gelegenheit für bravourös verzierten Gesang und witzige Horn-Imitationen.

Mit ihrem Kammerorchester Orfeo 55, das sie 2009 gründete, begleitet sich Nathalie Stutzmann bei ihren Gesangsnummern und bringt darüber hinaus einige Ouvertüren aus Händel-Opern sowie den Ballo di pastori e pastorelle aus dem Amadigi di Gaula zu Gehör. Die Sinfonia aus Poro eröffnet das Programm mit gewichtigen, ernsten Akkorden, die zu Orlando ist von ähnlicher Struktur. Sehr kurze, muntere Einleitungen haben Partenope und Scipione; Serse ist ausgedehnter und von delikatem, tänzerischem Charakter. In allen Stücken zeigt sich Stutzmann als Dirigentin mit starkem Gefühl für Rhythmus und Affekte; im Ballo aus Amadigi  erfreut sie mit solch tänzerischer Verve und musikantischem Schwung, dass man sie sich auch am Pult einer französischen Barock-Oper vorstellen könnte.

Bernd Hoppe

 

 

 

Triumph des Schöngesangs

Der italienische Tenor Enrico Caruso hat geschafft, was heutzutage selbst die perfekteste PR-Kampagne nicht erreichen könnte: Sein Name ist selbst der Oper fernstehenden Menschen ein Begriff und gilt allgemein als Synonym für schönen Gesang. Dass diese bis heute ungebrochene Popularität des Neapolitaners zu immer neuen Editionen seiner umfangreichen Plattenaufnahmen führt, versteht sich von selbst. Caruso hat ca. 250 Schellackplattenseiten aufgenommen, daraus kann man Kompilationen der verschiedensten Art zusammenstellen, wie dies auch schon im Zeitalter der Vinyl-Schallplatte geschehen ist. Seit geraumer Zeit existieren zwei konkurrierende Gesamtausgaben auf CD, die sämtliche bekannte Aufnahmen Carusos enthalten, und dies in sorgfältig restaurierter Form. Ich persönlich bevorzuge die von Ward Marston für Naxos hergestellte Version auf zwölf CDs, sie hat Maßstäbe gesetzt.

Welche Überlegungen für das Label The Intense Media ausschlaggebend waren, jetzt eine 4-CD-Box mit einer repräsentativen Auswahl herauszubringen, ist nicht ganz nachzuvollziehen (600206). Die Aufmachung ist eher spartanisch, das Booklet enthält zweisprachig einen sehr allgemeinen biographischen Artikel, der nicht einmal namentlich gezeichnet ist. Die Trackliste nennt zwar jeweils das Aufnahmejahr, verzichtet aber ansonsten auf die für Sammler so wichtigen Labelnamen und Matrizen-Nummern. Das Klangbild ist durchaus befriedigend, Carusos Stimme scheint mir aber künstlich verstärkt, bei Forte-Stellen wirkt sie etwas plärrend, und es könnte der Eindruck entstehen, der Sänger wäre mitunter gar ein richtiger Brüller gewesen. Beim Hören der Originale wird gerade das Gegenteil deutlich, so gesehen wird diese Edition dem Künstler und seinen Liebhabern nicht gerecht.

Donizetti, Rossini, Verdi, Meyerbeer, Bizet – die Auswahl ist umfänglich, umfasst all jene Arien und Szenen, die es – auch Dank Caruso – zu großer Popularität gebracht haben. „Er singt die Psyche der Melodie“, hatte Richard Strauss über den Sänger gesagt. Ein Satz, der zu Recht am Beginn des Einführungstextes steht.

Peter Sommeregger

 

Ernstes Seelendrama

Der Dirigent Teodor Currentzis bringt es auf den Punkt: „Innerhalb eines einzigen Tages stolpern Leute, die für ihre Geliebten sterben würden, durch eine lächerliche Maskerade und heiraten am Ende ihnen sehr vertraute wildfremde Menschen.“ Keine schlechte Charakterisierung von Mozarts Oper Così fan tutte, vor allem genau das, was Teodor Currentzis in seiner nach dem Figaro mit Spannung erwarteten Einspielung daraus macht (Musicaeterna/Sony 88843095832). Nach dem ersten Durchhören war ich erst einmal erschlagen von so viel Gehörtem, das sich so drastisch von meinen bisherigen Così-Erfahrungen unterscheidet. Der Perfektionist Currentzis schwört sein Ensemble auf eine sehr leidenschaftliche, todernste Lesart dieser hintergründigen Komödie ein. Hier geht es von Beginn an um sehr viel mehr als hundert Zechinen für eine gewonnene Wette.

Teodor Corretzis/Robert Kittel/Sony

Teodor Currentzis vor dem Opernhaus in Perm/Robert Kittel/Sony

Mit einer Leidenschaftlichkeit, die man sonst eher im Don Giovanni verortet, stürzen sich die Protagonisten in das emotionale und musikalische Abenteuer, und nichts klingt, wie ich es gewohnt bin. Wie schon in seiner von mir eben hier hochgelobten Figaro-Einspielung setzt er statt des Cembalos ein Fortepiano für die Rezitativ-Begleitung ein, eine Entscheidung, die sehr positiven Einfluss auf den musikalischen Gesamteindruck hat. Zudem lässt er die Sänger in Verzierungen und Appoggiaturen geradezu schwelgen, aber nicht als Selbstzweck, immer auch als Stilmittel. Extrem die Tempi, aber auch sie stets einer übergeordneten Dramaturgie folgend, die aus dieser Oper das ganz große Seelendrama macht. Fiordiligis „Per pietà“ als langsamste, und die Einleitung zur Hochzeitsszene als schnellste Passage markieren die Extrempunkte dieser Interpretation, die vielleicht nicht Jedermanns Sache ist, mich persönlich aber voll überzeugt. Hier geht es um nichts weniger als das Seelenheil aller Charaktere.

Singt die Fiordiligi: Simone Kermern/Foto Strehlau/Sony

Singt die Fiordiligi: Simone Kermes/Foto Strehlau/Sony

Waren die Gesangssolisten noch die Schwachstelle der Figaro-Einspielung, agiert hier ein klug zusammengestelltes Ensemble mit zum Teil denselben Teilnehmern auf sehr hohem Niveau. Nach ihrer für mich großartigen Figaro-Gräfin gelingt Simone Kermes nun eine beseelte, vor Emotion förmlich berstende Fiordiligi, die ihre ohnehin schwierige Partie noch mit zahlreichen Verzierungen und Trillern schmückt. Im Timbre gut von ihr abgesetzt, aber nicht weniger virtuos die Dorabella der Schwedin Malena Ernman. Die sonst bei dieser Rolle auch gern überbetonte Koketterie bleibt sie weitgehend schuldig, und das ist Teil des dramaturgischen Konzepts. Selbst die Despina der Anna Kasyan kommt ernsthafter daher, als man es in dieser Rolle erwartet. Dafür liefert sie die für mich seit Lisa Otto bei Karajan I überzeugendsten Karikaturen des Doktors und Notars. Zweimal darf sie hell auflachen, in einer Weise, die das Herz wärmt. Auch die Besetzung der männlichen Rollen muss man als geglückt bezeichnen. Der Amerikaner Kenneth Tarver verfügt über einen tenore di grazia und weiß ihn gut einzusetzen. In manchen Passagen vielleicht ein wenig rau, aber auch das mag als Charakteristikum dieser Rolle durchgehen. Christopher Maltman, der erfahrene Don Giovanni, kehrt auch hier ein wenig den Macho hervor und bringt viel interessantes Timbre zum Einsatz, ist zudem stimmlich gut vom Alfonso des Konstantin Wolff zu unterscheiden. Der wird dem Konzept folgend ein wenig seiner Drahtzieher-Rolle beraubt. Currentzis lässt hier eher das Schicksal walten und der sehr zurückgenommene Schluss lässt auch akustisch ahnen, dass ein Happy-End in dieser Geschichte keine Option ist. Sehr viel mehr dramma als giocoso also.

Musicaeterna, das sind Orchester und Chor des Opernhauses Perm, folgt ihrem Chef in seiner sehr klaren und strengen

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Interpretation, besonders sei hier Maxim Emelyanychev am Fortepiano hervorgehoben. Man darf auf die Vollendung der Da-Ponte-Trilogie gespannt sein, der Don Giovanni wurde bereits vor wenigen Wochen in Perm eingespielt.

Peter Sommeregger

Musikalisches Allround-Genie

Mit seinen Liedern, Orchesterwerken, Kantaten, Oratorien und Opern sowie seinem Engagement als Dirigent, Festspielleiter und Musikforscher gab Arthur Sullivan (1842-1900) dem britischen Musikleben entscheidende neue Impulse. Die Deutsche Sullivan-Gesellschaft e. V. bietet mit diesem zweiteiligen Sammelband über den bedeutendsten englischen Komponisten des 19. Jahrhunderts Beiträge in deutscher und englischer Sprache zur internationalen Sullivan-Forschung. Die Essays erkunden weitgehend kaum untersuchte Aspekte von Sullivans Lebenswerk und vermitteln neue Perspektiven (so der Verlag).

Das Autorengespann Gilbert & Sullivan.

Das Autorengespann Gilbert & Sullivan.

Arthur Sullivan war nicht nur der bedeutendste britische Komponist des 19. Jahrhunderts, sondern der erste von Weltrang überhaupt seit Henry Purcell. Doch er komponierte nicht nur, sondern spielte auch als Dirigent, Festspielleiter, Musikforscher und Herausgeber eine prägende Rolle im britischen Musikleben. Er war es, der britischer Musik wieder zur Weltgeltung verhalf, auch, indem er den Weg bereitete für Edward Elgar und Benjamin Britten, um nur zwei der großen britischen Komponisten des 20. Jahrhunderts zu nennen.

Dennoch ist er heute außerhalb des englischsprachigen Raumes weitgehend unbekannt, was insbesondere für Deutschland gilt. Einem kleinen Kreis sind allenfalls seine in Zusammenarbeit mit dem Librettisten William S. Gilbert entstandenen komischen Opern ein Begriff, die dann meist auch noch fälschlich als „Operetten“ etikettiert werden. Sullivans Name taucht dann meist nur als Bestandteil des Doppels „Gilbert & Sullivan“, oft sogar auf G&S verkürzt, auf. In England werden „G&S“ zwar häufig gespielt, nicht zuletzt im Rahmen einer Tradition von Laienaufführungen, aber dann darauf reduziert, während Sullivans übriges Schaffen auch in seiner Heimat noch einer angemessenen Würdigung harrt. Dies betrifft nicht nur die Opern, die mit anderen Librettisten als Gilbert entstanden sind, sondern auch seine Kantaten, Oratorien, Lieder und Orchesterwerke.

Arthur Sullivan/Wiki

Arthur Sullivan/Wiki

Um Sullivans Werk vor allem im deutschsprachigen Raum bekannter zu machen und dem Musiker zur überfälligen Würdigung zu verhelfen, wurde 2009 die Deutsche Sullivan Gesellschaft (DSG) gegründet. Nähere Informationen sind auf deren Website und ihrer Facebookseite zu finden. Ein ehrgeiziges Buchprojekt, das im Umfeld der DSG entstand, ist das zweibändige Werk SullivanPerspektiven. Herausgeber sind Albert Gier, der Erste Vorsitzende der Gesellschaft, und Meinhard Saremba, ihr geschäftsführender Vorsitzender und Benedict Taylor, der ihrem wissenschaftlichen Beirat angehört. Die Bände enthalten neben einigen deutschsprachigen überwiegend englischsprachige Beiträge, richten sich also bewusst auch an eine Leserschaft im englischsprachigen Raum, wo, wie bereits erwähnt, Sullivan zwar bekannt, die Rezeption aber dennoch sehr einseitig und lückenhaft ist.

In den Sammelbänden wird das Werk Sullivans nicht nur unter musikwissenschaftlichen und musikhistorischen Aspekten untersucht, auch literaturwissenschaftliche Betrachtungen der Libretti kommen nicht zu kurz. Sullivan wird nicht isoliert betrachtet, sondern thematisiert werden ebenso die historischen und zeitgenössischen Einflüsse, ohne die sein Werk nicht verständlich ist, und natürlich die Einflüsse, die er selber auf nachfolgende Generationen von Musikern ausgeübt hat.

9783939556299

Der erste Band widmet sich Sullivans Opern und Kantaten sowie seiner Orchester- und Sakralmusik. Dabei kommt zunächst Sullivan selbst zu Wort, als der Musikwissenschaftler, der er auch war. Das Manuskript seiner 1888 in Birmingham gehaltene Ansprache „About Music“ist in der englischen Originalfassung abgedruckt und leitet das Buch ein. Dort legt Sullivan sein Verhältnis zur Musik dar und veranschaulicht im historischen Rückblick die zentrale Bedeutung, die Großbritannien in der Geschichte der Musik hatte, eine Bedeutung, die es, so seine Forderung, zurückgewinnen müsse.

Im folgenden deutschsprachigen Aufsatz untersucht der Literaturwissenschaftler Albert Gier die „Dramaturgie des Absurden“ bei Gilbert, Sullivans wichtigstem Librettisten und deren Bedeutung für Sullivans Musik, wobei er auch mit einigen Mythen aufräumt. Den ersten Block des Buches zur Ästhetik Sullivans beschließt Meinhard Saremba – ebenfalls in deutscher Sprache – mit einer wesentlich auch psychologischen Betrachtung des Bösen und Diabolischen in Sullivans Werk, wobei er Bezüge zu den Werken anderer Komponisten sowohl vor als auch nach Sullivan herstellt.

Sullivan & D´Oyly Cart: "Ivanhoe"/Sullivan Society

Sullivan & D´Oyly Cart: „Ivanhoe“/Sullivan Society

Die nächsten beiden, wieder englischsprachigen Aufsätze, untersuchen die Struktur von Sullivans Orchestermusik. Sir Roger Norrington, langjähriger Chefdirigent des Radio-Sinfonieorchesters Stuttgart und Ehrenpräsident der Deutschen Sullivan Gesellschaft, widmet sich der Frage, wie Sullivans Orchesterwerke zu seiner Zeit geklungen haben. Er plädiert, nicht nur bezogen auf Sullivan, für eine historisch informierte und eben deshalb moderne Aufführungspraxis. Der Musikwissenschaftler Benedict Taylor analysiert ausführlich die Struktur von Sullivans Orchesterwerken, wobei er die „Irish Symphony“ ins Zentrum der Betrachtungen stellt. Taylors sorgfältige Untersuchung der musikalischen Einflüsse auf Sullivan und seines unorthodoxen Umgangs mit genretypischen Formen erweist sich als wesentlich zum Verständnis des Aufbaus dieser Kompositionen. Sofern nichts anderes verlautet, sind die im Folgenden genannten Aufsätze in englischer Sprache verfasst.

William Parry, Schatzmeister der britischen Sir Arthur Sullivan Society und der Theologe Ian Bradley befassen sich mit Sullivans Sakralmusik. Parry widmet sich der Koexistenz von Säkularismus und Christentum bei Sullivan, der als gläubiger anglikanischer Christ seine Religiosität undogmatisch lebte und sich keinen religiös vorgegebenen starren Moralvorstellungen unterwarf. Bradley thematisiert Sullivans Kirchenlieder und religiöse Hymnen. Er widerspricht der Behauptung, Sullivan habe diese nur zwecks Gelderwerbs geschrieben und charakterisiert ihn als einen der führenden Kirchenlied-Komponisten des viktorianischen Zeitalters.

Gilbert & Sullivan Karikatur/Sullivan Society

Gilbert & Sullivan Karikatur/Sullivan Society

Im nächsten Block geht es um Sullivans musikalische Dramaturgie. Der Musikwissenschaftler James Brooks Kuykendall zeigt, welch zentrale Bedeutung Sullivan der Musik als eigenständigem dramaturgischem Medium zuschrieb, das für ihn nicht nur eine Beigabe zum Libretto war, sondern diesem erst das Leben einhauchte. Dabei bürstete er, wenn nötig, auch die Vorgaben des Librettisten gegen den Strich. Benedict Taylor unterzieht die dramatische Kantate „The Golden Legend“ einer ausführlichen kritischen Strukturanalyse und charakterisiert sie als Sullivans modernstes und reifstes Werk. Richard Silverman, Musikwissenschaftler und selbst Komponist, befasst sich mit der Umsetzung mittelalterlicher Stoffe in zwei britischen Opern des ausgehenden 19. Jahrhunderts: Sullivans „Ivanhoe“ und Frederick Delius‘ „Irmelin“ und arbeitet Unterschiede und Gemeinsamkeiten heraus.

Ein weiterer Abschnitt des ersten Bandes thematisiert Sullivans Verhältnis zur englischen Nation und zum Imperialismus. Der renommierte Sullivan-Forscher David Eden zeichnet dieses Verhältnis anhand der Werke nach, in denen sich Sullivan mit nationalen Themen beschäftigt und lässt Sullivans Nationalismus als von Fortschrittsglauben geprägt erscheinen, ohne Kriegsbegeisterung und Militarismus. Kuykendall analysiert das Ballett „Victoria and Merry England“, das Sullivan zum diamantenen Thronjubiläum von Queen Victoria schrieb. Der Musikhistoriker Arne Stollberg stellt in seinem deutschsprachigen Aufsatz Sullivans Bestreben dar, mit „Ivanhoe“ eine spezifische englische Nationaloper zu schaffen.

Und noch einmal: Sullivan und Gilbert: Karikatur/OBA

Und noch einmal: Sullivan und Gilbert: Karikatur/OBA

Der Sullivan-Rezeption widmet sich der abschließende Teil des ersten Bandes. Martin Yates, Musikwissenschaftler und Dirigent, arbeitet die vielfachen Einflüsse Sullivans auf das Werk von Benjamin Britten heraus. Pierre Degot, Anglist an der Universität Metz, widmet sich der Problematik der Übersetzung der Libretti von Sullivans Opern am Beispiel der Übertragung des „Mikado“ ins Französische durch Tony Mayer. Er kommt zu dem Schluss, dass diese gelungene Kombination aus Treue zum Original und kreativer Eigenleistung Vorbildcharakter für künftige Übersetzungen von Gilberts Libretti in andere Sprachen haben sollte. Der letzte Aufsatz ist wieder in deutscher Sprache abgefasst: Meinhard Saremba kommt in seiner Beschäftigung mit der deutschen Sullivan-Rezeption um einen Verriss des diese bisher kennzeichnenden klamaukartigen Charakters nicht herum, um dann zu skizzieren, wie man es besser machen könnte, nicht zuletzt, indem Sullivans Werke in ihrer Komplexität ernstgenommen werden. Dazu gehört auch, sich nicht immer wieder auf den „Mikado“ und die „Pirates“ zu beschränken, sondern den anderen bedeutenden Werken des Komponisten ebenso Raum zu geben.

9783939556428Sofern nichts anderes verlautet, sind die im Folgenden genannten Aufsätze in englischer Sprache verfasst. William Parry, Schatzmeister der britischen Sir Arthur Sullivan Society und der Theologe Ian Bradley befassen sich mit Sullivans Sakralmusik. Parry widmet sich der Koexistenz von Säkularismus und Christentum bei Sullivan, der als gläubiger anglikanischer Christ seine Religiosität undogmatisch lebte und sich keinen religiös vorgegebenen starren Moralvorstellungen unterwarf. Bradley thematisiert Sullivans Kirchenlieder und religiöse Hymnen. Er widerspricht der Behauptung, Sullivan habe diese nur zwecks Gelderwerbs geschrieben und charakterisiert ihn als einen der führenden Kirchenlied-Komponisten des viktorianischen Zeitalters (Oldib Verlag; 415 S., ISBN-13: 9783939556299/372 S. ISBN-13: 9783939556, 299 S.).

Klaus Blees

Gesellschaftsbilder

Nicht von dem polemischen Vorwort von Jürgen Flimm zu Christoph Schwandts Buch über Carl Maria von Weber in seiner Zeit im Schott Verlag abschrecken lassen sollte sich der potentielle Leser, denn dieses steht in einem starken Kontrast zu dem mit Fleiß, Akribie, Objektivität  und trotzdem mit wahrnehmbarer Zuneigung zum Sujet verfassten und nicht weniger als 610 Seiten umfassenden Werk. Flimm rennt offene Türen ein, wenn er, vollkommen ahistorisch denkend, den Komponisten gegenüber Wagners Äußerung glaubt in Schutz nehmen zu müssen, nach der es keinen „deutscheren Musiker“ gegeben habe als Weber. Die zweite Beisetzung des in London verstorbenen Komponisten fand 1844 in Dresden statt, vier Jahre vor der Märzrevolution, als die bereits in den Befreiungskriegen erwachten Gedanken an die deutsche Einheit  von neuem relevant wurden. Nicht in der rechten Ecke stand also damals der Nationalgedanke, sondern, urteilt man überhaupt derart schematisch, ganz links. Und wenn der Verfasser des Vorworts feststellt, Weber habe Körners Gedicht über Lützows Freikorps erst nach der Völkerschlacht bei Leipzig vertont, dann heiß das noch lange nicht, dass dies vor dem Ende der Befreiungskriege war. Von wegen „Nachhall“ – die Schlacht bei Waterloo fand erst ein Jahr nach der Vertonung  statt. „Ohne dieses dumme, deutsche Nationalgedöns“ kommt wohl auch entgegen Flimms Meinung nicht nur Freyers Inszenierung des Freischütz in Stuttgart aus, und Weber ist nicht nur ein „vermeintlicher Deutscher“, wie er meint, sondern zumindest einer, der sich vehement für die deutsche Oper eingesetzt hat, wie zahlreiche Zitate in dem vorliegenden Buch beweisen. Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass er in Prag oder London wirkte, den Oberon auf ein englisches Textbuch vertonte.

Doch nun zum Buch selbst. Es nennt sich Carl Maria von Weber in seiner Zeit – eine Biografie.  Man stutzt bei dem kleinen Wort „in“, erwartet eigentlich ein „und“, stellt aber schnell fest, dass es sich nicht um eine reine Biographie handelt, obwohl fast jeder Tag und jedes kleinste Ereignis im Leben des Komponisten dokumentiert wird, sondern dass man Weber als Leser auch als ein Produkt seiner Zeit  erlebt. Das Buch gliedert sich chronologisch, die Kapitelüberschriften nennen Orte seines Wirkens wie Prag, Wien, Berlin, Dresden, London und zeigen dem Leser, wie schwierig das Leben für eine Künstlerfamilie, aus der Weber stammte, im Deutschland vieler Klein- und Kleinststaaten war, besonders wenn dazu noch Krieg herrschte, die Bündniskonstellationen schnell wechselten. Eine thematische Gliederung wäre natürlich auch denkbar gewesen und hätte es dem Leser erleichtert, das Entstehen von Werken wie des Freischütz zu verfolgen, von dem nun immer einmal wieder, aber nicht zusammenhängend berichtet wird. So aber gibt es immer wieder Themenwechsel, je nachdem, was Weber gerade erlebt, erleidet, komponiert, man erfährt etwas über die damaligen Verkehrsbedingungen, Krankheitsbehandlungen, Erfindungen im Druckereigewerbe, das Theaterwesen, Qualitäten einzelner Sänger, bekommt einen Überblick über das gesamte politische und noch mehr geistige Leben im zersplitterten Deutschland. Aber nicht nur die Fülle der Sachgebiete ist immens, man lernt auch alle Freunde und Feinde Webers sehr ausführlich kennen, die gesamte weitverzweigte Verwandtschaft und ihre jeweiligen Schicksale. Das ist oft interessant, so wenn es um die Beziehungen zur Familie Beer in Berlin geht, oft aber dazu angetan, den Leser den Faden, der ihn durch Leben und Werk des Komponisten leiten soll,  verlieren zu lassen. Besonders die Genealogie der deutschen Fürstenhäuser ist wahrscheinlich für den Durchschnittsleser von geringem Interesse, von größerem die Mitteilungen über das Urheberrecht oder die Tatsache, dass Weber vor allem mit spontan angesetzten Konzerten auf Reisen zeitweise sein Geld verdiente.

Man kann oft schmunzeln, so wenn man erfährt, dass hohe Herrschaften lieber immerhin goldene Dosen verschenkten, statt die Künstler mit Barem zu entlohnen, weniger schon über Anweisungen zum Gebrauch der Waschmaschine oder den Bericht über das Zahnen des Weber-Sohnes. Wertvoll für den Leser sind die Interpretationen der Musik Webers, interessant für viele wohl auch die ausführlichen Inhaltsangaben der Opern. Spekulieren kann man darüber, wieweit Webers Eintreten für die deutsche Oper gegenüber der italienischen und französischen von eigenem Interesse motiviert und gelenkt war. Dass Antisemitisches im Hause Weber trotz der überaus herzlichen Beziehung zu den Eltern Giacomo Meyerbeers zu hören war, sollte man vor dem Hintergrund allgemeiner Witzelei in der damaligen Zeit über das Thema sehen, und auch der Autor begeht nicht den Fehler, sich in dieser Hinsicht ahistorisch zu verhalten.

Höchstem wissenschaftlichem Anspruch genügt das Buch durch einen umfangreichen kritischen Apparat, Anmerkungen auf immerhin 25 Seiten, eine Auswahlbiographie, ein Verzeichnis der im Text erwähnten Kompositionen, getrennt nach Gattungen, ein Personenregister und einen Abbildungsnachweis. Zahlreichen Stiche von Orten, an denen Weber wirkte, und Personen, die seinen Weg kreuzten, sorgen für Anschaulichkeit.

Ein Buch nicht nur von derartigem Umfang, sondern auch derartiger Vielseitigkeit und Gründlichkeit, ist schon beinahe ein Lebenswerk. Der Leser sollte sich dafür viel Zeit nehmen und dazu die Bereitschaft, sich auf viele unterschiedliche Themen einzulassen. Dann wird er um viel Wissen, Verständnis und die Fähigkeit, Webers Musik noch mehr als bisher schon zu genießen, reicher sein (Schott Verlag,  608 Seiten, ISBN 978 3 7957 0820 7).

Ingrid Wanja    

„Das war solch eine Raserei“

Es ist ruhig geworden um Eva Marton. Hierzulande, wo sie sich 2006 und 2007 als Elektra und Küsterin verabschiedete – es folgten noch Klytämnestra in Barcelona und Genf -, bevor sie als Gertrud in Erkels Bank Ban der Bühne endgültig Adieu sagte. Das war dann zuhause in Budapest, wo sie im November 1968 als Königin von Schemacha in Der Goldene  Hahn am dortigen Opernhauses debütiert hatte. „Übrigens“, so vertraute sie ihrem Chronisten András Batta an, „Sie werden es nicht glauben, aber die Jenufa war im März 2004 meine erste Premiere an der Budapester Oper, 36 Jahre nach meinem Debüt in Ungarn“. Budapest hatte freilich nicht viel von ihr. Bereits im Frühjahr 1971 sang sie die  Figaro-Gräfin an der Frankfurter Oper, deren Ensemble sie ab dem folgenden Jahr angehörte. Dann ging es Schlag auf Schlag mit den wichtigen Debüts: 1973 als Tosca an der Wiener Staatsoper, 1974 als Elisabetta in Brüssel und Donna Anna in München, 1975 Deutsche Oper Berlin und Zürich als Donna Anna,  1976 an der Met als Eva. 1977 erschien sie auf dem Grünen Hügel als Venus und Elisabeth und stellte sich als Kaiserin in Hamburg vor, wohin sie im gleichen Jahr dem an die Hamburgische Staatsoper berufenen Christoph von Dohnanyi gefolgt war, 1978 endlich die Scala mit der Trovatore- Leonore.

Zweifellos war die Marton, wie es auf einer amerikanischen Seite zu lesen ist, „one of the most famous dramatic sopranos in the world, and has performed at many of the world’s great opera houses. She is renowned for her starring performances in the operas Turandot, Tosca, and Elektra. She has also performed the lead roles in many Wagner operas, including Tannhauser, Lohengrin, and the role of Brunnhilde. ..“ Ihr Rollendebüt als Turandot in Wien, wo sie übrigens ihrer Landsmännin Maria Nemeth, welche  alternierend mit Jeritza die Wiener Erstaufführung gesungen hatte, nachfolgte, war ein Naturereignis, stets erlebte man eine Sängerin mit splendiden Mitteln, majestätischer Attitüde, souverän und mächtig im Ausdruck. Im Buch findet sich die hübsche Aussage über die Met-Gioconda, „.. eine überlebensgroße Aufführung einer italienischen Oper, etwas, von dem man bislang glaubte, es sei gemeinsam mit den Dinosauriern ausgestorben“.  
Um so erstaunlicher, wie ruhig es geworden ist, wie rasch der Nachruhm verblasst ist. Umso präsenter ist sie in ihrer Heimat, deren Staatsoper ihr im vorigen Jahre zum 70. Geburtstag eine Gala ausrichtete, zu der auch Jonas Kaufmann und Grace Bumbry nach Budapest gereist kamen, und wo dieser Tage der erste Internationale Eva Marton Gesangswettbewerb stattfand. An der Liszt-Akademie hatte sie neun Jahre den Lehrstuhl für Gesang inne und unterrichtet als emeritierte Professorin weiterhin. Etwas merkwürdig mutet an, dass dieses Buch ausgerechnet von einem Kollegen stammt, denn András Batta war ab 2002 zunächst Vizerektor und dann Rektor der Liszt-Akademie. Das Buch ist ein bisschen schmal, ein bisschen schmächtig für eine derart glanzvolle Karriere. Der Textteil umfasst nur 133, allerdings klein gedruckte Seiten, es folgen weitere rund 50 Seiten mit Auftritten und diversen Auflistungen, die winzig kleinen grieseligen Fotos sind ein Graus und einem Buch dieser Preislage unangemessen. Batta fragt aber sachlich und nüchtern die Stationen und die Rollen ab, bringt geschickt sein Wissen ein, das Buch ist keine auf den Knien geschriebenen Huldigung, eher eine feine Verehrung von Kollege zu Kollegin. Das ist in Ordnung. An vielen Stellen ist man erstaunt, wie offen und freimütig sich Marton äußert, so man das in solch einem Buch und von einer Diva überhaupt erwarten möchte, vor allem gefiel mir die Beschreibung der Kindheit, der Nachkriegssituation in Budapest, der Probleme mit den Gesangslehrern, der verstockten Atmosphäre an der Akademie, die schüchterne junge Menschen nicht auf ihre Laufbahn und nicht auf das Leben vorbereitete, der Drangsalierung durch das Kulturministerium und der vererbten Privilegien am dortigen Opernhaus; das wirkt lebendig  und plastisch, „Das Leben im Ungarn hinter dem Eisernen Vorhang war so absurd, so unwirklich“. Packend auch die Schilderung ihres Anfangs in Frankfurt – bevor sie nach Frankfurt ausreisen durfte, wohin sie auf Empfehlung Peter Mario Katonas kam,  musste neuerlich das Politbüro bekniet werden – wie sie und die Familie lebte, wie wenig Geld sie hatten („Wir haben dreimal die Woche Grillhendl gegessen, weil das am billigsten war“) und wie sich das Leben mit zunehmendem Erfolg und Geld veränderte.

Es ist nicht uninteressant, mit Marton durch ihre Rollen und Auftritte zu gehen, über die ihr Mann penibel Buch geführt hat, die Bühnen und Inszenierungen Revue passieren zu lassen, wobei auffällt, wie begeistert sie von den diversen Inszenierungen und Regisseuren spricht, wie interessiert und offen sie offenbar gegenüber Regieideen war, sich für Konwitschnys (in Hamburg) und Katharina Wagners (in Budapest) Lohengrin enflammierte und die Arbeit mit Harry Kupfer an der Elektra („Nie zuvor habe ich derart hart gearbeitet“) hervorhebt; für die Ariadne bringt sie im Strauss-Kapitel übrigens eine interessante Regie-Idee auf, „damals hätte ich mir gewünscht, sowohl die Ariadne als auch den Komponisten zu verkörpern. Ich wäre im Vorspiel nicht die Primadonna, sondern der Komponist gewesen, und erst in der Oper die Ariadne. Hätte es bloß einen Regisseur gegeben, der für diese Auffassung offen gewesen wäre..“  (Die Frau mit Schatten. Eva Marton im Gespräch mit András Batta (Hg.), Parthas Verlag, 184 Seiten, 50 s/w Abbildungen).

Rolf Fath

 

 

Moniuszkos „Paria“

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Da saß ich nun vor der Aufnahme des Moniuszkoschen Paria und wusste nicht recht, wo anfangen, denn nach einer abenteuerlichen Detektivgeschichte hörte ich noch einmal die Musik und fragte mich, war es das alles wert? Unsere Reihe Vergessener Opern ist ja in operalounge.de eine Erfolgsserie von inzwischen einigen Folgen. Und natürlich hat das Aufspüren des Vergessenen sehr oft etwas mit den eigenen Obsessionen und der von unüberwindlich scheinenden Schwierigkeiten nur noch weiter angestachelten Neugier des Suchenden zu tun.

In diesem Falle war das Objekt der Begierde Moniuszkos Paria, den ich – 2014 und lange bevor nun heute/2023 die Oper in zwei oder drei Variationen zur Verfügung steht und auch als Video bei youtube zu sehen ist – als ein verschwommenes, dunkeltrübes VHS-Video von dem Kollegenfreund und Polen-Liebhaber Carl Hiller vor vielen (!) Jahren bekam, das ich mir beim Überspielen auf DVD noch einmal anschaute. Die Optik war die der Aufführung in Warschau 1981, der Ton unterlegt mit akutem Brummen – eben die x-te Kopie. Aber man sah Exotisches: Federn, Palmen, Goldlamée am Meter und Sänger, die von links nach rechts schritten. lndisches offenbar oder zumindest Fernöstliches, Üppiges. Perlenfischer oder so? Und das von Moniuszko, dem Schöpfer der patriotischen, vaterländischen Halka, dem Erzpolen, der mir weitgehend nur von alten Muza-LPs und ein paar Eindrücken einer muffigen Aufführung in Posen (beim dortigen E. T. A. Hoffmann-Festival) im Gedächtnis war? (Um der Wahrheit die Ehre zu geben – es gibt und gab zumindest die Halka und das Gespensterschloss auch in westlich zugänglichen Aufnahmen/EMI u. a., von Halka sogar ein modernes Video aus Warschau) Bei meinem Hang zum Orientalischen war eine Neugier geweckt. Woher bekam ich nun den Paria (die unbefriedigende Aufnahme von Dux aus Stettin und Naxos aus Posen gab´s da noch nicht) und was war ,,dran“ an ihm? lch machte mich auf die Suche.

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"Paria"/Stanislaw Moniuszko/3 Slawische Komponisten: Michael Kleopas Oginski, Frederic Chopin und Stanislaw Moniusko (aus: Slawische Komponisten, 1890)/OBA

„Paria“/Stanislaw Moniuszko/3 Slawische Komponisten: Michael Kleopas Oginski, Frederic Chopin und Stanislaw Moniusko (aus: Slawische Komponisten, 1890)/OBA

Im Internet gibt es lnformationen, Hinweise auf Produktionen in Warschau, Krakau, Lodz, Stettin, zuletzt aus Posen/2023, einige von der Regisseurin Maria Foltyn. Hanna Lisowska (ehemals verdiente Sopranistin an der Berliner Lindenoper) hatte auf dem Video aus Lodz gesungen, Antoni Wicherek dirigierte. Aber die Musik? Nichts. Ein, zwei Arien auf Tenor­- und Sopran-LPs/CDs  von Ochman und Zylis-Gara, die Appetit machten. Der  Zufall führte mich ins Deutsche Rundfunkarchiv in Babelsberg, wo die  Schätze der aufgelösten DDR­-Funkanstalten lagern. Schon der Beginn meiner Suche dort war mit Widerständen gepflastert. So beamtig, so wenig hilfsbereit, so fafnerisch­ Schätze verwaltend hatte ich noch keine Mitarbeiter eines Archives angetroffen. Es war, als ob man in ein privates Wohnzimmer eingebrochen wäre… Mürrisch, widerwillig ließ mich der Oberaufseher in den angegammelten, handgetippten/-geschriebenen Karteikarten suchen, unwillig wies man mit dem Finger auf einen defekten Kopierapparat/Drucker, inkompetent suchte man im  Computer nach Titeln, Namen, Aufführungen.

"Paria"/Stanislaw Moniuszko/ die Regisseurin und ehemalige Kulturministerin Maria Foltyn war entscheidend an der Wiederbelebung der Oper beteiligt/AKPA

„Paria“/Stanislaw Moniuszko/ die Regisseurin und ehemalige Kulturministerin Maria Foltyn war entscheidend an der Wiederbelebung der Oper beteiligt/AKPA

Aber oh Wunder – allen menschlichen Widernissen zum Trotz hatte ,,man“ einen Paria dokumentiert, nicht etwa verfügbar! Es war die Übernahme einer Rundfunkaufnahme aus Krakau von 1971 unter Antoni Wicherek. Aber es war eben eine Übernahme, also sah ,,man“ sich außerstande, diese Aufnahme (ehemaliges Brudervolk oder nicht) zur Verfügung zu stellen, weder für mich privat (was  man beim DRA sonst  gegen eine Gebühr kann!!!) noch beruflich – Übernahme war Übernahme, und das war das (bei einem Dokument von 1971!). Ohne einen Persilschein (i. a. Unbedenklichkeitserklärung) vom polnischen Rundfunk war’s das. lch dachte nach.

"Paria"/Stanislaw Moniuszko/Der Dirigent Antoni Wicherek beim Jubiläum des Thheter Wielki Warschau 1993/TWW

„Paria“/Stanislaw Moniuszko/Der Dirigent Antoni Wicherek beim Jubiläum des Theater Wielki Warschau 1993/TWW

Ein Bekannter hat einen polnischen Lebensgefährten, den bat ich – nach drei vergeblichen e-mails in Englisch nach Polen – um Übersetzung eines Briefes in dieser Sache an den Rundfunk in Krakau und – ach diese reizenden Polen! –  geriet an einen liebenswürdigen  Herrn vom Tonarchiv, der mir bedeutete, dass Radio Krakau erstens nicht der Produzent der Aufnahme gewesen sei (sondern das dortige Sinfonieorchester) und dass zweitens alles Vorwende-Material inzwischen im zentralen Radioarchiv in Warschau gelagert sei, dem eine Dame vorstünde. lch dankte und schrieb an dieselbe. Keine Antwort. Weder beim ersten, zweiten, dritten, geschweige denn vierten Mal.

"Paria"/Stanislaw Moniuiszko: Der große polnische Dichter Adam Mickiewicz/Stich von Jan Mieczkowski/OBA

„Paria“/Stanislaw Moniuiszko: Der große polnische Dichter Adam Mickiewicz/Stich von Jan Mieczkowski/OBA

lch begab mich wieder ins Internet und fiel über einen Eintrag zum Paria auf der Homepage der Adam-Mickiewicz-Gesellschaft in  Warschau.  Dort  gibt  es  bezaubernde Mitarbeiterinnen, von denen eine sich meiner erbarmte und in wunderbarem Deutsch mir ein altes Programmheft vom Paria in Warschau zuschickte und mit mir nicht nur eine charmante Korrespondenz  begann, sondern auch der störrischen Direktorin des Radioarchives auf den Leib rückte. Die überraschende Auskunft war nun, dass das  Radioarchiv sich  nicht als  Eigentümer  der  gesuchten  Aufnahme sah – da müsse ich in Krakau nachfragen! Hmmmm. Zurück in Krakau, entschloss sich der besagte Herr vom dortigen Archiv zu einer Sonderleistung und bescheinigte mir nun, dass das Rundfunkarchiv in Babelsberg (man erinnert sich?) mir die Aufnahme zur Verfügung stellen solle. Dies alles dauerte mehr als ein halbes Jahr. Und dann geschah das zweite Wunder: Wenig später erreichten ,mich zwei schlichte CDs aus Krakau! Man war dort über alles hinweg gesprungen und hatte mir die Aufnahme einfach zugeschickt. Der nette Herr vom Tonarchiv! Nun hatte ich meinen Paria, legte ihn mit zitternden Händen auf – und war nicht wirklich hingerissen! lch hörte ein im Prolog schwungvolles Werk, mittelprächtig gesungen, sicher ansprechend musiziert, aber doch von schwerem Duktus und etwas breiiger Konsistenz. Und tue mich schwer, etwas zur Oper zu sagen, in deren Kenntnis ich soviel Energie gesteckt habe. So ist das mit den Ausgrabungen manchmal – Sehnsucht ist oft besser als Erfüllung …

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"Paria": Das alte Opern-Theater in Lodz von Fryderik Sellina ca 1910/wikipedia

„Paria“: Das alte Opern-Theater in Lodz von Fryderik Sellina ca 1910/wikipedia

ldentitätsfigur in einem zerrissenen Land: Wie sein zeitlich naher Kollege Ponchielli und viele andere ist auch Stanislaw Moniuszko eigentlich nur mit einem seiner Operntitel bekannt, der Halka, die seinen größten Ruhm, aber auch seine Zwangsjacke bedeutete. Halka war die Oper der polnischen Selbstfindung und ldentifikation, danach wurde dieser Ruhm für seinen Schöpfer eher zur Falle, denn alle seine weiteren Opernwerke wurden daran gemessen. Der Erwartungsdruck einer Wiederholung eben dieser lnhalte wurde übermächtig.

Wenn man über Moniuszko spricht, muss man die Situation Polens in  jener Zeit  berücksichtigen. Seit dem Ende des 18. Jahrhunderts gab es physisch kein eigenstaatliches Polen mehr. Das Gebiet war aufgeteilt in einen (weiß-) russischen, litauischen und deutschen Teil – eine Situation, die bis zum ersten Weltkrieg anhielt. ,,Polnisch“ war man nur in ethnischer und kultureller Hinsicht. Polnisch war eine Sprache und ein kulturelles Zugehörigkeits-Gefühl, und der verzweifelte Aufstand der polnischen lntelligenz gegen die russische Oberherrschaft 1863 endete ebenso blutig wie katastrophal für die Beherrschten. In diesem Lichte ist es von enormer Bedeutung, die Beiträge polnischer Künstler/Komponisten/Dichter zu sehen, die mit ihren Werken eine Klammer für die Menschen in den besetzten Gebieten schufen. Moniuszko war einer der wichtigsten davon.

"Paria"/Stanislaw Moniuszko/OBA

„Paria“/Stanislaw Moniuszko/OBA

Er wurde 1819 in Ubiel, einer Kleinstadt nahe dem weißrussischen Minsk, als Sohn wohlhabender Landbesitzer geboren und kam früh mit Musik und Kunst in Berührung. Sein Vater hatte in Napoleons Armee gedient und galt als ein bekannter Dichter und Maler, seine Mutter eine begabte Amateurpianistin, die das  Talent ihres Sohnes erkannte und ihm die ersten Stunden gab. 1827 zog die Familie ins damals russisch geführte Warschau um, wo Moniuszko am Konservatorium bei Freyer Unterricht erhielt und ein Studienfreund von Chopin war. 1830 zog die Familie wegen finanzieller Schwierigkeiten nach Minsk zurück. Wegen des zunehmenden russischen Einflusses veranlasste sein Vater 1834 seinen Abgang vom Gymnasium und schickte ihn nach Berlin (und nicht nach Moskau oder St. Petersburg, wie man erwarten sollte), wo er an der Singakademie bei Rungenhagen studierte. Seine bisherigen Opernkenntnisse wurden in Berlin auch im Sinne einer westeuropäischen Prägung erweitert und vertieft (Spontini war Chef der Hofoper, der italienische Einfluss wurde durch Werke von Weber, Marschner und Lortzing komplementiert).

"Paria"/Stanislaw Moniuszko/Das Theater Wielki in Warschau um 1900/OBA

„Paria“/Stanislaw Moniuszko/Das Theater Wielki in Warschau um 1900/OBA

Nach den ersten Kompositionen (kleine Werke, Operetten, die in Vilnius und auch in Warschau aufgeführt wurden) kam der Durchbruch mit der Halka, die erstmals in Vilnius in der Zweiakt-Fassung 1848 gegeben wurde, in der Folge für Warschau umgearbeitet und schließlich ihre bekannte Vieraktfassung erhielt. 1858 hatte sie am Wielki ihren großen Erfolg und wurde zur polnischen Nationaloper, weil hier erstmals polnische Charaktere in einem tragischen Sujet und dazu noch in einer packenden Klassen-Auseinandersetzung auf die Bühne gebracht wurden. In seinem wichtigen Buch über Moniuszko (,,Musik für die Nation“) schreibt Rüdiger Ritter (Professor an der Universität Oldenburg, Angaben nachstehend) über die Probleme der nationalen Selbstfindung Polens, über nationale Selbstverständigung durch  Musik und vor allem über Halka, über diese Oper als nationaler Mythos, der entscheidend zur Erfüllung politischer und kunstästhetischer Postulate beitrug. Spannend ist dabei auch der Weg der Halka im politischen Verständnis dieser und  der  nachfolgenden Zeit  (bis hin zur Epoche des Sozialismus), nämlich vom ungeliebten sozialkritischen Werk zum nationalen Mythos, der Legenden produziert: das Nationalsymbol Halka als Eckstein der polnischen politischen Mythologie.

"Paria"/Stanislaw Moniuszko/OBA

„Paria“/Stanislaw Moniuszko/OBA

Die Untersuchungen Ritters umfassen ein weites Spektrum. Er beschreibt absolut spannend die Wirkungsweise der Moniuszkoschen Musikwerke auf ihre Zeit, das politische und ethnisch-kulturelle Selbstverständnis jener Jahre, die Wirkung der Musik im gesellschaftlichen Kontext und vor allem über Moniuszko und die ldee einer eigenständigen polnischen Nationalmusik, in welches Muster Moniuszko hineingepresst wurde. Seine Musik – meint Ritter zu Recht – wurde zu einer nationalen Klammer in einem Land ohne eigentliches polnisches Territorium. Den Novemberaufstand von 1830/31 sieht Ritter als Höhepunkt eines Konzeptes auch der politisch engagierten Musik, die entscheidend zu dem (vergeblichen) Aufbegehren beigetragen hatte.

"Paria"/Stanislaw Moniuszko/"Halka" in Lodz/TWL

„Paria“/Stanislaw Moniuszko/“Halka“ in Lodz/TWL

Der Erfolg der Halka in Warschau machte auch  den  Erfolg  ihres  Komponisten. Er ging auf eine Tournee durch Westeuropa, traf Smetana in Prag und Liszt in Weimar und komponierte seinen Flis (Der Flößer) in Paris. Zurückgekehrt akzeptierte er den Posten eines Operndirektors am Wielki in Warschau und brachte hier 1858/60 Flis und die Hrabina (Die Gräfin) heraus. Jan Checinski, sein späterer Autor für den Paria, schrieb das Libretto zum Verbum nobile (1861). Während der Arbeit am Straszny Dwor (Das Gespensterschloss; 1865) schwappten die Aufstände von 1868 ins  Theater über, das Wielki wurde zu einer Kaserne umfunktioniert, Moniuszko verlor seinen Posten und wurde Direktor der Akademie, des späteren Konservatoriums. Die Folgen des Aufstandes gegen die russische Besatzung waren streng, und die Zensur regierte. Moniuszkos hochpatriotisches Gespensterschloss wurde nach nur drei Aufführungen zurückgezogen. Das nachfolgende Werk, Paria, hatte denn auch ostentativ kein polnisches Sujet (oder so schien es), sondern spielte ganz eskapistisch im exotischen lndien (damals sehr beliebt und oft verwendet), scheiterte aber eben darum 1869/1872 nach nur wenigen Aufführungen – die immer noch politisch aufgeheizte (polnische) Öffentlichkeit hatte eine zweite Halka, ein politisches Statement, erwartet und war enttäuscht. Moniuszko – verletzt und frustriert – starb wenig später (am 4. Juni 1872) an einer Herzattacke.

"Paria"/Stanislaw Moniuszko/Indischer Tempel von James Ferguson ca. 1850/OBA

„Paria“/Stanislaw Moniuszko/Indischer Tempel von James Ferguson ca. 1850/OBA

Die Enttäuschung der Öffentlichkeit traf besonders den Paria. Schon 1860 (so zitiert Ritter eine Zeitung) schrieb man: ,,Nach dem hübschen Flis etc. ist es jetzt Zeit für eine zweite Halka, wir verlangen und erwarten sie!“ Die Ablehnung der neuen Oper resultierte aus der frustrierten Erwartung des Publikums, das sich von seiner Besatzung gedemütigt sah und auf ein Fanal zu weiterem Widerstand wartete. Dabei konnte nicht wahrgenommen werden, dass Moniuszko musikalisch außerordentlich experimentiert, neue kompositorische Finessen gewagt hatte, weil er seine in Halka begonnene sozialkritische Haltung verschärfte und in Delavignes Vorlage eine ideale Entsprechung für die Geißelung inner-polnischer Zustande sah. Im Vorfeld, bei Ausschnitten der Oper in einem Konzert 1860, war bereits aufgefallen, wie anders diese Musik nun klang und wie wenig Lokalkolorit zu hören war. Man kritisierte die schwache Charakterzeichnung der Figuren, vermisste Tempeltänzerinnen, Ganges und schwankende Palmen und blieb eben darin in bestürzender Oberflächlichkeit  stecken.

“Paria”/Stanislaw Moniuszko/Indische Landschaft von James Ferguson um 1859/OBA

“Paria”/Stanislaw Moniuszko/Indische Landschaft von James Ferguson um 1859/OBA

Paria ist eben keine kitschige lndienoper. Es ist ein großangelegtes Werk, das nur scheinbar in Fernost spielt. Seine musikalische Nähe zu Wagner ist unüberhörbar, die Arienführung ist nicht mehr nur eine Nummernfolge, sondern eingebettet in stimmungsvolle und vor allem auch durchkomponierte Umfelder. Wagners Einfluss beschränkt sich aber wohl nur auf das Vorhandensein einiger charakteristischer Elemente. Ritter schreibt zu Recht: ,,Neben Rezitativen, die der Wagnerschen Prosodie angenähert sind, gibt es ebenso traditionelle …“ Zumal sich hier auch Übernahmen aus früheren, zum Teil nicht realisierten Werken finden. Die Instrumentation wurde als zu groß, zu laut empfunden und überlagere zum TeiI die Singstimmen, die Ouvertüre verglich man mit der Einleitung zum 3. Akt des Lohengrin.

"Paria"/Stanislaw Moniuszko/Hanna Lisowska in Lodz 1993/TWL

„Paria“/Stanislaw Moniuszko/Hanna Lisowska als Neala in Lodz 1993/TWL

,,Moniuszko“, schreibt Ritter, ,,hatte mit der Komposition der Oper ein langgehegtes Projekt verwirklicht; schon zu Beginn seiner Komponistenlaufbahn hatte ihn der Stoff fasziniert. Mit (dieser) war er keineswegs von seiner Konzeption der engen Verbindung von sozialkritischer und nationaler ldee abgewichen, auch wenn die sozialkritische Zeichnung hier besonders scharf ausfiel… Der Misserfolg des Paria verdeutlicht, dass die Rezeption eines neuen Werkes Moniuszkos mittlerweile im Rahmen eines statischen, festgelegten Systems erfolgte.“ Moniuszko  selbst  hielt  hingegen  seinen Paria für seine beste Komposition, selbst nach der übereilten Warschauer Absetzung, und pries das Werk gegenüber dem Direktor der Petersburger Oper als ,,hinsichtlich des künstlerischen Wertes unvergleichlich besser als Halka.“

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Moniuszko/"Paria"/Szene aus der Aufführung in Lodz/TWL

Moniuszko/“Paria“/Zenon Kowalski/Szene aus der Aufführung in Lodz/TWL

Die Oper selbst rechtfertigt diese Einschätzung meines Dafürhaltens nicht wirklich – es fehlt jene inspirative Kraft der Halka oder die schwungvolle Dynamik des Straszny Dwor mit seiner in die Füße gehenden Ouvertüre. Eindrucksvoll sind hier die großen Chorsätze, einzelne Arien wie die des ldamor, der Auftritt seiner Geliebten Neala, eine wirklich schöne Bariton-Arie des Dzares, die an eine Totenklage erinnert. Aber der Hörer braucht nach einem stimmungsvollen Prolog doch bis zum letzten Akt, um dem Drama auch musikalisch etwas abzugewinnen. Hier nun, in der großen Konfrontation zwischen Vater und Sohn und vor allem auch zwischen dem Paria und seiner Brahmanen-Braut, kommen die memorableren musikalischen Momente, die von entsprechender Instrumentalisierung getragen werden.

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"Paria"/Stanislaw Moniuszko/Szene Stettin 2007/Opery na Zamku

„Paria“/Stanislaw Moniuszko/Szene Stettin 2007/Opery na Zamku

Verbreitung: Den Paria gab es überraschenderweise relativ oft in der polnischen Nachkriegszeit des Sozialismus, nachdem das Werk nach der Premiere 1869 schnell verschwand und sich für die Zwischenzeit nur wenige Belege finden (selbst der fleißige Seeger/Oper hat keine). Nach dem Krieg war vor allem Maria Foltyn eine treibende Kraft für die Wiederbelebung mit Produktionen am Wielki in Warschau und weiteren in Posen, Lodz und Breslau. 2007 bzw. 2009 gab es noch eine in Stettin. Die Rundfunkaufnahme aus Krakau 1971 wurde bereits genannt, eine TV-Aufnahme wurde 1981 vom Wielki Warschau erneut unter Wicherek gemacht, und es kursierte eine VHS-Kaufversion aus Lodz von 1993 mit der Lisowska, Bednarek und Kowalski unter – wieder einmal – Wicherek (musikalisch mit Abstand das beste Dokument, auch dank der fulminanten Lisowska, und durchaus üppig in der Perlenfischer-Folge). Die Stettiner Aufführung von 2007 (wiederholt im Dezember 2009) unter Warcislaw Kunc kam bei Dux 2008 heraus und ist einfach nicht wirklich überzeugend gesungen bzw. dirigiert, zumal die Beilage es nur zu einer polnisch-italienischen Version des Librettos schafft – das trägt nun wirklich nicht zur Verbreitung jenseits von europäischen Grenzen bei (DUX 0686/87, 2 CDs). Zuletzt, 2023, kam bei Naxos eine weitere CD-Aufnahme aus Posen heraus (Jacek Kaspczyk). Geerd Heinsen

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Moniuzskos Oper „Paria“ 2023 im Gastspiel der Posener Oper in der Berliner Philharmonie. s. Bericht/ Iwona Sobotka sang die Neala und erinnerte im Timbre an andere berühmte polnische Sopranistinnen wie Teresa Kubiak oder Teresa Zylis-Gara/ Foto: K. Bieliński / Polish National Opera

Inhalt: Der Titelheld und Heeresanführer ldamor stammt aus der untersten Schicht der indischen Gesellschaft, der Kaste der Parias, und hält diese Tatsache geheim. Dank seines militärischen Talentes und seiner Heldenhaftigkeit kann er jedoch einen der höchsten gesellschaftlichen Range einnehmen, nämlich den Posten des Anführers der Kriegerkaste. Im Prolog gibt es einen Zwischenfall, als ldamor seinen Kameraden von seiner Liebe zu Neala, der Tochter des Oberbrahmanen, erzählt. Ein zerlumpter Mann wird aufgegriffen, den die Soldaten töten wollen – es ist ldamors Vater, den dieser unerkannt freilässt. ldamors Braut Neala, die Tochter Akebars, verachtet zwar ebenso wie die Angehörigen ihres Standes die Kaste der Parias, ihre Liebe zu ldamor ist jedoch stärker, als ldamor ihr seine Herkunft gesteht (Akt 1). Sie will seine Frau werden, und die Hochzeit wird mit großem Prunk angesetzt (Akt 2). Nichts scheint dem Glück der beiden im Wege zu stehen, da niemand außer Neala von der Herkunft ldamors weiß. Während der Hochzeitsfeierlichkeiten (Akt 3) jedoch erscheint der Vater ldamors im Tempel, der Bettler Dzares. Verzweifelt darüber, dass sein Sohn seine Kaste verlassen hat, offenbart er ldamors Herkunft als Paria. Da den Angehörigen dieser Kaste das Betreten des Tempels verboten ist, muss Dzares bestraft werden. ldamor tritt zur Verteidigung seines Vaters auf. Im Zorn beleidigt er den Priester. Zur Strafe dafür muss auch er sterben. Neala aber, vom eigenen Vater verflucht, geht gemeinsam mit Dzares in die Verbannung (Handlung nach Ritter).

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Und schließlich: Als eines der wichtigsten und objektiven (und vor allem wenigen!) Bücher in deutscher Sprache über Moniuszko, seine Zeit und seine Wirkung beziehe ich mich auf die 790 Seiten starke (Doktor-)Arbeit von Rüdiger Ritter, Musik für die Nation – der Komponist Stanislaw Moniuszko in der polnischen Nationalbewegung des 19. Jahrhunderts, das als Band 6 in den Oldenburger Beiträgen zur Kultur und Geschichte Ostmitteleuropas an der Universität Oldenburg im Verlag Peter Lang 2005 erschienen ist (Peter Lang Verlag, Frankfurt/M,   2005,   ISBN   3-631-52829-9; www.peterlang.de) und eine profunde Quelle darstellt. Mein Dank gilt auch Christopher Kidula für die Übersetzungen, dem Kollegen Dieter-David Scholz, der charmanten Natalia Dubinska vom Adam-Michiewicz-lnstitut sowie Jerzy Pawlczyk von Radio Krakau für seine außerordentlich liebenswürdige und unorthodoxe Hilfe. Geerd Heinsen